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Schneiden, solange der Schnitt ist...

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Die Salzburger Festspiele haben soeben begonnen. Bald wird von Bregenz bis zum Burgenland ein Wald von Fahnen die Gäste begrüßen.

Von der internationalen Presse und öffentlichen Meinung anerkennend begrüßt, hat Oesterreich eine mutige Tat gesetzt: ab August brauchen ausländische Fahrzeuge keine Sonderausweise mehr für die Einreise. Ihre Fahrer erhalten beim Grenzübertritt ein in herzlichen Worten gehaltenes Begrüßungsschreiben der österreichischen Zollverwaltung, das ihnen alle Vorteile der neuen Erleichterung der Ein- und Ausreise zur Kenntnis bringt.

Höflich und rasch erledigen die Beamten an der Grenze, im Zug und auf der Straße, die Pässe.

Unsere Gäste suchen bei uns Tage und Wochen der Heiterkeit, der Entlastung vom Druck und Verdruß des täglichen Lebens.

Und nun beginnt das Drama.

Oesterreich ist auf dem besten, das heißt schlimmsten Wege, seinen Kredit als Gastland zu verlieren.

Was das für die Zukunft bedeutet, kann jedermann sich selbst ausmalen: Ein kleines, kapitalschwaches Land ist ohne Kredit und ohne die gute Meinung der Weltöffentlichkeit verloren.

Oesterreich, und das heißt: Staat, Regierung und Volk, ein Volk vieler kleiner Leute und mutiger einzelner Initiativen, hat sich in den Monaten der Ungarnkrise einen politischen Kredit in der ganzen freien Welt erworben, der von großer Wichtigkeit ist. Regierung und Volk haben sich als politisch vertrauenswürdig erwiesen.

Und nun sind wir dabei, auf andere Weise, auf „Schleichwegen zum Chaos", einen guten Teil unseres Kredites zu verspielen.

Wir? Präzisieren wir dieses „Wir": jene Kreise, jene einzelnen, die das ihnen von der ganzen Nation anvertraute Kapital, nämlich die Schönheiten unseres Landes, unserer Berge, Seen, unserer Städte und Kunstschätze, aller „Sehenswürdigkeiten", die sie selbst nicht geschaffen und nicht erhalten haben, dazu mißbrauchen, um in unverantwortlicher Weise unsere Gäste auszubeuten.

Wir? Präzisieren wir dieses „Wir“ weiter: es betrifft alle jene Personen und Gruppen, die in den letzten Jahren alles, was in ihrer Macht stand, taten, um vor den Augen unserer innerösterreichischen Oeffentlichkeit zu vertuschen, zu verniedlichen, zu verharmlosen, daß immer mehr Gäste enttäuscht, gereizt, verbittert unser Land verließen. - Wenn dann in ausländischen Blättern bitterböse Berichte erschienen, dann wurde nicht das getan, was zu tun war, nämlich. eine nüchterne Untersuchung eingeleitet, um bösartige „Kritik" sofort zu scheiden von berechtigter Beschwerde, sondern es wurde allzu gerne versucht, gereizt abzureagieren oder den „Fall" überhaupt zu verdecken und zu verschweigen.

Jahraus, jahrein haben nun Gäste unser Land verlassen: beglückt, ja ergriffen durch dessen Schönheiten, bezaubert nicht selten auch durch die freundliche, entgegenkommende Art von Beamten und vielen kleinen Leuten, aber verbittert über die Geldgier und Rücksichtslosigkeit, die ihnen in einzelnen Hotels, Gaststätten und bei der Mietung von Zimmern und Wohnungen entgegenkam. — Verbittert: hier ist nicht die Rede von „Rucksacktouristen" und Reisegesellschaften des Sozialtourismus — die geduldig stundenlang auf eine „Bedienung“ im Gasthaus und auf kleine Hilfsleistungen im Llebernachtungäbetrieb warten und die, um nicht mißverstanden zu werden, genau so Anspruch haben, zuvorkommend behandelt zu werden wie reiche Gäste —, sondern die Rede ist von einflußreichen und wohlhabenden Persönlichkeiten aus England, Nordamerika, Schweden, Kanada, Australien und einem Dutzend anderer Länder, die entschlossen die Konsequenzen ziehen: nach Oesterreich gehen Wir nicht mehr. Was diese Menschen, deren Wort Gewicht hat im öffentlichen Leben ihres Volkes und in den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen der Völker zu Oesterreich (nicht wenige sitzen in internationalen Organisationen), erbittert, ist zunächst einmal immer wieder das eine: die Vertragsbrüchigkeit des österreichischen Partners. Wenn einer dieser präsumtiven Gäste in Stockholm und Sydney, in Toronto und Birmingham, über ein ihm wohlbekanntes, angesehenes Reiseunternehmen Hotelzimmer und Pensionen in Oesterreich bucht, dann erwartet er, daß die Preise ebenso stimmen wie die der Flugkarten und Fahrkarten nach Oesterreich. Angekommen, begegnet er erstaunt einem nicht selten hemmungslosen Willen, aus ihm herauszuholen, was nur geht, wobei die Besitzer von Hotels, Gaststätten und anderen mit dem Fremdenverkehr verdienenden Unternehmungen ihm oft mehr als deutlich zu verstehen geben, wenn er nicht zahlen will, das heißt mehr zahlen als schriftlich verabredet wurde, dann möge er eben abreisen. Und zusehen, wo er am Wörther See oder Gastein noch freie Zimmer und Pensionen bekomme ..,

Nun aber ist es bereits so weit. Das Faß verliert seinen Boden. „Lieberfüllte" Kurorte, Hotels, Bäder weisen immer mehr Leerräume auf. Die Gäste kommen spärlicher. Als erster hat der Kärntner Fremdenverkehrsdirektor den Mut gefunden, die Dinge beim offenen Namen zu nennen, und auf die Abbestellungen von Quartieren durch englische und skandinavische Reisebüros hingewiesen. Diese ausländischen Reisebüros wollen ihren Ruf nicht mehr länger aufs Spiel setzen. Also werden sie ihre Kunden in Länder leiten, wo das Ueberfordern nicht üblich ist.

In beschwörendem Tone hat der Landeshauptmann von Salzburg an die Oeffentlichkeit appelliert, nicht durch Preistreibereien in den Geschäften dem Gaste und den Einheimischen das Leben zu erschweren.

Wie angespannt die Situation ist, zeigt der krasse Gegensatz, der quer durch unsere Fremdenverkehrsunternehmungen geht. Da stehen, auf der einen Seite, eine ganze Reihe junger und alteingesessener Unternehmungen, Hotels, Pensionen, Gasthöfe, die schwer darum kämpfen, um den Anschluß an den internationalen

Standard der Fremdenindustrie, iįres Gewerbes, zu gewinnen oder zu halten. Der Ausbau und Wiederaufbau moderner Hotels, Gaststätten, erfordert riesige Summen, und es ist schwer, dafür Kredite in entsprechendem Umfange schnell flüssig zu machen; die Preise für Lebensmittel, für Gemüse, Obst steigen oft saisonweise in Höhen, die auch die weitsichtigste Vorkalkulation nicht einberechnen konnte. Immer schwerer wird es, ein hochwertiges, vollqualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten, nachdem bereits seit Jahren geradezu ein „Kleinkrieg“ geführt wird, sich gegenseitig Fachkräfte wegzuengagieren. Die Schwierigkeiten, mit denen das seriöse österreichische Hotelgewerbe zu kämpfen hat, sind also in keiner Weise zu unterschätzen. Eben deshalb bedarf es der Zusammenarbeit aller Gutwilligen und Gutgesinnten, um ihm zu helfen, sein Geschäft auch als Dienst am Volk und als T r e u- händer eines unschätzbaren Kapitals an Vertrauen und an jenen unschätzbaren Werten, die die Natur, die Landschaft, das ganze Land an sich ihnen zur Verfügung stellen durch ihr Dasein, betreiben zu können. Die Oeffentlichkeit hat ein Recht zur Mitsprache und zur Einsprache bei den Vorgängen, die sich da im Fremdenverkehrswesen abspielen.

Die Berge und Seen, die Natur'unseres Landes gehören allen — Volk und Staat überlassen es den Anrainern, daraus Nutzen zu ziehen. Die Steuern, die diese Betriebe abliefern, betreffen nur eine kleine Abschlagszahlung für den großen, möglichen Gewinn. Eben deshalb muß diese eine Seite, die positive, fortschrittliche, aufbauwillige österreichische Fremdenindustrie und die mit ihr zusammengehörenden Berufszweige, entschlossen den Kampf aufnehmen gegen jene andere Seite, die nur darauf aus ist, „den Rahm abzuschöpfen“ und den Gast zu schröpfen. Schneiden, solange der Schnitt ist... Mit dieser Regel mag der Bauer gut fahren, der vorausschauende Geschäftsmann aber nicht.

Aufs Ganze gesehen, ergibt sich folgendes Bild der gegenwärtigen Situation: Allzu achtlos hat ein Teil unseres Fremdenverkehrsgewerbes wie ein Teil unserer Industrie sich der Konjunktur hingegeben, in einem unbegründeten Vertrauen, „es wird schon so weitergehen“. Dergestalt aber wird der Anschluß nach vorne, in die Zukunft hinein, verloren. Nur sorgfältigste Beobachtung des internationalen Marktes — und das heißt hier eben auch des internationalen Fremdenverkehrswesens, seiner Neuerungen, Modelle, Vorbilder und Nichtvorbilder — kann Oesterreichs Fremdenverkehrswesen und damit einem wichtigen Posten unseres internationalen Kredits den Platz sichern, ja erst gewinnen helfen, den es braucht, um konkurrenzfähig, um lebensfähig zu bleiben. Damit soll auf keinen Fall der blinden und instinktlosen Nachahmung aller Rummelplätze und Tummeleien, die mit technizistischen Mitteln die Nerven aufpeitschen und „Gäste“ anlocken sollen, das Wort geredet werden. Im Gegenteil: eine sorgfältige Studie der verschiedenen psychischen und mentalen Eigenarten unserer Gäste aus sehr verschiedenen Ländern muß sich verbinden mit einer ebenso sorgfältigen Studie unseres Landes und unserer Landschaften, also jener „Vergnügungseinrichtungen“, die eben zu unseren Seen und Bergen passen, um allmählich Oesterreichs Fremdenverkehrswesen eine so unübersehbare gesunde und solide Eigenart zu schaffen, die es ebenso weitbekannt und weltberühmt machen kann, wie es einst im 19. Jahrhundert das klassische Schweizer Hotelwesen war.

Noch ist es Zeit. Jetzt ist es Zeit. Oesterreich erwartet aus aller Welt seine Gäste. Bittet sie herzlich in unser schönes Land. Tun wir alles, auch in kritischer Mitarbeit, um diesen unseren Gästen in einer Welt, die so sehr des Friedens und echter Freundlichkeit bedarf, unser Land als ein wahres Gastland zu präsentieren.

steigert wird, legen wir Protest ein gegen eine Publicity, die die Grenzen der Scham vor Menschen und Gott überschreitet.“

Das ist sehr europäisch gedacht. Dem Grundsatz entsprechend, daß alles verstehen alles verzeihen bedeutet, soll aber doch auf den riesenhaften Hintergrund verwiesen werden, der hin-

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