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Kein Ruhekissen für die Regierung

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Nach einer angemessenen Zeit des weltweiten Nachsinnens über die vielschichtigen Ursachen der Umweltproblematik (Phase I) scheinen sich drei grundlegende Erkenntnisse herauszu-kritsallisieren, die für ein neues „Fortschrittskonzept“ entscheidend ist. In der Phase II geht es darum, diesen Einsichten mit wirksamen Maßnahmen zum Durchbruch zu verhelfen.

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Nach einer angemessenen Zeit des weltweiten Nachsinnens über die vielschichtigen Ursachen der Umweltproblematik (Phase I) scheinen sich drei grundlegende Erkenntnisse herauszu-kritsallisieren, die für ein neues „Fortschrittskonzept“ entscheidend ist. In der Phase II geht es darum, diesen Einsichten mit wirksamen Maßnahmen zum Durchbruch zu verhelfen.

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• Kein grenzenloses Wachstum Zunächst dürfte es unbestritten sein, daß exponentielles Wachstum der verschiedenen Mengen (Bevölkerung, verfügbare Energie, Nahrungsmittel, Abfälle) in einem „geschlossenen System“, wie es das „Raumschiff Erde“ darstellt, auf die Dauer unmöglich ist. Denn durch die Erschöpfung der heute bekannten Resourcen durch die Belastung der Umwelt mit toxischen Substanzen und durch die begrenzten Nahrungsmittelreserven stoßen wir zumindest nach heutiger Erkenntnis auf Grenzen, die sich auch ohne Auswertung komplizierter Computerprognosen schon heute ganz augenscheinlich abzeichnen.

• Verbesserung der Lebensqualität ist möglich

Diese Erkenntnis darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, daß eine Ausweitung des Wachstumsspielraumes unmöglich oder sogar bewußt durch politische Aktionen zu unterbinden wäre. Gerade diesem Trugschluß ist etwa der bekannte Meadwos-Bericht an den Club of Rome erlegen. Wir halben ausreichende Gründe, zu bezweifeln, daß eine solche Konsequenz zwingend ist. Es gibt schon heute eine Reihe technischer Verfahren, mit denen man Rohstoffe und Energie in bestimmtem Umfang wieder zurückgewinnen kann. Allerdings stehen wir hier am Anfang einer ganz neuen und zukunftsweisenden Entwicklung. Ein System geschlossener, Rohstoff- und Energiekreisläufe (Recycling) wäre als Fernziel der Forschungs- und Entwicklungspolitik in den reifen Volkswirtschaften schon jetzt anzupeilen.

Viel früher, also gleichsam in einer ersten Stufe eines mehrphasigen, langfristigen Entwicklungskonzeptes werden Maßnahmen der Umweltentlastung, des Umweltschutzes im engeren Sinne, zu ergreifen sein. Auf dieser Entwicklungsstufe geht es einerseits um eine weitgehende Reduzierung der Schadstoffemissionen durch technische Adaptierung bestehender Anlagen (Einbau von Luftfiltern, Kläranlagen, Schalldämmungen), anderseits um die Verbesserung des Wirkungsgrades sogenannter Entsorgungseinrichtungen (etwa Müllverbrennungs- und -ver-wertungsanlagen, aber auch organisatorische Einrichtungen, wie .Abfallbörsen“).

Die Anwendung des Verursacherprinzips wäre in dieser Phase des Umweltschutzes wohl ein recht brauchbarer Zugang, sofern sich die einzelnen Emissionsquellen identifizieren und die Adaptionskosten bestimmten Personen zurechnen lassen.

In der nächsten Phase wäre dann allerdings von einem „Nicht-Verur-sadierprinzip“ auszugehen. Dieses würde bedeuten, daß der „technische Fortschritt“ zu Produktions- und Konsumationsstrukturen verhelfen hat, die von vornherein keine oder so geringe Emissionen mit sich bringen, daß sich ein Umweltschutz im engeren Sinne erübrigt.

Keineswegs sollte man sich aber darüber hinwegtäuschen, daß auch in dieser hochtechnisierten Phase der wirtschaftlichen Entwicklung noch immer „immaterielle“ Grenzen des Wachstums fortbestehen können, die sich in der Form von Streßsyndiro-men bei wachsendem Leistungsdruck, sinkendem psychischen Nutzen traditioneller Konsumakte und weitgehenden Sättigungserscheinungen auf den herkömmlichen Gütermärkten manifestieren können. Es steht nämlich nirgends geschrieben, daß die gegenwärtige Form der Bedürfnisbefriedigung für alle Zeiten aufrechterhalten werden muß. Verschiedene historische Entwicklungsstufen und die Lebensgewohnheiten so mancher Völker unserer Erde lehren uns, daß Glücksempflnden und ..Selbstverwirklichung'' keineswegs ausschließlich mit materiellem WöhU stand korrelieren müssen.

Maßnahmen der Erziehung und der Raumplaung sind sowohl für die erste Phase als auch in noch größerem Maße für die weiteren Entwicklungsstufen von Bedeutung. Während Ausbildung und Information die Menschen für langfristige Zielfunktionen der Umweltpolitik' motivieren sollen, kann die rationale Verteilung der Produktionsfaktoren im Raum zu einer größeren wirtschaftlichen Effizienz und zu einer sinnvolleren Nutzung der „naturgegebenen Infrastruktur“ beitragen.

Schließlich kann auch noch der Nahrungsmittelspielraum durch synthetische Nahrungsmittel und neue Methoden der Proteinerzeugung und des industriellen Pflanzenbaues beträchtlich ausgeweitet werden.

• Ohne Verzichte geht es nicht

Die nächste Konsequenz ist vor allem aus ökonomischer Sicht zu ziehen. Die Lösung dieser überaus komplexen Probleme ist nicht ohne entsprechende Verzichte auf anderen Gebieten (totale soziale Wohlfahrt, Güter, die nur der Bequemlichkeit dienen — Energiesklaven —, Prestigegüter) denkbar.

Diese Graphik zeigt, daß zu jeder Zeit zwischen der auf der Koordinate abgetragenen Umweltqualität und dem auf den Abszissen abgetragenen materiellen Konsum eine Wahl zu treffen ist. Zwischen diesen beiden Komponenten des Lebensstandards muß auch dann gewählt werden, wenn sich die Kurve infolge technischer Fortschritte nach rechts außen verschiebt. Freilich kann dann bei erhöhter Umweltqualität auch mehr konsumiert werden.

Es hieße jedoch einem naiven Fortschrittsglauben das Wort reden, würde man es dem technischen Fortschritt zutrauen, kurzfristig beide Komponenten vermehren zu können: zuvor wären nämlich aufwendige Inivestitions- und Innovationsprozesse durchzuführen, die zunächst einmal einen Verzicht auf Gegenwartskonsum im Sinne der traditionellen Begriffe des Sparens und Investierens zur Voraussetzung hätten.

Die Entwicklung etwa in der österreichischen Industrie zeigt, daß die Anwendung moderner Technologien nicht nur die Umweltverschmutzungsprobleme im engeren Sinn zu lösen vermag, sondern darüber hinaus sogar schon in die nächste Entwicklungsphase überleitet, in der Kreislaufsysteme und die sparsame Energieverwendung dominieren.

Allerdings werden diese Vorteile nicht geschenkt. Das notwendige „Know-how“, eben der technische Fortschritt, fällt keineswegs „wie Manna vom Himmel“, sondern muß neben anderen Produktionsfaktoren, wie etwa Arbeitskraft und Kapital, relativ teuer in Form von Forschungsaufwendungen, Lizenzen und Patenten gekauft werden.

Solche Umstellungskosten sind zwar von Industrie- zu Industriesparte verschieden, aber im wesentlichen erschreckend hoch. Es ist jedoch richtig, daß solche Investitionen zum Schutz der Umwelt im günstigsten Fall auch mit beträchtlichen Rationalisierungseffekten verbunden sein könnten. Doch gibt es anderseits zahlreiche Produktionszweige, in denen die Vermeidung von Emissionen mit keinerlei betriebswirtschaftlichen Vorteilen verbunden ist. Diesfalls werden die erhöhten Betriebskosten in die Kalkulation eingehen und über den Preis der Güter auf den Konsumenten abgewälzt, sofern die Nachfrageelastizität oder eine staatliche Preisregelung einen solchen Dispositionsspielraum offenlassen. Andernfalls kommt es zu einer Komprimierung der Erträge oder gar zu Verlusten, wobei dann die Produktion eingeschränkt und mitunter sogar aufgegeben werden muß.

Aus legistischer Sicht steht Österreich noch vor der Aufgabe, sowohl auf der Ebene des Bundes als auch der Länder gewisse Lücken zu schließen.

Während etwa auf dem Gebiete des Gewässerschutzes bereits vorbildliche gesetzliche Regelungen (Wasgerrechtsgesetz) existieren, die den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten entsprechend zu vollziehen wären, hängt die Festsetzung von Belastungsgrenzen (Inimissions-regölungen) echt noch „in der Luft“. Was mit den giftigen oder problematischen Abfällen (Altöle, radioaktiver Müll usw.) geschehen soll, weiß gleichfalls heute noch niemand; fest steht nur, daß die Länder hier überfordert sind und bundesemheitliche Lösungen geboten wären.

Der vom Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz kürzlich vorgestellte Entwurf eines Umweltschutzgesetzes 1975 'gibt schon mit dem „hochtrabenden“ Titel mehr vor, als er wirklich bezwecken will; das wäre gar nicht notwendig gewesen. Es ist eben der Versuch, mit Spezialgesetzen „Lücken“ zu schließen, was man grundsätzlich akzeptieren kann. Was hier vorgelegt wurde, brächte die Kompetenz des Bundes, das höchstzulässige Ausmaß von Immissionen festzusetzen und eine Begrenzung des Schadstoffausstoßes auch für jene Verschmutzungsquellen zu verfügen, die in den Kompetenzbereich der Länder fallen (etwa den Luftverschmut-zer „Hausbrand“).

Gewiß ist dieser Entwurf noch er-gänzungslbedürftig: Völlig fehlt der Konnex zu anderen Gesetzen mit „Umweltschutzbestimmungen'', wie etwa zur Gewerbeordnung 1973. Leider wurde auch das in einem vorangegangenen Entwurf enthaltene Vorhaben fallengelassen, den Verbänden der Sozialpartner ein Mitwirkungs-und Beratungsrecht einzuräumen. Alles Details, die man unschwer noch einbauen kann. Allerdings darf ein noch so brauchbares Umweltschutzgesetz kein Ruhekissen für die Regierung sein. Durch Gesetze gesteckte Ziele lassen sich erst dann verwirklichen, wenn die Wirtschaftspolitik ihiefür die Grundlagen liefert. In dieser Beziehung sind noch viele Fragen offen.

Wir kommen heute zu der eindeutigen Erkenntnis, daß in das traditionelle Konzept der Wirtschaftspolitik die Anforderungen des Umweltschutzes als integrierende Zielfunktion einzufügen sind. Alle gesetzlichen, budgetären und organisatorischen Maßnahmen der Politik haben die Entlastung der Umwelt und die Schonung von Rohstoffen und Energie als gleichberechtigten Schwerpunkt neben dem materiellen Wirtschaftswachstum, der Geldwertstabilität, dem Vollbeschäftigungspostu-lat und dem Zahlungsbilanzausgleich zu berücksichtigen. Wenngleich im Rahmen dieses Beitrages instrumental kein vollständiger Uberblick gegeben werden kann, so sollen doch fünf Aktionsprioritäten Erwähnung finden.

• Zunächst einmal wird es notwendig sein, daß die Raumordnungspolitik der Gebietskörperschaften stärker als bisher den Belangen des Umweltschutzes Rechnung trägt. In diesem Zusammenhang sind die Rauimplanungsgesetze der Länder und die Flächenwidmungspläne der Gemeinden wichtige Instrumente. Die österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) hätte die Aufgabe, diese Planungsaktivitäten zu koordinieren und ©ine Hilfestellung zu leisten. Vor allem die Gemeinden müßten im Rahmen des Finanzausgleiches in die Lage versetzt werden, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. Dies galt vor allem für die aktuellen Fragen der Müllbeseitigung und der Klärung kommunaler Abwässer.

• Um den einzelnen Emittenten (Industrie und Gewerbe, Kraftfahrzeugverkehr, landwirtschaftliche Betriebe, Haushalte) klare Planungsrichtlinien zur Verfügung zu stellen, müßten ihnen, so wie dies in anderen Ländern bereits geschehen ist, nach bundeseinheitlichen Kriterien festgelegte Grenz- und Schwellwerte vorgegeben werden.

Es gibt in Österreich eine Reihe qualifizierter Institutionen (so die Österreichische Gesellschaft zur Reinhaltung der Luft, das Institut für Umweltschutz- und Emissionsfragen, der österreichische Arbeitsring für Lärmbekämpfung, die Technischen Hochschulen), die im Zusammenwirken mit den Verbänden der Sozialpartner und den Behörden wichtige Vorarbeiten für das Zustandekommen solcher Normen leisten könnten. Das gesetzlich für diese Aufgaben berufene österreichische Normungsinstitut hätte diese Arbeiten zu koordinieren und entsprechende Ö-Normen herauszugeben, die dann von den Behörden für verbindlich zu erklären wären.

• Es ist offensichtlich, daß solche grundlegenden Reformen nicht ohne Übergangsphasen und Überbrückungshilfen zu bewältigen sind.

Aus diesem Grund wäre ein „Allgemeiner Umweltschutzfonds“ aus öffentlichen Budgetmitteln zu bilden, der für die Gewährung von Investitionshilfen, Bereitstellung von Mitteln für die Forschung, Bildung und Ausbildung zu sorgen hätte.

• Die laufenden Kosten des Umweltschutzes müssen nach dem Verursacherprinzip aufgebracht werden. Kosten für die umweltkonforme Beseitigung und Wiederverwertung von Abfällen sollten schon in die Preise der Gebrauchsgüter einkalkuliert werden. In vielen Fällen werden sich allerdings überregionale und kooperative Formen des Umweltschutzes, insbesondere der Abfallverwertung empfehlen. Sehr wirksame Instrumente wären sogenannte Umwelt-Entlastungsfonds, die aus Preiszuschlägen zu dotieren wären und deren Mittel zur Stimulierung von Recycling-Prozessen herangezogen werden könnten. Diese Lösung böte sich etwa für die Wiederverwertung von Altöl, von Altreifen und Autowracks an. Die Verwaltung dieser Einrichtungen müßte allerdings im selbständigen Wirkungsbereich der Wirtschaftsorganisationen verbleiben.

• Schließlich erschiene es sinnvoll, ein System der Umweltschutz-Selbstkontrolle auch in Österreich zu institutionalisieren. Zu denken wäre etwa an ein „Institut für Umwelttechnologie“, in welchem die genannten qualifizierten Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten und im Auftrag der Behörden auch für die Einhaltung der Emissions- und Immissionsnormen sorgen könnten. Von einer solchen Einrichtung könnte auch eine wichtige Bildungs-, Bera-tungs- und Informationstätigkeit ausgehen.

In der Phase II des Umweltschutzes steht ein ganzes Bündel erfolgversprechender Maßnahmen zur Verfügung. Es bedarf jetzt der Entschlossenheit der verantwortlichen Politiker, sich ohne Rücksicht auf tagespolitische Opportunitäten (auf bevorstehende Wahlen etwa), dieser Möglichkeiten zu bedienen.

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