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Flexibler Einsatz an der Grenze

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Fast abgeschlossen ist die Umgliederung des österreichischen Bundesheeres. Erfolgreich wird sie nur sein, wenn in das Heer investiert wird.

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Fast abgeschlossen ist die Umgliederung des österreichischen Bundesheeres. Erfolgreich wird sie nur sein, wenn in das Heer investiert wird.

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DieFurche: Was sind die Kennzeichen der Heeresreform?

Karl MAJCEN: Um darauf Antwort zu geben, muß ich einen kurzen Rückblick anstellen: 1990 trafen sich alle europäischen Staatsoberhäupter in Paris. Da wurde offiziell der Kalte Krieg als beendigt erklärt. Das sicherheitspolitische Umfeld hatte sich geändert. Für Osterreich war da folgendes zu bedenken: Wir hatten ein Milizheer, das unter normalen Bedingungen als Heer gar nicht vorhanden war. Das Bundesheer war in Friedenszeiten nur eine Schulorganisation. Aus dem Stand heraus konnte es nicht eingesetzt werden. Zwar gab es das Konzept einer Bereitschaftstruppe (im wesentlichen die Fanzergrenadiere), aber auch diese Truppenkörper wTaren mobilma-chungsabhängig.

DieFurche: Mit Beginn der neunziger Jahre war dieses Konzept also obsolet*

MAJCEN: Es war offenkundig: Wir brauchten eine möglichst rasche Reaktionsfähigkeit, um mit „kleineren” Bedrohungsfällen fertig zu werden. So ein Instrument mußte also geschaffen werden. Es sollte - wie der Slogan lautet - „schützen und helfen - wenn andere nicht mehr können.” Wir sind bei der Konzeption vom Fortbestand der Wehrpflicht und von gleichbleibender Dienstzeit (mit der kleinen Veränderung, daß an den Grundwehrdienst von sechs Monaten ein siebentes unmittelbar angeschlossen werden konnte) ausgegangen. Vorgegeben war, daß ständig 10.000 Mann für Einsätze zur Verfügung stehen sollten.

DieFurche: Ist diese Umstellung abgeschlossen?

MAJCEN: Sie wird bis Ende 1995 abgeschlossen sein. Die Umgliederung war nicht einfach durchzuführen, weil wir sie ohne zusätzlichen Investitionsschub durchführen mußten. Genaugenommen hatten wir Einbußen zu verkraften: In der letzten I^egislaturperiode haben wir real ein Jahresbudget an Investitionen verloren. Außerdem mußte der Wandel ja in Sicherheit stattfinden. Das Militär konnte ja nicht einfach ein Jahr lang wegen Umbaus zusperren.

DieFurche: Hie sieht die neue Struktur aus?

MAJCEN: Von einer vorher vorgesehen Einsatzstärke von 200.000 Mann sind wir auf 120.000 Mann (plus 30.000 Reserve) zurückgegangen. Die Zahl der Verbände wurde um fast ein Drittel reduziert. Dabei haben wir eine Verdichtung erreicht: jüngere und besser qualifizierte Leute. Truppenübungen sind von nun an innerhalb von zehn Jahren nach Ableistung des Grundwehrdienstes zu absolvieren. Wo früher nur ein Gefreiter für eine Funktion verfügbar war, können wir heute einen Unteroffizier heranziehen. Weit über 75 Prozent der Verbände sind in die neue Gliederung übergeleitet. Außerdem darf der Verteidigungsminister im Bedarfsfall diese Einsatztruppe um weitere 5.000 Mann aufstocken, ohne auf das Instrument der Mobilmachung zurückgreifen zu müssen.

DieFurche: Was kann diese Einsatztruppe nun tatsächlich leisten?

MAJCEN: Da ist eine allgemeine Antwort schwer. Daher ein Beispiel: Bei dem Assistenzeinsatz an der ungarischen Grenze (ein Abschnitt von 300 Kilometern) haben wir im Durchschnitt das ganze Jahr über 1.500 Mann stehen - jeweils für eine Dauer von vier Wochen. Das bedeutet, daß 12.000 bis 15.000 Grundwehrdiener dort pro Jahr zum Einsatz kommen. Wären solche Einsätze in größerem Maße erforderlich, so könnten wir sie sofort auch noch an der March und der nördlichen Grenze erbringen, also größere Teile der österreichischen Grenze sichern und überwachen.

DieFurche: Könnte die Einsatztruppe beispielsweise das Grazer Becken gegen einen Angriff aus dem Süden effizient verteidigen3 MAJCKN: Sicher reichen 15.000 Mann nicht, um dort einen konkreten Verteidigungsfall zu bewältigen. Aber wir rechnen heute nicht mehr mit kampfbereiten Verbänden, die auf Knopfdruck losmarschieren, bei unseren Nachbarn. Ein Angriff müßte dort vorbereitet werden.

Dann könnte Österreich mobilmachen.

DIEFURCHE: Müßte ein Milizheer nicht auch Mobilmachung üben3

MAJCEN: Wichtig wäre es schon. Innerhalb des Heeres wird manches auch geübt. Jede Truppenübung beginnt mit einer Formierung des Verbandes. Regelmäßig werden Ubungsalarme auf allen Stufen abgehalten. Hier sind erhebliche Fortschritte gemacht worden. Eine Mobilmachung zu üben, darüber müßte aber die Politik entscheiden, weil so viele Bereiche davon betroffen wären.

DieFurche: Wie ist diese Einsatztruppe zusammengesetzt?

MAJCEN: Da sind Infanteristen, Pioniere (für Katastropheneinsätze wichtig), mechanisierte Kräfte, Luftstreitkräfte... Ein weiteres Kennzeichen ist das völlige Abgehen von der Gebundenheit an einen bestimmten Raum, wie sie die frühere Doktrin vorsah. Jetzt passiert es, daß Vorarlberger an der burgenländischen Grenze zum Einsatz kommen. Vom Soldaten wird also - wie überall sonst auch - Mobilität gefordert.

DieFurche: Wie hat der militärische Kader diese neuerliche Reform aufgenommen?

MAJCEN: Alle waren sich darüber klar, daß eine Reform notwendig geworden war. Zum Teil war damit die Hoffnung verbunden, es würde auch zu einer (den besonderen Gegebenheiten des Militärs Rechnung tragenden) Besoldungsreform kommen. Jedenfalls kann man sagen, daß das Kaderpersonal voll mitgezogen hat. Wirklich bemerkenswert. Natürlich gab es bei vielen Sorgen, weil eine Umgliederung auch mit Verunsicherung verbunden ist (welcher Einsatzort? welche Verwendung?). Probleme zeichnen sich allerdings mit den für heuer vorgesehenen Einsparungen ab.

DieFurche: Gefährdet das die Heranführung an den europäischen Standard? Wo ist dieser in Osterreich nicht erreicht3

MAJCEN: Einen WEU-Standard gibt es nicht. In manchen Staaten ist die Ausrüstung nicht besser als bei uns: Auch sie'haben den M60A3-Panzer wie wir. Bei der Ausbildung von Offizieren und Unteroffizieren, bei der Ausrüstung des Soldaten, bei den Handfeuerwaffen brauchen wir den Vergleich mit anderen Ländern nicht zu scheuen. Viele beneiden uns um unser Sturmgewehr. Wenn wir Leute zu Kursen ins Ausland schicken oder bei UN-Einsätzen, schneiden unsere Leute gut ab. Vergangenes Jahr hat unser Bataillon in Zypern alle Wettkämpfe gewonnen - selbst gegen die englischen Berufssoldaten. Unsere Soldaten sind gut ausgebildet.

DieFurche: Ein Verdienst des Heeres?

MAJCEN: Ja, aber nicht nur. Die Österreicher sivd ein intelligentes, ein vifes Volk. Außerdem haben wir einen hohen Bildungs- und Ausbildungsstandard. Durch unser Berufsschulwesen haben die Leute ein Wissen, um das uns die anderen beneiden. Wir profitieren von den Kenntnissen, die die Rekruten mitbringen.

DieFurche: Und die Motivation?

MajceN: Sie ist relativ gut. Natürlich reißen sich die meisten nicht darum, Soldat zu werden. Aber wer einmal da ist, macht keine Probleme. Immer wieder wundern sich Delegationen aus dem Ausland, wie gut die Motivation in unserem Heer ist.

DieFurche: Verschlechtert sie sich? Eigentlich nicht auf spürbare Weise. Bei Befragungen schneidet das Heer zwar oft nicht gut ab. Aber welcher junge Mann gibt schon zu, daß es beim Bundesheer „klaß” gewesen ist? Die Wirklichkeit jedoch ist anders. Ausländische Offiziere wundern sich, wie sehr unser Militär immer noch in der Bevölkerung integriert ist - jedenfalls viel mehr als in vielen anderen Staaten. Darüber berichten die Zeitungen allerdings nicht

DieFurche: Setzt das Militär aber diese Bereitschaß auch ausreichend in sinnvolle Aktivitäten während der Dienstzeit um?

MAJCEN: Das ist ein wunder Punkt. Wir müssen den Kader in dieser Hinsicht besser auf seine Aufgaben einstellen. In der Unteroffiziersausbildung zum Beispiel soll die pädagogische Befähigung verstärkt gefördert werden.

DieFurche: Hat das Bundesheer Nachivuchssorgen3 MVK.I.Y Bei den Zeitsoldaten habet! wir das Tal durchschritten - auch durch materielle und rechtliche Besserstellung.

DieFurche: Ist also alles in Ordnung oder gibt es Schwachstellen?

MAJCEN: Investiert werden muß im Bereich der Führungsmittel, der Mittel zur Ausbildung (zum Beispiel Simulatoren, I^hrsäle, die Gefechtsstände abbilden), im gesamten Bereich der Luftstreitkräfte, der Fliegerabwehr, des Einsatzes des Radschützenpanzers. Der alte Schützenpanzer ist eigentlich am Ende und muß ersetzt werden.

DieFurche: Was bedeutet das an finanziellem Aufwand?

MAJCEN: Für die nächsten zehn Jahre haben wir einen Investitionsbedarf von 60 Milliarden Schilling aufwärts angemeldet. Wenn es aber bei den Mitteln einen Einbruch gibt, werden wir den gestellten Aufgaben nicht gerecht werden können. Ein halbwegs entsprechender materieller Einsatz ist gerade im Hinblick auf eine Integration ins europäische Si cherheitssystem notwendig.

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