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Digital In Arbeit

Sicherer und humaner mit mehr Technik

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Keine Frage: Die Mikroelektronik wird fast alle Lebensbereiche stark verändern. Strittig ist, wie man sich dazu stellen soll. Der erste Beitrag beleuchtet das Problem aus der Sicht der Computerindustrie, der zweite nimmt kritisch zu dieser positiven Beurteilung Stellung.

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Keine Frage: Die Mikroelektronik wird fast alle Lebensbereiche stark verändern. Strittig ist, wie man sich dazu stellen soll. Der erste Beitrag beleuchtet das Problem aus der Sicht der Computerindustrie, der zweite nimmt kritisch zu dieser positiven Beurteilung Stellung.

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Die Mikroelektronik ist heute zum Reizwort geworden. Alle Welt spricht von ihr und ihrem raschen Eindringen in alle Lebensbereiche. Dieser Trend wird von manchen positiv und von anderen eher negativ gesehen, je nach Veranlagung, Wissensstand und Vorurteilen. Die gängigsten Schlagworte sind dabei einerseits:

Die Mikroelektronik befreit von harter und monotoner Routinearbeit; sie ermöglicht bessere Kommunikation und Information durch neue Techniken und neue

Medien; sie erleichtert das tägliche Leben durch angepaßte, intelligente, preiswerte und transportable Technologie.

Soweit die positiven Seiten, denen aber auch negative gegenüberstehen: Die Mikroelektronik führt zur Entfremdung des Menschen und zur Schwächung zwischenmenschlicher Beziehungen durch eine überzüchtete, leblose Technik.

Sie trägt bei zur Vernichtung von menschlichen Arbeitsplätzen durch Rationalisierung und durch den Einsatz von Robotern; sie beschleunigt die Destabilisierung unserer Gesellschaft durch Reizüberflutung und ein unkontrollierbares Uberangebot an minderwertiger, überflüssiger, manipulierter „Information”.

Zur Zeit wird zunehmend das Arbeits- und Famüienleben größerer Bevölkerungsteüe durch die Mikroelektronik erfaßt. Einen Großteil dieses Personenkreises trifft diese „Elektronisierungs-welle” ohne ausreichende Vorbereitung. Es fehlt an der nötigen Vertrautheit, da die jetzt plötzlich Betroffenen nicht langfristig lernend oder arbeitend in diese Entwicklung eingebettet waren.

So massiv und unvorbereitet dieser Trend aber auch viele treffen wird, so werden — insgesamt gesehen — die neuen elektronischen Geräte und Systeme von der Gesellschaft nach und nach akzeptiert werden. Der Umgang mit ihnen wird so selbstverständlich werden, wie es in anderen elektronischen Bereichen (Radio, Telefon, Fernsehen) schon der Fall ist.

Diese Entwicklung wird nicht stetig verlaufen, sondern durch Phasen schnellerer und langsamerer Akzeptanz gekennzeichnet sein. Ein Beispiel mit Akzeptanzschwierigkeiten aus der jüngsten Geschichte finden wir beim Komplex des Datenschutzes und der Sicherung der Privatsphäre.

Es wäre aber abwegig anzunehmen, daß Problemlösungen auf diesen Gebieten mit einem Rückzug aus der Technologie zu meistern wären, wie es z. B. von tech-nophoben Kreisen propagiert wird. Vielmehr wird das Gegenteil eintreten, daß nämlich nur mit vermehrtem technologischem Einsatz befriedigende Lösungen zu finden sein werden. Technik läßt sich besser, sicherer und humaner nur durch Technik machen ...

Informationssysteme gibt es in vielerlei Form und mit unterschiedlicher Organisation. Diese Vielfalt mit unabhängigen oder nur lose gekoppelten Systemen und Netzen wird einen totalen „Informationskollaps” verhindern, wie er von manchen Informationsapokalyptikern an die Wand gemalt wird.

Viel diskutiert wird heutzutage die Frage, die mit dem Slogan umschrieben werden kann: Sind Mikroprozessoren Job-Killer oder Job-Knüller? Die richtige Antwort lautet: Beides!

Die mikroelektronische Revolution unserer Tage wird mit Sicherheit zweierlei bewirken: Sie wird berufliche Umschichtungen zur Folge haben. Zur Zeit betroffen sind z. B. der Zeitungsdruck, die Fertigungsindustrie, die Automobilbranche, die Banken und andere mehr und sicherlich in zunehmendem Maße auch die Büroberufe.

Durch Umschulungen und Umsetzungen, die nicht unbedeutend sein werden — aber keineswegs zu sozialen Unruhen führen müssen —, dürfte dieses Problem zu bewältigen sein.

In der Datenverarbeitungsindustrie erleben wir eine Umschichtung von der Hardware zur Software. Die Anzahl und Komplexität der Anwendungen wächst schneller als die menschlichen Ressourcen, die benötigt werden, die Anwendungen zu entwickeln. Auch hier besteht die Lösung des Problems wieder in mehr Technik, nämlich darin, die zunehmende Leistungsfähigkeit der Mikroelektronik zu benutzen, um den Programmierern zu ermöglichen, „mehr zu tun, indem sie weniger tun”.

Die Mikroelektronik wird insgesamt zur Erleichterung der Arbeit und der Kommunikation beitragen. Während die klassische industrielle Revolution Vorstädte und Pendler erzeugte und eine Trennung von Arbeitszeit und Freizeit zur Folge hatte, so dürfte die mikroelektronische Revolution die Arbeit wieder ins Haus bringen (Heim-Terminal).

Arbeitszeit und Freizeit rücken räumlich wieder zusammen. Unser gegenwärtiges Gesellschaftssystem dürfte genügend Mobüität und Flexibilität aufweisen und hiermit langfristig fertig werden. Präzisere Aussagen über die langfristigen Auswirkungen der Mikroelektronik zu machen ist kaum möglich. Daß aber diese Auswirkungen gewaltig sein werden, darin stimmen die Fachleute überein.

Die Änderung verkraften

Selbstverständlich kann man mit modernen Informations- und Kommunikationstechniken perfektere Uberwachungs- und Unterdrückungssysteme aufbauen als früher. Andererseits jedoch werden die Menschen gerade durch die modernen Informationsmedien und durch die Verkürzung und Humanisierung der Arbeit stark für mehr individuelle Freiheit konditioniert, so daß man Rückfälle ins Mittelalter wohl kaum noch zu befürchten hat, jedenfalls nicht auf breiter Basis.

Nur mit einem milden Uberfluß - durch technisch-wirtschaftliche Prosperität - gibt es Wahlmöglichkeiten, gibt es Freiheit und Demokratie.

Es liegt am Menschen, welcher Weg eingeschlagen wird und ob die positiven oder negativen Aspekte einer grundsätzlich immer ambivalenten technologischen Entwicklung überwiegen werden. Es besteht durchaus Hoffnung auf einen insgesamt positiven Trend.

Diese Entwicklung muß aber stetig vollzogen werden, mit verkraftbaren Änderungsraten, damit die Mitmenschen nicht zu sehr schockiert werden und sich die Entwicklung nicht destabilisierend auf das Gemeinwesen auswirkt. Hier den richtigen Weg zu finden ist sicherlich schwer, aber wohl nicht unmöglich.

Der Autor ist Direktor und Leiter des Bereichs Wissenschaft der IBM Deutschland. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus IBM-Nachrichten Feb785.

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