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Die Schattenseiten des Reisens in ferne Länder

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Der Massentourismus schädigt die Umwelt und gewachsene soziale Strukturen, hören wir immer öfter die Mahner sagen. Er ist ein äußerst wichtiger Wirtschaftsfaktor, bei uns ebenso wie in Ländern der Zweiten und Dritten Welt, entgegnen die andern. Immerhin haben wir Ende der siebziger Jahre das „sanfte Reisen" erfunden!

Die Sonnenseite des Reisens kennen wir alle aus eigener Erfahrung. Die Schattenseite ist uns wenig bewußt. Über die Risiken des Reisens, nicht für die Reisenden, sondern für die Bereisten, deren Lebensweisen, Religion und Kultur und deren Umwelt, wird seit 15 Jahren immer intensiver diskutiert - nicht mehr nur unter kritischen Außenseitern, sondern von Reiseveranstaltern selbst und kürzlich auch auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin. Nur die Kunden scheinen davon relativ unberührt, trotz drastischer Veranschaulichung wie etwa am Beispiel Tirols in Felix Mitterers „Piefke-Saga". Das Geschäft floriert (die österreichische Binnensituation einmal ausgeklammert); Fernreisen werden immer billiger und selbstverständlicher.

Wenn Herr Müller aus Osterreich eine Reise bucht, ist die Frage, was er von der Problematik, die sein Verhalten verursacht, erfährt und was ihm -zwangsläufig - verborgen bleibt.

Sagen wir, er entscheidet sich für eine Studienreise, eine Form also, die auf ökologische und soziale Verträglichkeit schon höheren Wert legt. Herr Magister Müller demnach, und Frau Doktor Müller fliegen also mit einem renommierten Spezialveran-stalter nach Ägypten.

Dieselwolken am Parkplatz stören den Genuß des Besuchs in Kairo

Ist das Flugzeug voll, denken sie sich, daß pro Fluggast relativ weniger Energie verbraucht wird als mit anderen Verkehrsmitteln. Wären sie allerdings in einer eher leeren Linienmaschine unterwegs, könnten ihnen daran Zweifel kommen.

In Kairo sind die beiden beeindruckt vom morgenländischen Treiben so großer Menschenmengen auf den Straßen. Ja, die Arbeitslosigkeit ist hoch, das ist bekannt, aber sie sind zufrieden, sich an einer Ecke die Schuhe putzen zu lassen, von einem fliegenden Händler ein Gebäck zu kaufen und in ihrem feinen Hotel ab dem Moment des Aussteigens von Personal umgeben und bedient zu sein.

Ohne sie gäbe es schließlich eine ganze Reihe weniger Arbeitsplätze! Dabei sind, wie sie am folgenden Tag bei ihrer Stadtführung feststellen, auch hochqualifizierte Arbeitsmöglichkeiten entstanden. Die Bildung und Sprachkenntnisse ihres einheimischen Führers sind beeindruckend.

Ein Wermutstropfen ist, daß schon wieder so viele Touristenbusse gleichzeitig da sind - die Dieselwolken beim Parkplatz stören den Genuß. Gott sei Dank ist es wohl nicht das ganze Jahr über so?

Der österreichische Reiseleiter weist seine Gäste daraufhin, daß freilich in der Saisonflaute weniger Betrieb ist. Die Kehrseite: Bedenken Sie beim Trinkgeld für unseren Fahrer und den local guide bitte, daß auch sein Einkommen saisonal schwankt! Seine fünf Kinder (ach wie süß, sagt eine ältere Dame, und kritisch Richtung Österreich: Die hier haben noch Mut, Kinder in ihre Welt zu setzen!) brauchen auch im Hochsommer Essen und Kleider. Dafür verdient er ja auch zehnmal mehr als der Landarbeiter, bemerkt Herr Müller.

Hunderte Liter des kostbaren Wassers in Küche und Waschküche verbraucht

Ägypten ist das Land einer einzigartigen, jahrtausendealten Lebensgemeinschaft mit dem Nil. Wasser ... Wie gut tut die Dusche nach der Rückkehr vom Tagesausflug! Sparsam, versteht sich. Was unser Paar nicht weiß, ist, daß ihr Hotelier für sie täglich mehrere hundert Liter Wasser verbraucht, denn der größere Teil wird für sie in Küche und Waschküche benötigt. Ihre täglich frischgewaschenen Handtücher und die nach drei Tagen erneuerte Bettwäsche haben sie, geehrt und stolz, zur Kenntnis genommen. Inzwischen verdorren jahrhundertealte Palmenhaine und bäuerliche Kultur an Wasserknappheit.

Des Morgens wundert sich Herr Müller, welche Abfallberge wohl durch all die Zuckerpäckchen, Butterund Marmelade-Kleinstpackungen und so weiter in dem 180-ßetten-fio-tel anfallen.

Königsgräber ... no flash! Die faszinierenden Malereien sind schon sichtlich angegriffen durch die Ausdünstungen Hunderttausender Touristen und ihrer Blitzlichter.

Exkursion zur Oase. Besonders Frau Müller findet es unangenehm, wie andere Gäste aus der Gruppe ungeniert und ohne zu fragen mit ihren Videokameras das private Leben der Oasenbewohner ablichten. Andererseits ist alles, gerade weil es so anders ist, ungeheuer interessant und eine Erweiterung ihres Horizontes. Welch schöne Begegnungen! Das abendliche Gespräch mit dem Boy am Swim-

mingpool, der so ein nettes Englisch sprach, wird sie besonders in Erinnerung (und für sich) behalten.

Auf dem Weg nach Süden mit dem Bus ist Herr Müller gerührt vom ein-, fachen Leben der Ägypter auf dem Land, von der Zufriedenheit in ihren Gesichtern trotz ihrer Armut. Da haben sie uns Beichen menschlich einiges voraus, denkt er bei sich. (Auf einem anderen Blatt steht, daß er im nächsten Hotel als erstes massive Beschwerde einlegen wird, weil er schon wieder ein Zimmer nach hinten bekommen und demzufolge keine Aussicht von seinem Balkon aus hat.) Bitte geben Sie bettelnden Kindern nichts oder nur wenig ... Sie fördern damit falsches und familienschädigendes Verhalten! Der einheimische Reiseleiter zeigt die verbliebene Verwüstung von einem der Bombenanschläge der Radikalen. Stimmt es, daß sich bei den Fundamentalisten Haß auf die westliche Kultur und die Touristen, die sie repräsentieren, breit gemacht hat, will Frau Müller wissen? Er wiegelt ab, das seien Splittergruppen, welche die Polizei inzwischen im Griff hätte.

Immerhin könnten nur durch die Einnahmen aus dem Tourismus weltberühmte Kulturgüter restauriert und erhalten werden und auch die Straßen, Flugverbindungen, die Kanalisation und so weiter wären ohne die ausländischen Gäste in eher mittelalterlichem Zustand.

Auch das ist eine Facette des Ak-kulturationsschocks, also der oft existentiellen Orientierungsprobleme, die sich aus dem Aufeinanderprallen westlicher und einheimischer, ursprünglicher Kulturen ergeben. In gewisser Weise ist die Reaktion in vielen islamischen Ländern verständlich, die Angst vor einer Nivellierung religiöser und kultureller Eigenheiten, vor der Degradierung lokaler Traditionen zur folkloristischen Dekoration. Denn als Westeuropäer kann man die Gewalt dieses Akkultu-rationsdrucks kaum mitfühlen.

Was unsere Weltenbummler an positiven und negativen Erfahrungen von ihrer Studienreise mitnehmen, ist sicher mehr als im sonstigen heutigen Tourismusbetrieb. Auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin wurde am 10. März dieses Jahres die

These diskutiert, die qualifizierte Studienreise sei die einzige sozial verantwortliche Beiseform. Daran ist sicherlich wahr, daß der (etwa zehnfach größere) Bereich des Pauschal- und Badetourismus kaum dieselben Chancen hat, für Problembewußtsein unter den Kunden zu werben und umweltschonendes Verhalten sowie Verständigung mit Menschen fremder Kulturen zu fördern.

Mittlerweile wirbt der Öko-Tourismus mit der „zarten Schöpfung"

Eine neuere Entwicklung ist, daß die Thematik bei einigen Veranstaltern immer stärker aufgegriffen wird. Sie verspricht zum Beispiel „Studiosus Reisen" auf den ersten Seiten aller Kataloge 1996: „Sie überwinden Grenzen, gehen auf Menschen zu und entdecken in scheinbaren Gegensätzen unerwartete Gemeinsamkeiten, die einander verstehen lassen." Die Seite davor wirbt großformatig: „ Zart ist sie, die Schöpfung, und nur für den voller Wunder, der sich selbst als Teil dieser Welt erkennt." Der Leitspruch des Unternehmens lautet „Einander verstehen", und als Jahresmotto würde das sozialverträgliche Reisen gewählt. Es gibt „Homestay-Program-me", wobei man als Gast bei einer Familie im Ausland leben kann. Es gibt

keine Reisen in „unberührte Regionen".

„Klingenstein & Partner" bitten ihre Kunden um „die Achtung vor fremden Sitten und moralischen wie religiösen Geboten". Der Umweltschutz beginnt beim Druck der Kataloge auf säurefreiem Altpapier. „Dr. Maiers Studienreisen", Wien, verspricht, sich „auch den ökologischen Problemen vor Ort" zu stellen. SpezialVeranstalter wie „Duma" und „Ecotour" kooperieren mit dem „World Wildlife Fund" oder dem „Bund Naturschutz", um umweltverträgliche Programme zu verwirklichen und auch den Cluburlaub kann man sanft durchführen, wie zum Beispiel in „Dr. Kochs Club Natura".

Das Dilemma ist, daß jeder Indivi-dualtourismus über kurz oder lang unweigerlich „die Masse" nach sich zieht - sogar extreme Einzelgängeraktionen. Dieser Tage ist eine nepalesische Expedition unterwegs, um den auf dem Mount Everest zurückgelassenen Müll abzuholen: etwa 1.500 Kilogramm.

Auf der anderen Seite bemühen sich Tourismusplaner in typischen Stranddestinationen, den Badetourismus zu kanalisieren. Dabei werden (natürlich die schönsten) Gebiete abgegrenzt, bewachte Ghettos geschaffen, in denen international etwa gleicher Standard herrscht und Landestypisches nur als abendliche Folklore-Darbietung auftaucht. Wo solches un-geplant geschieht, keine Kläranlagen gebaut werden, wie zum Beispiel an der Nordküste Kretas östlich von Her-aklion, rechnen skrupellose Hotelmanager mit einer Abiaufzeit von etwa 20 Jahren: Bis die Küste so zerstört ist, daß Gäste ausbleiben, hat die Kasse genug geklingelt.

Das zeigt die Komplexität der Problematik, denn sowohl in den Herkunftsländern als auch in den bereisten Begionen sind Nutznießer, Geschädigte und Kritiker des modernen Tourismus verteilt anzutreffen. Eine Bilanz der positiven und der negativen Effekte sieht jedesmal anders aus, sofern sie überhaupt möglich ist. Welchen Wert hat Völkerverständigung? Was kosten Umweltzerstörungen? Die zur Debatte stehenden Werte sind nicht kommensurabel. Alle müssen daran arbeiten, das Problembewußtsein in den Zielgebieten zu erhöhen und als Beisende viel mehr zu lernen als Geschichte und Kunst.

Bleibt zu hoffen, daß das Ehepaar Müller, wenn es zum Ägypten-Fotoabend lädt, das Schöne und das Problematische noch in Erinnerung hat und weiterdiskutiert. Der Autor ist Studienreiseleiter.

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