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Konflikte im Urlaub

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Von der Touristik-Branche wird sie zur schönsten Zeit des Jahres hochstilisiert, die Realität ist oft ganz anders: Urlaubszeit erleben viele durchaus auch als Konfliktzeit.

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Von der Touristik-Branche wird sie zur schönsten Zeit des Jahres hochstilisiert, die Realität ist oft ganz anders: Urlaubszeit erleben viele durchaus auch als Konfliktzeit.

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Zweimal im Jahr bricht im Leben des Westeuropäers totale Hektik aus: Zum ersten, wenn es darum geht, die „stillste Zeit des Jahres“ zu begehen, also Weihnachten vorzubereiten, und zweitens, wenn die '.schönste Zeit des Jahres“, also der Urlaub, vor der Tür steht.

Kaum jemand bleibt von dieser Vorurlaubshektik verschont. Sie zehrt an unseren letzten Kräften und legt damit eine gesunde Basis für erste Urlaubskonflikte.

Streßgeschwächt treten natürlich alle jene ihren Urlaub an, die berufstätig sind. Im Berufsleben muß ja bis spätestens Ende Juni all das erledigt sein, was nicht bis

September warten kann. Wen erreicht man denn schon im Juli oder im August?

Nicht weniger am Rande ihrer Kräfte sind die Schüler — vor allem, wenn der Aufstieg erst im allerletzten Anlauf bei der Entscheidungsprüfung geschafft wurde.

Bleiben die Hausfrauen, denen ihre überlasteten Familienangehörigen ganz selbstverständlich alle Vorbereitungen für den so heiß ersehnten Aufbruch in eine „bessere Welt“ aufgehalst haben. Das übliche Argument: „Wenigstens Du hast ja genügend Zeit“ überzeugt alle bis auf die Betroffenen.

Auf diese Weise bestens geschwächt, gilt es die ersten Hürden zu nehmen, in die Ferne aufzubrechen. Da ist zunächst das Gepäck: Was jeder einzelne als unbedingt notwendig zusammengetragen hat, erweist sich beim Versuch, den Kofferraum zu beladen, als Uberfülle, die es zu reduzieren gilt. Ein schwieriges Unterfangen, das reihum Schuldzuweisungen auslöst und auch durch ein Machtwort des ohnedies irritierten Vaters (ich weiß, wovon ich spreche) nicht zu lösen ist.

Erschwert wird alles durch den Zeitdruck: „Wir wollten doch vor der Verkehrsspitze weg. Denk an die langen Wartezeiten an den Grenzen___“

Endlich im Auto und Richtung Urlaubsort unterwegs fällt sicher jemandem ein, daß er etwas Unentbehrliches vergessen hat. Bei uns war es heuer ein Reisepaß. Also stehenbleiben, umkehren, suchen gehen. Und dazu die Kommentare: Jedes Jahr dasselbe, wann lernst Du endlich einpak-ken, Du bist schuld, wenn wir im Stau landen...

Ja, und dann passiert es wirklich: Man steht im Stau, womöglich in brütender Hitze. Die Kinder raunzen. Aussteigen kann man sie doch nicht lassen. Wer weiß, vielleicht setzt sich die Kolonne gerade dann in Bewegung ... Die Eltern sind sich un-eins: Vater plädiert für Beherrschung, Mutter für Aussteigen. Sie wissen schon, lieber Leser, wie so etwas weitergeht.

Dabei hatten doch alle die besten Absichten. Diesmal wollte man die Fehler des Vorjahres nicht wiederholen. Alles hätte rechtzeitig geschehen sollen. Schließlich hatten ja alle den Urlaub herbeigesehnt.

Von ihm erwartet man sich ja heute geradezu Unvorstellbares: Alles, was das Jahr hindurch zu kurz gekommen ist, soll in dieser Zeit nachgeholt werden. Wir werden endlich verschnaufen und zur Ruhe kommen, werden lesen und wandern. Natürlich steht auch lang schlafen auf dem Programm, und beim Essen werden wir auch nicht dauernd auf die Kalorientabelle schauen.

Vor allem aber soll es nach langem wieder eine Gelegenheit sein, daß wir uns als Familie erleben. Bei dem vielen Programm, das jeder hat, war ja kaum mehr Gelegenheit zu einem gemeinsamen Essen.

Und auch der Ortswechsel wird allen guttun. In einer neuen Umgebung muß man ja ein neuer Mensch werden. Mit Schönwetter rechnet man sowieso. Schließlich zeigt die Werbung die Urlaubsorte ja grundsätzlich nur bei strahlendem Sonnenschein: lachende, entspannte Gesichter, sich wohlig räkelnde braungebrannte Schönheiten an halbleeren Stränden, blauer Himmel, Urlaubsfreuden wie im Paradies...

Ja, wir werden Kraft tanken. Im Herbst werden wir sie dringend brauchen.

Und dann stellt sich heraus, daß alles doch recht anders als erhofft ist: Das Wetter ist eben nicht nur strahlend („Du hättest doch nicht wieder den Regenschirm vergessen sollen!“), der Strand übervoll und das Wasser nicht sehr einladend. In den Lokalen muß man stundenlang auf das Essen warten, was die größeren Kinder zu ärgerlichen Betrachtungen, die kleineren zu Eskapaden im Lokal reizt.

Statt genüßlich fremdländische Kost zu verzehren, muß man sich für den Nachwuchs schämen und der bereits aufmerksam gewordenen Umgebung Autorität durch Strenge beweisen. Und das wiederum gibt Anlaß zu Grundsatzdebatten über die Erziehungsmethoden ...

Und bei all dem schwingt im Unterbewußtsein immer wieder die Enttäuschung mit: Wir hatten uns doch alles so schön ausgemalt.

Probleme kann auch das doch recht enge Zusammenleben im Urlaub bereiten. Im Alltag hat doch jeder seine eigenen Aufgaben, und die Lebensbereiche überschneiden sich weniger als im Urlaub. Hier muß man oft auf sehr engem Raum miteinander auskommen, vor allem bei Schlechtwetter, etwa beim Camping, im Hotelzimmer, das weitaus weniger Komfort bietet als das eigene Heim, oder im Segelboot. Da kann man sich keineswegs so gehen lassen, wie man gehofft hat. Häufig ist mehr Disziplin als im Alltag gefordert. Und das im Urlaub!

Wann denn sonst sollte man endlich nach eigenen Vorstellungen leben? Das ganze Jahr über

(Noll) muß man ja das tun, was andere von einem fordern. Und damit sind wir bei einer weiteren Quelle von Urlaubskonflikten: der Programmkoordination. Vater wollte endlich Ruhe haben und möglichst ungestört seinen Hobbies nachgehen. Einmal im Jahr wenigstens.

Damit sind aber seine kleinen Kinder und seine Frau nicht einverstanden. Endlich wolle man gemeinsam etwas unternehmen. „Das ganze Jahr haben die Kinder kaum etwas von Dir“, heißt es dann. „Bald sind sie groß, dann wollen sie ohnedies nichts mehr von uns wissen.“

Und tatsächlich: Da finden Jugendliche auf einmal alles fad, was Eltern vorher mit ihnen unternommen haben, bleiben abends lang weg und sind kaum vor Mittag aus dem Bett zu bekommen.

„Da hätten wir genauso gut allein fahren können“, denkt dann so manches Elternpaar enttäuscht, sagt aber nichts, weil die Jungen sonst mit „Inter-Rail“ im nächsten Sommer drohen. Und ohne die Kinder — das wäre halt doch nur halb so schön.

Und so entdeckt man, trotz aller Schwierigkeiten, die das Urlaubs-r leben auch bringt, was man aneinander hat. Je weniger hochgespannt die Erwartungen, je weniger fix die Vorstellungen von dem, was jedem im Urlaub zusteht, und je mehr Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, umso weniger Konflikte wird es geben.

Dann stören auch das schlechte Bett, die laute Musik im Nachbarzelt und die versalzene Lasagne nicht mehr so___

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