6591441-1952_29_02.jpg
Digital In Arbeit

Milderung des Strafrechts — heute?

Werbung
Werbung
Werbung

Das Justizministerium hat dem Justizausschuß des Nationalrates den Entwurf der Strafprozeßnovelle 1952 zugeleitet. Dieser Entwurf enthält beachtliche, begrüßenswerte Neuerungen, leider auch bedenkliche Änderungen der geltenden Gesetze.

Keine Einwendung besteht dagegen, daß nunmehr ein Rechtsanwaltsanwärter auch als Verteidiger im ordentlichen Ver“ fahren vor dem Gerichtshof erster Instanz sich durch einen Rechtsanwaltsanwärter vertreten lassen kann, der noch nicht in der Verteidigerliste eingetragen ist (§ 45 a StPO). Die Bestimmungen des § 50 StPO werden auf die Haftungspflichtigen und Verfallsbedrohten, also auf einen durch die jüngere Gesetzgebung an dem Strafverfahren beteiligten Personenkreis ausgedehnt. Auch sie können nun ihre Sache selbst führen, oder sich eines in der Verteidigerliste eingetragenen Rechtsbeistandes oder eines anderen Bevollmächtigten bedienen.

Durch die neue Fassung des § 284 StPO ist nunmehr das Gericht verpflichtet, dem Beschwerdeführer, sofern dies nicht schon geschehen ist, eine Urteilsabschrift zuzustellen. Die Frist zur Ausübung des Rechtsmittels soll jetzt stets von der Zustellung der Urteilsabschrift an laufen. (§§ 294 und 467 StPO.)

Die neue Fassung des § 400 StPO legt nunmehr fest, daß die Zeit, die der Verurteilte nach Fällung des Urteils erster Instanz in anderer Haft als Strafhaft — also in Polizeihaft, gerichtlicher Verwah- rungs- oder Untersuchungshaft — zugebracht hat, insoweit auf die Freiheits- und Geldstrafe a n z u r e c h n e n ist, als der Verurteilte die Haft nicht verschuldet hat. Verschuldet ist die Haft, wenn sie wegen Gelöbnisbruches, Fluchtvorbereitungen oder Beeinflussung von Zeugen auch nach Verkündung des Urteils noch verhängt oder aufrechterhalten werden mußte. Diese Normierung stellt eine Verbesserung der geltenden Bestimmung dar, weil bei Erfolglosigkeit des Rechtsmittels die Zwischenhaft bisher dem Verurteilten nicht angerechnet wurde. Es ist offenbar unbillig, wie die Erläuterungen zur Regierungsvorlage richtig ausführen, dem Verurteilten ein solches Risiko aufzuerlegen und so auf ihn einen, wenn auch unbeabsichtigten Druck auszuüben, das Rechtsmittel nicht anzumeldsn oder deren sachliche Entscheidung nicht abzuwarten, um bei einem Mißerfolg nicht um so länger in Haft angehalten zu werden.

Die Strafprozeßnovelle 1952 will ferner auch eine Novellierung des Gesetzes über die bedingte Verurteilung 1949, BGBl. Nr. 277/1949, dahin vornehmen, daß das Gericht die Vollziehung aller oder einzelner Hauptstrafen vorläufig aufschieben kann, wenn keine der abgeurteilten Taten und Gesetze mit strengerer Freiheitsstrafe als mit fünf Jahren Kerker oder schwerem Kerker bedroht ist, und wenn aus besonderen Gründen die bloße Androhung der Vollziehung allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen zweckmäßiger erscheint als die Vollstreckung.

Damit beschreitet die Strafgesetzgebung insofern neue Wege, als bisher nur die Vollziehung einer Geld- oder Arreststrafe, keineswegs auch die Vollziehung einer Kerkerstrafe aufgeschoben werden konnte. Um eine solche Aufschiebung möglich zu machen, muß derzeit nach Art. VI der StPNov. 1918, StGB . Nr. 93, die Kerkerstrafe, deren Obergrenze im Strafgesetz fünf Jahre nicht übersteigt, vom Gericht in strengen Arrest umgewandelt werden. Dies kann nur dann geschehen, wenn bestimmte, im Gesetz ausschließlich aufgezählte mildernde Umstände vorliegen. Es seien hier einige angeführt: wenn der Täter aus achtenswerten Beweggründen oder auf nachdrücklichen Befehl einer Person, von der er abhängig ist, gehandelt hat, wenn die Tat nur auf Übermut oder Unbesonnenheit zurückzuführen ist und mit dem sonstigen Verhalten des Täters in auffälligem Widerspruch steht, oder wenn der Täter vor Beginn der Verfolgung den Schaden abgewendet oder gutgemacht hat.

Durch die auch gerade nicht allzu engen Grenzen des Art. VI der StPNov. 1918 war einer mißbräuchlichen Anwendung dieser Gesetzesbestimmung und damit einer allzu großen Ausbreitung der bedingten Verurteilung noch Einhalt geboten worden. Wehn die Erläuterungen zum Entwurf die dem Gesetz nicht entsprechende Praxis der Strafumwandlung zugeben und nun vermeinen, einer solchen gesetzwidrigen Praxis durch eine Änderung des Gesetzes entgegenkom- men zu müssen, so ist dies allerdings nicht alltäglich. Eine gesetzwidrige Praxis wird durch Berufungen der Staatsanwaltschaft und Entscheidungen der höheren Gerichte sowie Schließlich des Obersten Gerichtshofes wieder in die richtige Bahn gelenkt. Meint man jedoch, daß der bedingten Verurteilung ein weiterer Raum gegeben werden soll und ihre Anwendung erleichtert werden möge, so sind die Bestimmungen des Entwurfes hiefür wohl das richtige Mittel. Hier gilt es jedoch, die Frage aufzuwerfen, ob damit der Entwurf den richtigen Weg beschreitet.

In konsequenter Weise wird durch die in den letzten Jahren erschienenen Gesetzgebungswerke eine Milderung des Strafrechts vorgenommen. Es sei nur auf die Abschaffung der Todesstrafe verwiesen, die durch die lebenslängliche Kerkerstrafe ersetzt wurde, es sei ferner daran erinnert, daß durch das Tilgungsgesetz 1951 der Kreis der tilgbaren gerichtlichen Verurteilungen erweitert wurde, so daß derzeit nur eine Verurteilung, die auf Todesstrafe oder lebenslange Kerkerstrafe lautet, nicht getilgt werden kann. Folgerichtig und der gleichen Tendenz huldigend, wird nunmehr durch die Strafprozeßnovelle 1952 auch der Anwendungsbereich der bedingten Verurteilung erweitert.

Man braucht kein Anhänger der klassischen Schule Bindings zu sein, die einseitig und starr auf die Vergeltung ab zielt, wenn man meint, daß im Strafrecht der Vergeltungsgedanke nicht ganz in den Hintergrund treten soll. Die Strafe dient, wie wir wissen, neben der Vergeltung auch der sozialpädagogischen Einwirkung auf die Gesamtheit (Generalprävention), ferner der Abschreckung sowie Besserung, aber nicht vor allem und schon gar nicht allein der Besserung des Verbrechers, und schließlich bei Unverbesserlichen der Unschädlichmachung (Spezialprävention).

Muß nicht ein Strafrecht an a b- schreckender Wirkung einbüßen, ja sogar als Mittel zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung viel verlieren — vom Zweck der Vergeltung und Unschädlichmachung des Verbrechers nicht zu reden — , wenn man einerseits bestrebt ist, den Strafvollzug nach Möglichkeit einzuschränken (denn das ist d©r Sinn der Ausdehnung der bedingten Verurteilung auch’ auf Verbrechen, die das Gesetz mit. einer Kerkerstrafe bis zu fünf Jahren bedroht), und andererseits darauf bedacht ist, dem Verurteilten die Tilgung möglichst leicht zu machen?

Es sind zwei Weltkriege über unseren Staat hereingebrochen. Der zweite Weltkrieg hat durch seine lange Dauer und die Intensität seiner Einwirkungen, insbesondere durch den Bombenkrieg, und durch die Besetzung des ganzen Bundesgebietes gerade in bezug auf das „Hinterland“ nachhaltige Folgen für die Moral des Volkes und nicht zuletzt für die Kriminalität gehabt. Unsichere materielle Verhältnisse, die mangelnde Stabilität des politischen und wirtschaftlichen Geschehens, daher die Angst vor der Zukunft und damit auch die Sucht und Begierde nach raschem und intensivem Lebensgenuß haben anfällige Bevölkerungskreise die Schranken der Gesetzgebung leicht übersteigen lassen. In solchen Zeiten, so sollte man meinen, werden sowohl der Gesetzgeber als auch die Praxis streng sein, um die Kriminalität zurückzudrängen, Ist doch der Schutz der anständigen Staatsbürger erste Pflicht des Staates, Recht ist vor allem eine Friedensordnung. Ist es daher gerade in solchen Zeiten nicht erforderlich, die Rechtsbrecher streng zu beurteilen? Die Strafe ist eben ein Übel und soll als solches empfunden werden. Milde wird im politischen Leben von dem Gegner allzuoft als Schwäche, auf Dauer geübt, sogar als Selbstaufgabe gedeutet. Sie führt nicht dazu, den Gegner in weise Selbstbeschränkung zurückzuführen, sondern ermuntert nur seine Angriffslust auf den milden und von ihm daher als schwach angesehenen Gegenpart. Sollte nicht Gleiches für die Kriminalpolitik gelten? Wird der anfällige Personenkreis, der auf die Rechtsordnung schwere Angriffe — wenn eine Tat m,it fünfjähriger Kerker strafe bedroht wird, stellt sie eine gewichtige Rechtsverletzung dar — verübt und der durch die immer milder wendenden Gesetze im Staat einen schwachen Gegenpart findet, der es ihm immer leichter macht, mit geringerem Risiko sich gegen die Bestimmungen des Rechtes zu vergehen, durch solche Gesetze in die notwendigen Schranken gewiesen werden?

Damit soll nichts gesagt sein gegen die bedingte Verurteilung in angemessenen Grenzen und auch nichts gegen die Anwendung des Art. VI der StPNov. 1918, der ohnehin bereits die Möglichkeit der Umwandlung einer Kerkerstrafe in eine strenge Arreststrafe unter angemessenen Beschränkungen gibt. Diese Beschränkungen sollen jedoch aufrechterhalten und einer weiteren Milderung der Gesetzgebung soll Einhalt geboten werden, bis sich die Lage im allgemeinen derart gebessert hat, daß die Kriminalität absinkt und daher eine Lockerung der geltenden Bestimmungen ohne Gefährdung der allgemeinen Sicherheit und Ordnung möglich ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung