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Digital In Arbeit

Der Mensch als Computerwächter

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Arbeit war bisher vielfach mit körperlicher Anstrengung verbunden. Der Einsatz von Computern fordert stattdessen geistige Konzentration. Das System entscheidet, der Mensch überwacht es.

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Arbeit war bisher vielfach mit körperlicher Anstrengung verbunden. Der Einsatz von Computern fordert stattdessen geistige Konzentration. Das System entscheidet, der Mensch überwacht es.

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Thomas Lindstrom ist Flugpilot. Er hatte die strenge Auslese für seinen Beruf wegen seiner Intelligenz, seiner körperlichen Robustheit und seiner geistigen Vitalität bestanden. All das sind Merkmale, die entscheidend für die Wahrnehmung der komplexen und vielfältigen Aufgaben eines Piloten während des Fluges sind.

Neuerdings ist Lindstroms Job einfach nicht mehr, was er einmal war. Jetzt muß er nur mehr eine

Reihe von Signalen des Computers überwachen, der automatisch alle Entscheidungen während des Fluges trifft. Auf einem normalen Flug sollte Lindstrom gar nichts zu tun haben.

Er ist verärgert, weil ihn seine Arbeit langweilt. Tausende Dollars waren in seine Ausbildung investiert worden — und heute wird von ihm erwartet, daß er Babysitter bei einem Uberwa-chungsschaltbrett spielt.

Linda Winthrop ist Analytikerin in der Planungsabteilung einer Großbank. Sie verbringt ihren Tag mit der Sammlung von Information aus einer zentralen Datenbank, um sie in verschiedene Prognosemodelle einzuf üttern. Diese liefern grundlegende Daten für wichtige Kredit- und Marketingentscheidungen.

Winthrop verrät es niemandem, aber sie hat wenig bzw. gar kein Vertrauen in das System, auf das sie bezüglich ihrer Daten angewiesen ist. Da gibt es technische Schrullen — ihre Daten sind manchmal verstümmelt oder verschwinden überhaupt. Aber selbst wenn alles läuft, vertraut sie nicht darauf, daß alle Rechnungen ordnungsgemäß durchgeführt werden.

Sie macht parallel zum Computer ihre eigenen Aufzeichnungen und rechnet die Computerergebnisse oft händisch nach, bevor sie sie in einen Bericht einbaut. Das kostet sie zusätzliche Arbeit. Aber auf diese Art hat sie den Eindruck, ihren Job zu beherrschen.

Nellie Weymouth war bis vor kurzem Setzerin. Jetzt hat sich ihre Tätigkeit verändert. Statt an dem großen Druckereiapparat zu arbeiten — mit all den handwerklichen Entscheidungen, die damit verbunden waren — sitzt sie jetzt an einem Computerterminal. Da tippt sie Zeichen ein, die auf einem Bildschirm erscheinen.

Was Weymouth betrifft, fühlt sie sich jetzt blutleer, sie hat den Eindruck, man brauche die Menschen gar nicht mehr. Sie und ihre Freunde zerbrechen sich oft während ihrer langen Arbeitsnächte den Kopf darüber, „wie man einen ,Hund hineinbringen' könnte". Vom früheren Spaß bei der Arbeit ist nichts geblieben.

Diese drei Arbeiter sind die Nebendarsteller eines Dramas, das weltweit vor sich geht. Es betrifft die Anpassung von computergestützter Informationstechnologie an Tätigkeiten in allen Teilen des Arbeitsmarktes.

Natürlich gibt es für die Unternehmen meistens gute Gründe, ihre Mitarbeiter dieser Umstellung zu unterziehen: Produktivitätssteigerung, wachsende Märkte, die Notwendigkeit, mit Komplexität fertig zu werden. Aber es ist mehr als wahrscheinlich, daß es dabei zu sozialen und psychischen Folgewirkungen kommen wird, denen bisher noch nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt worden ist...

Es ist der Zweck der Informationstechnologie, die jedem Computersystem zugrunde liegt, Algorithmen und Entscheidungsregeln an die Stelle von Einzelentscheidungen zu setzen. Genau dies spielt sich bei der Computerisierung der Arbeit des oben erwähnten Piloten ab.

Je mehr Tätigkeiten aber im voraus geplant und automatisiert werden, umso weniger sind konkrete Entscheidungen während der Arbeit selbst zu treffen. Arbeiter und Manager mögen zu guter Letzt nur mehr angehalten sein, vom Computer getroffene „Entscheidungen" zu überwachen ...

Dieser Aspekt der Informationssysteme kann Auswirkungen auf die Qualität der Planungstätigkeit des höheren Managements haben. Rückwirkungen auf die psychische Einstellung zur beruflichen Tätigkeit und auf die Arbeitszufriedenheit der Angestellten sind zu erwarten. So richtete beispielsweise eine Bank ein Informationssystem ein, das viele Routineberechnungen in der Kreditabteilung erledigen konnte. Die Techniker der Bank waren der Meinung, daß damit die Referenten von den mechanisch durchgeführten Arbeiten befreit sein würden. Sechs Monate nach Einführung des Systems stellte sich heraus, daß nicht einer der 20 Referenten der Abteilung jemals das System verwendet hatte. Sie sahen es als Eingriff in ihre „Hirn"-Arbeit an.

Im Gegensatz zur Industriearbeit, die von Maschinen geprägt ist, die ihrerseits wieder als Verlängerungen des menschlichen Körpers angesehen werden können, erfordert die computerisierte Arbeit kaum körperliche Anstrengung. Was der Pilot, die Analytikerin und die Setzerin gemeinsam haben, ist der Umstand, daß ihre Arbeit vor allem aus dem Lesen und Handhaben von elektronischen Symbolen besteht.

Der Schwerpunkt der Tätigkeiten am Arbeitsplatz hat sich von Arbeiten, die körperlichen Einsatz erfordern, zu solchen hin entwickelt, die das Gehirn beanspruchen.

Diese besondere Form geistiger Beanspruchung ist jedoch nicht gleichbedeutend mit größerer intellektueller Attraktivität. Zunehmend häufiger werden die Tätigkeiten, bei denen sich das Erfordernis geistiger Aufmerksamkeit mit der Erfahrung von Langeweile und Routine verbindet.

Wir alle sind daran gewöhnt, geistige Arbeit als herausfordernd und befriedigend anzusehen. Was wird aber geschehen, wenn immer mehr Jobs durch Abstraktion, konzentrierte Aufmerksamkeit und Routine gekennzeichnet sind?

Ein Aspekt der Abstraktion betrifft die Unsichtbarkeit vieler Aspekte der Arbeit, wenn sie über den Computer geleistet wird. So stellte ein Schriftsetzer fest: „Früher sah ich die Zeile, sobald sie hergestellt war. Jetzt schreibe ich auf einem Terminal. Ich habe keine Ahnung, was eigentlich mit den Buchstaben passiert, wohin sie kommen. Ich weiß nicht, wie der Ausdruck ausschauen wird. Ich kenne nur den Ort, wo das Papier bedruckt wird."

Eine Folge der Unsichtbarkeit der Arbeit ist die Unmöglichkeit, sie anzugreifen. So überwachen Krankenschwestern jetzt auf Terminals Informationen über ihre Patienten, statt diese zu besuchen; so kommen Druckereiarbeiter nicht mehr mit Druckplatten in Berührung. Bedenken wir aber, daß der Mensch an die Verwendung von Werkzeugen ebenso gewöhnt ist wie daran, durch Berührung mit der Umwelt in Kontakt zu treten und so auf sie einzuwirken, dann wird erst deutlich, welche mögliche Bedeutung diesem Wandel zur Unberührbarkeit der computer-vermittelten Arbeit zukommen wird.

Die Bedeutung der Arbeit für den Mehschen wird einfach verdünnt, sie wird weniger zugänglich. Wird die Arbeit für den Menschen an Bedeutung verlieren, wenn sie zunehmend diesem Verdünnungseffekt unterworfen wird?

Auszug aus Dialogue 2/83, übersetzt von Christof Gaspari.

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