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Im „Zwetschkenkern“ ist Gift

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Giftmüllskandal? Möglich, aber irgendwo in Deutschland oder in den USA. Bei uns in Österreich kann so etwas nicht passieren. Tatsächlich? Nun, es ist auch hier schon etwas passiert, man erfährt nicht genau, was. Die Vertuschungsmaschinerie hat wieder einmal perfekt funktioniert. Es soll sich um 100 bis 150 Tonnen höchstgiftiger Cyanid-Abfälle — genug, um die Einwohner von ganz Österreich auzurotten — gehandelt haben, die auf eine offene Deponie gebracht worden sind und das Grundwasser verseucht haben. Die Informierten, daraufhin angesprochen, dementieren zwar nicht, aber verweigern jede nähere Auskunft.

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Giftmüllskandal? Möglich, aber irgendwo in Deutschland oder in den USA. Bei uns in Österreich kann so etwas nicht passieren. Tatsächlich? Nun, es ist auch hier schon etwas passiert, man erfährt nicht genau, was. Die Vertuschungsmaschinerie hat wieder einmal perfekt funktioniert. Es soll sich um 100 bis 150 Tonnen höchstgiftiger Cyanid-Abfälle — genug, um die Einwohner von ganz Österreich auzurotten — gehandelt haben, die auf eine offene Deponie gebracht worden sind und das Grundwasser verseucht haben. Die Informierten, daraufhin angesprochen, dementieren zwar nicht, aber verweigern jede nähere Auskunft.

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Aber nicht nur solche Extremfälle bedrohen uns. Auch ganz legal werden wir vergiftet, ratenweise, versteht sich. Die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden wird — nicht in spektakulärer Weise, aber so unter der Hand — systematisch betrieben und auf österreichisch „bekämpft“, indem man nämlich nicht darüber redet.

So besteht für die Gemeinden nicht einmal in allen Bundesländern die Verpflichtung zur Übernahme des Hausmülls. Eine solche Verpflichtung ist nur in Niederösterreich, Vorarlberg und Tirol gesetzlich normiert. In den anderen Bundesländern ordnet der Gesetzgeber bloß an, daß die Gemeinden die Müllabfuhr nur nach den Bestimmungen des entsprechenden Landesgesetzes durchführen dürfen — falls sie sich dieser Mühe unterziehen.

Unter solchen Voraussetzungen ist es eher erstaunlich, daß doch wenigstens an die 75 Prozent der rund 1,5 Millionen Tonnen jährlich anfallenden häuslichen Unrats auf Deponien gebracht und „nur*' der Rest nach Gutdünken irgendwo hingekippt wird. Von den offiziellen Deponien sind allerdings bloß ganze 20 Prozent (!) einigermaßen umweltgerecht, die übrigen verschmutzen ihrerseits munter drauf los.

Die als großer technischer Fortschritt gepriesenen Wiener Müllverbrennungsanlagen am Flötzersteig und in der Spittelau müßten auf Grund des — gewiß nicht allzu strengen — deutschen Emissionsschutzgesetzes sofort stillgelegt werden. Speziell die Spittelauer Anlage — von den Rathauspropagandisten mit dem Kosenamen „Zwetschkenkern“ der Bevölkerung warm ans Herz gelegt —, welche sich mitten im dicht verbauten Gebiet befindet, gibt weit über der deutschen Toleranzgrenze liegende Mengen von Salzsäure und Fluorid an die Luft ab.

Wir haben es hier mit dem Modellfall einer Fehlplanung zu tun. Abgesehen davon, daß die Standortwahl total verfehlt ist, wären die Baukosten niedriger gewesen, hätte man einen sogenannten Venturi-Wäscher, der die giftigen Abgase absorbiert hätte, eingebaut. Der Kamin hätte nämlich dann nicht gegen aggressive Substanzen mit hohen Kosten ausgekleidet werden müssen, es hätte ein gemauerter und sogar niedrigerer Schornstein genügt. Aber das wäre wahrscheinlich zu einfach und zu billig gewesen.

Auf die gesundheitsschädlichen Abgase der Müllverbrennung angesprochen, reagiert der Wiener Magistrat gelassen: Die Abgase des Hausbrands seien noch viel gesundheitsschädlicher. Wahrlich, ein starker Trost! Daß man auch raucharme Briketts herstellen ^kann, hat sich bis zu uns noch nicht herumgesprochen. In Großbritannien dürfen bereits seit vielen Jahren nur mehr raucharme Brennstoffe verkauft und verheizt werden. Aber fesch, wie wir Österreicher sind, stören uns ja so ein paar Kohlenoxyde nicht. Daß Österreich, speziell aber Wien, in der Liste der Lungenkrebsfälle an vorderster Front rangiert, gehört eben zum Nationalcharakter.

Die starke Anfälligkeit der Wiener ist kein Zufall, denn in ihrer Stadt wird nicht nur sehr viel in umweltfeindlicher Weise geheizt, sondern es befindet sich hier auch das Gros der österreichischen Müllverbrennungskapazität: Wien eingerechnet, werden in Österreich 23,7 Prozent des Mülls verbrannt, ohne Wien nur 2,8 Prozent. Damit sei nichts gegen die Müllverbrennung im Prinzip gesagt. Es müßte nur für eine ordentliche Abgasentgiftung gesorgt werden.

Ganz im argen ist aber die Situation hinsichtlich der Abfallstoffe von Gewerbe und Industrie. Für sie besteht nirgends eine kommunale Beseitigungspflicht. Im Prinzip bleibt es den Betrieben selbst überlassen, wie sie mit dem Problem fertig werden, wenn auch diverse Gemeinden gewisse .Sorten von Industriemüll übernehmen, allerdings zumeist nicht den besonders schwer zu transportierenden und zu beseitigenden Spezial-müll. In Wien mit seinem besonders großen Industriemüllanfall werden überhaupt nur etwa 5 Prozent davon durch die kommunale Abfuhr übernommen.

Nun ist es zweifellos korrekt, von der Wirtschaft zu verlangen, sie möge für die Kosten der Beseitigung ihrer Abfälle selbst aufkommen. Dies entspricht durchaus dem von allen Umweltschutzexperten vertretenen Verursacherprinzip. Es bedarf aber zunächst einmal genauer und bundeseinheitlicher Vorschriften, damit die Firmen wissen, woran sie sind und damit man Problemmüll nicht einfach von einem Bundesland ins andere verlagert — wie dies auch vorkommen soll. Es bedarf des weiteren ausreichender gesetzlicher Sanktionen gegen Verstöße, und es bedarf öffentlicher Spezialdeponien — die ruhig angemessene Gebühren verlangen dürften. Daß hingegen jeder betroffene Betrieb für sich eine solche Deponie unterhält, isl unwirtschaftlich und finanziell oft nicht tragbar. Für bestimmte Spezialdeponien wird sogar die Kooperation mehrerer Bundesländer notwendig sein. Desgleichen bedarf es auch entsprechender Spezial-transportfahrzeuge.

Für die höchstgiftigen Cyanid-Salze gibt es in ganz Österreich keine geeignete Deponie. Glücklicherweise gelang es den betroffenen Firmen, in der Bundesrepublik Deutschland die Erlaubnis zu erwirken, ihre Abfälle auf deren Deponien bringen zu dürfen — ein großzügiges Entgegenkommen, das allerdings jederzeit widerrufen werden kann.

Aber nicht nur organisatorisch, auch gesetzlich ist in Österreich nicht vorgesorgt. Während die meisten westeuropäischen Staaten bereits seit einigen Jahren über Immissionsschutzgesetze verfügen, existiert in Österreich nicht einmal noch ein Entwurf. Wir besitzen zwar ein eigenes Ministerium für Gesundheit und Umweltschutz, welches auch beträchtliche Aktivität entfaltet — nur leider selten dort, wo es wirklich notwendig wäre. So kommt es, daß zwar gewisse Schutzbestimmungen in diversen Gesetzen verstreut sind, aber diese legistischen Fragmente — die vielfach sogar bis zu einem gewissen Grad kontradiktorisch sind — zusammen kein Ganzes ergeben.

Auch die Bundesländerregelungen sind lückenhaft und häufig divergent. Dies ist besonders peinlich bei zwischenstaatlichen Verhandlungen, bei denen Österreich nicht einheitlich repräsentiert wird und die einzelnen Bundesländer gelegentlich sogar stark differenzierte Standpunkte beziehen.

Es mag erstaunen, daß die „fleißigste“ Regierung der Zweiten Republik, welche sich gerne ihres enormen „Outputs“ an Gesetzen rühmt, gerade eine so wichtige Materie unbehandelt ließ. Der Grund wird bei näherem Zusehen klar: Umweltschutz ist gesellschaftspolitisch nicht brisant genug.

Wenn wir uns nämlich die legislatorische Aktivität des gegenwärtigen sozialistisch dominierten Parlaments ansehen, so sehen wir, daß fast ausschließlich Materien behandelt wurden — zumindest, so weit es sich um größere und wichtigere Gesetze handelt —, welche die „Fortentwicklung“ in Richtung auf eine sozialistische Gesellschafts- und Staatsordnung vorantreiben. Und ist ein Gegenstand nicht darauf hin angelegt, so wird er in diese Richtung verformt.

So verhält es sich mit der Hochschulreform, bei der die realen Probleme im wahrsten Sinn des Wortes links liegen bleiben, zugunsten einer dubiosen „Demokratisierung“ zurückgestellt werden, so war es bei der Spitalsreform, die letzten Endes auf eine Abschaffung der 3. Klasse hinauslief — welche jetzt unter anderem Namen ziemlich unverändert weiterexistiert.

Für den Umweltschutz wurde bisher offenbar noch nicht die gesellschaftspolitische Relevanz gefunden, daher ist er uninteressant. Es ist aber fraglich, ob man sich diese Relevanz überhaupt wünschen soll, denn wird sie gefunden, so muß man nach den bisherigen Erfahrungen damit rechnen, daß nur die gesellschaftspolitischen „Anliegen“ erledigt werden, die wirklichen Sachprobleme aber vorerst weitgehend ungelöst bleiben. Sozialismus schützt nämlich nicht vor Giftmüll — die kommunistischen Staaten konnten da schon Erfahrungen sammeln.

Wenn in Österreich trotzdem auf dem Gebiet des Umweltschutzes etwas weitergeht, so ist dies nicht ein Verdienst der Regierung. Sehr wertvolle Initiativen stammen von den wirtschaftlichen Interessenvertretungen, welche von der richtigen Einsicht ausgehen, daß Abfallbeseitigung im großen Stil nur dann Chancen hat, sich durchzusetzen, wenn sie einigermaßen wirtschaftlich betrieben wird. .

In zahlreichen Staaten — beispielsweise in Deutschland, der Schweiz, in Italien und Großbritannien, in den Niederlanden, in Belgien und in den skandinavischen Staaten wurden daher bereits sogenannte „Abfallbörsen“ eingerichtet. In Österreich folgte im Februar 1973 die Handelskammer Oberösterreich diesem Beispiel. Gegenwärtig bestehen in den verschiedenen Bundesländern bereits acht regionale Abfallbörsen, mit deren Hilfe versucht wird, die Abfälle der einen Firma zu einer anderen zu transferieren, bei welcher sie als Rohstoff gebraucht werden. Wo immer dies gelingt, dort kann, was bisher für einen Betrieb eine Belastung war, unter Umständen sogar zur Einnahmsquelle werden.

Die Chancen auf diesem Gebiet möge ein Beispiel illustrieren: Schlämme und Abwässer machen beispielsweise 89 Prozent der industriellen Abfälle in Wien aus. Sie könnten zu einem großen Teil entweder verbrannt oder zur Kompostherstellung verwendet werden. Voraussetzung ist freilich, daß die geeigneten Klärschlämme vor einer Vermischung mit giftigen Chemikalien' geschützt werden, was sowohl organisatorischer wie auch legistischer Maßnahmen bedarf.

In relativ kleinem Maßstab wird aus geeignetem Abfall bereits jetzt hochwertiger Kompost produziert, der sogar exportiert wird und sich — eben so wie im Inland — als hochwertiger Dünger bewährt hat. Hier würden sich bei entsprechender Kooperation der kompetenten Stellen zweifellos noch beachtliche Möglichkeiten ergeben.

Die an sich erfreulichen privaten Initiativen können aber nur dann in größeren Proportionen erfolgreich sein, wenn sie durch entsprechende gesetzliche Normierungen abgestützt werden. Solche brauchen wir in Österreich — aber ohne Gesellschaftspolitik.

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