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Lernt, Österreicher und Europäer zugleich sein!

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dieFurche: Was sind Ihre wichtigsten Erfahrungen nach 100 Tagen im Amt als EU-Kommissar? Franz FISCHLER; Die schönste Erfahrung ist: Osterreich ist willkommen in der Europäischen Union. Das ist nicht nur so ein Gerede. Von Österreich erwartet man viel in be-zug auf ost- und mitteleuropäische Staaten. Hier könnte Österreich eine Rrückenfunktion übernehmen. Eine zweite Erfahrung ist die Professionalität, mit der hier gearbeitet wird. Daran schließt sich die dritte: Das Zusammenleben und die Zusammenarbeit von zum Teil völlig willkürlich zusammengewürfelten Leuten funktioniert in Rrüssel sehr gut. Das liegt daran, daß es neben der fachlichen und sachlichen auch eine menschliche Ebene gibt. Hier ist jeder bemüht, dem anderen behilflich zu sein.

Was man also hier nicht kennt, ist die in Wien so gern geübte Wadel-beisserei. Aber Wien ist ja bekanntlich anders. Das liest man schon, bevor man in die Stadt hineinfährt.

dieFi'RCHE: Die Kommission ist ein kollektives Organ Inwieweit hat man da Handlungsspielraum, inwiefern sind eigene Ideen und Pläne gefragt FlSCHLKR: Für das Sachgebiet, für das ein Kommissär zuständig ist, wird erwartet, daß er Ideen in die Kommission einbringt, daß dort überhaupt etwas vorhanden ist, was diskutiert werden kann. Wobei klarerweise für die Entwicklung solcher Ideen und Vorstellungen die enge Zusammenarbeit mit der Reamten-schaft der EU notwendig ist. Wenn es einen Vorschlag gibt, dann wird der in der Kommission ausgiebig diskutiert, wenn er gut ist, beschlossen. Man hat sehr gute Möglichkeiten, sich einzubringen und etwas zu erreichen.

DIEFURCHE: Die Anfänge eines vereinten Europa basierten auf der Vision eines christlichen Europa Was ist davon im alltäglichen Leben der Europäischen Union geblieben? FlSCHLER: Also ich muß ganz offen sagen: Im täglichen Retrieb der EU ist von „christlich” wenig zu spüren. Eine christliche Weltanschauung als Grundkonzept für das politische Handeln ist zur Zeit sicher nicht spürbar. Auch nicht unausgesprochen. Man kann jedoch sagen, daß die handelnden Personen von einem sehr hohen Grad an Humanismus geprägt sind.

diefurche: Wie sehen Sie die Möglichkeiten, daß christliche Politiker trotzdem diese Idee vom christlichen Europa verwirklichen könnten? FlSCHLKR: Die jetzige Situation sehe ich als Auftrag für diejenigen, die sich aus einem christlichen Verständnis heraus verantwortlich fühlen und die aus diesem Verständnis heraus handeln. Ich glaube, man sollte sich aber nicht das Christentum des 19. Jahrhunderts als Vorbild nehmen oder gar die Gegenreformation. Das Christentum hat durch das II. Vatikanum einen enormen Wandel erfahren. Christentum lebt heute stärker in Gemeinden und lebt auch wieder stärker von der Überzeugung. Christlicher Glaube ist weniger ein politisches Programm. Der politische Katholizismus ist eine Erscheinungsform der Vergangenheit, die in Österreich ungute Spuren hinterlassen hat.

DIEFURCHE: Das entspricht ja eigentlich auch dem Bild eines Robert Schuman

FlSCHLER: Ja, die Väter der Europäischen Union waren durchwegs christliche oder christlich-soziale Po-

litiker. Nur die haben auch nicht ständig ihr Christentum wie eine Prozessionsfahne vorangetragen, sondern die haben ganz pragmatische und eben auch politische Ziele verfolgt. Aber sie waren eben geprägt von einem gewissen christlichen Verständnis. Und ich glaub', nur so kann das auch in der Zukunft gehen. Eine christliche Politik ist nicht dann gut, wenn jeder gewissermaßen das Christentum als Personalausweis mit sich führt, sondern sie ist dann gut, wenn objektiv christliche Elemente in dieser Politik wiederzufinden sind.

DIEFURCHE: Welche Elemente wären das für Sie?

FlSCHLER: Zu diesen Elementen gehören die Freiheit, die Gerechtigkeit, die soziale Verantwortung, die Verantwortung gegenüber der Schöpfung oder Respekt vor Familien, um nur die wichtigsten zu nennen.

DIEFURCHE: Wie sehen Sie die Rolle der Europäischen Bischofskonferenz in der Europäischen Union1 FlSCHLER: Ich glaube nicht, daß sich die Europäische Rischofskonferenz unmittelbar in das politische Geschehen der EU einschalten wird. Ich meine eher, daß die Kirche wei-

ter Äquidistanz zu den demokratischen Kräften in der Politik üben wird.

DIEFURCHE: Welche Tips beziehungsweise Ratschläge können Sie Österreichern aus Brüssel gebend FlSCHLER: Das mag vielleicht jetzt etwas komisch klingen, aber: Europa gehört der Jugend. Daher mein Tip vor allem für alle Schüler und Studenten: Engagement für Europa zahlt sich aus! Allerdings muß man sich frühzeitig das nötige Rüstzeug holen, damit man sich in Europa bewegen und behaupten kann. Und darüber hinaus ist es ganz einfach spannend und reizvoll, sozusagen einmal die österreichische Insel zu verlassen, um die Dinge in einem größeren Kontext zu sehen.

Das eigene Land und die eigene Heimat wird dann ganz anders gesehen, wobei dieses „Anders-sehen” nicht von oben herunter sein muß. Das „Anders-sehen” ist, daß man dann auf neue Art und Weise sein eigenes Land lieben und schätzen lernt. Man muß das mehr begreifen im Sinne einer inneren Spannung. Wir müssen lernen, wie man Österreicher und Europäer zugleich sein kann. Und wie das eine auch das andere befruchten, sowie das eine dem anderen nützen kann.

Darum geht es und ich glaube, auch wir müssen begreifen: In einer Zeit, wo wir gewisse Teile unserer Souveränität einet supranationalen Struktur übergeben, freiwillig und aus eigenen Interessen heraus, daß wir dann auch ein entsprechendes Gegengewicht brauchen. Ein solches Gegengewicht ist für mich zum Rei-spiel das Prinzip der patria. Das ist etwas, was gerade in einer Zeit der Internationalisierung wiederentdeckt werden wird. Diese Spannung zwischen Interna-tionalität und Heimat kann sehr bereichernd sein. Es gibt ja verschiedene Grundspannungen in der Gesellschaft, etwa die Spannung zwischen den Generationen oder zwischen den Geschlechtern.

Genauso wichtig ist die Grundspannung, die herrscht zwischen dem, wo ich zu Hause bin, und dem, was so die Welt bedeutet.

dieFurche: Wie beurteilen Sie die Chancen Osteuropas, in die EU zu kommen^

FlSCHLER: Vorrangig für die Regierungskonferenz 1996 ist die Institutionenreform. Das ist eine Grundvoraussetzung für eine mögliche Osterweiterung. Die Hauptfrage ist: Wie kann man Europa näher an die Rürger bringen? Wie kann das Gefühl der Überbürokratisierung gemindert werden? Wenn wir nicht in der Lage sind, glaubhafte Antworten darauf zu geben, dann wird es nicht nur zu der in den letzten Jahren viel-zitierten Eurosklerose oder zum Euroskeptizismus kommen, sondern dann wird es vor allem sehr starke Renationalisierungstendenzen geben. Das hielte ich für enorm gefährlich.

DIEFURCHE: Wie sehen Sie die praktischen Auswirkungen* FlSCHLER: Eine EU mit 25 Mitgliedsstaaten wirft doch einige Probleme auf. Wie kann das Europaparlament arbeiten, wenn da 1.000 Abgeordnete sind? Wird das dann so etwas ähnliches wie der Oberste Sowjet? Wie wird die Handlungsfähigkeit aufrechterhalten werden können, wenn es 31 Kommissäre gibt? Die Kommission soll ja als Kollegialorgan agieren.

Stellen Sie sich vor, wenn jeder nur drei Minuten Redezeit hat, brauchen Sie für einen Tagesordnungspunkt 90 Minuten. Dazu kommt noch eine Diskussion und die Abstimmung. Noch schwieriger wird die Frage des Rates: Wird da die Einstimmigkeit als Entscheidungsprinzip aufrechterhalten werden können? Vielleicht wird man sich auch im Rat die Einführung von Mehrheitsentscheidungen überlegen müssen. Das Vetorecht ist eigentlich kein demokratisches Recht und wird wahrscheinlich fallen müssen, auch wenn das Abtreten des Vetorechts eine Souveränitätsbeschränkung der Mitgliedsstaaten bedeutet.

DIEFURCHE: Wird sich die EU auf einige Arbeitssprachen beschränken? FlSCHLER: Jede neue Sprache, und bei einer Osterweiterung kämen neue hinzu, trägt ein exponentielles Wachstum in sich. Da kommt nicht nur die Sprache hinzu, sondern man muß auch die ganzen Querüberset -zungsnotwendigkeiten sehen. Dann werden die Dolmetschdienste der

EU explodieren. Rezüglich des Sprachenproblems gibt es zwei Positionen. Die eine sagt, Demokratie ist nicht gratis, wenn man auf europäischer Ebene zusammenarbeiten will, muß man sich diesen Luxus einfach leisten. Dieser Standpunkt hat die Schwäche, daß es Differenzen in den offiziellen Texten gibt. Das führt zu unzähligen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Auf der anderen Seite gibt es Anhänger jener Schule, die sagt: Es kann in einer größer werdenden Union nicht angehen, daß man mit so vielen Sprachen operiert. Man muß sich auf ganz wenige Arbeitssprachen beschränken.

DIEFURCHE: Zur österreichischen Innenpolitik Daß sich die ÖVP seit einiger Zeit in einer existenziellen Krise befindet, ist unübersehbar. Worin sehen Sie in der ÖVP derzeit die größten Probleme? FlSCHLER: Von Rrüssel aus kann man zu dieser Frage eigentlich nichts sagen. Man kann nur eines machen: Man kann nach Wien fahren und mit den Retroffenen reden. In diesem Zusammenhang kann ich nur sagen: Die wichtigste, die Kernfrage ist derzeit, wie man wieder lernt, miteinander zu kommunizieren. Die zuständigen Herrschaften müssen sich einmal zusammensetzen und sich gemeinsam fragen, wie wollen wir in der Zukunft miteinander umgehen, und nicht Rotschaften über die Zeitungen ausrichten. Alle anderen Themen, ob das jetzt die Obmannfrage oder die der Runde oder sonst eines dieser ewig diskutierten Themen ist, ist im Verhältnis dazu zweitrangig. Doch wenn auf diese Frage keine brauchbare Antwort gefunden werden kann, wird sich die ÖVP tatsächlich von selber auflösen.

DIEFURCHE: Glauben Sie, daß Jörg Haider nach den nächsten Wahlen eine reelle Chance hat, Bundeskanzler zu werden oder Regierungsverantwortung zu übernehmen? FlSCHLER: Jörg Haider hat aus sich heraus diese Chance nicht. Aber es machen ja die anderen Parteien für ihn die Arbeit.

DIEFURCHE: Wie würde man in der EU auf eine Regierung unter Jörg Haider reagieren^

FlSCHLER: Die internationale Reputation, das kann man wirklich zweifellos sagen, würde in einem solchen Fall enorm leiden. Denn international hat man wenig Verständnis für Populismus. Und man hätte auch wenig Verständnis dafür, daß die Unsicherheit in Österreich durch solch eine Regierung wächst.

DIEFURCHE: Könnte das zu Maßnahmen seitens der EU führen^ FlSCHLER: Die EU wird sich sicher nicht in die innerösterreichischen Angelegenheiten einmischen. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Aber die einzelnen Mitgliedsstaaten werden ihre Konsequenzen ziehen. Und die Konsequenz wäre eben die, daß Österreich dann wohl eine Außenseiterrolle in der Union spielen würde.

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