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Business mit Bali, Cash mit Kenia

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Herr Karl Powondra entstammt der Meidlinger Vorstadt und kennt die Welt von Gran Canaria bis Grado. Daß er aus purem Wissensdurst die abendliche Universität des öfteren besucht, erscheint unwahrscheinlich. Doch ihm und den dreihundert anderen in der Warteschlange vor dem Audi-Max geht es auch nicht um Rildung.

Sondern um ßilder. Sie warten auf Dias. Und nicht nur das. „Mitreißende Dia-Shows“ in „brillanter Großbildprojektion“ sind das mindeste, wienweit garantiert auf reißerischen Hochglanzplakaten. Denn die 100 Schilling Vorverkaufseintritt bedürfen einer Rechtfertigung. Konventionelle Diavorträge haben schon lange ausgedient - ohne aufwendige High-Tech-Show ist hier kein Staat mehr zu machen, geschweige denn Geld. Has-selblad Highlights. Leicavision. Acht Projektoren. Dolby Stereo Sound. Allein die technische Grundausstattung geht in die Zigtausende, von Saal mieten und Plakatwellen einmal abgesehen, die staubige Schaufenster und kahle Straßenbahnstationen wochenlang davor schon überfluten. Zweitausend Plakate pro Vortrag gilt es allein in Wien zu befestigen, weitere zehntausend für die Bundeslän-der.

Schon das Vorspiel zur Show hat seine eigenen Gesetze im heißumkämpften Dia-Dschungel Wien, wie so manches Audi-Max-Greenhorn erfahren mußte. „Mafiagleich“, wieSil-via Ocek, als Pamir-Expertin allein auf weiter Flur, längst weiß. „Keiner gönnt dem anderen ein volles Haus, und nicht jedes Plakat ist auch am nächsten Morgen noch an Ort und Stelle...“

Doch besser Lehrgeld als leere Säle. Vorbei die heile Show-Welt der ach-ziger Jahre, als die bloßen Namen Kenia oder Nepal genügten, die 750 Plätze des Audi-Max mit Nachwuchsabenteurern vollzurammeln. Vergangenheit auch die bloße Konzentration auf Globetrotter-Geheimtips von Rurma bis Rolivien: Es lebe das Geschäft mit den bunten Rüdem einer Welt, die längst nicht mehr so fremd ist wie früher. Die schönen Seiten der Armut, gesponsert von Ruefa und Kneissl, von Rergfuchs und Nikon -Palmenstrände und immer fröhliche, stets gastfreundliche Einheimische sind käuflich geworden, je barbusiger desto besser, merkbar vermarktet von und für Reiseveranstalter und Ausrüstungsshops. „Die Leute wollen keine Thematisierungen, schon gar keine Kritik“, bestätigt Thomas Wiltner, einer der jungen Garde der Show-Manager, die den Vortragenden längst die Grobarbeit abnehmen und Kartenverkauf, langfristige Saalbuchungen und Sponsorensuche abwickeln. Und auch die Gewogenheit von Portieren und Plakatierern will schließlich erworben sein. Freundschaftliche zehn Prozent, nicht mehr. Und Schmieren mit Rieren zur Erinnerung.

Kein Zweifel, Fernreisen sind längst Prestigesache für jedermann -für Pauschaltouristen und Individual-reisende gleichermaßen, ob bewußt oder unbewußt, doch zwingender wohl denn je. Prestige ist durch Trophäen vermittelbar, Reweise, daß man „dort“ war: authentisches Bildmaterial bietet nach der Rückkehr exotisch-malerische Impressionen geistig fremder Kulturkreise und erhöht - unabhängig von der Reiseform - Rewunderung, Ächtung und Autorität des reisenden Abenteurers, vor allem nach der glorreichen Rückkehr aus der imagebelasteten Gefahr des unbekannten, selbstverständlich malariaverseuchten Außer-Europa. Wie von einem inneren Zwang getrieben, sammelt der Homo Touristicus seine Reisegewinne, und knipst sich elefantengleich durch die Porzellanläden der Dritten Welt. Negativ oder Positiv - wählen Sie selbst!

Religiöse Zeremonien bieten Fotohungrigen die Garantie auf fotographische Ieckerbissen traditionell gekleideter Bilderbuch-Einheimischer, nach Reiseschluß begehrte authentische Beweismittel für die „Primitivität“ der bereisten Kulturen und damit Aufwertung der eigenen Herkunft - auch wenn die männliche Dorfjugend von Bali bis Banjarmasin danach wieder in ihre starte-washed-Jeansjacken schlüpfen und auf ihren Honda-Motorrädern hochtourig davonbrausen: Doch dieser Aspekt ist in der heimatlichen Dia-Show nicht mehr vorhanden, fototechnisch relevant ist einzig die Exotik.

Christian Adler, Verhaltensforscher und Ethnologe, formuliert noch prägnanter, noch zynischer: „Das Bewußtsein um unsere kulturelle Überlegenheit und die daraus resultierende Selbstüberschätzung lassen uns die Feier wie ein Schauspiel aus einer längst vergangenen Epoche erscheinen. Wir sind die Zeugen, wahrscheinlich die letzten, die dieses Schauspiel miterleben können. Also gilt es zu dokumentieren, was foto-graphierbar ist.“

Kein Zufall jedenfalls, daß die Pulte bereits vorsorglich mit Flugblättern einiger Reiseveranstalter belegt sind, die ähnliche Touren anbieten. Verloren ohne Sponsoren? Denn die hohen Eintrittspreise trügen: Sieben Schilling Druckkosten pro Plakat. Plakatieren. Ankündigungsabgabe. Saalmiete. Die richtigen Leute zur richtigen Zeit. Eine hohe Latte zum Gewinn. Sepp Puchinger, ein alter Vortragshase, kennt das Problem: „Zu-viele schlechte Vorträge, das drückt das Interesse. Mehr als ein paar Tausender oder Gratisfilmmaterial sind kaum mehr drinnen“.

Die goldenen Zeiten der ausverkauften Säle scheinen Vergangenheit. Zu viele versuchen ihre Urlaubserinnerungen zu barer Münze zu machen und ihre unglaublichen Abenteuer in fernen Landen zu versilbern. Trotz Saalmieten von 4.900 (Neues Institutsgebäude) oder 7.070 'Schilling (Audimax) sind jene beiden Uni-Säle wienweit am günstigsten und laut Veranstaltungsreferat der Universität bis in das nächste lahr bereits jetzt weitgehend ausgebucht: Einige hundert Fernwehkranke finden sich immer, und „ab dreihundert zahlt sich's aus wie Thomas Wiltner vorrechnet. Doch wirklich gut gingen ohnedies nur die Klassiker Australien, USA und Fernost, die nachvollziehbare Urlaubsfreuden erwarten lassen und potentielle Sponsoren anlocken wie die Maden der Speck.

Ware Diashow: „Die wahre Authentizität muß auf der Strecke bleiben, sonst sitzt du bald alleine da“, hat Sepp Puchinger längst resigniert und seinen Schwerpunkt auf Kajaking und Klettern gelegt - weg von der bloßen Ländershow'. Da ist von Eingeborenen die Rede, die zwar primitiv aber doch irgendwie freundlich waren; von wilden Tieren und waghalsigen Expeditionen, von farbigen Indiodörfern und traumhaften Stränden. Palmen und Pin-Ups. Blendende Überblendungen. 1 )enn leider fehlt die Realität der Past-Food-Buden Hongkongs, der dritten Dallas-Staffel im tiefsten Bor-neo und der klimatisierten Shopping-Center Mombasas - die daheim müssen ja nicht alles wissen: „Visionen und Emotionen gehen immer noch am besten, daran kommt keiner vorbei“, meint auch Peter Giovannini, Leiter des Traveller-Clubs Wien. Also gibt es eben weiter bloß leinwandfüllende Bikschafahrer und malerische Märkte barfüßiger Mangohändler. Etwas Globetrotterlatein erhöht das eigene Prestige und stärkt gleichzeitig unterbewußt den Glauben an die Überlegenheit der eigenen Herkunft. Zufriedene Gäste kommen wieder, frohlocken so manche Wiener Survi-val-Shops, deren Überlebensausrüstung - dezent erkennbar - soeben wieder einem Patagonien-Helden das nackte Dasein gerettet hat...

Je pittoresker die Armut, desto ori gineller werden die Fotos. Tropische Wilde eben, Ethnotourismus, na und: Wir haben unsere eigene Kultur und außerdem dafür bezahlt. Birkenstock und Shorts. Basta. Wie ginge es wohl einer Gruppe Massai, die am Zentralfriedhof einen Regräbniszug fotographisch attackierten und unter lautstarken Kommentaren Porträts der Trauernden machten? Die Vision objektiver Völkerverständigung hat längst der Völkerverständigung des Objektivs Platz gemacht.

Der Einsatz der Kamera als Schutzschild gegen das andrängende Neue ist bewährte Praxis, allein das Hantieren mit ihr schützt vor Desorientierung: Die Kamera ordnet die Welt um, ermöglicht einen subjektiven Ausschnitt der Wirklichkeit, doch niemals eine Gesamtheit. Fotogra-phieren spiegelt also vielfach die Verweigerung von Erfahrung, das Eingeständnis unerfüllter Erwartungen und Träume: das Neue beschränkt auf die Suche nach fotogenen Motiven, und Erfahrung verwandelt in ein Souvenir.

„Wenn ich es nicht mache, dann kommt ein anderer“, gibt Reisefotograf Thomas I Iummel zu bedenken: Dem ist wenig entgegenzusetzen, und von Idealen wird keiner satt. Das Publikum stößt sich an versagender Technik ohnedies mehr als an haarsträubenden Reschreibungen garantiert echter Eingeborener, wie Szenekenner versichern. Die einen wollen authentische Information, die anderen bloß einen bunten Abend. Sollen sie haben: Für ein ausverkauftes Haus, je nach Höhe der Sponsorgelder und Nebenspesen gleichbedeutend mit einem Netto-Gewinn ab 15.000 Schilling, lohnt sich die Produktion synthetischer F,xotik allemal: Traumstrände, malerische Armut und natürliches Leben, „Abenteuer am Rande der Welt“, vorgestellt von selbsternannten Landeskennern auf Vortragstournee von Kiel bis Knittel-feld. Klischee jagt Klischee, Geheimtip folgt Geheimtip: Rusiness mit Bali und Cash mit Kenia.

„Toller Vortrag, der Mann hat was erlebt“. Herr Powondra war sichtlich beeindruckt. Und morgen wird er sofort die Nordthailand-Rundreise mit Radewoche in Pattaya buchen. Schließlich will er ja auch hin, bevor die richtigen 'Touristen kommen ...

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