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Digital In Arbeit

Mit unverwechselbarer Handschrift

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Ein Kommunikationsexperte gab der FURCHE zum 50-Jahr-Jubiläum im Wiener Cafe Griensteidl folgende Gedanken mit auf den weiteren Weg.

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Ein Kommunikationsexperte gab der FURCHE zum 50-Jahr-Jubiläum im Wiener Cafe Griensteidl folgende Gedanken mit auf den weiteren Weg.

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Die Metapher „Medienlandschaft" hält sich seit 20 Jahren erfolgreich im deutschen Sprachgebrauch. Es ist kein extrem glückliches Bild, aber auch kein schlechtes, wie seine Haltbarkeit beweist. Und es entspricht einer weitverbreiteten Neigung unserer Zeitgenossen, schwer faßbare Phänomene in Landkartenform erfassen zu wollen, um sie damit überschaubar zu machen. Das Gehirn wird verkartet und die Seelenlandschaft - warum also nicht auch das, was auf beide einwirkt: die Medien. Nimmt man die Medienlandschaft wörtlich, so führe man auch die Metapher des Zeitungstitels, die furche, auf ihre wörtliche Bedeutung zurück... In unserer Medienlandschaft - ist da noch Platz für Furchen? Gibt es noch Äcker zwischen den Footprints der Satelliten und den Datenautobahnen?

50 Jahre sind verstrichen, im Leben einer Zeitung eine lange Zeit. Der „Völkische Beobachter" ist nur halb so alt geworden. „Die Presse" August Zangs, also die historisch korrekte „Presse", hat es auf 48 Jahre gebracht. Die älteste noch erscheinende Zeitung der Welt wird, wenn ihr Herausgeber so will, in acht Jahren 200: die „Wiener Zeitung". Die „Arbeiter-Zeitung" ist, Unterdrückungszeiten mitgezählt, 100 Jahre alt geworden, das „Vaterland" als Blatt der konservativen Katholiken immerhin 61, und der eigentliche Vorläufer der furche, die „Reichspost", wurde in ihrem 45. Jahr unterdrückt.

Die Furche zählt 50 Jahre, und diese 50 Jahre waren, nehmt alles nur in allem, 50 Jahre Frieden für Österreich und das demokratische Europa.

Wer diese 50 Jahre bewußt miterlebt hat, dem sind sie im Fluge vergangen und immer schneller, nicht zuletzt, weil die Medien uns immer schneller mit immer mehr Informationen versorgen. Nicht talk ist das Schlüsselwort für diese Entwicklung, sondern live: Zeitgleich sind wir dabei seit dem „wandernden Mikrophon" der RA VAG selig, zeitgleich und scheinbar überall zugleich, seitdem überall Satellitenschüsseln placiert werden können ...

Haben Sie einmal darüber nachgedacht, daß alle jene Parteizeitungen tot sind, derentwegen 1945 Friedrich Funder kein Papier für die geplante „Neue Reichspost" zugesprochen bekam? Und daß andererseits die aus amerikanischen Re-education-Ideen hervorgegangenen Nicht-Parteizeitungen das Erfolgsmuster der Modernisierung abgegeben haben?

Für die — von heute an gerechnet -„Medienlandschaft von morgen" haben wir selbstverständlich Propheten, Hochjubler und Schwarzmaler, geschäftstüchtige und bedächtige. Anläßlich ihres 35-jährigen Bestehens hat sich auch die furche als Prophetin versucht. In der Jubiläumsbeilage von 1980, „Neue elektronische Medien", schrieb Hanns Sassmann über den „Einzug der Elektronik in die Produktionsabläufe der guten alten Printmedien", über den boomenden AV-Medien-Markt, über Satelliten-und Kabelfernsehen, über Begionali-sierung und Lokalisierung. Alle seine Prognosen waren richtig. Am richtigsten aber war und als absolut zukunftssicher erwies sich sein Statement: „Die Medienzukunft hat begonnen. Die Medienpolitik in Österreich hinkt nach." (Heute hinkt sie nicht einmal mehr.)

Walter Schaffelhofer schrieb über Kabelrundfunk, über das Ende des ORF-Monopols (1981!) und über die Chancen kirchlicher Programme im entmonopolisierten Rundfunk. Alles hätte so kommen können, wie er es sah. Aber nur die Technik kam. Hubert Feichtlbauer stellte die Kernfrage: „Ist die Jubiläumsbeilage der furche ihrer tödlichen Konkurrenz gewidmet?" Und gab sofort die beruhigende Antwort: „Alle Experten prophezeiten: Nein!" Auch er hat richtig prophezeit. Die furche lebt, und wenn sie einmal nicht mehr sein sollte, wird es nicht an der elektronischen Konkurrenz gelegen sein.

„Die Medienlandschaft von morgen" ist nämlich für ein Blatt wie die furche weniger von immer neuen Medien als vielmehr durch das in schneller Veränderung begriffene Publikum bestimmt. Dessen Wandel ist allerdings den Einflüssen einer sich stark verändernden Kommunikationsumwelt unterworfen. Wie sieht sie aus, und was geht in ihr vor?

1. Wir beobachten die progressive Visualisierung der öffentlichen Kommunikation. Im Klartext: Zwar kann die Mehrheit unseres Publikums lesen, aber um Medienangebote zu rezipieren, muß sie es nicht mehr in jedem Falle können. Erfindungen und technische Entwicklungen haben seit etwa 1830 dazu geführt, daß man fast jede massenmediale Aussage bebildern oder durch Bilder ersetzen kann.

2. Seit 100 Jahren gibt es den Film, seit 60 Jahren das Fernsehen. Beide sind Massenmedien, beide sind mit wesentlich weniger Aufwand zu rezipieren als Lesemedien; der Rezeptionskomfort bei Fernsehen und Video hat seit Einführung der Fernbedienung Ausmaße erreicht, die alle prognostischen Karikaturen übertreffen.

3. Die meisten Printmedien versuchen sich den Bild-Seh-Gewohnhei-ten des Publikums durch exzessive Bebilderung inklusive deren Qualitätssteigerung in puncto Größe, Schärfe und Farbe anzupassen. Resultat sind buntbebilderte Tageszeitungen und ein neuer Zeitschriftentyp, der treffend „Fernsehen zum Umblättern" genannt wurde.

4. Wie das Bildangebot ist auch das Informationsangebot enorm gewachsen. Immer mehr Nachrichten sind immer schneller abrufbar.

5. Das gilt nicht mehr nur für Medien, die sich dank digitalisierter Zuspielung immer leichter der Angebote des Großhandels, sprich: Nachrichtenagenturen, bedienen können, sondern auch für Einzelabnehmer, also Endverbraucher. Durch Vernetzung von Datenbanken und Verbilligung des Zugangs (Stichwort Internet) könnte jedermann sein eigener Redakteur werden, wenn er es könnte ...

6. Der vernetzte Endverbraucher, inspiriert�vom euphorischen Geschwätz über Datenautomaten, fühlt sich mitten im Strom der Zeit und beginnt zu suchen, eine lustvolle Tätigkeit, die im Jargon bezeichnenderweise Surfen genannt wird: Der Weg ist das Ziel. Oft weiß er nicht einmal, was er sucht. Aber sofern er nicht ein EDV-Volltrottel ist, wird er belohnt werden. Das Erfolgserlebnis als sofort eintretende Belohnung hebt das Surfen über alle anderen Rezeptionsverfahren. Das Erfolgserlebnis schwächt sich ab, sobald nach etwas Bestimmtem gesucht werden muß, der bislang Surfende die Sphäre des Sportlich-Spielerischen verläßt und zum ganz normalen Leser/Seher vor dem Bildschirm wird. Von jetzt an bereitet die Suche Mühe, und zwar unter Umständen mehr als Fernsehen und viel mehr als konventionelles Lesen. Das dürfte in Zukunft Folgen haben.

7. Radio, Fernsehen und die intensiv marktbewußten Printmedien haben die neue Welt der bilderreichen Informationsabundanz längst registriert und versuchen den sich verändernden Rezeptionsu-sancen entgegenzukommen:

■ das Radio durch Formatierung und immer kürzere Wortbeiträge mit genauen Zeitvorgaben;

■ das Fernsehen auch schon durch Formatierung, wobei öffentlichrechtliche Programme durch ihre Grundversorgungspflicht im Nachteil sind; ferner durch verstärkte telefonische Rückmeldemöglichkeiten, die die Illusion hervorrufen, man könne - wie beim Computer - etwas eingeben. Programmieren kann man den Empfang ohnehin schon, mit Time-Code oder Show View.

■ Die Tagezeitungen versuchen es mit Blockumbruch, reicher und farbiger Bebilderung, Infografik, Hotlines und Präsenz in On-Line-Diensten.

■ Am weitesten gediehen sind offenbar die Publikumszeitschriften neuen Typs. In der jüngsten österreichischen Gründung dieses Angebotsfeldes geht die Aufbereitung des Gesamtangebots zu Wort- und Bild-Häppchen so weit, daß die Bedaktion eine Gebrauchsanweisung voranstellen muß: How to read TV-Media. So heißt die Zeitschrift sinnigerweise. Die Erfindung und Beigabe einer Lese-Fernbedienung würde sie zu dem machen, wonach sie sich benennt. Der Leitartikel des Herausgebers trägt folgerichtig die Überschrift „Willkommen in der Medienwelt".

In dieser Welt ist kein Platz mehr für Furchen, sondern nur für Spalten und Kästen und Kästchen.

Die schmälsten Spalten (im TV-Teil) sind 25 Millimeter breit, Bilder werden einmontiert, das Foto zum Fußballspiel Turin-Dortmund, ein Spieler - in ganzer Größe - mißt 12 mal 18 Millimeter, kleiner als eine Briefmarke, aber schön bunt.

Zahlreiche Informationshilfen -Farben, Zeichen, Zahlen, Logos — sollen helfen, die Spalten zu überfliegen; die Augen werden zur Maus, hier und da wird etwas angeklickt.

Die Gestalter des Produkts sind sich ihres Dilemmas bewußt. Die exzessive Verwendung von Ordnungselementen ist irgendwie rührend. Linien, Kästen, Farben, Unterlegungen, Symbole, Hervorhebungen aller Art holen sie aus den Satzrechnern, aber sie werden der Fülle nicht Herr: Zauberlehrling. Besen, Besen sei's gewesen! Ein Computer wird am Ende doch nicht daraus; 200 Seiten wollen händisch geblättert sein. Und jede Seite sieht aus wie der Plan für eine Reihenhaus-Siedlung ä la Sparpaket: parzelliert und verhüttelt bis zum Geht-nicht-mehr. Kein Platz für Furchen.

Damit sind wir bei unserer Ausgangsfrage: Gibt es noch Äcker, noch Platz zum Furchenziehen in der ver-hüttelten Totale?

Sie merken, daß es auf die conclu-sio zugeht, und die ist heikel bei einer Jubiläumsrede, die sich dem Rückblick- und Ausblick-Schema in dem Maße verweigert, wie die furche der Parzellierungsjournalistik.

Denn daß die furche dies tut, ist seit der jüngsten Umgestaltung vom Mai 1995 noch deutlicher geworden. Autoren, die etwas zu sagen haben, dürfen ausatmen in der furche. Was da „für anspruchsvolle Leser" umgestaltet worden ist, habe ich vor kurzem an anderer Stelle so formuliert: „Im Universum der Zeitschriftentitel heißt der Gegenpol zu Furche Focus, auf österreichisch also News. Der Focus ist der Brennpunkt einer Linse. Diese erfaßt zwar das Universum, aber sie konzentriert es auf einen Punkt. Die furche hingegen ist die im Prinzip nicht enden wollende Zeile, die erst dann ihr Ziel gefunden hat, wenn der ganze Acker fertig beackert ist. Denn als der Bauer die Furchen noch mit dem Pferd oder Ochsen zog, wendete er am Ende des Feldes, kehrte pflügend zur Ausgangslinie zurück und so fort und fort, bis die Arbeit getan war." („Multimedia", 6. 8. 95)

In der Ankündigung jener Änderung, publiziert in der furche vom 18. Mai dieses Jahres, finde ich allerdings auch einen höchst verdächtigen Begriff, nämlich „Vernetzung" ...

Liebe furche, ich möchte nicht vernetzt werden. Ich möchte das Blatt weiterhin in der guten Gesellschaft der Lang-Text-Publizierer zwischen Zürich und Hamburg sehen. Ich möchte Artikel für Artikel lesen dürfen und zu jedem Boß und Reiter genannt wissen. Zum Vernetzen benutze ich, solange es noch mitspielt, mein Gehirn. Früher sprach man von Assoziationen. Ein Text, der Assoziationen auslöst, macht denken. Und einer, der keine auslöst, gehört nicht ins Blatt.

Das einzige Netz, das der Furche gut ansteht, ist nach wie vor das Fischernetz. Friedrich Funders Netz, ausgelegt im Eröffnungsartikel „Zum Eingang" in der Nummer eins von 1945, hat vieles fangen geholfen, das sich seither erledigt hat oder auch noch nicht. Für viele Themen ist sein Netz obsolet geworden. Nicht aber das Muster, wie man es zu knüpfen hat. Es steht in seinem publizistischen Testament von 1959: Die Furche soll ein Forum sein, „auf dem Wahrheit und (so sagt er damals ganz unbefangen) christliche Weisheit auch innerhalb der weltlichen Dinge so vorgetragen werden, daß sie auch von dem Andersdenkenden ohne Widerwillen aufgenommen werden und dadurch innere Würde gewinnen".

Diese wunderschöne Übersetzung von Pluralismus und Toleranz ist von der furche wenn schon nicht immer, so doch meist beherzigt worden.

Hier komme ich auf die Veränderungen beim Publikum, auf die „vernetzten Endverbraucher", zurück. Über kurz oder lang werden sie merken, daß der elektronische Markt in Wirklichkeit gar nicht so viel lustiger ist. Warum, wenn sie nicht gerade von ihrem Beruf dazu gezwungen werden, sollten sie es sich antun, immer neue Suchstrategien zu erlernen und, wie ich es bei Universitätsassistenten beobachten konnte, stundenlang einer Begriffskombination nachzujagen, bis die Maus raucht? Warum sollten elektronische Normalverbraucher es sich antun, zwischen 500 Fernsehprogrammen zu wählen, wo sie heute schon an 30 Programmen verzweifeln und ihnen eigentlich doch der Musikantenstadl genügt? ...

Angesichts des trickreichen Verlaufs der bisherigen Kommunikationsgeschichte darf man eine List der Vernunft erwarten: Sobald alle publizistischen Angebote geklickt und ebenso bequem gezappt werden können, in der Medienlandschaft von morgen also, wird die Mühe des Lesens zur unique selling proposition aufsteigen.

Denken Sie an die Renaissance der handgeschriebenen Botschaft; wir verdanken sie der menschenfreundlichsten Kommunikationsinnovation der letzten zehn Jahre: dem Fax. Dank Telefax liest man heute wieder Handgeschriebenes. Es verbindet Individualität mit Authentizität. Für die Medienlandschaft von morgen bewahre und pflege die furche ihre unverwechselbare Handschrift!

Der Autor ist

Ordinarius für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg.

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