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Information und ihre Verarbeitung

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Information ist von sonderbarer Natur. Sie ist nicht Stoff und nicht Geist, aber sie bedarf beider, um Information zu sein: Ohne Stoff und ohne Energie kann sie weder gespeichert noch übertragen werden, und ohne Geist ist sie bedeutungslose Form. So ist es vorwiegend der Mensch, der Information übermittelt und verbraucht. In den letzten beiden Dekaden aber ist die merkwürdige Kategorie der Information auch noch der Maschine erteilt worden, und damit hat ein neues Zeitalter begonnen.

Historische Entwicklung

Speicherung und Übertragung von Information und die technischen Mittel dafür bestimmen die Geschichte der Menschheit. Die erste große Erfindung, vor urdenklichen Zeiten, war die Sprache. Haben wir in diesen tausenden Jahren schon ganz begriffen, welches Wunder es ist, daß all die Vielfalt des Erlebens mittels weniger Dutzend Laute gestaltet werden kann? Die zweite, bereits echt technische Erfindung ist die Schrift: Gesprochenes kann nun aufbewahrt und versendet werden. Die wenigen Dutzend Laute ließen sich auf zwei Dutzend Buchstaben abbilden, und die Literatur begann. Die dritte, grundlegende Erfindung war der Buchdruck: Geschriebenes läßt sich seitdem in beliebiger Anzahl vervielfältigen, der kleine Mann kann sich eine Bibliothek leisten und täglich eine Zeitung kaufen. Lesen und Schreiben, früher Vorrecht einer (zum Beispiel im alten Ägypten sorgfältig geplanten) Minderheit, wird zu einer Notwendigkeit des täglichen Lebens wie Speise und Trank.

Das Zeitalter der Elektrizität bringt zuerst nur Fortschritte in der Übertragung von Nachrichten: Telegraph, Telefon, Rundfunk, Schallplatte, Kino und Fernsehen. Immer noch geht die Nachricht vom Menschen aus, wird von ihm gestaltet, verändert und verbraucht. Die Geräte übertragen Nachrichten so getreu als möglich über Raum und Zeit. Diese Erfindungen waren ungeheuer wichtig, das Konzil hat ihnen eine besondere Entschließung gewidmet. Und doch waren sie nur eine Vorstufe für den immer noch unbegreiflich größten Schritt des 20. Jahrhunderts: für den Schritt zur automatischen Verarbeitung von Information. Die Bedeutung der Rechenmaschine kann man einfach nicht überschätzen, selbst der Buchdruck war nicht eine derartig einschneidende Erfindung des Menschen. Freilich kommt ein derartig gewaltiger Akt nicht in wenigen Jahren zu seiner vollen Wirkung. Viel zu lange dauert es, bis wir verstehen, was wir hier in unseren Händen haben. Und je abstrakter, je näher am Geist eine Erfindung ist, tun so länger muß die Periode des Lernens dauern.

Das Wesen der Information

Information kann nicht erzeugt, sondern nur von natürlichen oder künstlichen Sinnesorganen aufgenommen und dann vernichtet werden. Information existiert in beliebigen Mengen — was alles kann gesehen, gehört, gefühlt und gemessen werden, und dies mit ständig steigender Genauigkeit! Es mag zunächst paradox klingen, daß Information nach der Aufnahme nur mehr vernichtet werden kann, aber diese Tatsache kennzeichnet den Zweck und die Möglichkeiten der Informationsverarbeitung besser als irgendeine andere Behauptung. Die Hauptaufgabe des Gehirns und der Informationsverarbeitungsmaschine ist die Reduktion der großen Menge von Ausgangsdaten auf das angestrebte Ergebnis; es ist ein Auswahlvorgang mit ungeheurem Verschleiß: Das Auge zum Beispiel kann Milliarden von Einheiten (Entscheidungen zwischen zwei Möglichkeiten) in der Sekunde aufnehmen, das Bewußtsein aber vermag kaum 25 zu bewältigen. Auge, Nervenleitungen und Gehirn reduzieren den aufgenommenen optischen Datenfiuß bis zu dieser kleinen Zahl (und nehmen die Gefahr optischer Täuschungen auf sich, nur um die Überflutung des Gehirns mit unnützer Information zu verhindern).

Wo tatsächlich ein System mehr Information abgibt als es aufnimmt, kann nur entweder bereits früher aufgenommene Information aus einem im System befindlichen Speicher kommen oder, was abgegeben wird, ist nicht Information, sondern Redundanz — Weitschweifigkeit und Wiederholung. Gehirn und Rechenmaschine sind gewaltige Informationsvernichter, Informationsverminderer — aber sie sind es nicht genug: In beiden Fällen gibt es leider allzu viele Redundanzproduzenten, Leute, die zuviel reden und schreiben, und Maschinen, die zuviel drucken.

Information ist nämlich das tatsächlich Neue, das Überraschende, das Unerwartete. „2 mal 2 gibt 4” ist höchstens für ein Kleinkind eine Überraschung, es ist keine Information. Übrigens ist es überraschend, wie wenig an einem Text (und sei es eine an sich durchaus überraschende Neuigkeit) effektiv überraschend ist. Man braucht bloß den jeweils nächsten Buchstaben eines unbekannten Textes erraten zu lassen, um festzustellen, daß 75 Prozent dieser Buchstaben vorhersagbar und nicht überraschend sind.

Information ist weiter die der Messung unterworfene Nachricht: Man zählt die Länge der Zeichenkette, die sie für ihren Ausdruck mindestens braucht. In der modernen Technik reduziert man die Zahl der Zeichentypen auf das Minimum, das sind zwei, das heißt, man arbeitet mit Entscheidungen zwischen Ja und Nein. Diese strikte Uniformierung wirkt zunächst enttäuschend; bedenkt man aber, daß die Schrift mit 26 Buchstaben, die Sprache mit rund 40 Lauten und die Natur mit 92 Atomen auskommt, und daß in all diesen Fällen das ausgesteckte Feld schier unendlich ist, dann erkennt man die Eleganz und Wirkkraft des Einfachen.

Elektronische Verarbeitung

Das Zeitalter der Elektronik hat vor allem an den Größen und an den Geschwindigkeiten der Informationstechnik unvorstellbare Änderungen hervorgebracht. Man weiß ja, daß der Transistor viel kleiner ist als eine Röhre; die Bauteile der Elektronik aber sind mit dem Transistor in der handelsüblichen Form noch keineswegs an der Grenze der Verkleinerung. Heute schon baut man in der sogenannten „integrierten Technik” auf einer Fläche von 4 Quadratzentimetern bis zu 20 Transistoren ein, und diese Entwicklung wird weitergehen. Man hat schon die theoretische Grenze bestimmt, bis zu der die Verkleinerung weitergehen kann: Mehr als eine Billion Schaltelemente wird man in einem Kubikzentimeter niemals unterbringen können. Bei der Geschwindigkeit gibt es eine ähnliche Grenze; es ist bekannt, daß Information nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden kann. In der Rechenmaschine kann daher der Übertrag nicht schneller durchlaufen; das heißt aber, daß mit der Milliardstelsekunde, in welcher das Licht 30 Zentimeter durcheilt, der Punkt erreicht ist, wo die weitere Beschleunigung nur mehr um den Preis einer Verkleinerung um denselben Faktor erzielt werden kann. An dieser Grenze stehen wir bereits; mit der Verkleinerung hingegen werden wir noch lang zu tun haben.

Die hohen Geschwindigkeiten schließen zunächst den menschlichen Eingriff des Ablaufs von Prozessen praktisch aus: Einen solchen Zeitverlust kann man sich nicht leisten. Die Haupttendenz ist demgemäß das Aufstellen von Regeln, nach denen die Prozesse selbsttätig ablaufen können: die Informationsmaschine ist wesentlich Automat.

Automatische Vorrichtungen hat es immer schon gegeben; man denke nur an die Mausfalle, die alle Grundeigenschaften des Automaten hat: Energieversorgung (aufgezogene Feder oder angehobener Stein), Nachrichtensystem (der Speck sendet Locksignale) und die selbsttätige Auslösung (die Maus verrät sich durch ihre Bewegungen, die Feder oder Stein auslösen).

Produktionsautomaten baut man in der Technik schon seit mehr als 100 Jahren; heute gibt es, für Autobestandteile zum Beispiel, Fertigungsstrecken, wo Dutzende von Arbeitsgängen ohne menschlichen Eingriff ablaufen können. Die Weiterentwicklung zur Automation (zusammengezogen aus Automatisierung und Instrumentation) führt zu komplexen Systemen mit Sinnesorganen, Informationsverarbeitung und Effektoren, deren Wirkung keineswegs ein für allemal festliegt, sondern von der Vorgeschichte und von der gerade vorliegenden Situation bestimmt wird. Ein für allemal liegen bloß die Regeln fest, nach denen die einzelnen Aktionen der Effektoren im einzelnen Pall abgeleitet werden. Die Strukturen, die von der Elektronik und von der inzwischen sehr rasch weitergeführten Theorie der Entscheidung und der Berechnung heutzutage ermöglicht werden, sind von einer Universalität, von der frühere Jahrhunderte bloß geträumt haben — freilich eingeschränkt von typisch menschlichen Imponderabilien: von den Kosten der praktischen Ausführung, den Zeiten, die man zu warten gewillt ist, und von Langsamkeit, mit der unser Geist die Schritte vom grundsätzlich Möglichen zum praktisch Ausgeführten macht.

Informationsautomaten ähneln dem menschlichen Nervensystem: Es gibt künstliche Sinnesorgane, die lesen und fühlen, vielleicht werden sie eines Tages auch hören; der Technik angepaßt sind Eingänge, die messen, zählen und Tastenkontakte abfühlen. Am Ausgang gibt es Effektoren, die drucken, lochen und zeichnen, die ein- und ausschalten und Geräte regeln und steuern. Das Zentrum des Informationsautomaten aber bildet der Verarbeitungsteil und der Speicher, der Zahlen und Text, aber auch Befehle und Programme aufnimmt. Auf die technischen Einzelheiten, wie dies alles organisiert und elektronisch aufgebaut ist, kann man in kurzen Darstellungen nicht eingehen. Selbst dicke Bücher geben ohne langes Studium und ohne praktische Erfahrung nur äußerst unvollständige Auskunft. Aber es kommt darauf eigentlich nicht an; wesentlich ist nur, daß alles n/ch den strengen Regeln der Logik und der Mathematik vor sich geht und daß alles, was innerhalb dieser Regeln formalisiert werden kann, dem Automaten zugänglich ist, mehr noch: erfolgreich von ihm abgewickelt werden kann.

Werkzeug des Menschen

Trotzdem ersetzt der Informationsautomat den Menschen nicht in der totalen Weise, wie manche Schreiber es darstellen. Die Rechenmaschine ersetzt den Menschen nicht anders, als ein riesiger Kran die zupacbenden Arbeiter ersetzt: Die Kraft ist vervielfacht, aber der Werkzeugcharakter der Maschine wird auch durch die Dimension der Information nicht aufgehoben.

Irreführende Anthropomorphismen wie „Denkmaschine” und „Elektronengehirn” und vor allem gewisse Formulierungen (die Maschine „tut” dies und jenes, wo tatsächlich ein Mensch programmiert) haben bereits beträchtlichen Schaden im menschlichen Durch- schnittsdenkvermögen angerichtet. Man kann nicht häufig und eindringlich genug darauf hinweisen, daß der Roboter eine Erfindung der Dichter und Schriftsteller ist, von Homer über Hoffmann zu Capek und zur Science Fiction. Der Ingenieur will gar nicht ein Zerrbild des Menschen bauen (wenngleich manche seiner Schöpfungen bei oberflächlicher Betrachtung so erscheinen können), einen blechernen Knecht. Er will menschliche Routinetätigkeit schneller und zuverlässiger durch die Maschine erledigen, und was dabei herauskommt, schaut sozusagen überhaupt nicht aus: Der Informationsautomat ist ein Kasten, in welchem sich im Idealfall nicht einmal etwas bewegt, außer Elektronen.

Trotzdem ist es richtig, daß sich die Maschine langsam dem Bild des Menschen nähert. Schließlich ist es auch unser Geist, der sich darin manifestiert. Gott hat den Menschen nach Seinem Ebenbild geschaffen, und Sein Plan dabei erscheint immer unfaßlicher, je mehr wir davon naturwissenschaftlich zu erfassen verstehen. Dem Menschen passiert es, daß die Maschine zu seinem Ebenbild wird; er folgt keinem Plan dabei, sondern er kann offenbar nicht anders.

Weder Pessimismus gegenüber Naturwissenschaft 1 und Technik noch optimistische Überschätzung ihrer Möglichkeiten sind am Platz. Es braucht die demütige Ehrfurcht vor der Schöpfung Gottes (und auch vor jenen des Menschen), um zum rechten Maß und zur rechten Verwendung von Mensch und Maschine zu kommen. So gesehen, hat die Technik an der Grundsituation des Menschen nicht viel geändert, auch die erstaunlichste Informationsverarbeitungstechnik nicht.

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