Müll vermeiden - ein Lippenbekenntnis

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Zum Dossier. Die Müllwagen in Wien verkünden es Tag für Tag mit der Aufschrift: Ich wachse, Dein Müll. Trotz vieler Bemühungen bleibt es dabei: Der Abfall wird nicht weniger. Wie sich die Entwicklung in Österreich darstellt, und welche Herausforderung dies für unser Land bedeutet, ist Thema dieses Dossiers

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Zum Dossier. Die Müllwagen in Wien verkünden es Tag für Tag mit der Aufschrift: Ich wachse, Dein Müll. Trotz vieler Bemühungen bleibt es dabei: Der Abfall wird nicht weniger. Wie sich die Entwicklung in Österreich darstellt, und welche Herausforderung dies für unser Land bedeutet, ist Thema dieses Dossiers

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Als der "Club of Rome" 1973 seinen Alarmruf in Sachen "Grenzen des Wachstums" in die Welt rief, ging er im wesentlichen davon aus, daß es die Ressourcenknappheit sei, die auf Dauer das Wachsen der Wirtschaft verhindern werde. Heute ist klar, daß diese Annahme falsch war. Begrenzend wirken wird hingegen die Fähigkeit der natürlichen Systeme, die von der Industriegesellschaft erzeugten Produkte und Stoffe zu resorbieren.

Immer mehr Abfall, Abwasser und Abgase sind die eigentlich schwerwiegenden Probleme. Die längste Zeit hatte man recht gedankenlos Meere, Flüsse, Luft und Deponien mit all dem Mist belastet. In den achtziger Jahren mehrten sich die Anzeichen dafür, daß man sich auf diese Weise keineswegs ent-sorgen konnte. So begann man, mittels Vorschriften, den Umgang mit dem Abfall zu ordnen.

Ein erstes Anliegen war die Kampfansage an die Wassergefährdung, insbesondere die des Grundwassers. Strenge Regeln für die Deponierung von Abfällen waren die Folge: Die 1996 erlassene Deponieverordnung verlangt ab 2004 sogar ein so hohes Maß an Freiheit von organischen Kohlenstoffen (maximal fünf Prozent), daß eine Vorbehandlung des Restmülls unbedingt erforderlich wird. Als Verfahren bieten sich nur die Verbrennung des Mülls oder seine Behandlung durch mechanisch-biologische Verfahren an.

Auf der anderen Seite wollte man mit dem Abfallwirtschaftsgesetz erreichen, daß die zu entsorgenden Müllmengen abnehmen. Zum obersten Prinzip wurde also die Abfallvermeidung erhoben. Weiters sollte für ein möglichst umfassendes Recycling wiederverwertbarer Stoffe gesorgt werden.

Für den Bereich der Verpackung wurde in Österreich ein eigenes System eingerichtet, die ARA, die "Arge Österreichische Abfallverbände". Sie umfaßt Branchen-Recycling-Gesellschaften, die für Sammlung und Wiederverwertung von Papier, Glas, Kunststoff, Aluminium ... sorgen. Dieses System finanziert sich aus Lizenzeinnahmen, die jene Firmen zahlen, die wiederverwertbare Produkte erzeugen. Die Gesamteinnahmen des ARA-Systems lagen 1998 bei 2,65 Milliarden Schilling. Mehr als die Hälfte davon entfällt auf Kunststoffe.

Die Tarife richten sich danach, wie aufwendig es ist, die Stoffe zu sammeln und wiederzuverwerten. Dementsprechend sind die Materialverbunde und die Kunststoffe in kleinen Einheiten am teuersten.

Ziel der Regelung war es, nicht nur die Wiederverwertung zu finanzieren, sondern auch deren Kosten in die Produktpreise eingehen zu lassen. Diese Verteuerung sollte weniger aufwendige Verpackungen begünstigen.

Die Daten zeigen jedoch, daß dieser Effekt ausgeblieben ist. Linz sei als Beispiel erwähnt: Dort stieg die Abfallmenge von 58.300 Tonnen (1988) auf 76.400 (1997), beachtliche 31 Prozent, ähnlich wie in Wien: Da gab es einen Zuwachs des Abfalls von 32 Prozent zwischen 1987 und 1997. Von Müllvermeidung also keine Rede.

Sehr erfolgreich beim Sammeln Weitaus erfolgreicher aber waren die Bemühungen um ein Recycling, wie ebenfalls das Beispiel Linz zeigt: Dank der getrennten Sammlung von Papier, Glas, Biomüll und ähnlichem verringerte sich im selben Zeitraum die Menge des deponierten Mülls von 49.400 Tonnen auf 35.200 Tonnen, also um beachtliche 30 Prozent.

Diese Entwicklung ist laut Auskunft des Umweltbundesamtes für ganz Österreich kennzeichnend, obwohl sich dies aus statistischen Gründen nicht so gut über einen längeren Zeitraum belegen läßt. Für die beiden vergleichbaren Zeitpunkte 1993 und 1996 jedenfalls ergibt sich aufgrund der Abfallwirtschaftspläne (1995 und 1998) ein Plus von rund 20 Prozent.

Stark steigend ist auch die Menge der als gefährlich qualifizierten Abfälle, die wiederum statistisch recht gut erfaßt sind: ein Anstieg von 65 Prozent allein in den Jahren 1994 bis 1998 - allerdings ist zu berücksichtigen, daß in den neuesten Erhebungen auch "verunreinigte Böden" als gefährlicher Abfall eingestuft werden.

Aus all dem ist ersichtlich: Müllvermeidung wird zwar als oberstes Anliegen der Abfallpolitik hochgehalten, aber selbst von Annäherung an dieses Ziel kann nicht wirklich geredet werden. Da stellt man schon lieber die Tatsache in die Auslage, daß die Österreicher Weltmeister im Sammeln sind (im Vorjahr eine halbe Million Tonnen Papier). Der Wirtschaft, die für die Kosten der Sammlung und Verwertung aufzukommen hat, ist diese Sammelwut mittlerweile sogar schon zu viel geworden.

Sie würde das Sammelsystem sogar lieber zurückstutzen, auf keinen Fall aber weiter ausbauen. "Kostensenkung statt Quotenjagd", fordert die ARO, zuständig für das Altpapier-Recycling. Für 2001 habe man 80 Prozent Erfassungsquote angepeilt, stehe aber jetzt schon bei 84 Prozent. Ein Luxus, den sich Österreich im internationalen Wettbewerb nicht leisten könne.

Die Gemeinden bekommen diese Haltung zu spüren. Weniger Sammelbehälter, heißt es - und weniger oft entleeren. Nur: Papier, Flaschen und Alu-Dosen sind nun einmal im Umlauf. Und die Sammelbereitschaft - ein beachtliches Kapital - ist gegeben. Soll man sie den Österreichern wieder abgewöhnen? Und: Sollen sich die Bürger etwa über erhöhte Müllgebühren - notwendig, wenn die Wirtschaft nicht mehr ausreichend für das Sammelsystem aufkommt - das Sammeln quasi als Hobby selbst finanzieren?

Eines wird jedenfalls deutlich: Einem allgemeinen Trend folgend hat der ökologische Elan in den letzten Jahren auch auf dem Abfallsektor stark nachgelassen. Ökonomische "Zwänge" bekommen Vorrang. Und so hört man auch immer öfter: Wozu überhaupt noch Verpackung sammeln, wenn man diese Stoffe mit hohem Brennwert doch viel besser thermisch, also in der Müllverbrennung, nutzen könnte?

Und tatsächlich: Mit immer größerer Selbstverständlichkeit wird Müllverbrennen als die Zukunftslösung dargestellt. Keine Frage: Es gab auf diesem Sektor große technische Fortschritte. Nunmehr aber werden nur sie in den Vordergrund gerückt. Die weiterhin bestehenden massiven Einwände gegen das Verbrennen (Seite 14) spielt man jedoch herunter.

Wieder einmal wird das Bild von der perfekt funktionierenden Technik bemüht und die Bedrohung des Lebensraums bagatellisiert. Und das zentrale Anliegen der Müllvermeidung (Seite 15) verstaubt in der Schublade und man läßt ihn zum Hobby für Grünbewegte verkommen.

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