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Für eine Entkrampßmg der Diskussion

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DIEFURCHE: Welche Perspektiven sehen Siefiir die kulturelle Entwicklung in Osterreich ?

Rudolf Schölten: In der nächsten Zukunft scheint es mir um drei Punkte zu gehen: Da ist einmal die Aufgabe der Vermittlung zeitgenössischer Kunst an ihr Publikum, und zwar muß dies besser geschehen als in der Vergangenheit. Damit in Verbindung steht der zweite Aspekt, der eher die Gesellschaft betrifft, nämlich daß sie wieder eine Gesellschaft wird, deren Prinzip Neugierde ist und nicht Abwehr von Unbekanntem. Und als dritter Schwerpunkt scheint mir, längerfristig gesehen, die inhaltliche Versöhnung zwischen offensiv wirkender Kunst und sogenannter populärer Kunst. Es gibt bereits Hinweise .darauf, das dieser Prozeß in Gang gekommen ist und ich glaube, daß er sich verstärken wird. Ich halte das für eine positive Entwicklung, die natürlich nicht zu Lasten der ästhetischen Qualität, der Qualität überhaupt gehen darf. Hier würde sich auch der Kreis zur Vermittlungsaufgabe schließen. Den Versuch, sich stärker dem Publikum zu öffnen, hielte ich für sehr wichtig.

DIEFURCHE: Man kann ja nur wünschen, daß sich diese Entwicklungen verstärken Aber was kann die Kulturpolitik dazu beitragen? schölten: Diese Entwicklung funktioniert nur, wenn die beiden Pole aufeinander reagieren. Wenn die Kunst die Vermittlungsaufgabe ernster nimmt, kann das nur erfolgreich sein, wenn in der Öffentlichkeit das Prinzip Neugierde wieder stärker wird. Derzeit geht man ja in der Öffentlichkeit vielfach nur mehr von pauschalen Verurteilungen aus -auch ich pauschaliere hier jetzt natürlich -, die einfach unintelligent sind. Solange dieses Prinzip herrscht, und man sich in erster Linie selbst einen Gefallen bereitet durch verkürzte Verurteilungen, solange nützt die Vermittlungsarbeit nichts. Die kann nur funktionieren, wenn beide Seiten diese vereinfachten Positionen aufgeben. Das gilt im übrigen auch für die politische Debatte. Wenn wir pauschal Personen als Katastrophen beschreiben, spricht dies meist für die mangelnde Intelligenz der Formulierer und zerstört die Qualität der Debatte. Auch in der Kulturpolitik wollen wir die Vermittlungsidee stärker zur Bedingung machen. Das geschieht bereits im Anfangsstadium. In der öffentlichen Debatte sollte eine Entkrampfung stattfinden. Wenn man bedenkt, wie viele von denen, die überhaupt nicht angegriffen werden, sich plötzlich pauschal angegriffen fühlen durch Äußerungen einzelner Künstler, dann halte ich das für eine Wichtigtuerei - in Wirklichkeit hat nie jemand an die Personen gedacht, die sich jetzt angegriffen fühlen! Da stilisieren sich Personen zum Opfer, die gar nicht gemeint waren. Die öffentliche Debatte müßte wesentlich differenzierter, mehr in inhaltlicher Hinsicht geführt werden. Es müßte auch hier die Neugier den Vorrang haben. Wenn eine Entspannung stattfindet, dann erwarte ich eine starke Dynamik des Aufeinander-Zuge-hens. Die Öffentlichkeit und die Kreativen sollten sich mehr einander annähern.

DIEFURCHE: Nach den Debatten der letzten Zeit hätte man allerdings den Eindruck, daß ganz im Gegenteil die Auseinandersetzungen eskalieren Das Bedürfnis, Anteilnahme zu erregen, sich zu produzieren, die Stimmung aufzuheizen, hat ja zugenommen. In der Peymann-Debatte scheinen alle Beteiligten von Jahr zu Jahr allergischer zu werden Von einem gedeihlichen und differenzierten Dialog ist man noch weit entfernt schölten: Diese Debatte ist ja ein Beispiel dafür, daß nicht inhaltlich diskutiert wird. Der Anteil derer, die über das Burgtheater diskutieren anhand der Vorstellungen, die sie gesehen haben, ist ja minimal gegenüber jenen, die darüber reden mit dem Beisatz „Aber ich war schon lange nicht mehr dort!” Und das womöglich mit Stolz und Selbstbewußtsein. Das ist die typische Konversation zum Burgtheater mit mir: Jemand findet die Arbeit am Burgtheater schlecht, auf meine Frage „Was hat Ihnen denn nicht gefallen?” ist die Antwort „Dort gehe ich ja schon lange nicht mehr hin.” Dann geht es aber nur mehr um eine Sympathiediskussion, nicht mehr ums Theater. Eine nette fördert würden. Darauf weiß der Frager dann meist keine Antwort. Das Spektrum dessen, was öffentlich mitfinanziert wird, weil es einfach notwendig ist, dies zu tun, ist ja wesentlich breiter als die Beispiele, die immer wieder genannt werden. Ganz sicher werden hier auch in Zukunft kulturpolitisch keine Grenzen gezogen. Diese Zuschreibung muß ich mir zwar gefallen lassen, sie ist aber leider falsch. Die breite Palette von Theatern, Projekten, Kulturinitiativen, die das Ministerium finanziert, entspricht zum Teil überhaupt nicht dem mir zugeschriebenen Klischee.

DIEFURCHE: Mit dieser falsch geführten Diskussion müssen Sie sozusagen leben...

Schölten: Gerade heute haben wir für die Neubestellung eines bestimmten Beirates im Ministerium in erster Linie darüber diskutiert, wie wir durch die Zusammensetzung dieses Beirates ästhetische Einseitigkeiten verhindern können. Gleichzeitig werden einem Freundschaften zu Künstlerkreisen nachgesagt, die pikanterweise vom Kunstministerium gar kei-

Facette dazu habe ich in den letzten Tagen kennengelernt bei Leuten, die von sich sagen, sie gingen häufig ins Burgtheater, hätten dort auch Aufführungen gesehen, die sie sehr beeindruckten, aber „Der Peymann macht das Burgtheater kaputt!” Das ist ja irgendwie grotesk. Das wahrlich schädliche dieser Diskussion ist, daß die Debatte über inhaltliche, ästhetische, künstlerische Fragen gar nicht mehr stattfindet, weil man nur mehr in Überschriften denkt. Damit wird aber auch der Kunst Schaden zugefügt. Die Kunst braucht die kritische Debatte über sich selbst.

DIEFURCHE: Für eine positive Entwicklung des kulturellen Klimas in Osterreich wäre eine gewisse Offenheit und Bereitwilligkeit zum Gespräch unbedingt notwendig.

Schölten: Es wird unserem Ministerium ja auch nachgesagt, daß nur bestimmte Formen von Kunst finanziert und gefördert würden. Da ist meine Rückfrage immer, welche Kunstrichtungen und -bereiche denn nicht gene Förderungen bekommen. Das führt sogar dazu, daß ich mir als Kunstminister den absurden Vorwurf gefallen lassen muß, daß ich Künstler kenne. In Wirklichkeit hat das alles nichts mit Förderentscheidungen zu tun.

Ich bin beispielsweise mit Elfriede Jelinek leider gar nicht so gut befreundet, wie mir das nachgesagt wird. Aber sie bedarf auch keiner Förderungen, sie verkauft ihre Bücher ja höchst erfolgreich. Oder Peter Turri-ni, mit dem ich wirklich befreundet bin: der war im vorigen Jahr der meistgespielte deutschsprachige Autor in Deutschland, und verkauft seine Bücher ebenfalls sehr erfolgreich.

DIEFURCHE: Welche Rollen könnte der EU-Beitritt für die kulturelle Entwicklung in Österreich spielen3 schölten: In der Reihe der EU-Förderprogramme für Kultur ist es unsere Aufgabe, möglichst viele österreichische Projekte durchzubringen. Dann gibt es noch eher technische Veränderungen durch den Beitritt, beispielsweise im Bereich der Akkor-dierung des Urheberrechtes, was Auswirkungen für die österreichischen Autoren und Komponisten hat, oder des Steuerrechtes. Österreich muß sich in den Kultur-Förderprogrammen der EU bewähren, das gelingt bisher gut.

DIEFURCHE: Welche Beispiele gibt es dafür?

Schölten: Beispielsweise hat die hohe Einstufung des Burgenlandes in der Regionalförderung der EU mit sich gebracht, daß auch kulturelle Projekte im Burgenland davon profitieren. So wird die sehr profilierte Kulturinitiative „Offenes Haus Oberwart” EU-Finanzierungen erhalten. Das hat dann die Konsequenz, daß es auch eine österreichische Begleitfinanzierung dazu geben muß. Das ist also eine doppelt positive Auswirkung für die Betroffenen.

DIEFURCHE: Unmittelbar vor dem EU-Beitritt ging es auch um die Frage der Zulässigkeit der österreichischen Vzr-lagsförderung durch öffentliche Mittel und um die Filmförderung? schölten: Nach dem Dreivierteljahr EU-Mitgliedschaft kann ich nur sagen, daß EU-Kulturminister kleinerer Staaten bereits einige Male nach den Bedingungen der österreichischen Verlagsförderung gefragt haben, weil sie unser Modell auch für sich anwendbar halten. Niemand hat geäußert, daß diese öffentliche Verlagsförderung nicht zulässig sei, sie scheint vollkommen akzeptiert.

DIEFURCHE: Und bei der Filmförderung?

Schölten: Die auf den europäischen Film bezogenen EU-Förderungsprogramme müssen Kofinanzierungen von drei Partnern sein, dabei sind auch österreichische Projekte vertreten. Auch hier möchten wir möglichst viel für uns herausholen. Wir sind mit Sicherheit unter den EU-Neulingen diejenigen, die im Kulturbereich bereits am meisten an Förderungen für sich gewonnen haben. Aber deswegen, weil es heuer gut läuft, und zwar besser, als dies Anfang des Jahres zu erwarten war, muß man trotzdem dieses Match jedes Jahr neu spielen. Es ist zweifellos ein Vorteil, wenn österreichischen Projekten eine hohe qualitative Wertschätzung entgegengebracht wird, aber wir müssen immer wieder gute Projekte vorlegen können, um EU-Fördermittel zu erhalten.

DIEFURCHE: Erfüllen die österreichischen Förderungswerber alle von der EU vorgegeben Auflagen oder gibt es da Schwierigkeiten? schölten: Das Ministerium und die Landesregierungen haben Beratungsstellen eingerichtet, die Förderwerber sind meist sehr professionell. Ich kenne keinen Fall, in dem wir uns blamiert hätten, weil jemand Mittel anspricht und keinerlei Berechtigung dazu hat. Mit der „Österreichischen Kulturdokumentation” haben wir dafür eine Stelle, die hier wertvolle Arbeit leistet.

DIEFURCHE: Für die von Ihnen eingangs angesprochene Vermittlertätigkeit zwischen Künstlern und Öffentlichkeit wären ja einerseits die Schulen besonders angesprochen, anderseits die Erwachsenenbildung. ScHOLTENt Es gibt kaum Kinder, die gegen zeitgenössische Kunst aggressiv sind, das ist schon ein klassisches Thema der Erwachsenen. Der Zugang von Kindern zu Kunst ist ja beneidenswert direkt. In den Schulen konzentriert sich das Österreichische Kulturservice auf diese Vermittlungstätigkeit, die machen das hervorragend.

Natürlich müßten nicht nur Erwachsenenbildungseinrichtungen sich mit dem Thema Kunst und Öffentlichkeit beschäftige, sondern auch die Medien müßten dieses Ziel der Vermittlung verfolgen. Viele Kulturjournalisten schreiben, weil sie Reputation in der eigenen, sehr kunstnahen Sozialisation gewinnen wollen und nicht, weil es ihnen um ein breites Publikum geht. Das Renommee in der Branche ist umso höher, je weniger Publikum durch eine Theaterkritik, durch eine Ausstellungsbeschreibung erreicht wird. Auch die Organisatoren im Kunstbereich wären davon betroffen. Wenn beispielweise eine Ausstellung vor allem attraktiv für die eigene Kollegenschaft gestaltet wird und nicht interessant für ein weniger informiertes Publikum! Das sehen manche Ausstellungsmacher nicht als so dringend an. Wir wollen auch hier in Zukunft Anreize setzen, mit Preisen, Extrafinanzierungen und so weiter. Es gibt also schon Vermittlungsinstrumente, die sich allerdings zum Teil in eine Richtung entwickelt haben, die mit der ursprünglichen Aufgabe nur mehr wenig zu tun hat. Die Finanzierung ist da ein Hebel, mit dem wir motivierend eingreifen können.

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