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Wege in die Zukunft

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Vorige Woche hat in Wien der erste Weltkongreß zum Thema „Alternativen und Umwelt“ stattgefunden. Es ist unmöglich, über all das zu berichten, was in diesen drei Tagen vorgetragen worden ist, worüber in den sieben Arbeitskreisen im einzelnen diskutiert wurde. Die Fülle der Anregungen und Informationen war einfach zu groß. Daher möchte ich mich darauf beschränken, ein paar Eindrücke wiederzugeben.

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Vorige Woche hat in Wien der erste Weltkongreß zum Thema „Alternativen und Umwelt“ stattgefunden. Es ist unmöglich, über all das zu berichten, was in diesen drei Tagen vorgetragen worden ist, worüber in den sieben Arbeitskreisen im einzelnen diskutiert wurde. Die Fülle der Anregungen und Informationen war einfach zu groß. Daher möchte ich mich darauf beschränken, ein paar Eindrücke wiederzugeben.

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Die meisten Veranstaltungen, die sich mit „Alternativen“ zum gegenwärtigen System auseinandersetzen, versuchen Informationen aus möglichst vielen Wissensbereichen zusammenzubringen. Auch bei diesem Kongreß wurde dieser Weg erfolgreich beschritten. Im Arbeitskreis „Wir und unsere Welt“ sprachen z. B. die folgenden, zum Teil sehr namhaften Persönlichkeiten: Der Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz, der Biologe und Nobelpreisträger George Wald, das Mitglied des Clubs von Rom Manfred Siebker, der Nobelpreisträger und Neurophysiologe Ragnar Granit, der Wiener Zoologe Kuehnelt und viele andere.

Sicher kann ein solches Gespräch zwischen Personen mit sehr unterschiedlicher Fachorientierung zu Verständigungsschwierigkeiten führen. Der Fachjargon wird ja immer spezialisierter. Aber gerade heute wird der Ruf nach einem Gespräch über die engen Grenzen der Fachdisziplinen hinaus immer lauter. In dieser Hinsicht hat der Kongreß einen wertvollen Beitrag geleistet. Es gelang, ein umfassendes Bild der heutigen Situation der Welt zu skizzieren.

In nahezu allen Beiträgen, die sich mit globalen Problemen auseinandersetzten, wurde deutlich, daß wir heute die Probleme nicht mit Oberflächenkosmetik bewältigen können, sondern daß wir das Ziel unseres Fortschritts grundsätzlich überprüfen müssen. Dafür, daß hier nicht einfach modische Slogans mehr oder weniger unüberlegt wiedergekaut wurden, sorgte die hohe Qualifikation der Teilnehmer. Wann waren schließlich zuletzt bei einer Veranstaltung in Wien drei Nobelpreisträger anwesend?

Der Umstand, daß Wissenschaftler aus so vielen verschiedenen Fachbereichen zu demselben Schluß gelangen, hat mir wieder einmal sehr zu denken gegeben. Wir müssen wirklich eine neue, umfassende Vorstellung von Fortschritt entwickeln! Denn viele Fehlentwicklungen, mit deren Auswirkungen wir heute zu kämpfen haben, sind aus der Einseitigkeit geboren: Der Atomphysiker kümmerte sich nur um seine Formeln, der Chemiker in der Pharmazeutischen Industrie um seine Versuche, der Techniker um die Konzeption möglichst kostensparender Verfahren, usw…. Jeder hatte zwar für seinen Bereich genaue Vorstellungen von Fortschritt, die Querbeziehungen zwischen den Einzelfortschritten aber wurden vernachlässigt.

Gerade hier aber zeichnet sich eine erfreuliche Wende ab. Auch auf diesem Kongreß kamen Fachleute verschiedenster Herkunft miteinander ins Gespräch.

Auf welche Hauptprobleme hat nun dieses Gespräch zwischen den Disziplinen besonders hingewiesen? Kurz gesagt, die Richtung unserer gesellschaftlichen Entwicklung wird immer bedrohlicher. Die Gleichsetzung von wirtschaftlichem Erfolg und menschlichem Glück erweist sich als Trugschluß.

Manfred Siebker sprach in diesem Zusammenhang von der „Economanie“, der sowohl der Westen als auch der Osten erlegen seien und von der zunehmend auch die Länder der Dritten Welt bedroht sind. Er wies auf Parallelen zur Psychose, einer schweren Geisteskrankheit des Menschen hin: Die sinnliche Wahrnehmung der Realität ist gestört (unsere Gesellschaft versucht wichtige Erscheinungen wie Energieknappheit, Umweltgefährdung, Neurotisierung, usw… zu verdrängen); weiters treten Störungen in unserem Denken auf, denn wichtige Begriffe wie Leben und Tod, Gewissen und Liebe werden nicht mehr in ihrem Grundgehalt gekannt.

Eine Unterordnung der wirtschaftlichen Anliegen unter die langfristig wesentlicheren ökologischen Erfordernisse war also die zentrale Forderung. Schon oft gehört, wird sich so mancher denken. Aber es ist höchste Zeit, daß wir endlich darangehen, verstärkt aus dieser Einsicht Konsequenzen zu ziehen!

Seien wir ehrlich, unsere Anstrengungen gehen doch nach wie vor auf die rein wirtschaftlichen Ziele wie Wirtschaftswachstum, höheres Einkommen, Verhinderung von Inflation und Arbeitslosigkeit. Ohne dieseAnliegen in irgendeiner Weise verwerfen zu wollen, gilt es doch endlich einzusehen, daß sie nicht letzte Ziele sondern Instrumente und Wege sind, die von einer umfassenderen Sicht von Wohlstand bewertet und relativiert werden müssen.

Man blieb jedoch nicht bei dieser allgemeinen Diagnose. Es wurden vielmehr auch Ansätze für eine/ Neuorientierung angeboten: Von den verschiedensten Seiten wurde auf die Notwendigkeit der Förderung von Dezentralisierungstendenzen hingewiesen. Entflechtung und Bildung von überschaubaren Einheiten sind Lösungsansätze für die Zukunft, ob im Städtebau, bei der Organisation des Arbeitsgeschehens oder bei der Gestaltung der Wirtschaft. Im Energiebereich wurde eine dramatische Warnung vor dem weiteren Ausbau der Atomenergie ausgesprochen (sie erweist sich übrigens in den USA bereits als wirtschaftlich unrentabel) und auf die Fülle von realistischen Altemativmöglichkeiten hingewie- sen. Besondere Bedeutung wird der zukünftigen Verwertung von Sonnenenergie beigemessen.

Was die Landwirtschaft anbelangt, wurde auf ihre derzeit stark ausgeprägte Abhängigkeit vom Erdöl hingewiesen. (Erdöl als Treibstoff und als Grundstoff des Kunstdüngers). Dieser Umstand legt ebenso wie die wachsende Umweltschädigung der derzeit praktizierten landwirtschaftlichen Produktionsweisen ein Umdenken nahe. Gerechnet wird mit einer Erhöhung des Arbeitskräfteeinsatzes in der Landwirtschaft.

Auf kurzem Raum läßt sich jedoch nicht all das wiedergeben, was in diesen Tagen besprochen worden war. Daher seien auch nur diese Aspekte kurz beispielhaft erwähnt.

Allerdings stand stets auch die Frage im Raum: Wie macht man einer breiten Öffentlichkeit klar, daß es in mancher Hinsicht fünf Minuten vor zwölf Uhr ist? Natürlich reicht es heute nicht mehr, wieder einmal all die schrecklichen Möglichkeiten unserer derzeitigen Entwicklung an die Wand zu malen. Diese Botschaft ist schon mehrfach durch die Medien gegangen. Sie kommt nicht mehr an, weil sich jeder vor diesen ungeheuerlichen Vorstellungen durch Verdrängung schützt.

Also müßte man wohl mit fertigen Lösungen kommen, um das Interesse der Öffentlichkeit zu erregen. In diese Richtung gingen auch die Fragen der Presse: „Welche Lösungen habt Ihr anzubieten?“ Sicher wurden auch auf diesem Kongreß kaum fertige Rezepte für alle Bereiche erstellt. Prinzipien und .Lösungsansätze für eine Neuausrichtung wurden aber aufgezeigt. Und das ist im höchsten Maß erfreulich. Es wurde offenbar, daß es technische und organisatorische Lösungen in den verschiedensten Bereichen gibt, in der Wirtschaft, im Energiesektor, im Umweltbereich.

Aber wichtig ist vor allem, daß jeder seine Umwelt umgestaltet, lebens- und liebenswerter macht. Diese Verantwortung verstört jedoch den Zeitgenossen, der immer mehr daran gewöhnt ist, gegängelt zu werden. Die eigentliche Botschaft aber war die: Laßt Euch auf eine neue Sicht der Dinge ein! Zieht Konsequenzen aus Eurer Einsicht und verdrängt die Probleme nicht! Denn vieles läßt sich ganz anders lösen, als uns heute viele, teilweise denkfaule, teilweise auf ihren persönlichen Vorteil oder ihre Macht bedachte Fachleute und Entscheidungsträger einreden wollen. Nach anderen Lösungen zu suchen, bedeutet nicht, das Rad der Zeit zurückzudrehen, sondern im Gegenteil, die neuesten Erkenntnisse zum Wohle eines erfüllteren Lebens einzusetzen.

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