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III. Unrechts- und Schuldtypenstrafrecht

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Das Recht hat zwei Aufgaben zu lösen: einerseits Gerechtigkeit und anderseits Ordnung und Sicherheit zu gewähren. Dies gilt auch für das Strafrecht. Die Strafrechtsordnung ist die soziale Reaktion auf ungesolltes und gemeinschaftswidriges Verhalten. Daher sind die Bestimmungen über die Strafbarkeit gleichsam die Krone des gesamten Strafrechtssystems. Papst Pius XII. hat in einer Ansprache vom 3. Oktober 1953 das Straf recht daher seiner inneren Natur nach als eine Reaktion der Rechtsordnung gegen den Delinquenten bezeichnet.

Damit komme ich bereits zum Wesen der Strafe selbst. Sie ist ein Uebel, das jemand für eine Rechtsverletzung erleiden muß. Seine Rechtfertigung findet das Strafrecht in der Notwendigkeit der Strafe zur Wahrung der Rechtsordnung vermöge ihrer spezifischen Eigenschaft als ger-echte Vergeltung und zugleich als wirksame Verhütung (General- und Spezialprävention) von Verbrechen, wobei der Grad des Vergeltungsbedürfnisses von dem jeweiligen Stand der Kultur eines Volkes abhängig ist.

Das geltende Strafgesetz ebenso wie der Entwurf haben abstrakte juristische Formgebilde geschaffen, die wir Tatbestände nennen. Ihre schuldhafte und rechtswidrige Verwirklichung ist unter Strafsanktion gestellt worden. Den Mittelpunkt des Strafrechtssystems, auch des Entwurfes, bildet demnach die Tat, das heißt die strafbare Handlung und ihr Erfolg. Das schließt jedoch nicht aus, daß neben der Tat auch die Persönlichkeit des Täters und damit sein Charakter berücksichtigt wird.

Das Strafrecht wird seiner Aufgabe, gemeinschädliches Verhalten zu bekämpfen, am besten dadurch gerecht, daß es in seinen Tatbeständen Unrechtstypen festlegt, also Verhaltungsweisen beschreibt, die nach Ansicht der Rechtsordnung unter den von ihr angenommenen Voraussetzungen gemeinschädlich sind. Im besonderen geschieht es dadurch, daß der Schutz einzelnen Rechtsgütern gewährt wird, wie zum Beispiel dem Leben, dem Leib, der Freiheit, dem Eigentum und der Ehre. Hierbei wird die Bewertung dieser Rechtsgüter im positiven Recht je nach Zeit und Ort, nach dem Entwicklungsund Kulturstand verschieden sein. Unbestritten ist wohl der innerste Kern, so der Schutz des Lebens. Bestritten bereits, ob er sich uneingeschränkt auch auf die Ungeborenen erstrecken soll. Bestritten ist auch, wie weit der Schutz gegen Tötung dadurch eingeschränkt werden kann, daß eine Tötung auf Verlangen und eine Tötung aus Mitleid als eigene Tatbestände herausgenommen und so eine mildere Bewertung bereits vom Gesetzgeber vorgenommen werden soll. Daß es der Entscheidung des jeweiligen Gesetzgebers freistehen muß, ohne daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein unerträgliches Maß erreicht und ohne daß es jene Grundsätze verletzt, die unabhängig von jeder staatlichen Anerkennung gelten und stärker sind, als ihnen entgegenstehende obrigkeitliche Akte, in den Randbezirken des Rechtes eine Grenzlinie zu ziehen, die je nach Zeit und Ort verschieden verläuft, wird nicht zu leugnen sein.

Der Grundsatz „nullum crimen sine lege“ und damit die Garantiefunktion des Tatbestandes bildet das Fundament unserer geltenden, im Rechtsstaat verankerten Strafrechtsordnung. Seine Ersetzung durch eine Generalklausel der Sozialgefährlichkeit, die keine scharfe Umschreibung kennt, würde reinen Zweckmäßigkeitserwägungen Raum geben. Die von Kadecka vorgetragene Meinung läuft darauf hinaus, von der Wertung der Tat abzusehen, somit die Tat bloß als ein Symptom der Sozialgefährlichkeit zu erkennen und damit die Strafe als Sanktion für eine begangene Tat fallen zu lassen. An ihre Stelle hätte ein ausschließlich nach der Persönlichkeit des Täters differenziertes System von Maßnahmen zu treten, das einzig und allein in der Bekämpfung der Sozialgefährlichkeit die Aufgabe sieht. Schon L i s z t ist vor dieser letzten Konsequenz zurückgeschreckt und hat wohl mit Recht ganz entschieden vor Ersetzung des Strafrechtes durch ein System von sozialhygienischen Maßnahmen gewarnt. Seine schärfste Formulierung hat für seine ablehnende Stellungnahme Liszt gefunden, wenn er erklärt, „das Strafrecht ist uns die unüberschreitbare Schranke der Sozialpolitik“. „Der Kodex der sozialen Verteidigung“ könnte keine Magna Charta des Bürgers gegenüber unbeschränkter staatlicher Verfügungsgewalt über den einzelnen sein. Wie weit ein Gesetzgebungswerk auf diesem Wege gehen kann, zeigt das Sowjetstrafrecht, das die materielle Absteckung an Stelle der Tatbestandsgebundenheit durch den Begriff der Sozialgefährlichkeit vornimmt und die Einzeltypisierung der richterlichen Rechtschöpfung' überläßt, wiewohl selbstverständlich auch im Sowjetstrafrecht einzelne strafbare Handlungen in der Form von Tatbeständen kriminalisiert sind.

Es ist daher erfreulich, daß sowohl der österreichische Entwurf als auch die deutsche Strafrechtskommission an der verpflichtenden materiellen Gerechtigkeit festhalten. Damit ist der gefährliche Zustand als Strafgrund abgelehnt und wird ein festes Wertgefüge von Strafzwecken anerkannt. Es bleibt bei einem durch strafrechtliche Tatbestände und keineswegs durch Tätertypen charakterisierten Strafgesetz.

Eine weitere Voraussetzung ist die Schuld. Sie ist Verantwortlichkeit des Täters für sein rechtswidriges Verhalten. Man macht dem Täter einen persönlichen Vorwurf daraus, daß er sich wider das Recht verhielt, obwohl er nach seinen persönlichen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, sich dem Recht gemäß zu verhalten. Hierbei macht der Entwurf wie das geltende Gesetz eine Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, wobei dem Täter wie bisher Vorsatz zur Last fällt, wenn er das Uebel, das mit der Tat verbunden ist, bedacht und beschlossen hat, während Fahrlässigkeit vorliegt, wenn er zur Vermeidung des mit der Tat verbundenen Uebels nicht die Achtsamkeit aufgewendet hat, zu der er nach seinen Kenntnissen, Erfahrungen und Verstandeskräften und nach seiner Körperbeschaffenheit fähig ist und die ihm nach den Umständen zumutbar war. Da wir die Funktion dieser Schuldformen mit Graßberger als Bewertungstypen für die Sozialschädlichkeit der dem äußeren Verhalten zugrunde liegenden Entschließung erblicken, ist es wohl gestattet, von Schuldtypen zu sprechen.

Die internationale Bewertung der „defense sociale“, die das Strafrecht schließlich durch ein Schutzrecht ersetzen will und die Tat nur als Symptom gewertet sieht, läßt an Stelle von Schuld und Verantwortung den Begriff der Asozialität treten; ein anderes Wort für die von K a d e i k a empfohlene „Gefährlichkeit“. Darin sieht der Schweizer Gelehrte Ludwig nicht nur eine gefährliche Utopie, sondern den ersten Schritt zum rechtsstaatlichen Selbstmord.

Nach den hier vorgetragenen Grundsätzen wird die Strafe daher nicht in erster Linie nach der Gefährlichkeit, sondern nach dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schwere der Schuld zu bemessen sein. Wenn wir Kadecka recht geben können, so nur hinsichtlich seiner letzten Schlußfolgerung, daß ein Gesetz, das lebendes Recht schaffen will, auf die in der Bevölkerung herrschenden Anschauungen Rücksicht nehmen muß. Zu diesen Anschauungen gehört es, ein schweres Verbrechen auch bei besonderen Umständen, die es veranlaßt haben, eben wegen des hohen Unrechtsgehaltes strenger zu bestrafen als eine geringfügige Verfehlung wegen der darin zutage getretenen Roheit, Bosheit oder Arglist und damit wegen der großen Gefährlichkeit des Täters. Für uns stehtldas begangene Verbrechen im Vordergrund, wir sehen die Aufgabe des Richters in der Vergeltung, in der Uebeltat den Grund der Bestrafung und nicht den Anlaß für die Verhängung sichernder Maßnahmen. Die Tötung eines Menschen kann eben nicht leichter wiegen als die noch so grausame und rohe leichte Verletzung.

Der Schutz der Gemeinschaft gegen Verbrechen und Verbrecher, dem die sichernden Maßnahmen gegen gefährliche Täter dienen, ist eben nicht der letzte Sinn der Strafe. Wie Papst Pius XII. in seiner Ansprache vom 3. Oktober 1953 hervorhob, besteht „der Kern der Schuld in der freien Opposition gegen das als verpflichtend anerkannte Gesetz und in der bewußten und gewollten Durchbrechung und Vergewaltigung der gerechten Ordnung. Ist sie einmal zustande gekommen, so ist es unmöglich, au bewirken, daß sie nicht existiert. So weit man kann, soll man der verletzten Ordnung Genugtuung leisten. Das ist eine Grundforderung der Gerechtigkeit.“ Auch das Vergeltungsprinzip findet seine Anerkennung durch die Kirche: die Bußfunktion erlaubt schließlich, das letzte Gericht des Schöpfers selbst zu verstehen, der jedem nach seinen Werken vergilt, wie es beide Testamente oft wiederholen (Matth. 16, 27; Rom. 2, 6).

Auch wir streben eine Verinnerlichung des Strafrechtes an, eine innerliche Einwirkung auf den Verbrecher, damit er in Hinkunft die Verbrechen nicht bloß aus Angst, neuerlich bestraft zu werden, nicht setzt, sondern weil er erkannt hat, daß die strafbare Handlung ein Vergehen gegen die Allgemeinheit darstellt, deren Glied er ist. Indem wir uns damit zur Sühnewirkung der Strafe bekennen, glauben wir dem Wesen der Resozialisierung, das in der Erziehung des Täters, seiner Heranziehung zur Arbeit, damit er ihren sittlichen Wert erkennen und verstehen lernt, besteht, nahegekommen zu sein. Darüber hinaus soll die Resozialisierung den Täter zur Wertung der Persönlichkeit, seiner eigenen und der fremden, zur Achtung der staatlichen Ordnung, wenn erforderlich mit notwendiger Strenge, und schließlich zur Erweckung des Sozialgefühls führen.

Diese hier vertretenen Ansichten finden in folgenden Bestimmungen des Entwurfes ihren Niederschlag:

Daß die Schuldvergeltung in den Vordergrund gerückt ist, ist daraus ersichtlich, daß auf die Vorwerfbarkeit abgestellt wird; denn das Gericht hat hauptsächlich abzuwägen, „ob die Tat mehr auf eine den Anforderungen des Gemeinschaftslebens feindselig oder gleichgültig gegenüberstehende Einstellung des Täters oder mehr auf äußere Ursachen zurückzuführen ist, die ihm nicht zum Vorwurf gereichen“ (34).

Schuldvergeltung, vermischt mit Einzelvorbeugung, läßt die Formulierung erkennen, die lautet: „Im allgemeinen ist eine strafbare Handlung um so schwerer, je reiflicher die Ueber-lcgung (daher um so größer die Schuld), je geflissentlicher die Vorbereitung, womit sie unternommen wird (daher um so größer die Gefährlichkeit und die Notwendigkeit der Vorbeugung) ist“ (34 E: die Beisetzung stammt von mir).

Daß der Entwurf dem Schutz der Rechtsgüter dient, zeigt folgende Fassung: „Je gewichtiger und umfangreicher die vom Täter verschuldete oder nur gewollte Rechtsgüterverletzung oder -gefährdung ist...“ (34); auch hier kommt der Schuldgedanke zum Durchbruch. Daneben ist auch die Genugtuung für den Verletzten berücksichtigt.

Auch die Sicherung gegen mutmaßlich Unverbesserliche wird festgelegt, da 35 lit. b als besonderen Erschwerungsgrund erwähnt, „wenn der Täter schon wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Handlung bestraft oder einer vorbeugenden Maßnahme unterzogen worden ist“.

Abschließend sei noch bemerkt, daß aus den im Entwurf angeführten Milderungsgründen hervorgeht, daß Umstände, die einem Schuld- oder Rechtfertigungsgrund nahekommen oder ansonsten geeignet sind, die Schuld zu vermindern oder auf Umstände hinweisen, die den Schaden vermindert haben, bei der Strafbemessung entsprechend zu berücksichtigen sind.

Die Befürchtungen, die die Ausführungen Kadeckas über Tat- bzw. Täterstrafrecht erwecken könnten, sind demnach unbegründet.

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