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Die Vermeidung gezielt fördern

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DIEFURCHE: Merkt man in Österreich etwas von Abfallvermeidung? Tristan1 Jorde: Als erstes ist festzustellen, daß sich gerade auf dem Sektor der industriellen Abfälle - sie sind die gefährlicheren - einiges tut. Allerdings ist zu sagen, daß man sich früher über diese Entsorgung kaum Gedanken gemacht hat. Jetzt wird sie jedoch zum Gegenstand von Überlegungen. Wenn man für die Entsorgung einer Tonne hochgiftiger Abfälle bei der EBS zum Beispiel 15.000 Schilling zahlen muß, wird es interessant, sich zu fragen, wie man diese Menge reduzieren kann.

DIEFURCHE: In welchen Sektoren gab es da Fortschritte bei der Abfallvermeidung?

JoRDE: Früher hat man zum Beispiel unbedacht und in großen Mengen Öl-Wasser-Gemische als Sonderabfall entsorgt. Nunmehr sind Verfahren relativ weit verbreitet, die die Trennung der Öl- von der Wasserphase ermöglichen. So muß man nur mehr ein Konzentrat entsorgen, was die anfallende Menge stark verringert. Oder: Früher hat man in Lackierereien jede Menge Lösungsmittel in die Gegend versprüht. Jetzt werden diese in Abzugshauben angesogen. Oder man ist auf Pulverlackierung umgestiegen. Da sind die Lösungsmittel völlig überflüssig.

DIEFURCHE: Bringt das nicht auch Kostenvorteile?

JoRDE: Ja, zweifellos. Aber es hat recht lange gedauert, bis sich in die Chefetagen durchgesprochen hat, daß sich saubere Technologien rentieren: Stoffe im Kreislauf zu führen, auf manche Problemstoffe überhaupt zu verzichten. Auf diesem Sektor tut sich also etwas.

DIEFURCHE: Also gibt es spürbar weniger Sonderabfälle? jorde: Die Norm, die klarstellt, ob ein Abfall gefährlich ist oder nicht, ist nämlich sehr biegsam, mit schwammigen Beurteilungskriterien. So geht sicher durch Umdeklarierung ein Teil der Sonderabfälle in der großen, als unbedenklich deklarierten Abfallmenge verloren. Und darüber hinaus gibt es sicher nach wie vor eine illegale Entsorgung. Gleichzeitig wird durch Hereinnahme neuer Abfälle die Sonderabfall-Menge mehr.

DIEFURCHE: Kann man etwas über deren Umfang sagen? JoRDE: Das ist äußert schwierig. Denn es gibt ja auch die sinnvolle, ordnungsgemäße Verminderung. Die Antwort über die Größenordnung wird je nach Interessenlage unterschiedlich ausfallen...

DIEFURCHE: Kann man wenigstens die gesamte Vermeidung abschätzen? JoRDE: Nein. Wir haben eine Studie über das Vermeidungspotential bei gefährlichen Abfällen gemacht. Und da steht man vor dem großen Problem der Datenerfassung. Ein Beispiel: Wenn man den Wassergehalt von Öl-Wasser-Gemischen um ein paar Prozent hinauf- oder hinuntersetzt, hat man enorme Veränderungen in den Ton-

Wenige Erfolge gab es bisher bei der Verringerung des Hausmülls. Bewährt haben sich hingegen Bemühungen, industrielle Abfalle zu reduzieren. nagen. 10.000 Tonnen auf oder ab sind da eine Lappalie. Außerdem sind die möglichen Veränderungen nach Stoffgruppen sehr unterschiedlich. Aber noch einmal: Es hat sich einiges getan. Der Trend wird sich fortsetzen. Da bin ich optimistisch und meine auch nicht, daß Unmengen im Wald landen — obwohl das sicher auch passiert.

DIEFURCHE: Wie kann man diesen Trendfördern?

JORDE: Im Moment tragen die teuren Entsorgungskosten dazu bei. Außerdem gibt es Technologieförderungen für dieses Anliegen, dann neue Instrumente wie Umwelterklärung, Öko-Audit, bei denen auch auf Entsorgung Bedacht zu nehmen ist. Und nicht zuletzt steigt der gesellschaftliche Druck. Und noch etwas: Wenn die Errichtung einer zweiten Sonderabfall-Besei-tungsanlage (in Oberösterreich oder in der Steiermark) zur Debatte steht, so kann man leicht errechnen, was das kosten wird. Da liegt die Frage nahe, was ich um dasselbe Geld auf der Vermeidungsseite tun könnte, üm den gleichen Effekt zu erzielen. Das bedeutet: Förderung des Umsteigens auf abfallärmere Technologien, Festschreibung in der Gewerbe-Ordnung, daß in Abständen eine (geförderte) Anpassung an den Stand der Technik zu erfolgen habe.

Da geht es um das Abwägen der Frage: Was kostet die Tonne entsorgter und was die Tonne vermiedener Abfälle? Und da steigt die Vermeidung viel besser aus als das simple Verbrennen.

DIEFURCHE: Ist das Problem der gefährlichen Rückstände aus der Verbrennung geläst? JORDE: In Österreich verfügen wir nicht über eine geeignete „Unter-Tag-Deponie”. Derartige Rückstände werden exportiert - nach Deutschland oder England.

DIEFURCHE: Wie sieht die Entwicklung beim konventionellen Müll aus? JoRDE: Da sind keine wirklichen Mengenreduktionen zu verzeichnen. Manche Landeshauptleute sind mit Zahlen über Tristan Jorde Abfallvermeidung (30 oder 40 Prozent) hausieren gegangen. Das hängt aber mit der getrennten Sammlung des Abfalls zusammen. Die Haushalte erzeugen nach wie vor dieselbe Menge an Abfall.

DIEFURCHE: Aber hat sich nicht die Gesamtmenge des Abfalls verringert? JoRDE: Die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Das Gesamtaufkommen im Bundesabfallwirtschaftsplan 1992 waren 44 Millionen Tonnen im Jahr und 1995 sind es 39 Millionen. Im wesentlichen ist diese Verringerung darauf zurückzuführen, daß man bei den Klärschlämmen einen anderen Wassergehalt angesetzt hat. Man muß einfach die Relativität der Zahlen klar erkennen. Die Datenlage ist auf diesem

Sektor äußerst unbefriedigend. Wirklich gut informiert ist man eigentlich nur über den Hausmüll, wenig bis gar nicht über den Industrie- und Gewerbeabfall.

DIEFURCHE: Das wird nicht erfaßt? jorde: Kein Rundesland besitzt einen seriösen Gewerbeabfall-Kataster, keines verfügt über seriöse Zahlen, was sein Bauschuttaufkommen anbelangt - und dabei sind das unglaubliche Mengen.

DIEFURCHE: Warum eigentlich? jorde: Man sagt, der Abfall sei Angelegenheit des Unternehmens. Um den Hausmüll haben sich schon seit langem die Gemeinden gekümmert. Daher ist man darüber informiert. Aber die Unternehmen waren in dieser Hinsicht auf sich selbst gestellt und konnte daher - mit geringen Einschränkungen - machen, was sie wollten. In Tirol darf beispielsweise der Hausmüll nicht von einem Entsorgungsbezirk in einen anderen, also etwa von Imst nach Kufstein, geführt werden. Fällt in Imst aber Industrieabfall an, kann er, wohin auch immer, geführt werden. Und dabei sind diese Mengen viel größer.

DIEFURCHE: Mit Industriemüll wird also großzügiger verfahren? jorde: Auch die Reglementierungen betreffen vor allem den Privatbereich.

DIEFURCHE: Was bestimmt die Abfallmengen? jorde: Die Bevölkerungszahl und das Wirtschaftswachstum. Allerdings gibt es eine geringfügige Ab-joschkoWeber koppelung der Müllmenge vom Wirtschaftswachstum. Aber einen Anstieg gibt es in der Tendenz immer noch. Wirkliche Abfallvermeidung findet derzeit nicht statt.

DIEFURCHE: Gäbe es Ansatzpunkte für echte Vermeidung? jorde: Da gibt es drei Punkte: Man müßte erstens die Wirtschaftsförderungen nach ökologischen Kritierien durchforsten. Kredite gäbe es also nur bei Einhaltung ökologischer Spielregeln. Mit bestehenden Geldern hätte das einen sehr großen Lenkungseffekt.

DIEFURCHE: Berücksichtigen das nicht Ümweltverträglwhkeitsprüfungen? jorde: Nein. Da muß man nur beweisen, daß die Nebenwirkungen nicht schädlich sind. Unberücksichtigt bleibt, ob man die bestverträgliche (abfall-oder emissionsärmste) Technik einsetzt. Die Entsorgungspreise in die Höhe zu treiben, darf nicht das einzige Mittel sein, sonst werden die Wälder zu Deponien. Dennoch muß Entsorgung etwas kosten. Das darf aber nicht die einzige Schraube sein. Der zweite Ansatz ist die öffentliche Beschaffung: Bund, Länder und Gemeinden müßten dazu übergehen, abfallarme und ökologisch verträgliche Produkte zu beschaffen. Das ergäbe einen enormen Marktimpuls. Leider existiert das nur in Ansätzen. Manchmal verzichtet ein Land etwa auf PVC. Aber das müßte konsequent durchgezogen werden, etwa im Bereich des abfallarmen Bauens.

DIEFURCHE: Was istabfallarmes Bauen? jorde: Das betrifft die Auswahl der Baustoffe, die Grundbeschaffung, den Anschluß an die Infrastruktur, die Erdbewegungen ... Weil heute der Transport so billig ist, spielen Erdbewegungen überhaupt keine Rolle mehr. Ein großes Problem wird auf uns zukommen: Die neue Art zu bauen mit einem hochkomplexen Gemisch von Rau-stoffen (Wärmedämmung, Zwischenflies, Netz, Kunststoffe...) wird Probleme bei der Entsorgung bereiten. Wer heute ein Haus aus der Gründerzeit abreißt, hat es mit 90 Prozent Ziegelbruch zu tun. Der ist harmlos zu entsorgen. Das wird es in Zukunft immer weniger geben.

DIEFURCHE: Was sollte man also tun? jorde: Statt abzureißen, erneuern, also aktive Bauschuttvermeidung. Diese Kriterien werden leider derzeit nicht konsequent bedacht.

DIEFURCHE: Ist Bauschutt denn als Abfall problematisch? JoRDE: Derzeit ist er mehr ein Mengenproblem, er wird aber zunehmend auch zum Qualitätsproblem. Es kommen immer mehr Kabeln, Kunststoffe, Bodenbeläge hinein. Auch da sind übrigens die Bescheide für die Deponien oft sehr wenig eindeutig formuliert, sodaß problematische Deponierungen nicht klar verboten werden. Was ist etwa „hygienisch einwandfreier Bauschutt”?

DIEFURCHE: Und der dritte Bereich von Maßnahmen zur Müllvermeidung? JORDE: Die Beratung - und zwar nicht nur für Haushalte, sondern für Unternehmen. Es bedarf einer Betriebsberatung, die auf Möglichkeiten des ökologischen Wirtschaftens hinweist. Das gilt es zu forcieren. Abfallvermeidung wird nicht funktionieren, wenn man darin eine Herausforderung zur Aktivität sieht: Da ist Geld aufzubringen, Ressourcen sind zur Verfügung zu stellen, Leute müssen eingesetzt werden. Nur Konsumverzicht zu fordern, wird nicht genügen. Unternehmen lassen sich ja in anderer Hinsicht auch beraten.

DIEFURCHE: Wäre das eine privatwirt-schafiliche Aktivität3 jorde: Unbedingt. Umweltbetriebsberater gibt es ja schon. Sie führen aber eher noch ein Alibidasein. Es besteht derzeit die Gefahr, daß dies ins Seichte abgleitet. Unter dem Motto: Wer in drei Mistkübeln getrennt Abfall sammelt, ist ein ökologischer Betrieb. Hier müßte die öffentliche Hand für eine Qualitätssicherung bei der Beratung sorgen: Mindestanforderungen an eine Umweltbetriebsprüfung.

DIeFdrche: Sind Bemühungen um ökologisches Wirtschaften nicht durch die zunehmende internationale Konkurrenz gefährdet3 jorde: Ja, dramatisch. Auch der EU-Beitritt macht dies schlimmer. Man kommt dann mit Zahlen über die hohen Umweltschutzausgaben in Osterreich. Wer genauer hinsieht, erkennt, daß ein hoher Anteil der Aufwendung vom Staat getragen wird. Bei den Unternehmensaufwendungen liegen wir maximal im Mittelfeld. Aber dieser Aufwand wird, wie gesagt, als Argument dafür verwendet, daß man in Österreich bremsen müßte. Zu sagen ist außerdem, daß die Lohnhöhe weitaus mehr ins Gewicht fällt als die höheren Umweltkosten.

DIEFURCHE: Wird man langfristig mit solchen Detailmaßnahmen das Auslangenfinden? jorde: Die Frage, ob wir auf Dauer immer mehr Stoffe durch unser System schleusen können, wird nicht wirklich ernsthaft gestellt. Darüber zerbricht man sich bestenfalls im Club of Borne den Kopf. Auf politischer Ebene ist das kein Thema. Aber es ist offenkundig: Wir müssen neue Wohlstandsmodelle entwickeln. Ökosteuern wären Impulsgeber in diese Bichtung. Denn die westlichen Industrienationen werden sich dramatisch einschränken müssen. Derzeit schaffen wir es aber nicht einmal, unsere Lage auch nur zu stabilisieren.

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