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Der Traum vom anderen Leben

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Wie sind die jungen Menschen, wie denken sie? Unser ständiger Mitarbeiter Philipp Mauthe schreibt über die Gleichaltrigen: Skizzen, Eindrücke, Überlegungen sollen Konturen und Farben der Wirklichkeit erscheinen lassen.

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Wie sind die jungen Menschen, wie denken sie? Unser ständiger Mitarbeiter Philipp Mauthe schreibt über die Gleichaltrigen: Skizzen, Eindrücke, Überlegungen sollen Konturen und Farben der Wirklichkeit erscheinen lassen.

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Anton

Der Anton hat natürlich seine Vorstellungen. Aber die Zukunft ist kein Thema für die Konversation. Es ist nicht gut, allzuviel davon zu sprechen; es gilt, sich den Augenblick zu erhalten. Dennoch hat er sich die Zukunft in seinem Geist eingerichtet, und schiebt an ihr herum und rückt zurecht, wann immer es ihm einfällt; nehme ich an.

Was er nach dem Jusstudium machen wird, wie die Wohnung eingeteilt wird, das ist eher auf Behaglichkeit, aufs sich Wohlfühlen angelegt. Er will keine Karriere machen, so sagt er. Er wird aufs Land gehen sagt er, dort wo er jetzt schon zum Wochenende ist. Als Beamter will er Zeit haben, seinen Liebhabereien zu frönen; Umbauen, ausbauen, bewirtschaften, pflanzen. Das ist genaugenommen jetzt schon zum Hauptberuf geworden, und Nebenberuf ist das Studium. Das Landleben sichert den geistig-seelischen Rückhalt, all das, was über die bloße Existenz hinaus vonnöten ist. Ähnlich einer Lebensversicherung, oder besser als diese, garantiert es Abenteuer und Romantik, Utopie und Alternative, genauso wie Hausstand und zukünftige Familie.

Anton ist sozusagen Realträumer. Das Andere und Ferne reicht in die Gegenwart, Traum und Wirklichkeit sind nah beieinander.

Anton ist also einer von den vielen jungen Städtern, die sich nach dem Lande sehnen. Unter diesen bildet er vielleicht eine Ausnahme, weil er so ganz ohne Attitüde ist. Weder kulminiert sein Interesse in einer neuen Weltanschauung mit stringenten Maximen, neuen biologischen Bauens und Lebens etwa, noch sieht man ihm äußerlich etwas an. Ist doch das Heer derer, die sich auf heimatlich in Loden und Trachten kleiden, als kämen sie immer geradewegs von ihren Ländereien, ins Epidemische angewachsen.

Brigitte

Die Brigitte steht in Opposition zu ihrem Elternhaus, aber nur ein bißchen und das scheint mehr pro forma, denn ihre Eltern sind wirklich lieb zu ihr. Sie spricht von Berlin, dort soll es viel besser sein, und von Amerika, dort würde sie gerne für eine Weile hinziehen. „Und warum gerade Amerika?“ frage ich. „Weil es so weit weg ist, um mich dort durchzusetzen, wäre ich einfach gezwungen, aus dem täglichen Trott auszubrechen.“

Mit dem Studium zurechtkommen, das schwebt wie eine dunkle Wolke ewig drohend über Brigittes Zukunftshimmel, Lernschwierigkeiten - so ließe sich ihr Problem recht ungefähr umfassen. Oder daß sie faul sei, hab ich über sie gehört; oder halt einfach ein bißl verachtenswert in ihrer sich selbst verschleppenden Art. So einfach ist das aber nicht. Sie kann nämlich ohne fremde Hilfe aus ihrer Bredouille nicht heraus. Sie steckt in einem ewigen Kreislauf, und hat es noch nicht herausgefunden, daß sie selbst es ist, die sich behindert. Also, sie hat Angst vorm Lernen, deshalb tut sie nur alles mögliche, dieses hinauszuzögern: aufräumen, einkaufen, Besorgungen erledigen, eventuell sogar besonders Schwieriges und Kompliziertes lernen, wenn sie nur ja das Eigentliche in weiter Ferne halten kann. Bei alledem handelt sie im besten Gewissen; sie stimmt sich auf die Arbeit ein, hat sie einmal gesagt. Da entfaltet sie derart viel Erfindungsreichtum, daß einem nur leid tun kann um das vergeudete Talent. Bald geht der Tag zu Ende. Für den nächsten Tag nimmt sie sich Unerreichbares vor. Dann flieht sie in den Schlaf.

Sie lebt von Nachhilfestunden, und ihre Eltern unterstützen sie. Die lassen es an Ermahungen nicht fehlen, und drängen offen, oder versteckt mit Raffinesse. Das geht schon eine Ewigkeit, seit der Schulzeit im gleichen Takt: indes wirkungslos, weü am eigentlichen Problem vorbei. So wird sie eher zugeschüttet, denn wachgerüttelt. Und so ergeht es den Eltern ähnlich, wie der Tochter.

Sie nimmt schon teil an der Welt, aber immer nur als Zuschauer von der Schwelle aus, wie ein Kind mit großen Augen.

Werner

Der Werner hat ein Handwerk erlernt, wie sein Vater. Es hielt ihn aber nicht im väterlichen Betrieb. Er ist in die Welt hinausgezogen. Ungestillte Abenteuerlust und unbändiger Ehrgeiz, die ließen ihn nicht ruhen. Es ist schwer zu sagen, ob er von Natur so ist; die Umstände seiner Kindheit und Jugend haben ihn dazu gebracht. Der Vater ist mit-schuld an dieser Entwicklung, er setzte all seinen Ehrgeiz in den Sohn, der sollte höher hinaus. Werner konnte die Ansprüche nicht befriedigen, auf Versagen folgten Vorwürfe, dieses Mißverhältnis begleitete ihn durch seine Jugend. Werner kompensierte, indem er übermäßig viel Phantasie in eine andere Welt setzte; ferne Länder, Abenteuer, sich bewähren. Er übersah, daß ein Freundeskreis ihm vieles von dem gewährt hätte, was er suchte. Aber da war sein Blick schon zu sehr auf Ferne eingestellt;

Auf Umwegen muß er jetzt eben doch höher hinaus.

Den Vater aber schmerzt das sehr.

So kommt es, daß es einen Performance-Künstler namens Werner Sowieso gibt, der durch die Länder reist' und Körperkunst- und Multimedia-Vorstellungen gibt. Ich stehe dieser Advantgarde-Disziplin an und für sich aufgeschlossen gegenüber, aber zufällig kenne ich eben einen Vertreter dieser Richtung, und weiß was der macht und wie das entstanden ist, und muß sagen es ist ein Holler. Das Schlagwort heißt Befreiung aus den Zwängen, aber was geschieht, ist wirr und verkehrt. Und insofern hat es keine Zukunft, was der Werner macht; wenn ich nicht sicher wäre, daß er einst so puritanisch konservativ sein wird, wie er jetzt progressiv und wild tut.

Werner verkehrt in Alternativwelten, wie es sie in jeder Großstadt gibt. Die sind aufs erste überschaulicher, als die, von der sie sich abgesondert haben. Nehmen wir die in Düsseldorf, dort hab' ich den Werner besucht. Die Szene ist eine Mischung aus Linkspolitischem, aus etwas „Underground“ und Jungkünstler-tum. Der Tag beginnt zu Mittag, in der Mensa der Kunstakademie. Am Nachmittag geht man ins Kaffee Sowieso, gleich gegenüber, das ist der eigentliche Kristallisationspunkt. Gegen Abend geht es dann richtig los: Musik spielt dort, und man tut nicht viel, außer gesehen zu werden. Aber doch hat alles seine Ordnung, sein Ritual. Da gibt es Bedeutendere und wenig Bedeutendere, das hängt wieder davon ab, von wem man gesehen wird. Für eine eigene Öffentlichkeit sorgt eine Alternativzeitung, die berichtet im Alternativjargon über Alternatiweranstaltungen.

Ich werde ein bißl an die Welt der Zwerglein in Gulliver's Reisen erinnert, in der es alles noch einmal gibt: Zwergleinhäuser, Zwergleinschulen, und Zwergleinzeitungen.

Susi

Wir saßen in der Straßenbahn, und ich lauschte Susis Worten. Was denn „dillen“ hieße, fragte ich jetzt gera-

deheraus. So nahtlos sich das Wort mit dem gewissen breiten „el“ in ihre Rede fügte, mir blieb es unverständlich. Ich mußte immer nur an Dille denken.

„Dealen, handeln“, spricht sie es korrekt für mich aus. Ach so. „Am Abend geht der nach Haus, Fenster streichen“, kann sie sich über einen ihrer Partner immer noch nicht be-• ruhigen, die so fad und verkrampft seien, anstatt daß sie mit uns aufs Land hinaus führen, an dem Samstagnachmittag. Mit ihnen führt sie ein Antiquitätengeschäft. Und deshalb, verwendet sie „handeln“ so oft, Branchenjargon; einerseits und Alternativjargon andererseits. Jetzt fügt sich eins ins andere. Ihre Rokokostöckelschuhe sind mir schon länger aufgefallen. Die hat sie „eigentlich vom Theater“. Avantgardistenhabit. Das ist auch ein bißl ihr Fach, denn sie zeichnet eigentlich, und will schauen, daß sie damit zum Durchbruch kommt. Deshalb war sie auch jetzt in Basel, auf der internationalen Kunstmesse „kontakten“, wie sie sich ausdrückt.

Sie ist ein bißl in einer Krise, unentschlossen, ob sie mit dem Dealen schlußmachen soll. Im Geschäft sorgt sie für die Präsentation und den Verkauf, das interessiert sie sehr.

So wie der Werner es macht, wie der sich verkauft, so sollte sie wohl auch langsam anfangen, das wäre das Richtige.

Die beiden Lager

Es ist, als stünden sich zwei Heere gegenüber; recht deutlich durch die Uniform geschieden; deren Schwadronen vielfach zersplittert und zerstritten sind. Ganz langsam nur bewegen sich die Reihen, und was sich verändert hat, sieht man immer erst im Nachhinein.

Die einen tragen Blue jeans, Lederjacken, und Texasstiefel^ das sind die Kosmopoliten. Die anderen sind heimatlich gekleidet in Loden und Trachten, daß sind die Isolationisten. Die wiederentdeckten Bügelfalten, und Krawatten, die Schnurrbarte, die Schottenmuster, die dunkelblauen Stutzen und weißen Sockerln in den College-Schuhen, dazu die dunkelblauen Faltenröcke, die stehen und auch noch in diesem Lager.

Aber das sind nur die Stabsuniformen. Dazwischen gibt es noch unendliche Variationen; das Heer der Unentschiedenen und Halbentschlossenen, Unbewußten.

Die Kosmopoliten rekrutieren sich aus jenen jungen Städtern, deren Blicke in die Ferne gerichtet sind. Ihr Sehnen und Trachten gilt einer anderen Welt, einer heimlichen Utopie, in der so und so alles anders ist. Für manche ist das das Ausland; die fühlen sich fast prinzipiell hinterdrein. Manche wieder erstreben eine andere Gesellschaftsform, die wollen deutlich mit Vergangenem brechen.

Die Isolationisten scheinen im Vormarsch, und es ist wahrscheinlich, daß sie sich durchsetzen werden, denn im Augenblick haben sie offenbar Einmaligkeit und Indivi-duation voraus. Ich jedenfalls bin Patriot; und wenn es wieder bis zu den Lederhosen zurückgeht, wie sie noch unsere Väter in ihrer Jugend trugen, ist es mir recht.

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