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Digital In Arbeit

Video: Schule der Gewalt

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Fernsehen, Video und Computerspiel haben das Kinderzimmer erobert und bestimmen weitgehend das Freizeitverhalten junger Menschen. Was über den Bildschirm flimmert, hat aber oft wenig mit Unterhaltung und Information, Geschicklichkeitsund Konzentrationsübungen zu tun. Gezeigt wird dagegen, wie man Probleme löst - nämlich mit Gewalt.

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Fernsehen, Video und Computerspiel haben das Kinderzimmer erobert und bestimmen weitgehend das Freizeitverhalten junger Menschen. Was über den Bildschirm flimmert, hat aber oft wenig mit Unterhaltung und Information, Geschicklichkeitsund Konzentrationsübungen zu tun. Gezeigt wird dagegen, wie man Probleme löst - nämlich mit Gewalt.

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Die Verhaltensweisen Jugendlicher orientieren sich zunehmend am medialen Vorbild. Die Eltern fühlen sich machtlos gegenüber dieser Medienüberflutung, der Gesetzgeber glaubt noch immer keine Möglichkeit zu sehen, dagegen einzuschreiten und die Wirtschaft verdient gut daran.

„Ich bin stolz auf Dich, mitten durch's Hirn" - „Mach ihm ein Luftloch in die Kehle". Diese Ausschnitte aus auf dem Markt befindlichen Videofilmen brachte manchen Jugendschützer und Familienvertreter auf einer unlängst in Köln stattgefundenen Medien-Fachtagung eine unruhige Nacht ein. Die Schreie Gefolterter, lebendig Eingegrabener und brutal vergewaltigter Frauen, detailreich geschildert, verscheuch-ten jeden erholsamen Schlummer.

Während noch über die Wirkungsweise von „Knight Rider" oder „Fackeln im Sturm" im TV-Vorabendprogramm diskutiert wird, hat die Videokassette bei Kindern und Jugendlichen längst das Femsehen überholt; Der Videokonsum der Kinder stieg in Österreich von acht (1987)aufl4Prozent(1991). Action-, Horror- und Kriegsfilme dominieren in der Beliebtheitsskala Jugendlicher. Man bekommt sie in Videotheken, Trafiken und Tankstellen, wo man sich an das Abgabeverbot an Jugendliche unter 18 Jahren kaum hält.

Lange Debatten • umsonst

1984 fand im Justizministerium in Wien die erste Enquete zum Thema „Video-Brutalität" statt. Juristen und Kinderpsychologen forderten dringlich einen wirksamen Schutz Kinder und Jugendlicher vor solchen Angeboten. Ergebnis: Eine Dokumentation der Veranstaltung in Buchform und der Verweis auf die Möglichkeit der „freiwilligen Selbstbeschränkung" durch die Videothekbesitzer.

Auf Drängen von Familienvertretern wurde im Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie ein interministerieller Arbeitskreis installiert, der sich 2,5 Jahre mit dem Thema befaßte. Der fertige Entwurf für eine Änderung der Gewerbeordnung, in die ein Passus bezüglich eines Einfuhrverbotes von Horror-Videos aufgenommen werden sollte, scheiterte am Nein der Wirtschaft und am Aus der Legislaturperiode.

In der Bundesrepublik Deutschland ist man beim Schutz der Jugend, so konnte man auf der Fachtagung erfahren, doch schon einen Schritt voraus. Die Bundesprüfstelle in Bonn kann zwar erst über Antrag beziehungsweise Anzeige seitens der Jugendämter (auch Privater) tätig werden, doch schiebt auch das Eingreifen im nachhinein und die festgelegten Strafen (Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr beziehungsweise Geldstrafen bis zu 50.000 DM) automatisch einen Riegel bei der Abgabe an Jugendliche vor. Jährlich werden zirka 700 Anträge gestellt, worauf sich 400 auf Videokassetten beziehen. In letzter Zeit nehmen die Anzeigen bezüglich Computerspiele, in denen es um Rassenhaß und NS-Zeit Verherrlichung geht, zu. Die Entscheidung, ob es sich

„um verrohend wirkende, zurGewalt-tätigkeit, Verbrechen und Rassenhaß anreizende, NS- und kriegsverherrlichende und verharmlosende, frauendiskriminierende und pornographische Inhalte" dabei handelt, fällt ein Zwölfer-Gremium, bestehend aus ehrenamtlichen Beisitzern aus den Bereichen Jugendwohlfahrt, Kirche, Familienverbände und so weiter.

Während man in Österreich noch immerüberMöglichkeiten nachdenkt, der Zugänglichkeit Jugendlicher zu, Brutal-Videos eine Schranke zu setzen (ohne die wirtschaftlichen Interessen dabei zu stark zu schmälern!) haben die Computerspiele zusätzlich den Markt erobert. Ungefähr 4.000 sind derzeit im Handel.

Von Buben werden vor allem sogenannte „Ballerspiele" bevorzugt: Pro getöteten Menschen gibt es Gutpunkte. Geschossen wird auf Ausländer, Alte und Behinderte... Ausgerottet können mit einiger Geschicklichkeit Wirkung der Medien stammen von deutschen Medienpädagogen - „Eindeutig abgesichert ist, daß durch den Konsum von TV-Gewalt niemand friedlicher wird" (Michael Kunczik) und „Gewalt in den Medien wirkt, wenn andere soziale Defizite dazukommen" (Bernd Allensteig).

Der Gesetzgeber wird daher - neben aller Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Problem und der forcierten medienpädagogischen Bildung der Eltern - sich kaum auf die Dauer von gesetzlichen Maßnahmen zum Schutz der Jugend drücken können. Auf einer Podiumsdiskussion in Wien Anfang November zum Thema „Gewalt in den Medien" sprach sich der Präsident des Jugendgerichtshofes, Udo Jesionek, entschieden für ein gesetzliches Abgabeverbot, einschließlich wirksamer Kontrollmechanismen, von Brutal-Videos an Kinder und Jugendliche aus. Als Jugendrichter ist er zunehmend mit ganze Nationen werden. Via Mail-Boxen kann in Programme, die übelstes rassistisches und auch NS-Ge-dankengut enthalten, eingestiegen werden. Auch über das Telefon ist das möglich. Unzählige Disketten, hauptsächlich aus Holland, sind unter den Kindern im Umlauf (pro Diskette zirka 500 Raubkopien). Laut Simon-Wiesenthal-Zentrum kennen 39 Prozent der Schüler in Österreich Spiele wie: KZ-Manager, Ausschwitz-Total, Türkennest, Arier-Nachweis...

Video-Konsum außer Haus Der Video-Konsum kann in einem verantwortungsbewußten Elternhaus noch einigermaßen unter Kontrolle gehalten werden. In der Praxis wird aber vieles außer Haus unter dem Druck der Gruppe „Wer hält die Scheußlichkeiten am längsten aus" gesehen. Die Computerspiele geraten aber ganz aus der Übersicht der Eltern, vor allem deshalb, weil sich diese mit den technischen Angeboten am Computermarkt nicht so auskennen wie ihre Sprößlinge. Außerdem werden diese Spiele oft gut getarnt zwischen Zeichentrickspielen angeboten. Ein Knopfdruck genügt oft, um in ein anderes Programm umzusteigen, bevor das elterliche Auge sie erblicken.

Womit wir beim Problem wären -wie steht der Gesetzgeber beziehungsweise die Gesellschaft den Eltern bei, den Medienkonsum ihrer Kinder unter Kontrolle zu bekommen. Ihnen dafür die Verantwortung alleine zuzuschieben, ist einfach, bequem, aber in der Praxis undurchführbar. Erziehen ist heute schwieriger geworden. Die Konkurrenz der „Miterzieher" (Schule, Werbung, Medien, Gruppendruck) wird immer stärker. Wertmaßstäbe und gesellschaftliche Normen werden heute weitgehendst außerhab des Elternhauses gesetzt. Außerdem - wer schützt jene Kinder, deren Eltern sich ihrer erzieherischen Verantwortung nicht bewußt sind?

Zwei wesentliche Aussagen zur dem Unverständnis straffällig gewordener Jugendlicher gegenüber der ausgeübten Gewalt konfrontiert, die seiner Meinung nach im Aufwachsen der Kinder in einer „unkontrollierten alltäglichen Gewalt", wozu die elektronischen Medien entscheidend beitragen", liegt. Die Hemmschwelle, selbst Gewalt anzuwenden beziehungsweise Scham darüber, solches zu tun, sinkt immer mehr.

Bei der Enquete 1984 im Justizministerium stellte der Kinderpsycholo-ge' Walter Spiel fest, daß „der Handlungsbedarf bei den Politikern liege". Seither sind sieben Jahre vergangen... Die Sensibilität für den ökologischen Umweltschutz ist in den letzten Jahren erfreulicherweise gestiegen. Müßte uns nicht auch der geistige Umweltschutz ein Anliegen sein? Die Autorin ist Redakteurin der Wiener Kirchenzeitung und Vertreterin der Familien in der Hörer- und Sehervertretung im ORF.

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