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Der Mensch lebt nicht vom Brot allein...

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Dim Dezember fand im Parlament die alljährliche Budgetdebatte statt. Sie bot den Abgeordneten die Möglichkeit, über viele aktuelle Fragen zu sprechen, der Verwaltung Anregungen zu geben, Wünsche der Wähler vorzutragen und Forderungen anzumelden. Wer aber die Reden der Abgeordneten aufmerksam verfolgte und sie des schmückenden Beiwerks entblätterte, dem mußte es manchmal geradezu eiskalt über den Rücken laufen ob der Maßlosigkeit der im Hohen Haus vorgebrachten Forderungen.

Nicht die offenen und versteckten Drohungen der Kommunisten, ihre durch den Sputnik ausgelöste Ueberheblichkeit lösten Gefühle des Unbehagens aus, sondern mehr die Tatsache, daß während der ganzen Budgetdebatte fast ausschließlich von materiellen Dingen geredet wurde. Mancher Abgeordnete — und nicht etwa nur aus den Reihen der mehr als schwachen Opposition — brachte es dabei zu wahren Glänzleistungen.

Täglich wurden Ausschnitte aus der Budgetdebatte im Rundfunk übertragen. Waren nun die Mikrophone für die Aufnahme eingeschaltet, schickten die Parteien ihre „besten Pferde“ zum Rednerpult. Begreiflich, denn die mit beträchtlicher Lautstärke vertretenen Forderungen sollten ja in erster Linie auf den unbekannten Radiohörer wirken. Dann wurde kaum von ideellen Werten gesprochen, von kulturpolitischen Sorgen, von der entscheidenden Aufgabe Oesterreichs am Rande des Eisernen Vorhangs oder von der aus dem Osten drohenden Gefahr, sondern stets war unverhüllter Materialismus der große Wortführer. Nicht wenige Redner verwechselten das Parlament mit einer Wählerversammlung. Viele Abgeordnete forderten vom Staat, den sie doch in erster Linie repräsentieren, immer höhere materielle Leistungen und erweckten so in der Bevölkerung Hoffnungen, die der Staat in diesen Größenordnungen einfach nicht erfüllen kann. Kein Redner aber sagte, wo bei bereits gesetzlich verankerten Staatsausgaben Einsparungen vorgenommen werden sollen, denn der Staat kann doch nur das verteilen, was er vorher seinen Bürgern in Form von Steuern abgenommen hat.

In vielen Reden der Abgeordneten — aus Koalition und Opposition — spielte der ..Lebensstandard“ eine wesentliche Rolle. Falls sich unter den Zuhörern auf der Galerie ein mit den

tatsächlichen Verhältnissen in Oesterreich“nicht Vertrauter befand, mußte er nicht selten den Eindruck gewinnen, daß dieses Oesterreich ein einziges großes Armenhaus ist, in dem die Masse der Bewohner von Wassersuppe und trockenem Brot zu leben gezwungen ist. Immer wieder wurde von der Notwendigkeit gesprochen, die „Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung“ zu erhöhen, die Kriegsschäden zu beseitigen, einen Lastenausgleich zu schaffen, die staatlichen Investitionen zu verstärken, die Sozialversicherung auszubauen und viele andere Dinge zu tun.

Es würde zu weit führen, an dieser Stelle beweisen zu wollen, daß die materielle Not nicht so groß und nicht so allgemein ist, wie das manche Leute darstellen. Die Zahlen über die zunehmende Motorisierung, über den Tabak- und Alkoholverbrauch sprechen eine andere Sprache. Natürlich gibt es tausende Menschen in Wien

und in ganz Oesterreich, die im Schatten der Konjunktur, in Elendsquartieren und in bitterer Not zu leben gezwungen sind. Die Not dieser Armen und Bedrängten zu sehen und nach Wegen zur Ueberwindung tatsächlicher sozialer Notstände zu suchen, muß das Herzensanliegen jedes verantwortungsbewußten Volksvertreters sein.

Reden wir doch der österreichischen Bevölkerung nicht dauernd ein, daß es allen Bewohnern dieses Landes schlecht geht und zaubern wir doch nicht nebelhafte Traumgebilde am Wunschhimmel hervor! Der stellvertretende Generalsekretär des OeGB, Fritz Kienner, sagte kürzlich treffend:

„Den Menschen wurde eine Fülle von Errungenschaften gebracht, aber gerade diejenigen, deren Leben sich am meisten verbessert hat, sind am wenigsten glücklich. Wir haben den Götzen Wohlstand in die Welt gesetzt und ihm Familie, Zufriedenheit und Seelenfrieden zum Opfer gebracht. In Kühlschrank, Roller und Auto glauben viele den Sinn des Lebens zu finden, aber kaum erreicht, empfinden sie keine Befriedigung, sondern nur die Sucht, noch bessere Typen, noch modernere Produkte der Technik zu besitzen ...

Es sei nun nichts dagegen gesagt, daß der Mensch die Errungenschaften der Technik nützt, um sein Leben schöner zu gestalten. Auch sei nicht anklagend auf wohlgedeckte Tische, gefüllte Wäsche- und Kleiderschränke hingewiesen — es soll nur aufgezeigt werden, daß dies allein nicht glücklich macht. Auch ist die Zahl jener, die noch keinen Wohlstand erringen konnten, sehr beträchtlich. Manch einer dieser Menschen ist aber trotzdem zufriedener Wir haben dem Menschen materielle Güter gegeben, wir haben aber auf seine Seele vergessen.“ („Der Aufbruch“, Nr. 1/1957.)

Das sind offene Worte, die man vorbehaltlos unterschreiben kann. Sie sollten gehört werden. Machen wir doch endlich Schluß damit, immer neue materielle Forderungen an den Staat zu stellen und den Oesterreichern einen Wohlfahrtsstaat vorzugaukeln, den es heute noch nicht gibt und morgen kaum geben wird.

Oesterreich hat ein Budget von rund 37 Milliarden. Um diese Ausgaben decken zu können, muß Vater Staat ein rundes Drittel des gesamten Volkseinkommens für sich in Anspruch nehmen. Mit anderen Worten: von hundert erarbeiteten Schillingen müssen dreißig dem Vater Staat zur Verteilung überlassen werden. Wer vom Staat weitere Ausgaben fordert, muß daher den Mut haben, für Steuererhöhungen einzutreten oder brauchbare Vorschläge zur Verminderung bestehender Verpflichtungen vorzulegen. Der dritte Weg hieße Zuflucht zur Notenpresse,

hieße Inflation! Wer aber wollte einen solchen Weg ernstlich empfehlen?

Natürlich gibt es Aufgaben, die der Staat erfüllen muß, weil sie eben nur von ihm bewältigt werden können. Einige seien hier nur angedeutet. Oesterreich ist ein Fremdenverkehrsland. Vor hundert Jahren benutzten die Reisenden die Postkutsche, vor dreißig Jahren die Eisenbahn, während sie heute weitgehend mit Flugzeugen oder Autos kommen. Der Staat muß also Flugplätze und Straßen bauen, weil andernfalls die Reisenden jenen Ländern den Vorzug geben, in denen ihnen entsprechende Verkehrsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Der Unterrichtsminister hat wiederholt auf den geradezu katastrophalen Bauzustand der Mittelschulen hingewiesen. Die meisten Gebäude stammen noch aus der Zeit der Monarchie. Müßte es nicht eine Selbstverständlichkeit sein, der heranwachsenden Generation moderne und gut ausgestattete Schulen und Institute zur Verfügung zu stellen? Selbstverständlich sind auch Aufwendungen für die Sozialpolitik notwendig, aber manches müßte klarer durchdacht und besser gestaltet werden. Wäre beispielsweise nicht angezeigt, die Wohnungsbeihilfe sinnvoller zu verteilen? Heute kommt es nicht selten vor, daß eine Familie mehr an Beihilfen erhält, als der Aufwand für die Wohnungsmiete beträgt. Oder ein anderes Beispiel. In der Kriegsopferversorgung gibt es Renten, die von den einen als Taschengeld betrachtet werden, andere aber zu einem kümmerlichen Dasein verurteilen. Wäre es nicht richtig, den Empfängern kleiner und kleinster Kriegsopferrenten entsprechend mehr zu geben, dafür aber dort Einsparungen vorzunehmen, wo solche vertretbar sind? Man komme-.nicht mit dem'Einwand der „Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz“, denn es gibt soziale und moralische Grenzen.

Ein anderes Beispiel. Viele Mitbürger wissen bei der Anschaffung mehr oder weniger not-

wendiger Gebrauchsgegenstände nur schwer die Grenze des Tragbaren einzuhalten. Man kauft einfach auf Raten! Natürlich lassen sich Teilzahlungskäufe nicht vermeiden, aber doch nicht alles und jedes auf Raten kaufen! Die Zahlungsmoral läßt sehr viel zu wünschen übrig, und mancher Geschäftsmann, der über keinen entsprechenden finanziellen Rückhalt verfügt, kommt deswegen in Schwierigkeiten, weil die aushaftenden Raten am Fälligkeitstag nicht eingehen. Im Interesse der Käufer und Verkäufer wäre ernstlich zu überlegen, ob nicht an die Einführung eines Ratenpasses gedacht werden sollte.

So ließe sich noch mancher konkrete Vorschlag machen. Was aber ganz allgemein not tut, ist eine Gewissenserforschung. Die Politiker sollten damit beginnen, daß sie sich wieder mehr

der Verantwortung für das Ganze bewußt werden. Wer die Möglichkeit dazu hat, muß der Bevölkerung immer wieder in Wort und Schrift in das Bewußtsein rufen, daß es weder ein Wirtschaftswunder noch einen imaginären Wohlstand gibt. Nur fleißige Arbeit, gewissenhafte Sparsamkeit und ein Leben in vernünftigen Grenzen führen zu einem gewissen Wohlstand des einzelnen und des ganzen Volkes. Und vor allem:

hören wir doch endlich damit auf, die materielle Begehrlichkeit immer mehr zu steigern. Das mag vielleicht populär sein, nährt aber die Unzufriedenheit und untergräbt schließlich die Autorität derer, die für das Wohl aller Oesterreicher verantwortlich sind. Mehr denn je sollte gerade im Zeichen der Konjunktur das Wort aus der Schrift gehört und verstanden werden: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein ...“

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