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Das Gespenst unserer Tage

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Das Problem der Jugendkriminalität ist komplex, das heißt Ursachen und Erscheinungen der Straftaten sind sehr verschiedenartig, ebenso die Täter. Daher müssen auch die Wege und Mittel der Bekämpfung differenziert sein. Dem trägt auch das heute geltende Jugendgerichtsgesetz aus dem Jahre 1928 Rechnung, das seiner Zeit weit vorausgeeilt ist und auch heute noch in seinen Grundgedanken der modernen Rechtsauffassung entspricht. Der Erziehungszweck steht im Vordergrund, daher ist die Erforschung und Wertung der Persönlichkeit des Jugendlichen erforderlich. Die Auskünfte der Schule, die Erhebungsberichte der städtischen Fürsorge, in schwierigen Fällen die Beurteilung durch den Psychologen, bieten wichtige Anhaltspunkte. Die vom Jugendrichter angeordnete Erziehungsmaßnahme tritt neben die Strafe, wenn diese nicht als ausreichend erkannt wird.. Sie tritt an Stelle der Strafe, wenn diese ohne Nachteil für die Rechtsordnung und den Jugendlichen selbst unterbleibent kann.. Ursache deemeisn.strafbaren Handlungen ist der Mangel, an Erziehung. Nun kann das Jugendgericht auch die zur Abhilfe. erforderlichen vormund-schaftsbehördlfchen Verfügungen, wie Stellung unter Erziehungsaufsicht, Unterbringung in einer Familie, einem Jugendheim oder einer Anstalt treffen. Das stößt freilich,ort auf große Schwierigkeiten, die vorhandenen Anstalten reichen nicht aus, sie sind oft überfüllt. Die Frage der Jugendkriminalität, die heute als aktuell behandelt wird, hätte schon lange mehr Beachtung in der Oeffentlichkeit finden sollen. Es- geht darum, daß möglichst viele gestrauchelte Jugendliche nicht wieder straffällig werden. Möglichst wenig Verbrechernachwuchs f Das Problem existiert nicht nur in Oesterreich, es ist ein Weltproblem, mit ihm beschäftigt sich auch eine Kommission der Vereinten Nationen.

Ein Beispiel sei angeführt: Das Bundeskriminalamt Wiesbaden, das die Polizeikriminalstatistik 1956 der Bundesrepublik Deutschland veröffentlichte, stellte hierbei fest: „Das Anwachsen der Kriminalität ist im Verhältnis zum Anwachsen der Bevölkerung um das

Nach den Wahrnehmungen des Wiener Jugendgerichtshofes hat die Jugendkriminalität in den letzten Jahren zugenommen. Jugendliche begingen häufig mehrere und schwerere Delikte (Bandenbildung).

Bemerkenswert ist, daß von den 830 Personen, die wegen Verletzungen des Waffen Dreifache gestiegen.“ — „Die Altersstufe der Heranwachsenden (18 bis 21 Jahre) muß zweifellos als die kriminell gefährdetste angesehen werden.“ Und schließlich: „Der Sicherheitszustand in der Bundesrepublik bedarf weiterhin ernster Aufmerksamkeit, zumal die gegenwärtigen wirtschaftlichen und “sozialen Verhältnisse im allgemeinen so liegen, daß man nicht von einer aus wirtschaftlicher Not erwachsenen Kriminalität sprechen kann.

Setzt man die Gesamtkriminalität — Belastungsziffer gleich 100, so ergibt sich für die Erwachsenen die Zahl 115, für die Jugendlichen 116, für die Heranwachsenden aber 192.

Greift man aus der Statistik des Bundeskriminalamtes einige Straftatengruppen heraus, so entfallen von der Gesamtzahl der festgestellten mannlichen Täter:

Heranwachsende Jugendliche

. % %

Mord und Totschlag . . 11 5

Notzucht.......... 15,2 11,4

Unzucht zwischen Männern . . 12,4 16,3

Raub........... 23,6 13

Kraftfahrzeugdiebstahl ... . . 27,6 26,1

Fahrraädiebstahl . . . . . . 17 25,3

Waffen- (Munitions-) Diebstahl . 12 30,8

Landfriedensbruch, Aufruhr .'. 29,6 19,5

In Oesterreich kommen jetzt die stärksten Geburts Jahrgänge (1939 bis 1944) ins kritische Alter. In Wien wurden 1937 5128 Knaben--geboren, 19-50: 15.676, 1*44;-.1.4.322, 1948:-1-0.612, 1953: 6147, l$$6: 6.708nKrtaböt Dementsprechend wird voraussichtlich die absolute Zahl der Straffälligen in den späteren Jahren sinken. Die folgende Uebersicht zeigt, daß die Kriminalität männlicher Jugendlicher nach dem zweiten Weltkrieg bei Vermögensund Sittlichkeitsverbrechen einen verschiedenen Verlauf nimmt. Die Sittlichkeitsverbrechen sind ständig im Ansteigen begriffen, bei den Vermögensverbrechen ist zuerst, ein starkes Absinken bemerkbar, die Jahre 1955 und 1956 weisen aber Zahlen auf, die weit höher sind als die Zahlen im Jahre 1946.

Auf 100.000 strafmündige männliche Jugendliche entfielen auf:

■ ' Vermögens- Sittlichkeitsverbrechen verbrechen 1946 ........ 519 12

1950 ........ 413 75

1954...... . . 289 107

1955 ........ 571 204

1956 ........ 720 208

Den Anteil Jugendlicher an bestimmten Verbrechensarten zeigt die folgende Uebersicht (in Prozenten):gesetzes verurteilt wurden, 29 Prozent Jugendliche sind. Bei folgenden Uebertretungen ist der Anteil Jugendlicher groß:

Diebstähle minderer Art — Entwendungen . 24 % Boshafte Beschädigung fremden Eigentums . . 22 % Sittlichkeitsverletzungen ...... . . . 11 %

Im Oktober 1956 fand auf Initiative des Präsidenten des Wiener Jugendgerichtshofes, Doktor Hackauf, eine Tagung der Jugendrichter statt. Sie war, wie Justizminister Dr. Tschadek feststellte, von gediegenem Wissen und einem Stück Idealismus getragen. Die Vorträge behandelten auch Verbesserungen des Jugendstrafrechtes, der Jugendgerichtsbarkeit und des Strafvollzuges. Die behandelten Probleme haben in den letzten Jahrzehnten eine starke Wandlung erfahren. War ursprünglich das „Einsperren“ die einzige Reaktion, gibt es heute Länder, wie die Schweiz, die bei Personen von 14 bis 18 Jahren nur mit Erziehungsmaßnahmen reagieren, während das Jugendstrafrecht für die Heranwachsenden (18 bis 21 Jahre) gilt.

Die österreichische Jugendrichterschaft hat sich in Resolutionen eingesetzt für: Beibehaltung eines eigenen Jugendgerichtsgesetzes (nicht bloß Jugendbestimmungen im geplanten Strafgesetz), Schaffung weiterer Jugendgerichte. — Bei schwersten Delikten Erweiterung des Strafrahmens von 10 auf 15 Jahre oder, was mir richtig erscheint, Sicherungsverwahrung für jene Jugendlichen, die auch nach der Strafverbüßung nicht gebessert sind, sondern gemeingefährlich bleiben. (Besserer Schutz der Allgemeinheit.) — Abbau der normalen Freiheitsstrafen unter sechs Monaten, die erzieherisch überwiegend wertlos, wenn nicht überhaupt schädlich sind, dafür erzieherische Maßnahmen oder Zuchtmittel, z. B. Arrest- an mehreren Wochenenden mit nützlicher Beschäftigung -oder Kurzarrest (Schockwirkung!), die nicht als Vorstrafen gelten und daher auch nicht dem Fortkommen schaden. — Einfuhrverbote für Schmutzliteratur und Schundfilme. — Errichtung wenigstens einer Anstalt für Psychopathen, die den Erfolg der Erziehungsarbeit an den übrigen Zöglingen gefährden. — Der Ueberfülhmg vorwiegend in den männlichen Fürsorgeerziehungsanstalten und , der Bundesanstalt in Kaiser-Ebersdorf durch Schaffung neuer Plätze begegnen! Wenn Jugendliche, die verwahrlost oder kriminell wurden, praktisch überhaupt nicht eder erst nach Monaten eingewiesen werden können, kommt es zum weiteren Abgleiten!

Der hauptberufliche oder ehrenamtliche „B e-w ä h r u n g s h e 1 f e r“, der einen neuen Typ des Sozialarbeiters darstellt, wird Hauptgegenstand der zweiten Tagung österreichischer Jugendrichter im Oktober d. J. in Graz sein. Ein erster praktischer Versuch in Wien wird seit Oktober 1957 durch die Arbeitsgemeinschaft „Bewährungshilfe“ unter Leitung Dr. Sepp Schindlers gemacht. Die Bewährungshilfe soll die Straffälligen bei bedingter Verurteilung oder bedingter Entlassung betreuen. Sie ist kein Ersatz für die Anstaltsunterbringung, sondern in den geeigneten Fällen die bessere Lösung.

Die Bekämpfung der Jugendverwahrlosung und der Jugendkriminalität kann natürlich nie allein Aufgabe der Justiz sein. Für den jungen Menschen sind, wie Unterrichtsminister Doktor Drimmel einmal betonte, drei Lebenskreise entscheidend: die Familie, die Schule — der Beruf, die Jugendgemeinschaft Mögen sich die Erwachsenen in diesen Kreisen ihrer hohen Verantwortung gegenüber der Jugend bewußt sein.

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