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Die Hobbyisten

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DA SITZEN SIE, zwei Herren im gesetzteren Alter, und streiten lautstark. Es geht weder um Politik, um Geschäft oder um ein amouröses Abenteuer. Beileibe nein, man möchte es nicht glauben, es geht um — Bierdeckel. Ja, um diese simplen Pappendeckelchen, auf die der Kellner die Biergläser stellt, damit sie durch ihre Feuchtigkeit das Tischtuch nicht verschmutzen, just um diese wogt der Streit. Die Herren sind keine Ober, die vielleicht einen Berufszwist austragen, es sind vielmehr nur Menschen, die ihre Freude im Sammeln von verschiedenartigen Bierdeckeln gefunden haben, es sind Menschen, die ihrem Hobby frönen. Hobby? Es wird in unseren Breitegraden auch hie und da noch Liebhaberei, Steckenpferd oder Freizeitbeschäftigung genannt und zählt zu jenen Dingen, die der Durchschnittsmensch meist nur schwerlich zu begreifen glaubt.

Manchmal wird auch gemunkelt, daß jene Menschen mit ihrer Freizeit nichts Besseres anzufangen wüßten und ihnen im Grunde genommen langweilig sei. Ist es aber wirklich so? Grundsätzlich muß man festhalten, daß Menschen mit einem Steckenpferdchen, dein sie liebevoll frönen, wesentlich ausgeglichener und fernab aller nervösen, die schnellebige Zeit so kennzeichnenden Hast sind. Die Freizeit ist es nämlich, die am meisten die Menschen aller Klassen und Altersstufen beschäftigt. Die Fünftagewoche verlängert das Wochenende, und viele ruhelose Geister wissen mit den kostbaren freien Stunden nichts anzufangen. Das müßte aber nicht sein, denn es gibt eine Unzahl von Freizeitbeschäftigungen — vom „Pfusch“ abgesehen —, die mit einem Mal gar nicht zu erfassen sind. Die Liebhaberei entwickelt sich auf Grund der persönlichen Eigenart und Fertigkeit und regt die Gehirnzellen an, selbst wenn die Beschäftigung für einen anderen, für einen Nichteingeweihten, geistlos und einfältig erscheint. Nicht zuletzt aber hat die Liebhaberei einen moralischen wie auch familiären Wert. Ein Familienvater, der einem Steckenpferdchen huldigt, wird sicher mehr zu Hause bleiben und sich seiner Familie widmen wie einer, der als Freizeitbeschäftigung im Wirtshaus sitzt und Karten spielt, was aber dann nicht selten in einen „blauen“ Abend ausartet.

SAMMELN IST DIE VERBREITET-STE LIEBHABEREI. Zigarettenschach, teln, Bierdeckeln, Zündholzschachteln, Zeitungsköpfe, Theaterkarten, Kinoprogramme, Fahrkarten, Geldscheine, Aschenbecher, Flaschen, ja sogar Kanonen- und U-Boote finden ihren Weg zu den Liebhabern.

In Triest lebt ein schlichter, einfacher Mann mit dem hochtrabenden Namen Diego de Henriquez, der in vielen Jahren Sammelleidenschaft von Mantelknöpfen der verschiedensten Uniformen bis zu großkalibrigen Kanonen so ziemlich alles zusammengetragen hat, was im Kriegshandwerk der letzten Jahrzehnte in Gebrauch stand. Die Krönung seiner Sammlung aber war ein deutsches U-Boot aus dem zweiten Weltkrieg. Das private, einer reinen Sammelleidenschaft entstandene Museum aber ist nicht mehr. Die Stadt Rom kaufte die „Kriegsschätze“ des eifrigen Sammlers auf und brachte sie im „Museum des Friedens“ (!) unter. Ein Schritt, der dem Triester Kriegshistoriker sehr gelegen kam, denn in seiner Heimatstadt hatte er für seine meist recht wertvollen Stücke keinen Platz mehr in Magazinen, so daß sie im Freien verrosten mußten. Dieser Einzelfall jedoch wird ein Einzelfall bleiben.

Der Durchschnittssammler begnügt sich mit einfacheren Objekten. Ein Techniker zum Beispiel, der sehr viele Reisen unternimmt, „sammelt“ Biergläser. Mehr als zweihundert verschiedene Stücke aus den verschiedensten Ländern hat er in seinem gemütlichen Heim. Wenn man ihn nach der Herkunft dieser stolzen Sammlung fragt, so verrät er ohne Scham, daß kein einziges dieser Prachtexemplare käuflich erworben ist. Geschenkt wurden ihm nur sehr wenige, der „Rest“ sind „Souvenirs“ ...

GELD ZU SAMMELN IST KEIN HOBBY, sondern eine Notwendigkeit. Handelt es sich bei dem Mammon aber um altes Geld, so kann man bereits wieder von einer echten, nicht materialistischen Gelüsten entspringenden Liebhaberei sprechen. Der bedeutendste Geldscheinsammler Österreichs — er ist Gerichtssachverständiger für Altpapiergeld — lebt in Wien. Karl Jaksch, Dentist von Beruf, besitzt eine weit mehr als 150.000 bunte Scheinchen umfassende Sammlung, unter denen sich etliche historische „Zuk-kerln“ befinden. Da findet sich einer der eisten Geldscheine aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ein 500-Gulden-Schein, um den man sich damals ein Haus hätte kaufen können. Auch ein Assignat aus der Zeit des französischen Sonnenkönigs zählt zu den historischen Kostbarkeiten. Was wäre ein echter Geldsammler, hätte er sich nicht jene zwei Banknoten beschaffen können, die vor ein paar Jahren so viel Staub aufwirbelten, als man sie zu tausenden aus dem Toplitzsee fischte: die Fünf- und die Fünfzigpfundnote, die während des nationalsozialistischen Regimes in Dachau gefälscht wurden und so echt aussahen, daß die Bank von England ihre Noten ändern mußte. An diesem Geldscheinsammler kann man genau den Werdegang eines Hobbyisten verfolgen.

1916, als Karl Jaksch gerade den Beruf des Zahntechnikers erlernte, schenkte ihm sein Chef jene Papierstückchen, die damals in den Kriegsgefangenenlagern ihre Gültigkeit als Lagergeld hatten. Diese Scheine wurden immer mehr, und sie weckten schließlich den Sammlersinn des jungen Mannes. Die Inflationszeit der zwanziger Jahre ließ das Geld auf seinen Papierwert fallen, die einzelnen Gemeinden gaben Notgeld heraus. So tragisch die Zeit damals menschlich gesehen war, so günstig war sie für den jungen Sammler und seine Sammlung, denn in der Vielfalt der Scheine konnte er nun gustieren und seine

150.000 Blätter zusammentragen. Kuriose Dinge bemerkte man beim Sammeln: Im Dezember 1945 waren in der Zweiten Republik frischgedruckte Reichsmark im Umlauf...

GAR MANCHE FRAUEN WERDEN MIT WOHLWOLLEN ein Hobby ihres Mannes betrachten, andere werden es wieder als ein Eindringen in ihre geheiligte Sphäre ansehen. Es gibt kochende Männer, die sich vor etwa einem Jahr zu einem eigenen Klub zusammengeschlossen haben. Ihr Programm für die Freizeit ist der gute Geschmack im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei aber verfolgen die Kochlöffelschwingenden mit ihrer Liebhaberei einen viel tieferen Sinn als nur ein Steckenpferdreiten. Sollte die Frau krank werden oder ist sie berufstätig, so kann der Herr des Hauses 2ir> häuslichen Herd ebenso wie im Beruf „seinen Mann“ stellen.

ANTIQUITÄTEN SIND EIN INTERESSANTER JAGDGRUND, der aber in den meisten Fällen eine äußerst „dicke“ Brieftasche erfordert. Vor allem aber muß derjenige, der dieser Beschäftigung nachgehen will, cne tüchtige Portion Kunstverständnis und Kunstkenntnis mitbringen.

Bibliophile finden in einem Buch nicht nur einen Gegenstand, in dem man lesen kann, für sie ist das Buch ein treuer Freund. Der Büchersammler spezialisiert sich, er sammelt nicht jeden Drück. Für ihn sind die Erstdrucke da, Werke, die nur in geringer Auflage auf den Markt kamen, alte Folianten und jene Werke, die durch ihre Kupferstichillustrationen zu Kostbarkeiten wurden. Der Buchsammler, der echte, zieht aus, um in kleinen und verstaubten Buchläden nach interessanten Ladenhütern zu suchen. Für derlei Unternehmungen ist Wien ?ber bereits ein ungünstiger Boden geworden, da der geschäftliche Gedanke viel zu tief zwischen die ehrwürdigen Buchseiten eingedrungen ist. Kenner fahren daher nach England, Italien und Frankreich, um dort auf Büchermärkten nach interessanten deutschsprachigen Werken zu suchen und sie auch zu finden. Oft sogar zu spottbilligen Preisen.

MODELLBAU IST EHER KUNST als Hobby. Da gibt es einen Wiener.

der abends, wenn der Berufsalltag vorüber ist, zu Hause in einem kleinen Kabinett sitzt und an seinen Modellen baut. Seine große Leidenschaft sind kleine Schiffe. Er kann sich gar nicht mehr daran erinnern, wie viele Modelle schon dieses Kabinett verließen und ihren Weg in anderen Besitz antraten. Und trotzdem arbeitet er weiter; und während er an einem Bug herumbastelt, berichtet er von seiner Lieblingsbeschäftigung. Im Modellbau muß alles naturgetreu nachgebildet werden, und das erfordert ein genaues Studium der Unterlagen des betreffenden „großen“ Gegenstandes. Um aber zu den Plänen und Unterlagen zu kommen, wäre schon ein Hobby für sich, wenn man die Wege bedenkt, die da begangen werden müssen.

Irgendwie bekam dieser Modellbauer aus Passion vor etlichen Jahren die Pläne des englischen Dreideckers „Saint Michel“ in die Hände, der 1670 in Großbritannien erbaut wurde und als bewaffnetes Schiff die Weltmeere durchkreuzte. Der Mann griff nach dem Unterlagenstudium zu seinen Werkzeugen und begann zu arbeiten. Tausend Arbeitsstunden lang. Was allerdings heute dasteht, ist ein Meisterwerk für sich und wurde als solches schon auf etlichen Ausstellungen bewundert.

Nicht nur dieses Meisterwerk ziert die kleine Wohnung des Modellbauers aus Passion, in der er mit Frau und Meerschweinchen lebt.

„Daniel Boone“ stammt aus den Vereinigten Staaten. Er war einer jener typischen „Steamer“, die zur Zeit Karl Mays noch die Flüsse befuhren. „Daniel Boone“ wurde 1856 von den Nordstaaten zur Gänze aus Holz gebaut und befuhr vor 25 Jahren, also achtzigjährig, noch die Flüsse Amerikas. Der Modellbauer arbeitete an der naturgetreuen Nachbildung 100 Stunden, wobei sich aber, wie beim großen Vetter, vom Schaufelrad angefangen alles bewegt, was sich eben bei einem solchen Schiff zu bewegen hat. Dieser „Steamer“ hat eine abenteuerliche Geschichte hinter sich, die zu erforschen ebenfalls das Hobby dieses Mannes ist.

So erzählt ihm sein Modell heute, daß der echte „Daniel Boone“ ursprünglich den Nordstaaten als Truppentransporter diente, im Bürgerkrieg von den Südsfaaten erobert, schließlich von den Nordstaatlern wieder zurückgeholt wurde. Als Amerikas Staaten dann schließlich vereinigt waren, diente er als Verkehrsschiff, das auch der Dichter Mark Twain benützte.

DIE FERNE LOCKT. Dieser Reiz hat auch einige Liebhabereien geboren, denen auch junge Menschen mit Begeisterung nachgehen. Das fürs Taschengeld tragbarste Steckenpferd ist — meist in englischer Sprache — der Briefwechsel mit Gleichgesinnten irgendwo in Asien, Afrika oder Amerika. Natürlich reizen auch europäische Staaten, aber um wieviel interessanter ist es doch, beim Nachhausekommen einen Brief mit Marken eines Landes vorzufinden, das man die nächsten zwanzig Jahre seiner Entfernung wegen nur mit dem Finger auf der Landkarte wird bereisen können. Es wäre falsch, anzunehmen, nur Jugendliche wählten diese Freizeitbeschäftigung. Viele Erwachsene sitzen in ihren Mußestunden vor einem Blatt Papier und schreiben ihrem oft tausende Kilometer entfernten Brieffreund. Dieses Hobby vermittelt sehr herzliche Freundschaften, obwohl die beiden Briefschreiber einander noch nie zu Gesicht bekommen haben.

Um den Verlockungen der Ferne richtig zu verfallen, muß man reisen. Ein ganzes Jahr freut man sich auf diesen heißersehnten Tag, an dem der Zug aus dem Bahnhof rollt und einen der Ferne näherbringt. Oder man fährt mit dem Wagen, nimmt das Flugzeug. Es bleibt sich gleich, welches Verkehrsmittel benützt wird, wenn das Reisen das Hobby ist. Monatelang wird im Voraus schon geplant, wird jeder Tag in der fremden Stadt nach Stunden eingeteilt. Viele dieser Leute halten es auch für ganz natürlich, die fremde Landessprache wenigstens in ihren Grundzügen zu erlernen, um sich dann an Ort und Stelle mit den Leuten verständigen zu können. Man sieht, daß auf diese Weise das liebe, manchmal auch belächelte Steckenpferdchen mehr ist als nur eine Freizeitgestaltung, und den Menschen im Beruf und im Leben eine wertvolle Hilfe sein kann.

DER STECKENPFERDE GIBT ES TAUSENDE. Mehr Menschen sind einem Hobby verfallen als man annehmen könnte; viele von ihnen wissen es manchmal gar nicht. Liebhaberei verschont keinen Menschen. Ein Mensch ohne Hobby ist ohne Inhalt, ist leer. Er hat nichts, woran er hängt und was ihm etwas geben kann, ihm etwas bedeutet.

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