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Wohnbauproblem ohne Illusionen

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Fragen des Wohnbaues und der Mietzinsbildung waren schon in der ersten Republik heiß umstritten, und heute ist eine Diskussion dieser Probleme „sine ira et studio“, so wertvoll eine solche wäre, überhaupt kaum mehr denkbar. Fast alle, die hiezu berufen wären, sind ja selbst irgendwie .Partei“, und so herrschen an Stelle von Klarheit und Objektivität „Rechtsstandpunkte“ und Ressentiments, zumindest aber ist der Wunsch Vater des Gedankens.

Es fehlt zwar durchaus nicht an Erkenntnissen über Umfang und Dringlichkeit des Wohnraumbedarfes, doch verstummen viele der mit mehr oder weniger Nachdruck erhobenen Forderungen sofort dann, wenn die Frage der Finanzierung auftaucht. Was auf diesem Gebiet aber noch die Spalten der Presse füllt, erweist sich bei näherem Zusehen sehr oft als unzulänglich, wenn nicht bewußt polemisch. Mit Schlagworten wie:

„Die Reichen sollen zahlen“ ist nichts getan, zeigt doch die Geschichte auch der radikalsten Revolutionen, daß die Vermögen der Reichen wohl zur Bildung von „Neureichen“, nie aber zur Wendung verbreiteter Volksnöte ausgereicht haben. Dies kann nur durch Leistungen geschehen, die, bei noch so gerechter (nicht gleicher!) Verteilung doch immer wieder vom ganzen Volk zu tragen sind — die erste unpopuläre Tatsache, auf die hier hingewiesen werden muß. .

Da aber die SteuerkraVt der österreichischen Bevölkerung schon jetzt bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit ausgenützt wird, laufen alle Finanzierungsvorschläge für den Wohnbau zumeist darauf hinaus, daß versucht wird, Mittel zu verteilen, die einfach nicht vorhanden sind.

übrigens ist die Lösung der Aufgabe nicht von Seiten des Finanzierungsproblems allein zu erwarten, da der

Ausweitung der Wohnbautätigkeit auch noch andere Grenzen gesetzt sind.

Die erste Grundlage der Bauwirtschaft bilden die Baustoffindustrien, und diese sind mit ganz wenigen, besonders gelagerten, Ausnahmen seit Jahren bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit beschäftigt, obwohl Erweiterungsbauten und Neuanlagen ihre'Kapazität wesentlich gegenüber der Vorkriegszeit gesteigert haben und darüber hinaus immer mehr neuartige Baustoffe, wie etwa die Schlackensteine der VÖEST, In riesigen Mengen auf den Markt geworfen werden. Trotz steigender Erzeugung ist auch Baueisen bis heute noch ausgesprochene Mangelware und wird es bei der augenblicklichen Weltmarktlage wohl noch längere Zeit bleiben.

Aber auch dann, wenn die Baustofferzeugung, selbst ohne Rücksicht euf alle Wirtschaftsgrundsätze, vervielfacht würde, käme (Jies nur der Verlagerung des Engpasses auf ein anderes Gebiet gleich, nämlich auf das der Arbeitskräfte.

Diese Behauptung wird zunächst angesichts der 80.000 Arbeitslosen vielleicht Erstaunen erregen. Bei näherem Zusehen aber zeigt sich, daß von dieser Zahl allein 50.000 Frauen sind und von den 30.000 männlichen Erwerbslosen selbst bei strenger Anwendung der Arbeitsverpflichtung nur noch ein verschwindend kleiner Teil überhaupt für schwere manuelle Arbeit einsatzfähig wäre. Bauarbeiter selbst sind in den westlichen Bundesländern während der Saison überhaupt nicht mehr, in Ostösterreich nur mehr vereinzelt sofort verfügbar und daneben arbeiten bereits tausende ursprünglich baufremde Kräfte an allen Großbaustellen des Landes. Es sind also auch auf dem Gebiet der Arbeitskraft die normalen Reserven schon jetzt weitgehend ausgeschöpft.

Eine bedeutende Leistungssteigerung könnte wohl bei Wegfall aller finanziellen Hemmungen durch Uberstundenarbeit noch erzielt werden, doch stehen solchen an und für sich erfolgreichen „kriegswirtschaftlichen“ Maßnahmen nicht nur soziale und volksgesundheitliche, sondern auch in bestimmten Fällen gewichtige religiöse Bedenken entgegen.

Aus allen diesen Erwägungen und, Tatsachen ergibt sich, daß eine Steigerung des Bauvolumens nur mehr allmählich durch

Rationalisierung der Grundindustrien und Anwendung arbeitsparender Neuverfahren zu erwarten ist. Es wird daher oft die Frage erhoben, ob nicht ein ungebührlich großer Teil der „Bauenergie“ für die Schaffung technischer Anlagen, ein zu geringer für den W o hn b a u eingesetzt wird. Es mag begreiflich sein, daß Menschen in Wohnnot die ungeheuren Summen, die etwa ein Großkraftwerk erfordert, in Siedlungen umzurechnen geneigt sind, doch könnte nur äußerste Kurzsichtigkeit hier praktische Konsequenzen fordern. Ebenso ist die ohnedies nur allmähliche Beseitigung der Kriegsschäden an Verkehrs- und Industrieanlagen eine Lebensfrage von solcher Tragweite, daß sie nicht auf „bessere Zeiten“ verschoben werden kann, weil ihre Lösung ja eben selbst erst eine-Voraussetzung für solche Zeiten bildet. Vielfach handelt es sich auch um die Fertigstellung im Kriege eingestellter Bauvorhaben, die erfolgen müssen, sollen nicht Millionenwerte dem Verfall preisgegeben werden.

Zu all dem kommt dann noch die Tatsache, daß gegenwärtig der weitaus größte Teil unseres technischen Wiederaufbaus durch ERP-Kredite ermöglicht, wird, über deren Verteilung das letzte Wort nicht bei österreichischen Stellen liegt und deren Heranziehung für Wohnbauzwecke (außer Werkswohnungen) in größerem Ausmaß auch nicht zu erhoffen ist.

Es bleibt also übrig, noch die Gruppe „Hochbauten“ selbst einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Hier kann nun endlich einmal die Reihe unerfreulicher, wenngleich nüchterner, Feststellungen unterbrochen werden. Auf diesem Gebiete wäre nämlich eine stärkere Verlagerung des materiellen Aufwandes zugunsten des Heimstättenbaues, zumindest volkswirtschaftlich gesehen, noch ohne weiteres möglich. So sind ohne Zweifel verschiedene „Monumentalbauten“ der letzten Jahre wohl vom rein städtebaulichen Gesichtspunkt erfreulich, ansonsten aber alles eher als zeitgemäß. Dies gilt für die Verwaltungspaläste (nicht nur privater!) Kredit- und Versicherungsinstitute ebenso wie von den Warenhausgiganten nicht nur „kapitalistischer“ Konzerne.

Es ist freilich kaum zu erwarten, daß die hiebei in Frage kommenden Stellen bei der bestehenden Rechtslage ihr überschüssiges Kapital in „unproduktiven“ Wohnungen anlegen; es bleibt also zu nächst nur die Hoffnung auf jenen Tag, an dem die letzte Bank, Versicherung und Genossenschaft „ihren“ Bau besitzt, was ja auch tatsächlich nicht mehr allzu lange dauern dürfte.

Trotzdem dürfen die Hoffnungen nicht allzuhoch geschraubt werden, weil ja neben dem Wohnungsbau unserem Lande noch weitere, nicht weniger unaufschiebbare Aufgaben gestellt sind. Eine davon fordert gebieterisch das große Kulturerbe der Vergangenheit. St. Stephan und die beiden Staatstheater müssen unter allen Umständen wiederhergestellt werden, und nicht nur Kriegsschäden gilt es zu beseitigen, sondern auch die Folgen einer oft jahrzehntelangen Vernachlässigung an kostbarsten Kulturbauten. Man mag einwenden, was man will, aber man wird zugeben müssen, daß unsere hochtechnisierte Zeit zumindest imstande sein muß, Werte zu bewahren, die frühere — und durchaus nicht immer wirtschaftlich „bessere“ — Zeiten g e-schaffen haben. Nur wenige Berufene kennen heute die Gefahr, in der kostbarste Bauwerke Österreichs schweben, die nach außen hin sich dem Beschauer vielleicht noch in voller Schönheit zeigen. Untätigkeit auf diesem Gebiet müßte unserer Generation einmal unfehlbar die gleichen schweren Vorwürfe eintragen, die wir selbst heute schon gegen die Fehler und Versäumnisse einer liberali-stischen Vergangenheit erheben.

Aber auch der Zukunft gegenüber erheben sich heute und gerade heute unabdingbare Verpflichtungen — um nur eine zu nennen, neben der Wohnraumnot die Schulraumnot, die angesichts des Bevölkerungsaufbaus sogar noch weniger einen Aufschub duldet, als jene.

Aus allen diesen Feststellungen ergibt sich ein Bild, das leider Hoffnungen und Erwartungen enttäuschen muß, die immer wieder durch einseitige oder hintergründige Darstellungen erweckt werden. Es ist von gewissen, hier erwähnten Ausnahmen abgesehen, der Gegensatz zwischen Wohnbedarf und Wohnbau, eben der Ausdruck eiserner Tatsachen und Notwendigkeiten, die hier nochmals kurz zusammengefaßt werden sollen:

1. Materialerzeugung und Arbeitseinsatz in der Bauwirtschaft sind bereits gegenwärtig äußerst intensiv und können nur mehr allmählich noch weiter gesteigert werden.

2. Eine wesentliche Verlagerung im Einsatz der materiellen Mittel vom Tief-zum Hochbau ist angesichts der Wichtigkeit der Energie- und Verkehrsbauten und der Art ihrer Finanzierung nicht zu erwarten.

3. Innerhalb der Gruppe Hochbau wäre rein volkswirtschaftlich wohl noch eine gewisse Verschiebung der Bauenergie zugunsten der Wohnbauten zu erreichen, doch sind auch hier durch zahlreiche Dringlichkeitsvorhaben auf anderen Sektoren Grenzen gezogen.

Dies ist im wesentlichen das Bild der tatsächlichen Lage und der nächsten Zukunftsaussichten. Trotz allem aber kann der Schrei nach einer menschenwürdigen Behausung für Zehntausende von Familien nicht unbeantwortet bleiben. Es gibt auch eine positive Antwort, allerdings hart und illusionslos wie die Zeit: sie lautet — Arbeit und Sparsamkeit!

Dies bedeutet Absage an die erste und größte aller Zeitillusionen, das tatenlose Warten auf die Hilfe des Staates, der doch, mag er auch zu den Zeitgötzen gehören, alles eher als allmächtig ist, weil er ja aus sich heraus Energien nicht schaffen, sondern bestenfalls lenken kann. Auch an und für sich großzügige Wohnbaumaßnahmen öffentlicher Körperschaften bedeuten kaum eine wesentliche Linderung der Not und vor allem: sie kommen nur wenigen zugute und belasten die Allgemeinheit. Darüber hinaus bewirken sie nur sehr selten eine wirkliche Arbeitsbeschaffung, da die hiebei verwendeten Energien oft genug nur der freien Wirtschaft entzogen werden.

Die notwendige Mobilisierung z u-sätzlicher Arbeitsleistungen bei gleichzeitig freiwilliger Konsumbeschränkung wird, zumindest bei Verzicht auf diktatorische Maßnahmen, nur durch umfassende Propagierung und Förderung des Siedlungsgedankens zu erreichen sein. Um wieviel besser wäre es, an grelle von 4000 „gemeindeeigenen“ Wohnungen die drei- oder vierfache Anzahl „familieneigener“ Siedlungs- oder Stockwerksheime anteilsmäßig zu finanzieren. Hiezu wäre freilich ein radikaler Abbau gewisser doktrinärer Komplexe gegen alles Privateigentum“ die erste

Voraussetzung. Aber gibt es denn in der Praxis wirklich noch „gemeindeeigene“ oder „s t a a t s e i g e n e“ Wohnungen? Wer die durch die Not der Zeit auch in den mieterschutzfreien Neubauten erzwungene Erschwerung tatsächlicher Kündigungen kennt, weiß, daß längst die „mietereigene“ Wohnung zur Regel geworden ist. Selbst der größte Hausherr Österreichs, die Gemeinde Wien, wird heute ohne Stellung eines entsprechenden Ersatzes keinen ihrer Mieter mehr ohne ganz triftigen Grund kündigen können. Warum dann nicht lieber gleich echte Eigentumsbildung durch Siedlungsförderung? Auch hier mag es Nachteile und

Hemmnisse geben, eines aber steht fest: Der Siedler wartet nicht, sondern arbeitet und arbeitet vor allem zusätzlich, und er will nicht mit einer „billigen“ Wohnung beschenkt werden, die für die Allgemeinheit — auch der Wohnungslosen — teuer war, sondern er ist bereit, vielleicht als einziger noch in dieser Zeit, für sein Ziel zu sparen. Ihm muß aber die Zukunft unserer Wohnungspolitik gehören. Denn nur Arbeit und Sparsamkeit können auf diesem Gebiet noch echte Werte schaffen. Ihre Mobilisierung freilich muß vollzogen werden, denn produktive Leistungen rechtfertigen angesichts dieser Lebensfrage auch Finanzierungsmaßnahmen, die in anderen Zeiten unabwendbar wären.

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