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„Europa muß dem Fernen Osten Paroli bieten"

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FURCHE: Herr Generaldirektor, Sie sagten kürzlich bei der Präsentation der Siemens-Bilanz 1991 :„Es war ein gutes Jahr, auf das wir an-gesich ts der neuen Herausforderun -gen noch gerne zurückblicken werden ". Was haben Sie vor?

WALTER WOLFSBERGER: Die großen Herausforderungen sehe ich in zweifacher Hinsicht. Einerseits im europäischen Einigungsprozeß, andererseits bei den Entwicklungen in Osteuropa. Im EG-Europa müssen wir uns weiter sehr bemühen, um auch 1995 konkurrenzfähig zu sein, und um uns noch irgendwie im Kostengefüge unter den Ländern der Europäischen Gemeinschaft zurechtzufinden. Da kann man nicht rechtzeitig genug zur Vorsicht mahnen. Denn wir haben uns an einen Lebensstandard gewöhnt, der außergewöhnlich hoch ist. Vielleicht müssen wir aber in Zukunft zur Kenntni s nehmen, daß das so nicht weitergehen kann. Die Entwicklung geht nicht immer aufwärts, auch was den Lebensstandard anlangt. Wir sollten jetzt alles tun, um das erreichte Niveau abzusichern;

Was die osteuropäischen Länder betrifft, so haben wir alle Ursache zu helfen, damit sich in diesen Ländern die Wirtschaft wieder entwickeln kann. Hoffentlich auf der Grundlage einer Sozialen Marktwirtschaft, wie wir sie in Österreich betreiben. Unsere Herausforderung besteht darin, daß wir alles tun sollten, um in diesen Ländern rechtzeitig unsere Position zu sichern. Aber nicht so sehr als Exporteur, sondern als Partner der Know-how geben kann und investiert.

FURCHE: Bedeuteten Ihre Befürchtungen auch, daß die Branche mit schlechteren Geschäften, niedrigeren Gewinnen, Personalabbau rechnet?

WOLFSBERGER: Die Bemerkung war bezogen auf meine Einschätzung der Entwicklung dieses und vielleicht auch noch des nächsten Jahres. Ich glaube, daß wir einer deutlich gedämpfteren konjunkturellen Entwicklung entgegensehen. Das zeichnet sich in vielen Bereichen deutlich ab. Wir haben zwar vor, auch in diesem Jahr eine gewisse Volumenssteigerung zu erreichen, aber sie wird sich in der Höhe von einigen Prozenten abspielen. Wir werden sehr glücklich sein, wenn es uns gelingt, das Ergebnis zu halten und die Beschäftigung einigermaßen aufrechtzuerhalten.

Es zeigt sich in einigen Sparten sehr deutlich ein Rückgang im Auftragseingang. Ganz konkret in der Fertigung von Leistungselektronikgeräten unseres Gerätewerkes hier in der Wiener Siemensstraße, wo wir mit Auftragseinbrüchen zu kämpfen haben, aber auch bei Stromversorgungsgeräten, Steuer- und Regelgeräten für die Maschinenindustrie. Die Maschinenindustrie nenne ich deshalb, weil sie in ganz Europa eine sehr schlechte konjunkturelle Entwicklung durchmacht. Es ist nicht nur eine Stagnation, sondern die Maschinenbau- und besonders die Werkzeugmaschinenbauhersteller plagen ernsthafte Sorgen. Diese Entwicklung wird zum Teil verursacht durch die fernöstliche Konkurrenz.

FURCHE: Auch das Siemens-Werk inVillach kämpft mit Auftragseinbrüchen...

WOLFSBERGER: Leider gibt es auch auf dem Gebiet der Halbleiterherstellung Einbrüche. Für unser Werk in Villach ist das eine sehr schwierige Situation. Wir werden dort in Kürze Kurzarbeit einführen müssen, wenn auch nur für einige Monate, weil wir durch die Restruk-turierungsmaßnahmen die große Chance haben, dort ein neues Produktgebiet aufzuziehen. Dies wird uns dann schon ab Herbst 1992 wieder die Möglichkeit geben, Personal aufzubauen. Aber im Moment haben wir einen riesigen Auf tragseinbruch bedingt durch eine europaweite Flaute in dieser Branche. Das hängt einerseits damit zusammen, daß die osteuropäischen Länder noch nicht als Bedarfsträger kommen, so wie wir das gehofft haben. Es hängt aber auch damit zusammen, daß in Deutschland die Konjuktur ebenfalls nachläßt. Es gab erst am Wochenende wieder die Aussage eines der „Weisen" (so werden die Mitglieder des Sachverständigenrates für die wirtschaftliche Entwicklung genannt, Anm. d. Red.), daß sich wahrscheinlich das Bruttosozialprodukt auf ein Prozent Zuwachs reduzieren wird. Wir müssen eigentlich damit rechnen, daß es in Österreich ähnlich weitergeht. Dazu kommt, daß natürlich die Budgetsituation sehr angespannt ist und in jenen Branchen, wo dringend Investitionsmittel notwendig wären, bestenfalls eine Verschiebung auf später stattfindet. Das dritte ist, daß wir hinsichtlich der Finanzierung von Auslandsprojekten die allergrößten Probleme haben. Das ist begreiflich, wenn man bedenkt, daß große Länder wie die Sowjetunion, die als pünktliche Zahler gegolten haben, heute nur mehr von Umschuldung sprechen. Und Umschul-dungsgespräche gibt es inzwischen am laufenden Band. Wir müssen besonders vorsichtig und zurückhaltend sein, dennoch muß unser Geschäft weitergehen. Wir müssen trachten, daß wir in jenen Märkten, wo wir gut plaziert waren, unsere Position halten. Wenn wir sie verlieren, dann können wir sie wahrscheinlich nie mehr zurückgewinnen. Denn das sind Märkte, die wir anderen Mitbewerbern abgenommen haben. Die Franzosen zum Beispiel haben im Mah-greb-Raum die Länder Tunesien und Algerien immer als Heimatmarkt betrachtet. Es ist uns gelungen, dort einzudringen,weil man Vertreter eines kleinen Landes haben wollte, die neutral waren und die Arbeit gut machen. Wir müßten trachten, diese Positionen, die wir uns so mühsam erkämpft haben, auch zu erhalten.

FURCHE: Im „Spiegel" hieß es kürzlich, Europa könnte bald auf den Status einer japanischen Kolonie herabsinken. Wie stark sind die Europäer eigentlich wirklich noch?

WOLFSBERGER: Die Stärken der Europäer liegen zweifellos bei komplexen Systemen und bei der Durchführung von größeren Projekten wo Soft-ware, Projektierung, Planung, Projektsteuerung eine Rolle spielen beziehungsweise.wo es darum geht, den Kunden ganze Systeme anzubieten. Hier hat Europa nach wie vor einen großen Vorteil. Ein weiterer Vorteil sind die Ingenieurkapazitäten, die wir in Europa erfreulicherweise immer noch haben und natürlich auch die Erfahrungen im Anlagengeschäft. Die Gefahr ist nur sehr groß, daß die Zulieferungen von Produkten, die in Großserien gefertigt werden, mit zunehmenden Maße aus dem Fernen Osten stammen. Daß für Europa, so wie das schon in Amerika sehr weitgehend der Fall ist, nicht mehr viel übrigbleibt. Nehmen Sie zum Beispiel die Unterhaltungselektronik, die Foto- und Autobranche und neuerdings auch die Werkzeugmaschinenbranche, die wirklich einer sehr intensiven Fem-Ost-Konkurrenz ausgesetzt sind. Da müssen wir uns irgendwo behaupten.

FURCHE: Durch Zusammenarbeit milden neuen Marktieadern oder nur auf Konkurrenzbasis? '

WOLFSBERGER: Es wird sich eine Mischung aus Kooperations- und Konkurrenzverhältnissen ergeben. Sicher wird es notwendig sein, in Teilbereichen zusammenzuarbeiten. Die Bereitschaft dazu ist zum Teil vorhanden. Auf der anderen Seite wird es notwendig sein, auch diesen Wettbewerbern Paroli zu bieten. Ich glaube, daß Europa hier eine gewisse Chance hat, wenn der große europäische Binnenmarkt realisiert werden kann. Dann können wir uns auf einen Markt stützen, der nicht wie heute 350 Millionen Einwohner, sondern unter Einschluß der Ostmärkte vielleicht 700, 800 Millionen Produzenten und Konsumenten zählen wird. Dann kann ich mir durchaus vorstellen, daß das eine Wirtschaftskraft ist, wo es sich wieder lohnt, auch Fertigungen aufzuziehen, die zu günstigsten Kosten Großserien zustande bringen.

FURCHE: Ihre Interessenlage spricht natürlich auch so gesehen für einen EG-Beitritt Österreichs. Aber muß das, was für Siemens gut ist. auch für das ganze Land gut sein? Was würden Sie denen sagen, deren Interessenlagen weit weniger deutlich sind? Den Bauern zum Beispiel, deren EG-Angst tief sitzen.

WOLFSBERGER: Ich würde ihnen sagen, sie sollten sich einmal die verschiedenen Szenarien selbst überlegen. Einerseits die Eingliederung Österreichs in der EG und andererseits das Draußenbleiben. Letzteres würde ohne Zweifel zur Folge haben, daß wir einige Barrieren zu überwinden haben gegenüber dem großen europäischen Markt. Daß es uns wahrscheinlich auf Dauer nicht gelingen wird, so viel zu exportieren und so viel Geschäftsverkehr zu haben wie das heute der Fall ist. Die Barrieren werden eher größer als geringer. Darüberhinaus hat das zu tun sehr unmittelbar mit dem Verlust von Arbeitsplätzen. Das ist kein Szenario von drei bis fünf Jahren, sondern damit muß man in zehn bis 20 Jahren rechnen. Wenn wir uns viele Dinge, die heute selbstverständlich sind, nicht mehr leisten können. Ich persönlich bin der Meinung - ob wir das jetzt wollen odernicht wollen -, wirhaben keine Alternative, als diesem Wirtschaftsraum voll beizutreten. Ich sehe das nicht aus der Brille der Siemens AG Österreich, weil unser Unternehmen als solches auch dann noch irgendwie Geschäfte machen wird. Wir werden uns aber noch mehr anstrengen müssen, noch mehr auf die Kosten achten müssen, wenn Österreich nicht Mitglied der EG ist. Wir werden dann eben Hürden zu nehmen haben. Und seien es nur bürokratische Hürden. Wir werden noch einen größeren Druck auf die Arbeitskosten und die übrigen Kosten ausüben, vermutlich auch Personal reduzieren müssen, wenn wird nicht Mitglied dieser Gemeinschaft werden.

FURCHE: Was halten Sie von der österreichischen EG-Informationspolitik?

WOLFSBERGER: Sie läßt noch zu wünschen übrig, aber das wird sich schon bessern. Ich bin der Meinung, daß wir noch ein bißchen Zeit haben, und eine Volksbefragung oder -ab-stimmung darüber sollte sicher erst dann stattfinden, wenn wir wissen, wie wirdran sind. Bis dahin sollten die Vor- und Nachteile der Öffentlichkeit bewußt gemacht werden. Man muß einfach die verschiedenen Möglichkeiten, die wir haben, wenn wir allein bleiben, oder wenn wir Mitglieder dieser Gemeinschaft sind, den Leuten bewußt machen. Am besten in Form von Auswirkungen auf das persönliche Wohlbefinden, auf das Lebensniveau und auf das Geld.

FURCHE: Der Trend geht in Richtung Internationalisierung und Zusammenarbeit der Konzerne. Werden wir bald in Europa und letztlich dann auch weltweit nur mehr eine Handvoll Konzerne haben, die die Wirtschaft und letztlich auch die Politik bestimmen?

WOLFSBERGER: Nein, es wird immer staatliche Kontrolle geben, auch für die Wirtschaft. Die europäische Kartell-Gesetzgebung ist ja bekannt, und die deutsche ist besonders streng. Die Nationalstaaten werden sich nicht auflösen, davon bin ich Uberzeugt. Wenn es eine föderale Struktur in Europa gibt, werden die einzelnen Regionen, die immer noch Staaten sein werden, eine große Rolle spielen.

FURCHE: In der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit" gab es eine aufregende Diskussion zwischen dem CDU-Politiker Kurt Biedenkopf und dem Chef von Daimler-Benz, Edzard Reuter. In Zukunft wird der Staat nicht mehr wichtig sein, die Konzerne bestimmen Wirtschaft und Politik, sagte der Daimler-Chef. Biedenkopf widersprach mit dem Hinweis, je stärker die Konzerne international werden, desto wichtiger wird Politik, um sie im Zaum zu halten und das Gemeinwohl aufrechtzuerhalten. Wie sehen Sie das?

WOLFSBERGER: Ich halte Reuters Aussage für überzogen und für nicht geglückt. Ich stimme dem nicht zu. Auf der anderen Seite ist es aber sicher ein Faktum, daß durch den großen europäischen Markt der Konzentrationsprozeß der Untemehmen-weitergehen wird. Angesichts der hohen Entwicklungsaufwendungen, die in der Industrie in bestimmten Bereichen notwendig sind - das gilt auch für die Umwelttechnologie - wird es zwangsläufig solche Konzentrationen geben müssen. Denn die Entwicklungskosten für bestimmte technologische Aufgaben kann sich ein Unternehmen allein nicht mehr leisten. Die Mikroelektronik ist ein typisches Beispiel: die Zusammenarbeit von so großen Unternehmungen wie Siemens und IBM hätte es nicht gegeben, wenn die Entwicklungskosten nicht so beträchtlich wären. Aber ich glaube, daß daneben der Staat weiterhin seinen Einfluß ausüben wird. Auch regional wird es bis zu einem gewissen Grad auch in Zukunft unterschiedliche Rahmenbedingungen geben.

Was ich hoffe ist zum Beispiel, daß die technologische Vereinheitlichung in Europa noch einen großen Fortschritt macht. Es ist ja nicht einzusehen, daß die Bahnen, die Europa und die Länder miteinander verbinden, von Land zu Land unterschiedliche technische Bedingungen aufrechterhalten, sodaß gerade der Verkehr, der fließen soll, dadurch behindert wird. Ich hoffe sehr, daß eine Vereinheitlichung auf diesem Gebiet stattfindet, damit wir im Rahmen der berühmten Triade des Fernen Ostens, der Vereinigten Staaten und Europas unsere Konkurrenz-Vorteile nutzen können. Gelingt uns das, wird Europa erst nützlich sein.

FURCHE: Noch mehr Konzentrationen, noch mehr Vereinheitlichung... Wie paßt das zum Konzept einer freien Marktwirtschaft, die zumindest Konkurrenz voraussetzt?

WOLFSBERGER: Das paßt dann nicht zu einer freien Marktwirtschaft, wenn Sie es in einem sehr engen Rahmen sehen. Wenn Sie es im weltweiten Rahmen sehen, dann wird es genug Konkurrenz geben. Die Großen werden sich gegenseitig nichts schenken, da wird es die heftigste Konkurrenz geben, die man sich nur vorstellen und auch wünschen kann. Das Gespräch führte Elfi Thiemer

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