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Rasch weg ans Meer, egal wohin

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Der Traum vom Reisen Sehnsucht nach der Ferne: Neues kennenlernen, Land und Leute. Aber: Läßt der Tourismus heute überhaupt / Begegnungen zu?

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Der Traum vom Reisen Sehnsucht nach der Ferne: Neues kennenlernen, Land und Leute. Aber: Läßt der Tourismus heute überhaupt / Begegnungen zu?

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Eini in' Fliaga und obi ans Meer!" Wer kennt sie nicht, diese Urlaubshymne, wer kennt nicht dieses drängende Gefühl: Nur weg hier, aus meinem Alltag, von den Kollegen, die mir alle Kraft aussaugen, von dem schlechten Wetter, so schnell wie möglich weg - an den Strand! Abschalten, Entspannen (oder neudeutsch: „relaxen!"), Tapetenwechsel, Sonne, Meer, Sand ...

Um so in den Urlaub zu flüchten, gibt es immer mehr günstige Angebote. Zurückgehende Flugpreise und der beinharte Konkurrenzkampf um die Dollars, Schillinge oder Mark der Touristen bewirken, daß ständig mehr Menschen in weit entfernte, fremde, exotische Länder reisen. Die Anzahl der Fernreisen von Österreichern hat sich seit 1975 mehr als verdoppelt.

Gesucht wird oft nur der Strand und sein Drumherum: Ein schönes Hotel, mit Sportangeboten, mit einer American Bar zum Flirten, wenn möglich das heimische Bier im Angebot, die Diskothek, die Geschäfte ...

Weniger wichtig sind die Chancen, den Einheimisi hen zu begegnen, eventuell Freundschaften anzuknüpfen, ihre Lebensweise kennenzulernen und ihre Tradition zu verstehen. Schließlich ist es geradezu anstrengend, sich um ihre Geschichte zu bemühen und um ihre gegenwärtige Lage: ihre sozialen Probleme oder die ökologische Situation zum Beispiel! Außerdem ist das oft entmutigend, vor allem in Ländern der „Dritten Welt". Man flog ja nicht lausende von Kilometern für sein „gutes Geld", um sich Gewissensbisse einzukaufen und sich die Probleme fremder Menschen aufzuhalsen! 1993 zeigten 28 Prozent der Deutschen, die in die Dritte Welt reisten, ein geringes oder gar kein Interesse an den Lebensbedingungen und Problemen der „Bereisten".

Auf diese Weise wird von. dem Land, dessen Gast man ist, nur eine Perspektive wahrgenommen, eben die, die einem - hoffentlich - wohltut. Man kauft einen Ausschnitt: etwa den, der auf einer hübschen Ansichtskarte Platz hat.

Diese Selektion, mehr oder weniger bewußt, ist nicht prinzipiell moralisch verwerflich, solange keine krassen Ungerechtigkeiten entstehen: Solange also auch die Einheimischen als Vertragspartner einen Nutzen davon haben und nicht ausgebeutet werden. Wir können es ja nachempfinden, das Bedürfnis, aus dem Alltag und den Belastungen einfach einmal zu flüchten. Oft sind die Anforderungen daheim, in Familie und Beruf, wirklich extrem hoch und machen die Sehnsucht nach ein paar bloß entspannenden Tagen sehr verständlich.

Problematisch ist aber, wenn sich das Bewußtsein des Reisenden so verändert, daß er oder sie nicht mehr wahrnimmt, daß diese Art zu reisen nur eine reduzierte Form ist, nur ein Ausschnitt, vielleicht ein Kompromiß. Wenn dann das Konsumieren fremder Länder völlig selbstverständlich wird, ohne daß eine Beziehung zum Land gesucht wird, und das heißt: ohne echten Kontakt mit den Menschen dort.

Es ist ein eigenartiges Phänomen, daß in den reiselustigsten Ländern, wo viele Urlauber Kontakte mit fremden Menschen haben, die Ausländerfeindlichkeit steigt. Das wirft kein gutes Licht auf die menschliche Qualität jener Ferienbegegnungen. Dabei sind Freundschaften, die im Urlaub entstehen, im

Bückblick oft die schönsten Erinnerungen: Vor zwanzig Jahren kehrten wir als Kinder und Jugendliche viermal mit unseren Eltern auf eine winzige griechische Insel zurück und wohnten bei derselben Familie. Sogar als sie nach Australien auswanderte, riß der Kontakt nicht gleich ab. Die erste Erinnerung beim Gedanken an jene Insel ist Panaiotis' Gesicht.

Heute scheint es, herrscht von vornherein eher das Bewußtsein der Schnellebigkeit vor und entmutigt, Beziehungen zu suchen. Denn dahinter lauert das fade Gefühl: Nächstes Jahr fahre ich eh ans andere Ende der Welt, die Karibik habe ich noch nicht „gemacht" (!), wer weiß ...

Die bestens gebuchten Cluburlaube sind in dieser Hinsicht am radikalsten: Oft in bitter armen Küstenregionen, sind sie aus Furcht vor Überfällen und Diebstählen nach außen hin abgeschottet. Im Club-Gelände werden alle Dienstleistungen angeboten - man braucht es nicht zu verlassen. Landestypisches taucht als kommerzialisierte' Folklore im Abendprogramm auf.

Anders ist die Situation bei Studienreisen: Denn die führenden Veranstalter wissen meist um ihre Verantwortung, den Tourismus auch als Chance für Völkerverständigung und so weiter zu nützen. Kürzlich haben sich manche mit „Terre des hommes" zu einer großen Aktion gegen Kinderprostitution zu-sammengeschlos-sen. Bei pauschalen Strandurlauben sind Problembewußtsein und menschliche Kon-, taktaufnahme überwiegend der eigenen Initiative des Touristen anheimgestellt.

In bestimmten Urlaubsländern ist das Verhältnis der beiden Reisearten ernüchternd: 1993 reisten 90.200 Österreicher im Rahmen einer Studien- oder Besichtungsreise nach Italien, hingegen machten 309.600 einen Strandurlaub. In Griechenland, Spanien und Portugal ist das Verhält- ms sogar eins zu zehn.

Auch die Art der Fortbewegung bestimmt über die Chancen; Kontakte zu knüpfen: Immer schneller soll es gehen, es wird immer mehr geflogen. Wievielen Menschen begegnet der Reisende im Zug oder auch mit dem Auto, wieviele kleine Gespräche gibt es unterwegs, welch bunte Beobachtungen. Der Fluggast hingegen wird mit international standardisierten Umgangsformen behandelt, die auf Effektivität zielen. „Smoker or non-smoker, Sir?" „Der Kapitän begrüßt Sie, unsere Flughöhe..."

Freilich: In die Dominikanische Bepublik kommt man nicht mit dem Zug. Es geht darum, sich solche Entwicklungen bewußt zu machen und zu fragen: Welche Konsequenzen haben sie? Was suche ich eigentlich?

Dies gilt besonders für die last mi-nute gebuchten Flüge. Es ist durchaus sinnvoll, nicht verkaufte Plätze billig abzugeben, damit sie nicht leer bleiben - aber welchen Bezug zum Reiseziel habe ich, wenn dieses vom Zufall abhängt, in letzter Minute? Spontaneität und Freiheit können als Kehrseite Beliebigkeit und Austauschbarkeit haben.

Das tragischste,Kapitel über „Reisen und Beziehung", das schlimmste Extrem: Prostitutionstourismus, wie er vor allem in Südostasien blüht. In „Sexbombern" wird, nach Bangkok geflogen, schon Kinder werden verkauft (die haben weniger AIDS!), und selbstverständlich gibt es auch alles für Homosexuelle. Zum Beispiel Hotels, die sich „nur für Singles" empfehlen. Weit weniger übel, aber doch auch fragwürdig, ist die jugendliche Abenteuersuche, etwa in den Diskotheken Rimi-nis oder auf los. Da werden Beziehungen eingegangen, aber welche? Oft ist es ein Verhältnis menschlicher Ausbeutung, und sei es eine gegenseitige.

Das Dilemma besteht darin, daß das Reisen demokratisiert wurde, seit Thomas Cook 1856 die Pauschalreise erfand, und nunmehr Millionen das tun, was vordem einer Elite vorbehalten war. Die alte Heiligkeit des Gast-rechts, und damit die Intensität persönlicher Begegnungen, kann aber nicht mehr Grundlage des Massentourismus sein. Der Gast wurde zum Wirtschaftsfaktor.

Der Tourismusforscher Karl Vorlaufer untercheidet in seinem Modell der touristischen Entwicklung drei Phasen, von der „Entdeckung" eines Gebietes bis zum Massentourismus. Dabei sind die Kontakte zwischen Besuchern und Einheimischen am Anfang unmittelbar, „face-to-face", und von sehr großem Interesse bestimmt. Dieses wird, je mehr Gäste kommen, desto oberflächlicher und die menschliche Begegnung unpersönlicher. In diesem Prozeß passen sich die Einheimischen mehr und mehr den Besuchern an - oft unter Verlust ihrer kulturellen Identität.

Der Autor ist Studienreiseleiter.

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