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Digital In Arbeit

Revolution durch Datenverarbeitung?

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Wer den englischen Film „The chips are down“ gesehen hat, wird sich einer leisen Gänsehaut nicht erwehren können. Beinahe symbolisch wirkt folgende Szene: Ein Arbeiter lackiert mit einer Farbspritzpistole, die an einem Hebelarm befestigt ist, einen Sessel. Er lackiert diesen Sessel, so wie er es bisher gewohnt war. Dann kann er gehen. Er hat seine Schuldigkeit getan. Alle weiteren Sessel werden von einer Maschine lackiert, die den Lackiervorgang vom Arbeiter unmittelbar gelernt hat.

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Wer den englischen Film „The chips are down“ gesehen hat, wird sich einer leisen Gänsehaut nicht erwehren können. Beinahe symbolisch wirkt folgende Szene: Ein Arbeiter lackiert mit einer Farbspritzpistole, die an einem Hebelarm befestigt ist, einen Sessel. Er lackiert diesen Sessel, so wie er es bisher gewohnt war. Dann kann er gehen. Er hat seine Schuldigkeit getan. Alle weiteren Sessel werden von einer Maschine lackiert, die den Lackiervorgang vom Arbeiter unmittelbar gelernt hat.

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Dabei stellt dieses Beispiel nur eine .Anwendungsmöglichkeit der neuen mikroelektronischen Bauteile dar, der jüngsten Generation der elektronischen Datenverarbeitung. Wer bei Datenverarbeitung noch immer an Zahlenkolonnen denkt, die in eine Maschine eingespeist und am anderen Ende in veränderter Form wieder ausgedruckt werden, täuscht sich über die Fülle der tatsächlichen Möglichkeiten. Moderne mikroelektronische Geräte können nicht nur Texte verarbeiten, sie können auch Meßvorgänge mit höchster Präzision durchführen, Drehautomaten steuern oder überwachen. Der wichtigste Vorteil hegt jedoch nicht in ihren Fähigkeiten, sondern im Preis. Ein elektronischer Schaltkreis, ein sogenannter „chip“, ist bereits um einige Hundert Schilling erhältlich.

War die industrielle Revolution vom technischen Aspekt her durch die „Werkzeugmaschine“ gekennzeichnet, die den Menschen von der unmittelbaren Werkzeugführung verdrängte und ihn auch als Antriebskraft und Energiequelle überflüssig machte, so ist der Beginn der „wissenschaftlich-technischen Revolution“ durch die „Informationsverarbeitende Maschinerie“ charakterisiert. Dię Maschine kann in vielen Arbeitsprozessen die Sinnesorgane des Menschen ersetzen. Dje aus diesen künstlichen Sinnesorganen gewonnenen Signale werden durch die Mikroelektronik verarbeitet, ausgewertet und in bestimmter Weise verändert. Damit kann wiederum der jeweilige Produktionsprozeß gesteuert und optimiert werden.

Die Werkzeugmaschine, die mit einer informationsverarbeitenden Maschinerie zusammengeschaltet wird, stellt damit den Gruppentyp eines Roboters oder eines automatischen Handhabungsgerätes dar, wie sie etwa bei Fiat jn Oberitalien und bei VW in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden.

Die moderne Mikroelektronik kann dezentral am einzelnen Arbeitsplatz logische Operationen durchführen, die bisher nur elektronische Großautomaten bewältigten. Der programmierbare Taschenrechner liefert dafür ein anschauliches Bild: Noch vor 20 Jahren füllte die Elektronik eines Computers mit derselben Leistungsfähigkeit, die heute ein Taschenrechner hat, einen Raum von durchschnittlicher Zimmergröße.

Prinzipiell gesehen ist die Mikroelektronik nichts Neues. Die grundsätzlichen Funktionen und speziellen Verknüpfungen der elektronischen Bauteile sind schon seit Jahrzehnten bekannt. Die neue Herstellungstech- nik, der geringe Platz- und Energiebedarf, vor allem aber der niedrige Preis beschleunigen ihre Verbreitung und können damit zu massenhaft auftretenden wirtschaftlichen und sozialen Folgeproblemen führen.

In unserer Gesellschaftsordnung stellt die gewinnbringende Einsparung von Kosten für Arbeitskräfte, Energie, Rohstoffe und sonstige Vormaterialien einen Angelpunkt bei der Einführung einer neuen Technologie dar. Der Konkurrenzdruck zwingt die Unternehmen zur permanenten Rationalisierung. Bisher spielte die Miktroelektronik dabei nur eine geringe Rolle. Andre Formen des technischen und organisatorischen Fortschritts führten z. B. in Österreich in den vergangenen vier Jahren zu Produktivitätszuwächsen zwischen vier und beinahe neun Prozent jährlich. Der Einsatz der Mikroelektronik wird diesen Trend fortset- zen, wenn nicht sogar beschleunigen. Vor allem der Büro- und Dienstleistungsbereich werden davon betroffen sein.

Dafür sprechen einige gewichtige betriebswirtschaftliche Argumente: Der Investitionsaufwand für einen Büroarbeitsplatz der Zukunft liegt bei weniger als einem Zehntel des Betrags, der für die Ausstattung eines automatisierten Arbeitsplatzes im Produktionsbereich aufgewendet werden muß. In beiden Fällen dienen die Investitionen der Einsparung von Arbeitskraft: An einem automatisierten Arbeitsplatz kann dann die Arbeit von zehn oder mehr Personen geleistet werden. Die Unternehmen werden daher eher im Bürobereich die billigeren Text- und Informationsverarbeitungsautomaten zum Einsatz bringen als sehr aufwendig in die Produktionstechnologie zu investieren. Damit gelänge es, im Bereich mit dem höchsten Lohnkostenanteil, im Bürosektor, längerfristig massiv Arbeitskräfte einzusparen.

Die erzielbare Produktivitätssteigerung für Textautomaten liegt dabei zwischen 100 und 1000 (!) Prozent. Wenn nicht rechtzeitig eine entsprechend massive Ausweitung der Nachfrage nach den Leistungen dieser Bereiche eintritt, muß notwendigerweise mit umfangreichen Freisetzungen gerechnet werden.

Und diese Entwicklung ist leider nur allzu wahrscheinlich, da die Wirtschaftswissenschaftler in Österreich sich darüber einig sind, daß die Zeit der großen Wachstumsraten der Wirtschaft endgültig vorbei ist.

Geringeres Wachstum schwächt gleichzeitig die Einnahmen des Staates und schränkt dadurch seinen Aktionsradius ein. Zusätzlich wird die Lage durch die Bevölkerungsentwicklung verschärft: In den nächsten fünf Jahren müssen zusätzlich rund 300.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Aus diesen Gründen sagt die renommierte Unternehmensberatungsfirma Prognos aus Basel für Österreich eine Arbeitslosenrate von ungefähr 7% für Mitte der achtziger Jahre voraus.

Unter solchen Rahmenbedingungen könnte die Labilität unserer Gesellschaft stärker als bisher an die Oberfläche kommen. Bei Fehlen geeigneter Gegenmaßnahmen sind verstärkte Auseinandersetzungen der gesellschaftlichen Interessensgruppen zu erwarten.

Mit dem Rechenstift in der Hand läßt sich leicht nachweisen, daß man theoretisch die Arbeitslosigkeit auf den Wert Null herabdrücken könnte, würde die Arbeitszeit entsprechend der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung verkürzt. In der Praxis läßt sich jedoch eine solche Forderung schwer durchsetzen, wie der mehrwöchige Streik der bundesdeutschen Metallarbeiter im vergangenen Herbst deutlich gezeigt hat. Üblicherweise argumentieren die Unternehmer mit mangelnder Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. Unter solchen Bedingungen ist - wie man am Beispiel der BRD sehen kann - den Unternehmern eine erhöhte Arbeitslosenrate Heber als geringere Gewinne. Unter den Bedingungen der westlichen Industriegesellschaft besteht immer wieder folgendes Dilemma: wird die Volkswirtschaft über verstärkten Einsatz von technischem Fortschritt stark rationalisiert, sind erhöhte Freisetzungen an Arbeitskräften die notwendige Folge. Rationalisiert man jedoch nicht, wird die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt in Frage gestellt und damit die Überlebensfähigkeit inländischer Betriebe. In der Praxis wird durchwegs der ersten Lösung der Vorzug gegeben, da sie die Flucht in den Export ermöglicht. Bei der zukünftigen Debatte um die Arbeitszeitverkürzung wird bestimmt das Argument in die Diskussion kommen, daß wohl Arbeitszeitverkürzung gewährt wird, aber die Unternehmer eine Reduktion der Lohn- bzw. Gehaltshöhe verlangen.

Hohe Lohnkosten schaffen aber - und das darf nicht vergessen werden - Kaufkraft für den inländischen Konsumgütermarkt, der eine wichtige Komponente der gesamten Nachfrage darstellt. Wird die Nachfrage nach Konsumgütem reduziert, werden Kompensationsmaßnahmen notwendig. Folgende Möglichkeiten bieten sich an:

• Ausweitung der Exporte mit allen oben angesprochenen Rationalisierungserfordernissen

• Beschränkung der Importe mit dem Risiko, daß andere Staaten analoge Maßnahmen treffen

• Ausweitung der Nachfrage nach Investitionsgütern, in der Regel mit direkter oder indirekter finanzieller Unterstützung durch die öffentliche Hand

• Ausweitung der Nachfrage durch den Staat selbst, der ihre Finanzierung durch ein erhöhtes Defizit, erhöhte Steuerlast oder Einsparungsmaßnahmen an anderer Stelle sichern muß.

Wie man sieht, können die Folgeprobleme größer sein als das ursprüngliche, das man auf Kosten des Lebehsstandards der Arbeitnehmer lösen wollte.

Sicher wird auch die Verkürzung der Arbeitszeit neue Probleme für den einzelnen schaffen. Es besteht nämlich die Gefahr, daß der Mensch sich nur mehr auf das Angebot der Freizeitindustrie verläßt. Diese kann jedoch sehr oft seine Bedürfnisse nur durch Surrogate befriedigen: Kabelfernsehen statt menschlicher Begegnung, mikroelektronische Schachmaschinen anstelle eines Partners, kanalisierte Animation anstelle von spontaner Unterhaltung, Psychopharmaka anstelle von Entspannung, Massentourismus anstelle von wohnlichen Städten.

Auch am Arbeitsplatz wird kaum der Sinn des Lebens gefunden werden können. Da die Mitbestimmungsmöglichkeiten im Betrieb über Art, Umfang und Inhalt der beruflichen Tätigkeit für die Betroffenen minimal sind, wird es immer schwieriger, sich mit der beruflichen Tätigkeit persönlich zu identifizieren. Es ist jedoch unmöglich, hohe Arbeitszufriedenheit bei sinnentleerter Tätigkeit zu empfinden. Zusätzlich wird der drohende Berufsverlust oder der Verlust des Arbeitsplatzes verunsichernd auf den einzelnen wirken.

Es wird im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Technologien notwendig sein, die Frage nach der Entwicklung der Persönlichkeit neu zu überdenken, um den Prozeß steuern zu können.

Dies beginnt bei der Sicherung der Arbeitsplätze und bei verstärkter Demokratisierung innerhalb der Betriebe, aber auch im Bereich der kommunalen Verwaltung und in den Interessenvertretungen. Es reicht ferner über das Mitspracherecht der Belegschaft bei Einführung neuer Technologien bis hin zur Bereitstellung von Bildungsmöglichkeiten, die nicht nur auf rein berufliche Umschulung und Fortbildung beschränkt bleiben sollten. Es gilt vielmehr, eine umfassende Einsicht in die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenhänge zu vermitteln. In der Realisierung dieser Forderungen wird den Gewerkschaften eine bedeutende Rolle zukommen.

Die Alternativen zu dem hier angedeuteten Weg sind abzusehen: Sie führen entweder zu einem Rückzug des Individuums aus der Gesellschaft oder aber zum erneuten Erklingen des Rufs nach einer starken Hand.

(Dr. Peter Fleissner ist stellvertretender Direktor des Instituts für sozio-ökonomische ' Entwicklungsforschung der österr, Akademie der Wissenschaften und war Mitarbeiter des Forschungsprojektes „Anwendung, Verbreitung und Auswirkung der Mikroelektronik in Österreich)

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