Sterbehilfe - © Foto: iStock/martinedoucet

Aus für Verbot von Suizidbeihilfe: Was nun?

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Der Verfassungsgerichtshof hat das Verbot von assistiertem Suizid per 1. Jänner 2022 als unzulässig aufgehoben. Drei Einschätzungen dieses Urteils – und drei Erwartungen.

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Der Verfassungsgerichtshof hat das Verbot von assistiertem Suizid per 1. Jänner 2022 als unzulässig aufgehoben. Drei Einschätzungen dieses Urteils – und drei Erwartungen.

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Maria Katharina Moser

Das Wichtigste zuerst: Tötung auf Verlangen und Verleiten zur Selbsttötung bleiben verboten. Das ist gut und wichtig. Der Verfassungsgerichtshof hat also der Sterbehilfe nicht – wie in den Beneluxländern – Tür und Tor geöffnet. Gekippt wurde das uneingeschränkte Verbot der Beihilfe zum Suizid.

In diesem Zusammenhang verweisen die Evangelischen Kirchen auf die schweren Gewissenskonflikte, in denen sich Angehörige oder Ärztinnen und Ärzte wiederfinden, die mit dem Leid und der eindringlichen Bitte eines Sterbewilligen konfrontiert sind – aber auch Sterbewillige, die sich fragen: Kann ich mit anderen über meine Suizidpläne sprechen? Kann ich jemanden bitten, bei mir zu sein, wenn ich mein Leben beende, oder bleibt mir nur der einsame Suizid, oft mit schrecklichen Mitteln? Als Lösungsansatz haben Evangelische Kirchen und Diakonie die Beibehaltung des Verbots, aber Straffreiheit in dramatischen Einzelfällen vorgeschlagen. Der VfGH ist nun darüber hinausgegangen. Sein Urteil ist zur Kenntnis zu nehmen.

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Nun ist der Gesetzgeber an der Reihe. Entscheidend wird sein, dass er bis 31. Dezember 2021 Regelungen findet, die Missbrauch verhindern, kommerzielle Anbieter strikt verbieten, assistierten Suizid klar auf Situationen unheilbarer Erkrankung beschränken und Ärzten keine Verpflichtung zur Hilfe­­leistung auferlegen. Die Bundesregierung steht in der Pflicht, der Forderung des VfGH, wonach der Zugang zu Palliativversorgung für alle gewährleistet sein muss, nachzukommen und die Empfehlungen der Parlamentarischen Enquete „Würde am Ende des Lebens“ (2015) zum flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung, der 2020 abgeschlossen hätte sein sollen, binnen Jahresfrist umzusetzen.

Als gesamte Gesellschaft stehen wir vor der Herausforderung, Sterbewünschen mit anderen Mitteln als dem Strafrecht zu begegnen. Auch wenn Beihilfe zum Suizid aus evangelischer Sicht nicht befürwortet werden kann und keinesfalls zum Normalfall werden darf – das Strafrecht ist weder das einzige noch das beste Instrument, um menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen.

Maria Katharina Moser ist Direktorin der Diakonie Österreich und evangelische Pfarrerin.

Die Bundesregierung steht in der Pflicht, der Forderung, wonach der Zugang zu Palliativversorgung für alle gewährleistet sein muss, nachzukommen.

Maria Katharina Moser

Stephanie Merckens

Der Verfassungsgerichtshof kritisiert einerseits das Verbot der Suizidbeihilfe, weil es keine Ausnahmen vorsieht. Andererseits begründet er die Aufhebung dermaßen weit, dass er es dem Gesetzgeber (fast) unmöglich macht, das Verbot mit Ausnahmen wiedereinzuführen. Denn der VfGH meint, dass sich aus dem Selbstbestimmungsrecht auch das Recht ableite, Todeszeitpunkt und -art frei zu wählen und dafür die Hilfe eines anderen in Anspruch zu nehmen: Was menschenwürdig sei, definiere der Sterbewillige selbst. In der bisher ver­öffentlichten Begründung des Urteils ist nirgendwo erkennbar, ob es „materielle“ Bedingungen geben darf, die ein Verbot der Suizidbeihilfe rechtfertigen würden. Hätte der VfGH dem Gesetzgeber wirklich die Möglichkeit einräumen wollen, Ausnahmen vom Verbot vorzusehen, hätte er das Verbot nicht mit dieser lapidaren Begründung heben dürfen.

Nun ist das Einzige, was der Gesetzgeber noch regeln darf, die Kontrolle des freien Willensentschlusses. Doch man soll sich keinen Illusionen hingeben: In keinem Land, in dem Sterbehilfe zugelassen wurde, konnte dies zufriedenstellend gewährleistet werden. Der VfGH
räumt selbst ein, dass dieser Entschluss durch Umstände beeinflusst werden kann, die nicht nur in der Sphäre des Sterbewilligen liegen: Einsamkeit, Armut, Pflegebedürftigkeit oder Angst vor dem Sterben. Zu ergänzen wären noch Schmerzen oder die Angst, anderen zur Last zu fallen.

Sind das nun Umstände, die einem freien Entschluss entgegen­stehen? Oder meint der VfGH, dass der Gesetzgeber in der Pflicht wäre, diese alle auszuräumen? Was ist der Unterschied zwischen „verleiten“ und „Hilfe leisten“? Wird es ein Werbeverbot geben? Müssen Ärzte über die Option assistierten Suizids aufklären? Ist es nicht schon kollektives Verleiten, den Sui­zid als Ausfluss der Selbstbestimmung darzustellen? Das Verbot der Suizidbeihilfe sollte ja nicht nur den Suizidwilligen schützen, sondern auch unsere Rechtsordnung davor bewahren, den Suizid eines Menschen gutzuheißen. Der VfGH hat das zunichtegemacht. Wir haben viel verloren. Es liegt an der Regierung, diesen Schritt bestmöglich zu korrigieren.

Stephanie Merckens ist Rechtsanwältin, Leiterin des Bereichs Politik am Institut für Ehe und Familie der Bischofskonferenz sowie Mitglied der Bioethikkommis­sion beim Bundeskanzleramt.

Das Verbot der Suizidbeihilfe sollte auch unsere Rechtsordnung davor bewahren, den Suizid eines Menschen gutzuheißen. Der VfGH hat das zunichtegemacht.

Stephanie Merckens

Karl Stöger

Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zur „Mitwirkung am Selbstmord“ (Paragraph 78, Fall 2 Strafgesetzbuch) zeigt erneut, dass die österreichische Politik heikle Themen nicht angreift, bis der VfGH sie dazu zwingt: Das war beim Fortpflanzungsmedizinrecht und der „Ehe für alle“ so; und nun auch beim assistierten Suizid – einer Form der Sterbehilfe.

Das Erkenntnis betrifft die Entscheidung eines Menschen, sich selbst zu töten und dabei „die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen“, etwa beim Transport zu einer Einrichtung im Ausland oder der Bereitstellung von Substanzen. Die eigentliche ­Tötungshandlung muss die suizidwillige Person setzen, sonst liegt Tötung auf Verlangen vor, die strafbar bleibt. Das liegt primär an der Formulierung des konkreten Antrags an den VfGH, dieser hat aber betont, dass er einen qualitativen Unterschied zwischen Beihilfe zum ­Suizid und Tötung auf Verlangen sieht. Hier mag das letzte Wort noch nicht gesprochen sein, aber derzeit geht es um „unterstützte Selbsttötung“.

Dass der VfGH deren absolutes Verbot für unzulässig hält, ist aus rechtlicher Sicht weder ein Dammbruch noch völlig überraschend: Die Tötung vollständig von eigener Hand oder durch Behandlungsverweigerung ist erlaubt. Der VfGH sieht ein Problem darin, einem sterbewilligen Menschen eine Unterstützung durch einen Dritten zu versagen, mit der das Sterben menschenwürdiger gestaltet werden kann, als wenn ­eine sterbewillige Person alleine auf schmerzhafte oder grausame Arten der Selbsttötung angewiesen ist oder diese überhaupt nicht durchführen kann. Menschen zu erlauben, sich zu erschießen oder zu erhängen, ­ihnen aber die Tötung durch spezielle Substanzen zu versagen, ist in der Tat ein Wertungswiderspruch.

Der VfGH hat seine Rolle als „negativer Gesetzgeber“ gewahrt, die notwendige – und mit einem Jahr Frist auch mögliche – Neuregelung obliegt dem Parlament. Dieses hat einigen Spielraum bei der Regelung der Thematik. Eine klare Vorgabe hat der VfGH gemacht: Der Gesetzgeber hat „Maßnahmen vorzusehen, damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst“. Das ist durch Gespräche und Beratung einer suizidwilligen Person durchaus möglich und entspricht dem, was auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt.

Das Parlament ist aufgerufen, weise zu agieren: Der VfGH hat das ausnahmslose Verbot beanstandet, ein Ruf nach bedingungslosem assistiertem Suizid ist das nicht. Zugleich könnte sich eine aus welt­anschaulichen Gründen getroffene „Minimallösung“ erneut dem Vorwurf aussetzen, die Selbstbestimmung der suizidwilligen Person zu missachten. Regierung und Abgeordnete können zudem auf Vor­arbeiten zurückgreifen: Die Bioethikkommission hat im Jahr 2015 Vorschläge zu einer (restriktiven) Neugestaltung des assistierten Suizids gemacht, der Linzer Strafrechtler Alois Birklbauer hat ebenfalls (großzügigere) Vorschläge für einen neugefassten Paragraph 78 StGB vorgelegt. Grundlagen für eine sachliche Diskussion sind also vorhanden.

Karl Stöger ist Professor für Medizinrecht am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien.

Dass der VfGH das absolute Verbot von ‚unterstützter Selbsttötung‘ für unzulässig hält, ist weder ein Dammbruch noch völlig überraschend.

Karl Stöger
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