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Kleines Land im großen Raum

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Die Wiener Internationale Herbstmesse, die in diesen Tagen wieder ihre Tore geöffnet hat, bietet nicht nur ein überzeugendes Bild größter Leistungsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft, sondern erinnert auch daran, daß Oesterreich inmitten des wirtschaftlichen Interesses aller Welt steht. Wohl ist Oesterreich ein kleines Land, dessen ökonomisches Potential wesentlich geringer ist als das seiner wirtschaftlich mächtigeren Nachbarn. Trotzdem nimmt Oesterreich eine weit stärkere wirtschaftliche Position auf internationaler Ebene ein, als ihm auf Grund seiner Größenordnung zukäme. Kaum ein anderer Boden — das anerkennt die ganze Welt — ist so geeignet, Anknüpfungspunkt für friedliche, wiitschaftliche Beziehungen zwischen Ost und West zu sein wie Oesterreich. Kaum einem anderen Land wird eine so wichtige Vermittlerrolle auf wirtschaftlicher Ebene eingeräumt als unserem. Diese Tatsache aber bringt die internationale Wiener Messe klar und deutlich zum Ausdruck. Wirtschaftliche Beziehungen zwischen einzelnen Ländern, die sonst nur wenige Berührungspunkte haben, zu fördern, ist auch eine der wichtigsten Funktionen der Wiener Messe. Denn Oesterreichs Wirtschaft allein, die sicherlich imstande ist, sich auf den Weltmärkten zu behaupten, deren Stärke aber nicht im Massenangebot, sondern in der Erfüllung individueller, präziser Käuferwünsche liegt, würde kaum die zweimal jährliche Durchführung einer derartigen Monsterveranstaltung rechtfertigen.

Freilich' verleitet das turbulente, teils geschäftige, teils großartige Getriebe der Wiener Internationalen Messe sehr leicht zu der Annahme, daß die österreichische Wirtschaft in allem nicht nur ihre Konsolidierung, sondern auch einen absoluten Höhepunkt des wirtschaftlichen Erfolges erreicht hat. Man zeigt modernste und hochwertigste Erzeugnisse, wertvollste Industrie-1 und Handarbeit, die Nachfrage nach vielen ausgestellten Produkten aus dem In- und Ausland ist enorm, Liefertermine sind teilweise auf längere Frist erschöpft.

Vielfach ist vor allem der ausländische Messebesucher versucht, aus dem Bild der Wiener Internationalen Messe, wie es sich ihm bietet, parallel auf die Gesamtsituation der österreichischen Wirtschaft zu schließen. Hierbei könnten sich Fehlschlüsse ergeben. Unleugbar hat die österreichische Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg, vor allem seit 1953, einen steilen Aufstieg genommen. Erst Ende August wurde gemeldet, daß die Gold- und Devisenbestände der österreichischen Nationalbank einen Stand erreicht haben, der erstmals seit Bestehen der österreichischen Republik eine mehr als hundertprozentige Deckung des Notenumlaufs durch Gold und goldwertige Devisen gewährleistet. Oesterreich hat seit geraumer. Zeit Vollbeschäftigung, an der auch kleine saisonale Schwankungen nichts ändern können. Der Lebensstandard der österreichischen Bevölkerung hat ein sehr beachtliches Niveau erreicht, und der Wille zur Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist so fundiert, daß der soziale Friede im Innern des Landes gesichert erscheint.

Alle diese äußerst günstigen Zeichen dürfen aber- nicht zur Meinung verführen, daß Oesterreichs Wirtschaft problemlos arbeiten kann. Das wirtschaftliche Geschehen auf der ganzen Welt trägt nun einmal nicht statischen Charakter, sondern läuft in einem sehr lebendigen, dynamischen Prozeß ab.

Das Zentralproblem der österreichischen Volkswirtschaft liegt gegenwärtig in ihrer Eingliederung in einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum. Ein kleines Land wie Oesterreich hat keine Wahl, sich an der geplanten europäischen Freihandelszone zu beteiligen oder nicht. Wir können nicht abseits stehen bleiben, weil wir auf Grund unserer Wirtschaftsstruktui auf die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit im europäischen Raum angewiesen sind. Daraus ergeben sich nun für die österreichische Industrie Konsequenzen, auf die sie sich unter Heranziehung der letzten Leistungsreserven ein-stellen muß, um dann auch selbst entsprechend Nutzen daraus zu ziehen.

Anders aber sieht die Situation für die Klein-und Mittelbetriebe des österreichischen Gewerbes aus. Gerade diese kleinen Betriebe, die in den letzten Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs alle finanziellen Mittel ausnutzen mußten, um dem Trend der Zeit nach Produktionsmodernisierung und Rationalisierung, Verwendung neuzeitlicher Produktionsmethoden und ähnlichem zu folgen, waren nicht in der Lage, genügend Eigenkapital zu bilden, um eine derartig einschneidende Umstellung, wie sie die Eingliederung in einen“' großen europäischen

Wirtschaftsraum nun einmal erfordert, ohne größte Schwierigkeiten zu überstehen. Im Rahmen der österreichischen Volkswirtschaft haben diese Unternehmungen sicherlich alle ihnen zu Gebote stehenden Möglichkeiten ausgenützt. Die sich in Zukunft ergebenden Anpassungsschwierigkeiten werden sie aber kaum allein bewältigen können. Es wird unbedingt notwendig sein, gerade den kleinen Betrieben durch technische und betriebswirtschaftliche Unterstützung, durch Intensivierung exportfördernder Maßnahmen sowie durch eine entsprechende Steuerpolitik wirkungsvolle Hilfe zu gewähren. Besonders wichtig wird es in Zukunft sein, daß die Teilnahme heimischer Gewerbetreibender an Messen und Ausstellungen im Ausland noch mehr als bisher forciert wird. Es gibt sicherlich noch eine große Anzahl gewerblicher Unternehmer, die unter Umständen mit dem Weltmarkt Kontakt finden könntenf Die Gewerbetreibenden an die letzte Exportchance heranzuführen, ist nicht nur für die Gesamtsituation der österreichischen Wirtschaft wichtig, sondern speziell auch für die Existenzmöglichkeit des einzelnen Betriebes, der sich ja über kurz oder lang in Oesterreich selbst stärkster internationaler Konkurrenz gegenüber wird behaupten müssen.

Die österreichische Wirtschaftspolitik ist sich darüber im klaren, daß das österreichische Wirt-schaftsgefüge mit der Existenz der Klein- und Mittelbetriebe in untrennbarem Zusammenhang steht. Gerade die kleinen Unternehmer sind nicht nur die Träger des Bürgertums, sondern vor allem auch in ihrer großen Zahl — von den 294.000 Betrieben der gewerblichen Wirtschaft Oesterreichs entfallen nicht einmal 5000 auf die eigentliche Industrie — die Träger des marktwirtschaftlichen Gedankens und der privaten Unternehmerinitiative überhaupt. Ein ganz besonderes Problem stellt für die Klein- und Mittelbetriebe Oesterreichs — sowohl für die des Gewerbes als auch für die des Handels — die Frage der Finanzierung dar. Die Umstellung auf den europäischen Markt erfordert, daß auch der kleinste Betrieb die Möglichkeit hat, Rationali-sierungs- und Modernisierungsmaßnahmen in großem Stil durchzuführen. Sowohl beim Gewerbe als auch beim Handel war — wie schon erwähnt — eine ausreichende Eigenkapitalbildung nicht möglich. Es müßte daher unbedingt dafür gesorgt werden, daß diesen Unternehmungen Kredite in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Selbstverständlich darf dabei nicht übersehen werden, daß die Betriebe kaum in der Lage sind, neben allen anderen Lasten, die sie zu tragen, haben, auch noch Kredite zu einem hohen Zinsfuß aufzunehmen. Kreditaktionen mit niedrigem Zinsfuß für Klein- und Mittelbetriebe sowohl der Produktion als auch der Verteilung gewinnen daher in nächster Zukunft allergrößte Bedeutung.

Auch für den österreichischen Handel stellt der vor der Tür stehende wirtschaftliche Zusammenschluß Europas das entscheidendste Problem dar. Auch er wird im Rahmen der europäischen Freihandelszone einen Umstellungsprozeß durchmachen müssen. Eines der wichtigsten Anliegen der Handelsunternehmungen ist die Schaffung der Möglichkeit, ihre Funktionen auf ein Großwirtschaftsgebiet ausdehnen zu können. Die Aufgabe der Handelsbetriebe, als echte Vermittler im Warenaustausch dienen zu können, ist schon in der geographischen Lage Oesterreichs fundiert. Westeuropa wird sich auch als wirtschaftliche Einheit nicht vom Osten und Südosten unseres Kontinents abschließen können. Der österreichische Handel aber verfügt über natürliche und traditionelle Verbindungen in den östlichen und südöstlichen Wirtschaftsraum. Allein schon deshalb erscheint es naheliegend, daß der österreichische Handel seine

Chancen entsprechend ausnützt. Nun leiden aber die meisten Handelsbetriebe unseres Landes durch die groß steuerliche Belastung, die sie im Interesse des raschen Wiederaufbaues der Gesamtwirtschaft auf sich genommen haben, an starker Kapitalarmut. Erfolgreiche Handelsgeschäfte erfordern aber — dies steht außer Zweifel — große finanziell Mittel. Denn die eigentliche Funktion des Handels, als Lagerhalter und vielfach auch als Finanzier zu fungieren, würde dann stärker denn je beansprucht werden. Wenn man den Handel in die Lage versetzt, diese Aufgabe zu erfüllen, dann wird auch er im Rahmen eines gemeinsamen europäischen Marktes nicht nur selbst Vorteile haben, sondern auch den anderen Wirtschaftszweigen Vorteile bringen. Die Einräumung günstiger Kredite und steuerlicher Erleichterungen wird daher für die Entwicklung der österreichischen Handelsunternehmungen “ schon in naher Zukunft ausschlaggebend sein.

Die österreichische Wirtschaft hat — wie die Wiener Messe in eindrucksvoller Weise zeigt — in den letzten Jahren nicht zuletzt dank der erfolgreichen Stabilisierungspolitik und dank des eminenten Lebenswillens unserer Unternehmer einen bedeutenden Aufschwung genommen. Das imposante Bild soll aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die österreichische Wirtschaft derzeit schwerwiegende Probleme zu lösen hat; wie diese Probleme gelöst werden, wird darüber entscheiden, ob Oesterreich auch in Zukunft ein wirtschaftlicher Faktor ist, mit dem man in der Welt rechnet. Denn die ökonomische Prosperität sichert unserem Land nicht nur einen hohen Lebensstandard, die Möglichkeit zu wirtschaftlichen Leistungen und die Erhaltung des Arbeitsfriedens, sondern sie gibt der Welt auch Gewähr dafür, daß Oesterreich das Vorbild einer friedlichen Zusammenarbeit zwischen Ost und West sein kann.

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