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Segen für die Revolutionäre?

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Noch gibt es kein offizielles Dementi aus Rom, noch ist nicht bekannt, daß die Übersetzung des Papiers über die „Gerechtigkeit in der Welt", das der kommenden Bischofssynode in Rom als Diskussionsgrundlage dienen soll, falsch ist. Aber schon rühren sich hier und da besorgte Stimmen, die eine große deutsche Tageszeitung dahin zusammenfaßte: „Segnet der Papst jetzt auch Revolutionäre?" Sicherlich, das Thema der Gerechtigkeit, oder besser gesagt: der schreienden Ungerechtigkeiten in dieser Welt, ist das Zentralthema der Welt von heute. Es ist daher durchaus legitim und begrüßenswert, daß sich die Bischofssynode mit diesem weitgespannten Problemkreis befassen wird. Nach den verschiedenen Enzykliken der letzten Päpste zur gerechteren und menschenwürdigeren Gestaltung der Welt ist es nur folgerichtig, daß sich auch die Bischofssynode dieser Fragenkomplexe annimmt, um im Licht des Evangeliums der Welt ein Zeichen zu geben, wie es ihr, das heißt, den. Menschen möglich wäre, ihre Welt gerechter, menschengemäßer zu gestalten — und es ist niemand, der nicht sagen würde, es handle sich hierbei nicht um eine wahrhaft christliche Aufgabe, geradezu um eine Sisyphusarbeit.

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Noch gibt es kein offizielles Dementi aus Rom, noch ist nicht bekannt, daß die Übersetzung des Papiers über die „Gerechtigkeit in der Welt", das der kommenden Bischofssynode in Rom als Diskussionsgrundlage dienen soll, falsch ist. Aber schon rühren sich hier und da besorgte Stimmen, die eine große deutsche Tageszeitung dahin zusammenfaßte: „Segnet der Papst jetzt auch Revolutionäre?" Sicherlich, das Thema der Gerechtigkeit, oder besser gesagt: der schreienden Ungerechtigkeiten in dieser Welt, ist das Zentralthema der Welt von heute. Es ist daher durchaus legitim und begrüßenswert, daß sich die Bischofssynode mit diesem weitgespannten Problemkreis befassen wird. Nach den verschiedenen Enzykliken der letzten Päpste zur gerechteren und menschenwürdigeren Gestaltung der Welt ist es nur folgerichtig, daß sich auch die Bischofssynode dieser Fragenkomplexe annimmt, um im Licht des Evangeliums der Welt ein Zeichen zu geben, wie es ihr, das heißt, den. Menschen möglich wäre, ihre Welt gerechter, menschengemäßer zu gestalten — und es ist niemand, der nicht sagen würde, es handle sich hierbei nicht um eine wahrhaft christliche Aufgabe, geradezu um eine Sisyphusarbeit.

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Die Notwendigkeit sei also gar nicht bestritten. Die Welt schreit vor Ungerechtigkeiten, sie scheinen ihr eingeboren, weil sie der sündhaften Natur des Menschen entsprechen und es auf Erden niemals das Paradies oder auch nur ein Paradies geben wird. Das gilt es letztendlich auch im Auge zu behalten: Es gibt nicht die endzeitliche Harmonie, die Auflösung der Dissonanzen und Diskordanzen. Schließlich ist Christus am Kreuz gestorben, was ja wohl das Ärgernis, die Sinnverkehnmg, die größte Ungerechtigkeit war, die Menschen dem Menschensohn angetan haben.

Man muß sich dies vor Augen halten, wenn man den Text dieses Papiers, der in der „Herder-Korrespondenz" veröffentlicht worden ist, zu analysieren versuciht. Denn der moderne Progressismus predigt uns tagaus, tagein, daß die Welt heil werden könne, wenn wir nur alle dem Trend folgen, uns dem Fortschritt in die Arme werfen. Dann winkt Utopia, die Gerechtigkeit unter den Menschen ist verwirklicäit. Und gerade dies scheint uns ein wesentlicher Vorbehalt gegen die Gedankenführung dieses Papiers zu sein, zumal gegen die theologische, daß von der Sünde, vom Teufel und auch vom „Mysterium inquietatis" des Menschen nicht mehr die Rede ist.

Genosse Trend

Im Gegenteil, Genosse Trend bestimmt Gedankenansatz und Gedankenführung dieses Papiers über die „Gerechtigkeit in der Welt". Einige Kostproben sollen dies dem Leser verdeutlicihen:

„In ihrem Kampf um einen Machtausgleich zwingen die Großmächte praktisch schwächere Nationen, sich in den Einflußbereich der einen oder anderen Macht zu hegeben. Es gibt sogar mächtige Regierungen, die anderen ihre Politik aufzwingen, um ihre eigenen Auslandsinvestitionen zu fördern, und die, um eine Zustimmung zu erzwingen, gerade diese Auslandinvestitionen als Waffe benutzen, obwohl sie ihnen als Hilfe gegeben haben." Und: „Eine andere Ungerechtigkeit tritt in der Form der kulturellen Beherrschung auf… Bewußt oder unbewußt drängt diese privilegierte Minderheit (die im Genuß des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts ist) die übrigen in einen Zustand der Abhängigkeit und zwingt sie dazu, ihre eigene Lebensweise und ihre eigenen Meinungen anzunehmen und den Fortschritt so zu verstehen, daß er sie in eine Sackgasse führt. Außerdem neigen mächtige Nationen dazu, den Entwicklungsländern ihre eigenen sozialen Auffassungen aufzuzwingen."

Hier haben die Verfasser des Papiers offenbar eine Anleihe bei Mar-cnise gemaidit, der ja insgesamt infolge des Phänomens des technischwissenschaftlichen Fortschritts vom „System" und seinen „repressiven Strukturen" spricht. Aber die hier angedeutete Linie geht noch weiter. Im folgenden ist von „ökonomischer Beherrscäiung", von „Ausbeutung" der „schwächeren Nationen" imd von der „Wirtschaftsdiktatur" die Rede, bis es dann zum allgemein bekannten Klagelied über das „Wettrüsten" kommt. Da klare, deutliche Beispiele fehlen, klingen diese Verallgemeinerungen nicht gerade nach seriöser Analyse, sondern mehr nach wohl-feüem Klischee der Gegner des Kapitalismus, der Reichen, der Mächtigen.

Man kennt diese Terminologie bis zum Überdruß — nur, man hat sie nicht in einem für die römische Bischofssynode bestimmten Papier vermutet, zumindest noch nicht. Leider aber sind dies keine Ausnahmen, keine einzelnen Stilblüten. Es geht noch weiter. So besteht das von der „Kirche verkündete Reciht auf „Entwicklung" darin, daß dieses Recht gegen die „Herrschaft privilegierter Minderheiten" verteidigt werden darf, weil sich diese Minderheiten einen „übermäßigen Anteil am Nationaleinkommen sichern" „und die das Land betreffenden Entscheidungen an sich reißen". Nach außen schließlidi ist dieses Recht auf Entwicklung gegen „jede Beherrschung vom Ausland zu schützen". Überrascht es dann, daß — aufs Ganze gesehen, solange diese „Beherrschimg andauert" — sich die Entwicklungsländer „im Zustand rechtmäßiger Verteidigung" befinden? Wie weit dieses Recht im einzelnen geht, bleibt indessen offen.

Erlaubtheit der Gewalt?

Da die Ungerechtigkeiten in dieser Welt jedoch so dominant sind, heißt es im weiteren Kapitel über „Erziehung und Aktion", daß „in gewissen Situationen", ,4n denen die Grundrechte der menschlicihen Person schwer verletzt werden, die Anwendung von Gewalt — nach erfolglosem Einsatz aller legalen Mittel — rechtmäßig sein kann, um diese Reciite durchzusetzen."

Sicherlich, nachfolgend geben die Verfasser dieses Entwurfs zu bedenken, daß Gewalt srtets „von sich aus" niederreißt und niciht aufbaut. Dennoch ist dieser Appell an die Erlaubtheit der Gewalt als legitimes Mittel politischer Auseinandersetzung schlicht fatal, und er ist keineswegs deswegen gutzuheißen, weil es in einem Entwurf für die Bischofssynode steht. Im Gegenteil.

Es stimmt in der Tat bedenklich, daß die Verfasser meinen, mit diesem Hinweis auf Gewalt im Rahmen des Widerstandsrechts die Jugend versöhnen zu können; sie sagen ganz deutlich: „Hier dürfen die Jugend-lidien vielleicht (!) daran erinnert werden, daß …" ( und dann folgt der Satz über die Rechtfertigung der Gewalt). Eine folgenreichere Anbiederung an den Zeitgeist ist schwerlich vorzustellen. Ist denn nicht unsere Zeit schon schwanger vom Ruf nach „Gewalt", nach „Systemüberwindung", „begrenzter Regelverletzung"? Wird nicht hundertmal am Tag die „Revolution" als geeignetes, gerechtfertigtes Instrument der Politik gepriesen? Hat niciit unser Rechtsbewußtsein unter dem Anprall nackter Gewalt inzwischen Schiffbruch erlitten, weil wir Gewalt zu rechtfertigen geneigt sind, wenn nur politisdie Motive zugrunde liegen, die wir säuberlich von kriminellen zu unterscäieiden gelehrt werden?

Mitten in diese. Hysterie der Gewalt, in diesen revolutionären Eifer, der cJie gesamte westliche Welt wie ein Bazillus heimsucht, wo die „Rufer nadi der Gewalt" zu „Wiedertäufern der Wohlstandsgesellschaft" geworden sind — mitten in diese anarchistisch prädisponierte Zeit hinein meinen die Verfasser des Synodenentwurfs, es sei erforderlich, auch noch „Gewalt" zu rufen.

Werden sie die Geister loswerden, die sie hiemit gerufen haben? Oder wird es ihnen hernach wie allen gehen, die es doch nicht so ernst gemeint haben, die nur modern und zeitgemäß sein wollten, als sie in den Chor einstimmten, der nach „Gewalt" ruft und sie praktiziert? Es ist geradezu pharisäisch, zu glauben, die Jugend müsse an die Gewalt noch eigens „erinnert" werden — so als praktizierte die ältere Generation nicht tagaus, tagein genau dies: brutale Gewalt.

Steine verletzen, sie schlagen blutig, und es ist ganz gleichgültig, in wessen Na^en sie geworfen werden — selbst (fariri, wenn Rom hiezu seinen Segen geben sollte, was hoffentlich noch verhindert werden wird. Auf Gewalt läßt sich keine Ordnung bauen, neben Gewalt ist Gerechtigkeit nicht möglich, sondern nur noch Unrecht; die Geschichte beweist es.

Recht auf Widerstand

Natürlich, es gibt in der katholischen MoraUehre eine deutliche, konsequente Linie, die erkennen läßt, daß das Widerstandsrecht in schwersten Zeiten als „Ultima ratio" ein erlaubtes Mittel sein kann. Aber demgegenüber steht die Verpflichtung des einzelnen zum Gehorsam, was gerade die evangeliscihe Kirdie immer mehr in den Vordergrund gerückt hat, gestützt auf Römer 13. Demgegenüber steht aucäi die Verpflichtung zum Leiden, zum Aushalten von Ungerechtigkeiten — eine vergessene, aber urchristliche Tugend.

In dem Papier steht nur, daß Gewalt gerechtfertigt sei, wenn alle legalen Mittel der Opposition erschöpft sind. Das ist eine bedenkliche Verkürzung der bisherigen Morallehre. Denn dort war noch mehr gefordert: nämlicii Einsicht in die ungerechten Zustände, Möglichkeit der Abhilfe durch adäquate Mittel, und vor allem — als ständiges Streitobjekt — eine gewisse Aussicht auf Erfolg, so daß die kommenden Dinge nicht schlimmer sein würden als die bestehenden, ist doch ein wenig Ordnung immer noch besser als das Chaos, die Anarchie, der Kampf eines jeden gegen jeden.

Das alles ist jedoch vergessen, wird nicht mehr als Rechtfertigungselement erwähnt. Die Gewalt als Mittel der Politik wird sogar der Jugend anempfohlen. Daraus folgt doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, daß Jugend — den hier geäußerten einzigen Vorbehalt gegen den Gebrauch der Gewalt mißverstehend — bereit sein wird, Gewalt auch dann zu üben, wenn keine Aussicht auf Besserung besteht, wenn es nur um das Fanal geht, um die Bekundung, daß das eigene Gewissen sich an den unrechtmäßigen Zuständen wundgestoßen hat.

Zudem: Keine Gesellschaftsordnung ist so leicäit verletzlich, so schnell verwundbar wie die unsrige; kleinste Minderheiten sind bereits in der Lage, unser Leben empfindlich zu stören, wenn sie nur organisiert sind und Gewalt anwenden, um die neuralgischen Punkte zu treffen, zum Beispiel die Kraftwerke einer Stadt, die Wasserversorgung, oder, um ein junges Beispiel zu erwähnen: durch den Streik der Flutlotsen.

Unsere Gesellschaft ist derart kompliziert und komplex, daß systemimmanente Ungerechtigkeiten nur sehr behutsam und vorsichtig — per Evolution — beseitigt werden können. Denn die Industriegesell,^ scäiaft beruht auf tausendfachen Gesetzmäßigkeiten, ein Rädchen greift ins andere, und überall sind die Folgen sehr ausgeprägt, wenn nur ein Rädchen gewaltsam blocikiert wird. Unter diesen Voraussetzungen ist es kaum vorstellbar, daß mit Gewalt eine Verbesserung im Hinblidc auf eine gerechtere Ordnung unseres Gemeinwesens erreicht werden kann.

Nach Ansidit der Verfasser wird das hohe Gut der Förderung der Gerechtigkeit in die Hand von Herrn Jedermann gelegt, und das nicht nur in dem Sinn, daß ein jeder aufgerufen ist, aktiv an der gerechteren Gestaltung des Gemeinwesens mitzuarbeiten. Nein, selbst in dem Sinn, daß jeder — wenn er keine legalen Mittel mehr in der Hand hat — Gewalt anwenden darf, sofern es ihm um mehr Gerechtigkeit im Interesse der Menscihenrechte geht. Wie schnell ist eine solcihe Berufung erfolgt? Wie groß aber kann der daraus resultierende Schaden für die Gemeinschaft imd für unser Rechtsbewußtsein werden?

Eine schlimmere Verkennung von Recht, Gesetzlichkeit und Staatlichkeit — kurz: des Rechtsstaates — ist nicht denkbar, und daß diese Empfehlung an die Gewalt in einem Dokument steht, macäit die Sache nicht besser, sondern nur noch viel schlimmer. Denn letztendlich wird die Staatlichkeit, die staatliche Garantierung und Fördenmg der Gerechtigkeit einem jeden legal überantwortet; der Staat begibt sich in das willkürliche Ermessen eines jeden, und wir damit auch.

Es ist niederschmetternd, daß ernsthaft erwogen wird, eine solche Erwägung der römischen Bisciiofs-synode zur Entscheidung vorzulegen. Vergleicht man diese Stellungnahmen mit denen des Vatikans zu religiösen Fragen, so wird leider deutlich, daß sich auf diese Weise Welt und Kircįhe nicht versöhnen lassen: Man kann nicht in kirchlichen Fragen auf die Bremse treten, daß sie kreischt, um dann als Gegengabe an Zeitgeist, Mode und Trend und als versöhnliche Gegengabe an die in kirchlichen Dingen von Rom Enttäuschten in weltlichen Fragen derart Gas zu geben, daß die ganze Welt buchstäblich aus der Kurve fliegt.

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