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Es gibt eine Magie des Kontinents

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Österreichs Stimme wird mehr Gewicht zukommen. Und: Der Kulturartikel 128 des EU-Vertrages deckt die staatliche Kulturförderung.

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Österreichs Stimme wird mehr Gewicht zukommen. Und: Der Kulturartikel 128 des EU-Vertrages deckt die staatliche Kulturförderung.

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DIEFURCHE: Sie wollen „Lust auf Europa machen”, wie Sie vor den europäischen Erziehungsministern sagten — wie wollen Sie das erreichen?

Rudolf Schölten: Ich denke, daß für die Kunst im Prinzip jede Öffnung nach außen gut ist. Weiters glaube ich, daß es so etwas wie eine Magie Europas gibt. Dieser emotionalere Aspekt des EU-Beitritts könnte bestimmender sein, auch bei der kommenden Volksabstimmung.

Wie bedeutsam immer der Einfluß Österreichs nach dem Beitritt auf EU-Entscheidungen sein wird, fest steht, daß der österreichischen Meinungsbildung ein entscheidenderes Gewicht zumindest bei den EU-Staaten zukommen wird bisher. Die Position Österreichs wird eine größere Strahlkraft haben.

DIEFURCHE: Heißt das, daß unsere Stimme stärker wird? schölten: Da es in Hinkunft notwendig sein wird, die österreichische Stimme zu hören, wird sie auch stärkeres Gewicht haben. Wir haben im politischen Bereich noch nicht ausreichend entdeckt, wieviel Beeinflussung der internationalen Meinungsbildung möglich ist, einfach dadurch, daß man mit sehr viel Energie seine Position vertritt. Vielfach ist es ja so, daß Antworten gesucht werden und der gewinnt, dem mehr einfällt. Weder der Kultur- noch der Bildungsbereich sind klassische Harmonisierungsbereiche. Ein konkretes Beispiel ist etwa die Integration von Schülern, die nicht die jeweilige Landessprache sprechen. Es existiert dazu eine Vielfalt von Meinungen, diese kann man wesentlich beeinflussen, wenn man die starken eigenen Erfahrungen einbringt. Das gilt auch für den Kulturbereich. Ich empfinde es als Mangel, daß wir beispielsweise an einer europäischen Diskussion über die Finanzierung von Theatern nicht teilnehmen. Wenn das in einem breiteren Rahmen diskutiert worden wäre, hätten sich die, die jetzt Theater schließen, schwerer getan. Ich weiß nicht, wie sich die Stadtverwaltung von Berlin entschieden hätte, wenn die europäischen Kulturminister aufgefordert hätten, Theater nicht zu schließen.

DIEFURCHE: Das würde für Österreich heißen, unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen und die in vielen Fragen existierenden Erfahrungen einzubringen? Schölten: Natürlich.

DIEFURCHE: Jean Monet, einem der Väter der europäischen Einigung, wird das Zitat zugeschrieben, die Einigung Europas hätte nicht bei der Wirtschaft, sondern bei Kultur und Bildung beginnen sollen

Schölten: Ironischerweise muß man sagen, daß Monet das gesagt hat, wohl wissend, daß sie bei der Wirtschaft begonnen hat. Aber die „Magie” des Kontinents kommt mit Sicherheit nicht von der ökonomischen Seite, sondern von der kulturellen. Das innere Rückgrat Europas ist kulturhistorisch begründet und nicht ökonomisch.

DIEFURCHE: In der letzten Zeit sind immer wieder mögliche Probleme für die Kulturförderung durch den Beitritt zur EU diskutiert worden Welche Rolle spielt er tatsächlich bei der staatlichen Verlagsförderung, Filmförderung?

Schölten: Bei der Verlagsförderung ist das einfach, denn es ist eindeutig, daß das Motiv der österreichischen Verlagsförderung die Förderung von Kultur und Kunst ist und nicht ein wirtschaftliches Motiv. Gerade das

Programm der Verlage ist entscheidend, ob sie eine Förderung bekommen oder nicht. Es gibt einen Grundsatz innerhalb der EU, daß die literarische Autonomie kleinerer Länder ein kulturpolitischer Schwerpunkt ist (siehe Kasten). Die autonome österreichische Veriagslandschaft zu erhalten, entspricht also sogar EU-Zielen. Daher habe ich da überhaupt keine Sorge. Niemand wird behaupten können, daß die handelshemmenden Faktoren dieser Förderung die kulturelle Bedeutung überwiegen. Selbst betroffene deutsche Verlage werden nicht sagen können, daß ihnen dadurch Marktanteile abhanden kommen.

DIEFURCHE: Sie befürchten nicht, daß Einzelfälle sich zuspitzen könnten? schölten: Da gibt es keinen Einzelfall. Theoretisch könnte uns ein Mitgliedstaat vor den Europäischen Gerichtshof schleppen und sagen, unser Förderprogramm sei wirtschaftlich motiviert. Da es aber kulturell motiviert ist, sehe ich da kein Problem. Die Stärkung der Kulturautonomie entspricht der EU-Politik, die Vielfalt hat Priorität. Niemand wird sagen, daß durch die österreichische Verlagsförderung Suhrkamp oder Fischer ins Strudeln geraten.

DIEFURCHE: Und die Filmförderung? schölten: Da gilt dieselbe Argumentation, unsere Filmförderung ist mit Sicherheit kulturell und nicht wirtschaftlich motiviert. Im Gegenteil, diese europäische Ebene ist eine große Hilfe, daß wir nicht ausgeschlossen sind von europäischen Bemühungen um die Position des europäischen Films gegenüber den Amerikanern. Die EÜ hat im Rahmen des GATT eine gemeinsame Position, in die wir dann eingebunden sein werden.

DIEFURCHE: Gibt es schon einen Überblick in der ebenfalls diskutierten Frage der Pensionsgleichstellung bei den Mitwirkenden der Bundestheater?

Schölten: Nach einer ungefähren Schätzung können wir davon ausgehen, daß diese Kosten sich im Rahmen dessen bewegen, was auch die jährliche Steigerung der Pensionskosten ausmacht. Das wird zwischen zwei und vier Prozent liegen, maximal bei fünf Prozent, da kann niemand von Explodieren sprechen. Es betrifft ja nicht nur Angehörige der Bundestheater. Hochschullehrer beispielsweise werden automatisch österreichische Staatsbürger und haben dann dieselben Vorteile. Wir könnten allen ausländischen Künstlern österreichische Staatsbürgerschaft anbieten und sagen, nur Österreicher erhalten diese Pensionen, aber das wäre lächerlich. Der Teil der Bundestheaterbeschäftigten, der aus der Sicht des Publikums als Ausländer wahrgenommen wird, nämlich die Solisten, sind ja etwa beim Musiktheater zum Großteil Gäste, nur zum kleinen Teil sind es auf Dauer Beschäftigte, für die eine Pensionsregelung gilt.

DIEFURCHE: Sind auch noch andere Berufsgruppen davon betroffen?

Schölten: Ja, Lehrer beispielsweise. Es gab vor wenigen Monaten in Deutschland eine Untersuchimg, nach der haben nur drei oder vier ausländische Lehrer in Deutschland gearbeitet. Für Lehrer gibt es andere Hürden, daß sie näm lieh als EU-Bürger nicht automatisch ein Anstellungsrecht habe, wenn sie nicht unter den örtlichen Bedingungen ausgebildet sind, oder auch die sprachlichen Hürden. Im Unterschied zu den meisten europäischen Ländern haben wir das sogenannte Zwei-Fach-Prinzip, das heißt, Lehrer aus anderen europäischen Ländern kommen von ihrer Ausbildung her nicht in Frage. Die EU-Zugehörigkeit bedeutet nur, daß man aus dem Titel der Staatsbürgschaft nicht ausgeschlossen werden darf. Es gibt aber natürlich kein Anstellungsrecht.

DIEFURCHE: Und was bringt die EU der Kultur?

Schölten: Eine intensivere Teilnahme an den EU-Förderprogrammen. Etwa beim Film, aber auch beim Übersetzerprogramm, literarischen Programmen. Zollerleichterungen werden sich in der Kultur genauso auswirken wie anderswo. Eine aktive Teilnahme an der Meinungsbildung innerhalb Europas - oder wie Arnulf Rainer es konkret formulierte, „die Freude auf Europa”. Das halte ich für ein schönes, wichtiges Argument. Daß es auch der Kultur besser geht, wenn es wirtschaftlich besser geht, kommt noch hinzu. Daß die Kultur in der Armut blüht, ist ein historischer Irrtum.

Mit Bundesminister Rudolf Schölten sprach Leonore Rambosek

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