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Sieben Quellen der Unmoral

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Die Betroffenheit weiter Kreise über die steigende Unmoral in der Öffentlichkeit nimmt in der letzten Zeit immer mehr zu. Damit ist nicht die steigende Zahl von sogenannten Kapitalverbrechen, wie Mord, Totschlag, Raub oder Terrorismus, gemeint. Es geht hier um eine Unmoral, die sich in einer Unzahl von Fehlhaltungen und Rechtswidrigkeiten äußert, die untereinander scheinbar in einem kausalen Zusammenhang stehen. Es geht um ein Netz von Korruption, das immer dichter wird und

in das immer mehr Menschen verschiedener Stellungen und Aufgabenbereiche hineingezogen werden.

Mit Recht hat Bundespräsident Kirchschläger diese Situation mit einem Simfipf verglichen und mit einer sauren Wiese. Der AKH-Prozeß zeigt nur die Spitze eines Eisberges. Was unter der Oberfläche verborgen ist, läßt sich nur erahnen. Das erschreckende Anwachsen von Wirtschaftsdelikten ist ein alarmierender Hinweis dafür. Die österreichische Justiz muß bereits nach neuen Methoden suchen, um der immer größer werdenden Flut von Prozessen Herr werden zu können.

Woher kommt diese Art von Unmoral, woher kommt dieser Sumpf? Vielleicht tut es gut, einige Quellen zu nennen, die diesen Sumpf möglicherweise speisen.

• Wichtige Posten werden immer häufiger nicht auf Gnmd nachweisbarer Leistungen, sondern durch Protektion vergeben. Das gilt für leitende Stellungen in der Wirtschaft, für Direktorenposten in den Schulen, sogar für die Besetzung von Lehrkanzeln an Universitäten, um nur einige Beispiele zu nennen. Aber auch für weniger wichtige Stellen braucht man ein Parteibuch oder eine persönliche Befürwortung.

Dabei wird nicht jener Befürworter am meisten geschätzt, der den Bewerber am besten kennt und daher fachlich beurteilen könnte, sondern jener, der am einflußreichsten ist. Und im Wirtschaftsleben, wenn es um Aufträge geht, läuft Protektion unter dem Namen „Schmiergeld" oder „überhöhte Provision". In Wahrheit ist dies nichts anderes als Bestechung und unlauterer Wettbewerb.

Es fehlt also heute der Ansporn, sich durch Leistimg für etwas zu qualifizieren; es scheint sich eher zu lohnen, frühzeitig einflußreiche „Freunde" zu finden, um später einmal zu etwas zu kommen.

• „Wenn zwei das gleiche tim, ist es nicht dasselbe." Nacn diesem Grundsatz beurteilen manche Menschen Diktatur imd Terror im Osten oder Westen ganz unterschiedlich, je nachdem, ob sie auf dem linken oder auf dem rechten Auge schlechter sehen. Eine objektive Wertordnung gerät dabei ins Wanken — aber auch dort, wo allzu schnell bei einer Tat zwischen kriminellen und politischen Motiven unterschieden wird. Als ob ein Mord nicht Mord bliebe, aus welchen Motiven auch immer er verübt wurde.

Eine doppelte Sicht der Moral hat ferner, wer Diebstahl oder Betrug am Nachbarn verabscheut, eine grobe Steuerhinterziehung oder unlautere Gewinne aber als Kavaliersdelikte ansieht. Die objektive Wertordnimg wird heute in unserem Land ganz offensichtlich auch dadurch schwer erschüttert, daß man die Tötung eines Menschen wohl grundsätzlich verdammt, den Lebensschutz des Kindes im Mutterleib aber der privaten Verantwortung überläßt, obwohl die Naturwissenschaf ter heute schon sehr einheit--lieh sagen, daß das Leben des Menschen bei der Empfängnis be-

ginnt und weder der dritte Monat der Schwangerschaft noch die Geburt eine wesentliche Zäsur in der Entwicklung dieses Lebens darstellen.

Daß wir mehr und mehr nach einer doppelten Moral leben, mag vielleicht in folgendem begründet sein: Wir alle haben uns meist noch das richtige sittliche Empfinden bewahrt, wenn wir jemandem Auge in Auge gegenüberstehen, wenn also die Verletzung des Rechtes gleichsam an der persönlichen Reaktion des anderen abzulesen ist. Andere moralische Grundsätze scheinen aber zu gelten, wenn dieses Du, dieser andere nicht mehr sichtbar oder gar anonym ist.

So schämt man sich, 100 Schilling gestohlen zu haben, nicht aber, wenn man den Staat um eine hohe Steuersumme betrügt. Ebenfalls schämt man sich des unbeherrschten Wortes einem anderen gegenüber, nicht aber mehr so leicht der Verunglimpfung eines ganzen Standes.

So könnte wohl kaum einer die Hand erheben gegen ein Kind, das vor ihm liegt und lächelt, aber offenkundig schon viel eher gegen ein solches, das ihn noch nicht anblicken kann. Doppelmoral ist wie eine Seuche, die über kurz oder lang sehr viele Bereiche vergiften kann.

# Mit dem eben Gesagten hängt auch folgendes eng zusammen; Menschliches Tun wird oft nicht niehr an verbindlichen Normen gemessen, sondern nach dem, was die Mehrheit tut. Ein Beispiel dafür aus jüngster Zeit: In der Frageecke einer gängigen Wochenzeitung klagt eine Mutter, daß ihre minderjährige Tochter ein voreheliches Verhältnis habe. Die Psychologin weist auf das Moralverständnis der Kirche hin und meint, daß der, der gläubig ist, sich im Gewissen auch gebunden fühlen soll. Dann aber fügt sie hinzu:

„Die Statistik weist nach, daß schon ein sehr hoher Prozentsatz der heutigen Jugend grade so handelt wie Ihre Tochter." Damit schließt die Beratung. Also, weil die Mehrheit etwas tut, ist es richtig geworden! Die Statistik erhebt ständig den Trend gewisser Verhaltensweisen, und die Veröffentlichung dieser Trends bestärkt wieder viele in ihrem Tun.

Auch staatliche Gesetze richten sich bisweilen nach dem Trend der Verhaltensweisen (siehe Scheidungsrecht), anstatt die Gesellschaft durch das Recht vor einer negativen Entwicklung zu schützen. Was viele tun, wird zur Norm für viele andere. Aber aus dem Tun der Masse ist kaum Erneuerung, Besinnung, Umkehr zu erwarten.

# Jedermann legt heute Wert darauf, als liberal zu gelten: Liberal in der Erziehung, liberal in der Politik, liberal in seiner ganzen Haltung. Heute geben sich alle großen politischen Parteien gerne das Image, liberal zu sein. Nur ist nicht ganz klar, was unter liberal zu verstehen ist. Früher war es ein bekannter Begriff .des Wirtschaftslebens. Heute versteht man vieles darunter: bisweilen denkt man mehr an Toleranz, manchmal aber auch, liberal sein hieße, frei zu sein von allen Bindungen.

Sittliches Verhalten ist aber, besonders wenn der Mensch herausgefordert und belastet wird, ohne starke Bindung an Grundsätze gar nicht möglich. Wo der Einzelmensch zum Maß seiner; Entscheidungen wird, fällt er in Maßlosigkeit. Wo der Mensch sich frei von vorgegebenen Forderungen und Imperativen verwirklichen will, verfällt er allzu leicht dem Zwang der augenblicklichen

Situation oder der Versuchung des momentanen Nutzens.

• Allgemein wird geklagt, daß es heute in Osterreich zu wenig Menschen gäbe, die noch Verantwortung übernehmen. WoUen sie es nicht oder können sie es nicht? Werden sie aber auch dazu erzogen, dazu ermuntert? Verstaatlichung, Vergesellschaftung (so notwendig beides sein kann!), Parteidisziplin, Klubzwäng und ähnliches engen Eigenverantwortung vielfach ein. .

Ein soziales Netz, das über Notfälle hinaus allzu leicht als geruhsame Hängematte für eigene Sorglosigkeit mißbraucht werden kann,’^demoralisiert. Ein Schulsystem, das von sich aus noch immer zu wenig zur Selbständigkeit erzieht und von dem die Eltern laut einer Umfrage dieses Erziehungsziel gar nicht erwarten, verspricht auch für morgen keine Besserung.

• Ohne Zweifel geht es in einer Politik, die Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum sichern will, auch um ganz wichtige Werte. Vielfach fehlen aber die Grundwerte, die in Osterreich in den letzten Jahren aus der politischen Diskussion mehr und mehr ausgeklammert wurden. In der Politik unseres Landes herrscht ein ausgeprägter Pragmatismus. Denker in den verschiedenen Parteien werden zur Erstellung von Parteiprogrammen herangezogen, dürfen dann und wann, wenn es opportun erscheint, ihre Thesen auch in Diskussionen vertreten; auf die aktuellen politischen Entscheidungen aber scheinen sie kaum viel Einfluß zu haben.

Von Zeit zu Zeit wirft man dann der Kirche vor, sie hätte ihrerseits versäumt, stärker auf Werte hinzuweisen und sie in der Gesellschaft zu vertreten. Mag sein, daß das viel öfter, deutlicher und verständlicher geschehen hätte sollen. Aber yann immer sie es doch getan hat, wFie etwa in Fragen des Lebens, der Ehe, der Erziehung und Bildung, hat man sie nicht recht ernst genommen und viel von dem Gesagten totgeschwiegen oder sie verdächtigt, dabei einer Partei Schützenhilfe leisten zu wollen!

Uberhaupt wird in Osterreich alles, was kirchlicherseits in der Öffentlichkeit gesagt wird, zunächst’ gerne an der Nähe oder Ferne zu einer Partei gemessen und nicht nach seiner allgemeinen Gültigkeit.

Eine immer größer werdende Politikverdrossenheit scheint auch darin ihren Grund zu haben, daß vielen der Stil und die Art, wie Politik getrieben wird, zuwider ist und vor allem kaum solche Werte und Grundsätze deutlich genug erscheinen, für die es sich lohnte, sich auch mit ganzer Kraft einzusetzen.

• Medien müssen stets aktuell sein. Journalisten und Reporter stehen dadurch unter einem fast unerträglichen Zeitdruck und kommen nicht immer zu den für eine sachliche Information notwendigen Recherchen. Medien müssen sich verständlich machen, das heißt aber auch, für den Hö--rer, Leser und Seher schwere Probleme leicht faßlich aufbereiten.

Schon für den, der in einer Materie ganz zu Hause ist, ist es schwer, etwas sachgerecht zu vereinfachen. Wer aber kein Fachmann ist - und in wieviel Sparten sollten heute Medienschaffende bewandert sein? — gerät in Gefahr, durch zu grobe Vereinfachungen den Inhalt zu entstellen..

Medien müssen bei ihren ,JCon-sumentpn" Interesse wecken und auch finden. Das gelingt allemal noch am ehesten durch die Darstellung von Sensationen und Kontroversen. Nun bietet aber das Gute und Normale meist keine attraktive Sensation. So lebt ein Zeitungsartikel von der reißerischen Schlagzeile, ein Filmbericht von der schonungslosen Darstellung auch intimster oder makaberster Geschehnisse. Und in der Unterhaltung scheint noch immer am meisten „sex and crime" gefragt zu sein.

Bei der schonungslosen Darstellung des Bösen bleibt schließlich immer noch die Frage offen, wie weit nun Medien tatsächlich abschreckend wirken und zur Besinnung rufen oder aber labüe Menschen sogar für Ähnliches motivieren. Medienschaffende haben eine ungeheuer große Verantwortung. Sie können sicher sehr viel zur „Entsumpfung" beitragen; Medien haben aber leider auch so manches zur Vermehrung der Unmoral getan.

Es ist gut, daß die allgemeine Betroffenheit über Korruption und Unmoral in der Öffentlichkeit schon so weite Kreise erfaßt hat. Nur werden die Empörung allein und auch nicht ein noch so strenges Antikorruptionsgesetz zur Entsumpfung der sauren Wiese führen. Der Sumpf kann nur entwässert werden, wenn sich die Gesinnung ändert…

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