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Digital In Arbeit

Die lautlose Revolution

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Infolge der Verbindung von einzekien zu Kompagnons, infolge der Vereinigung von Einzelunternehmungen zu Gesellschaften und damit der Flucht der Unternehmerpersönlichkeiten in die Anonyme, ferner infolge der Absprache zu Kartellen, Trusts usw. und schließlich des Bedürfnisses des Staates, außer den ihm obliegenden Hoheitsaufgaben auch wirtschaftliche Aufgaben in seinen Tätigkeitsbereich zu ziehen, hat sich durch die zunehmende Verzweigtheit der Aufgabenkreise und die komplizierten Zuständigkeiten die Verwaltungsarbeit ganz besonders erweitert.

Im Zusammenhang damit steht aber auch vom Anfang an das Schlagwort der „Verwaltungsreform“. Meist konnte es wohl nur soweit dazukommen, als im ersten Anlauf irgendein guter Gedanke so oft als vorbildlich hingestellt wurde, bis er entweder überholt war oder wenigstens ein Bruchteil von dem erfüllt wurde, was er beinhaltete. Im großen und ganzen aber scheiterte nach dem Ausspruch: „Angesagte Revolutionen finden nicht statt“, meist der Reformator beziehungsweise das Reformationsstreben an den Widerständen, die vor nicht allzu langer Zeit der englische Soziologe Prof. c. Northcote Parkinson als ein Gesetz, als das das „erste Parkinson- sche Gesetz“ der Welt verkündete.

Kurz geschildert, befaßt sich dieses Gesetz mit der unvermeidlichen Wachstumsrate, die in jeder Organisation mit Verwaltung erkennbar wird. Überall und zu allen Zeiten erweitert sich jede Organisation mit einer bekannten, in Prozenten ausdrückbaren Wachstums

Die moderne klinische Diagnostik bedient sich seit etwa einem Jahrzehnt einer interessanten elektronischen Methode, der Computer-Szintigraphie, um Funktionsprüfungen und -Störungen innerer Organe durchzuführen.

Mittels einer aufwendigen Apparatur, dem Szintigraphen (scan = abtasten) wird dabei eine engausgebildete Szintillationssonde meanderförmig über das abzutastende Organ geführt. Vorher muß dem Patienten eine organentsprechende radioaktive Verbindung verabreicht werden, die sich selektiv in diesem anreichert. (Z. B. radioaktives Jod bei Schilddrüsenfunktionsprüfungen.) Mit Hilfe der Szintillationssonde wird die Radioaktivität über dem zu untersuchenden Organ registriert und elektronisch ausgewertet' Eine gleichzeitig angefertigte bildliche Darstellung des Organs selbst, dessen Funktion man so ermittelt hat, gibt Auskunft über Größe, Form, Lage desselben, ja sogar über etwaige rate, die auf der Tatsache beruht, daß sich die Arbeit vermehrt, um die Zeit, die zu ihrer Erledigung zur Verfügung steht, auszufüllen. Dieses Gesetz ist ebenso universal und ewig wie das Gesetz der Schwerkraft.

Dieses erste Parkinsonsche Gesetz, das bereits jeden mit der Verwaltungsreform Befaßten innerlich bewußt war, wurde hier zum ersten Male deutlich als „Dogma“ herausgestellt. Die Absicht war, die Hand auf die Wunde zu legen, das Erkennen zu vermitteln und damit einen Einhalt der unerbittlichen Konsequenz des Gesetzes zu erreichen. Daß es, obwohl die Öffentlichkeit sich hier besonders einschaltete und so für eine entsprechende Verbreitung sorgte, bisher beim Gesetz blieb, liegt auf einem anderen Sektor, über den noch zu sprechen sein wird.

Bevor wir nun darangehen, das Vordringen der Automation in Büro und Verwaltung zu zergliedern, müssen wir einen Augenblick rund 100 Jahre die Gedanken rückdrehen, um die Entwicklung festzustellen, die seither das menschliche Denken genommen hat. Mit umwälzender Plötzlichkeit vollzieht sich im 19. Jahrhundert jene wirtschaftliche Revolution, die durch den Maschinenausbau und damit im Zusammenhang mit der Mechanisierung die bis dahin gültigen Arbeits- und Produktionsverfahren grundlegend geändert hat. Es war auch nicht zu verwundern, daß man, da es an Vorbildern fehlte, übersah, was eine wirtschaftliche Revolution späterhin dem Menschen bringen konnte, ja mußte. Das Entgegenstemmen, das Nichterfassenkönnen bösartige Geschwülste. Denn durch Hinzunahme eines Schreibwerkes wird das Verteilungsmuster des radioaktiven Isotopen im untersuchten Organ positionsgerecht aufge- zeiohnet.

Anfangs war die Organszintigraphie nur bei der Schilddrüse möglich, weil diese — wie erwähnt — radioaktives Jod anreichert und nur durch eine selektive Anreicherung eines radioaktiven Isotopes diese Untersuchungsmethode zur Anwendung gelangen kann. In den letzten Jahren sind auch andere radioaktive Verbindungen hekanntgeworden, so daß nunmehr eine ganze Reihe anderer Organe szintigraphisch dargestellt werden können: Nieren, Leber, Milz usw. Hiebei isft es für die Diagnose von höchster Bedeutung, daß die erkrankten Organteile der Radioaktivität gegenüber mit Speicherungsdefekt reagieren. Speicherungsdefekte werden aber im szintigraphischen Bild durch Aussparung gekennzeichnet.

der mit eiserner Unerbittlichkeit vordringenden geistigen und materiellen Entwicklung ließen es nicht zu, daß dem damaligen Maschinensturm ein Erfolg beschieden sein konnte.

So ist es entwicklungsbedingt geschehen, daß eine Arbeitsweise entstand, die mehr als eine andere den Menschen selbst zur Maschine werden ließ und ihn zu gleichförmigen, rhythmisch sich wiederholenden Tätigkeiten zwang. Die körperlichen und geistigen Gefahren eines solchen Arbeitsrhythmus waren Legion. Auf diese Weise mußte der Tribut für jene Unvernunft bezahlt werden, die sich einer geladenen geistig-vorbereiteten technischen Athmosphäre entgegenstellte. Der große Schauspieler zur Zeit des Stumimfilms, Charlie Chaplin, hat viele Jahre später durch seine menschliche Darstellungskunst in seinem Film „Modern Times“ tragisch-satirisch ein Zeitdokument hinterlassen, das nur zu anschaulich die geistige und körperliche Verfassung der damaligen Zeit wiedergibt.

Es lag daher auf der Hand, daß die Mechanisierung, sobald es klar war, sie nicht zurückdrehen zu können, der Automation Tür und Tor öffnete, durch die die vorhandenen Gefahren ausgeschaltet wurden und der Mensch seiner schöpferischen Funktionen nicht beraubt wird. Es kam zur Schaffung von Automaten, zur Regelung von automatischer Produktion und von Schaltvorgängen ohne Belastung der die Automaten bedienenden Menschen und schließlich als Krönung zur automatisierenden Fabrik. Der Sturm der wirtschaftlichen Revolution gegen die Maschine hat sicih ausgetobt und wurde nicht wieder angefacht Das, was dem schnelleren Vorwärtsschreiten der Automation hinderlich war, lag diesmal nicht auf wirtschaftlichem, sondern auf sozialem Gebiet, was auszuführen aber nicht Aufgabe dieses Aufsatzes ist.

Es war notwendig, diesen Ausflug zu unternehmen, um die Entwicklung, bereits im ersten Absatz angedeutet, verstehen zu können und zu sehen, wie anders oder wie gleich das Vordringen der Automation in Büro und Verwaltung verläuft. Dem quantitativ-großen Ansteigen der Verwaltungsarbeit, deren Gründe ich am Beginn geschildert habe, stehen die steigenden Anforderungen der Leistungsfähigkeit der Verwaltungsarbeit gegenüber. Diese Entwicklung hat notgedrungen zu organisatorischen Schwierigkeiten, zu unübersichtlichen Verhältnissen und zu zeitlichen Verzögerungen geführt, so daß es auf der Hand lag, die schwerfällig gewordene Verwaltung elastischer und zweckmäßiger zu gestalten, sie also den gesellschaftlichen Erfordernissen anzupassen. Das Ziel war zunächst, alle routinemäßigen Verwaltungs- und Büroarbeiten den Automaten zu übergeben, um den Menschen für das dispositive Denken freizutnachen. Da die Hauptregel der Automation darin besteht, ihr nur solche Arbeitsvorgänge zu überantworten, die in großer Zahl wiederkehren, also sogenannte repetitive Arbeiten, ist es für den Nachfahren zu selbstverständlich, daß die Hilfe von Schreib- und Rechenmaschinen, von Buchungs- und Rechenautomaten bis zum Computer der 1., 2., 3., 4. Generation herangezogen wurde. War es zunächst lediglich die Assistenz, das heißt die Hilfeleistung, oder sogar die Kontrolle, die Überprüfung, die hier wohltuend empfunden wurde, so suchte der rastlose Geist hier nicht nur den Gehilfen, sondern allmählich, und zwar so vollkommen als nur möglich, den Ersatz. Man war sich der Bedeutung für die Zukunft vollkommen bewußt und suchte nicht, sich der Entwicklung entgegenzustellen. Man wollte so schnell als möglich dem Ziel der Automation gerecht werden, eine vollkommene Technisierung des Arbeitsprozesses zu erreichen und vom Beginn der Arbeit bis zum fertigen Erzeugnis beziehungsweise bis zum gewünschten Ergebnis diese ohne menschliche Eingriffe auszuführen. Zum Unterschied von oben versuchte man hier so rasch als möglich vorwärtszukommen und die Arbeit — früher vom Menschen durchgeführt — auf seinen neuen Diener, den Computer oder Roboter, abzuwälzen.

Kann man aber dann in diesem Falle überhaupt noch von Revolution reden? Verhältnismäßig langsam, eigentlich organisch, vollzieht sich im Büro die Umwandlung. Es ist eine Entwicklung, die sich aus Erfahrungen ergibt, eine Entfaltung schlummernder Möglichkeiten, während wir bei der Einführung der Automation in der Produktion eine plötzliche Umwälzung vor uns hatten, die elementar, weil geistig viel zu sehr gereift, hervorbrach. Ich betrachte die Automation in der Verwaltung als eine Evolution im wahrsten Sinne des Wortes, die geeignet ist, eben durch ihr schrittweises und ohne Aufsehen erregendes Vorwärtstasten wahre Segnungen für die Arbeit des Menschen zu erreichen, aber natürlich nur dann, wenn diese von Evolutionisten auch richtig geleitet wird. Ich will nicht so hart sein, wie ein Vertreter des Führungsrates auf der Tagung eines Gewerkschaftskongresses in New York, der erklärte: „Die Unwissenheiten auf der Rednerbühne werden lediglich durch die auf dem Direktionspodium übertroffen“, aber es kann nicht oft genug davor gewarnt werden, daß sich mit Fragen der Automation Menschen beschäftigen, die weit davon entfernt sind, ihren Geist auf die kommenden Bedürfnisse abgestellt zu haben. Zumindest eine Parallelentwicklung von Geist und Maschine wird die richtigen Ergebnisse zeitigen, und es ist kein Zufall, daß der Computer in der heutigen Zeit tonangebend ist, es ist aber ebenso sicher, daß unser Denken noch nicht computergerecht ist. Die Entwicklung dahin ist noch offen. Erst wenn wir unser Denken vom konventionell-mechanischen befreit haben und zum echten Computerdenken übergegangen sind, erst dann ist es möglich, diese Erzeugnisse des menschlichen Geistes — als Untertanen dem Menschen an die Seite gegeben — zum richtigen Einsatz zu bringen. Dann wird auch das 1. Barkinsonsdhe Gesetz ad absurdum geführt werden können.

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