Österreich ist schön

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oder: Über Identität und Sprache.

Sehr verehrtes Publikum, bestimmt haben auch Sie schon einmal welche wo gesehen, Menschen, nämlich solche, die, wenn sie wegfahren, dies nicht, und zwar unter gar keinen Umständen ohne einer sogenannten Jause tun. Ich kenne diese Spezies des homo jausnbrotes vor allem von der Eisenbahn. Kaum setzt sich der Zug in Fahrt, packen sie schon ihre Jägerwürste, Eier, Salzstreuer, Tomaten aus. Oft haben sie auch Plastiksackerl mit Sauerkraut dabei, zumindest Salzgurken, ein paar Knoblauchzehen und jede Menge Quargeln oder Schlierbacher. Mit der größten Selbstverständlichkeit erzählen sie dann schmatzend, ein von einem Schweizermesser aufgespießtes Stück Brot mit Jägerwurst vor einem hin und her fuchtelnd, dass dem Essen in der Fremde ja keinesfalls zu trauen sei, weil man ja gar nicht wisse, was da alles drinnen ist, es besser auch gar nicht wissen wolle, und schon gar nicht so genau.

Während es umgekehrt Menschen wie mich gibt, die eine Ahnung davon haben, was in einer Jägerwurst alles drinnen sein muss, und die deshalb auch nichts mehr schrecken kann, also auch beim Verreisen keine kulinarische Abwechslung, schleppen die Jausner ihre Heimat immer im Tupperware-Geschirr mit sich herum. Für sie ist die Jausn gewissermaßen genauso ein Modul Heimat wie es früher vielleicht den Auswanderern das Säckchen Erde gewesen ist.

Aber vielleicht sind ja auch wir, die wir den Verlust der österreichischen Sprache beklagen, ich stelle es jedem frei, sich hier zuzurechnen oder nicht, denke aber, dass kaum einem Österreicher eine Angleichung an das Deutschendeutsch recht sein wird, vielleicht sind also auch wir mit unserem Österreichisch diesen Jausenauspackern gar nicht so unähnlich? Nur dass wir statt der Würste und Eier Wörter aus dem Rucksack holen, nämlich: Paradeiser, Schwammerl, Semmerl, Weckerl, Kipferl, Eräpfelsalat, Obstler, usw. - ganz gewöhnliche österreichische Nahrungsmittel also, die mancherorts schon Spezialitäten sind, und die es vielleicht schon bald überhaupt nur noch in Lexikas für ausgestorbene Wörter oder historischen Kochbüchern geben wird.

Wenn sich Österreich im Ausland verkauft oder verkaufen will, man hat es eben erst bei der Bewerbung Salzburgs für die Winter-Olympiade 2010 wieder gesehen, dann entweder über die Natur, die Berge, oder über Mozart, Weißes Rössel, Lipizzaner, Kitzbühel, Schönbrunn, Fiaker, so dass der Eindruck entsteht, Österreich sei so eine Art Habsburger-Erlebnispark, eine etwas sonderbare, vor allem niedliche Filmkulisse, eine Geisterbahn des Lieblichen vielleicht, ein mitteleuropäisches Bollywood. Wie viele Dinge erscheint auch Österreich von außen völlig anders als von innen, was sich unter anderem etwa daran zeigt, dass man im Ausland einen 100-Prozent-Prominenten wie zum Beispiel Hermann Maier überhaupt, überhaupt nicht kennt, dafür aber die Sounds of Music Familie Trapp, die wiederum vielen Österreichern wenig sagt.

Würde ich Österreich nur als dieses Bild, als diese touristische Simulation von Österreich, als die es sich nach außen hin verkauft, kennen, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht hier leben möchte. Und dabei lebe ich hier sehr gerne, nicht zuletzt wohl auch wegen der Sprache, meiner Muttersprache, die als solche etwas Ureigentliches, Intimes, etwas vielleicht ja sogar Paradiesisches besitzt, weil sie die Sprache der Kindheit, der Unschuld ist.

Eine junge Berlinerin, mit der ich vorige Woche zufällig nach Wien geflogen bin, hat abfällig gemeint, dass es schwer sein müsse, hier zu leben, weil alles so mit Geschichte angerammelt sei. Es könne hier, ihrer Meinung nach, nichts Neues mehr entstehen, Wien sei eine tote Stadt. Da habe ich noch im Flugzeug meine Sprachjausn ausgepackt und ihr erstens gesagt, dass sie aufpassen soll und ihr zweitens die Geschichte meiner argentinischen Schwiegermutter erzählt, die man vor 30 Jahren bloß deshalb am Schmäh geführt und gehäkelt hat, und zwar nach Strich und Faden, weil sie eine Lufthansa-Tasche bei sich getragen, und man sie deshalb für eine Deutsche gehalten hat. In falsche Richtungen hat man sie geschickt, ihre Bestellungen ignoriert, sie immer wieder, wie man im Wienerischen ja auch treffend sagt: anrennen lassen.

Freilich so etwas gibt es heutzutage eher nicht mehr, im Gegenteil, ein vorauseilender Gehorsam hat sich nicht nur in Tourismusorten und nicht nur auf den Speisekarten durchgesetzt, wo die Marillen plötzlich Aprikosen, die Topfenstrudel Käsekuchen, Obers Sahne und die Eierspeise Rührei heißt. In einer Volksmusiksendung wie dem bei den Jausenauspackern beliebten Musikantenstadel, in dem wahrscheinlich sowohl das Volk als auch die Musik simuliert werden, kommt kaum noch Dialekt vor. Das österreichische Deutsch verschwindet aber auch aus Büchern österreichischer Autoren in österreichischen Verlagen (in deutschen sowieso) - mit der einfachen Begründung, dass sie sich sonst halt nicht verkaufen. Österreichische Filme werden in Deutschland teilweise untertitelt, so dass Filmemacher, die wenigstens ein bisserl reüssieren wollen, gezwungen sind, zu einem Kommissar Rex- und Tatort-Österreichisch überzugehen.

Während also österreichische Wörter zusehends von deutschen ersetzt werden, haben es umgekehrt nur zwei, nur zwei österreichische Wörter geschafft, sich in Deutschland durchzusetzen, nämlich, eh schon wissen, das kleine Wörtchen eh, eh klar, und als zweites, Kommissar Rex sei dank, die Wurstsemmel. Und aufgrund dieses Ungleichgewichtes konstatieren nun manche ja bereits ein Aussterben des Österreichischen. Die Österreicher, unken sie, sterben aus.

So drastisch ist die Sache aber nicht. Solange noch jeder, der die Fremdsprache Deutsch erlernt hat und auch gut beherrscht, in Österreich wieder von vorne beginnen kann, und zwar ganz von vorne, solange auch Deutsche massive Probleme haben, Österreichisch zu verstehen, solange ist es nicht verloren. Es wäre ja auch Blödsinn, das Österreichische nur an Wörtern festzumachen. Eher schon zeigt sich die Sprache gewordene Mentalität am häufigen Gebrauch von Ironiesignalen, am Wiener Konjunktiv Conditionalis Charmantis, wie ein österreichischer Filmemacher kürzlich das den Imperativ umschreibende Würden-Sie-bitte, Könnten-Sie-nicht, Täten-Sie-nicht-vielleicht-wollen-wollen bezeichnet hat, oder auch in den unzähligen anderen kleinen oder großen Bedeutungsprallelen, von denen ich jetzt nur den Unterschied zwischen hab-mich-bitte-lieb und geh-hab-mi-gern genannt haben möchte.

Aber ist es umgekehrt nicht genauso? Immer wenn ich nach Deutschland darf, und das muss ich oft, ich komme ja auch grad' von dort, stellt sich in mir das sichere Gefühl leichter Verunsicherung auf. Schon das Licht ist anders, schärfere Konturen, nichts mehr verrinnt ins Nebulöse, nichts mehr zieht mich wo hinab, wie Wien das tut, versucht mich festzuhalten, zu verschlingen. Deutschland. Alles regt sich an der Oberfläche, keine Berge, nichts ist schmuddelig - es hieße ja auch gleich verschnieft. Nichts ist einfach so, zwecklos, alles hat Bestimmung, Absicht, Nutzen. Schon die Schaffner (Zugbegleiter heißen sie) sind adrett, freundlich und alles, nur nicht mürrisch oder süffisant, solange man keine Sprachjause auspackt, aber auch niemals charmant. Niemand spricht mehr kehlig, unverständlich, macht den Eindruck, als würde das Aussprechen einer Sache ihn belasten, ganz im Gegenteil, alle freuen sich, so will es scheinen, Dinge loszuwerden. Der Zugchef und sein Team begrüßt nun auch die zugestiegenen Gäste, das freundliche Mitropateam freut sich auf ihren Besuch undsoweiter, usf. Packe ich aber meine Dialektwörter-Jause aus, sehen sie mich alle komisch an.

Jedes Mal, wenn der Zug Passau oder Freilassing passiert, fühle ich mich schlagartig nicht mehr zu Hause.

Es ist die Sprache, in der das Mit-sich-eins-sein wohnt, auch wenn es wie im Österreichischen uneins mit sich selber ist. Jeder, der einmal längere Zeit im Ausland verbracht hat, kennt die Freude, das unbändige Glück, wenn man plötzlich auf ein noch so grobgeschnitztes Österreichisch trifft, wenn es plötzlich heißt: Hast leicht an Schas baut, oder Karli, lass de Latern aus, oda wülst das polieren.

Aber was wäre dieses Österreichisch dann? Man sagt ja, dass in den Erbinformationen der Gene die ganze Evolutionsgeschichte von den Amöben bis zum Menschen steckt, wir also zum Beispiel auch ein Reptilienhirn besitzen, ein Fischgefühl. Warum soll dann nicht auch in der Sprache das ganze österreichische Jahrtausend samt der paar Zerquetschten stecken? Und warum soll sich nicht auch die Landschaft in der Sprache abbilden? Beim Oberösterreichischen habe ich oft das Gefühl, dass sich dieses ständige Auf und ab der Voralpenlandschaft auch in den Sprachbewegungen, den dauernden Versuchen, etwas noch einmal, besser zu sagen, wiederfindet. Das Oberösterreichische, habe ich oft den Eindruck, ist Sprache gewordene Hügellandschaft. Sätze etwa wie: "Kunnt i bitte nu a Packerl Hobby hobn" werden als ständiger Wechsel von betonter und unbetonter Silbe gesprochen.

Ob das, die gespiegelte Landschaft in der Sprache, auch für andere Gegenden gilt? Ich denke schon.

Österreich ist schön. Das gleichnamige Gedicht von mir lautet:

Österreich ist schön

Österreich? Ist das schön. Und hundertmal / & überhaupt. Österreich ist schön, und / schon schön ist Österreich. Ich bin hundertmal / verliebt in Österreich. Und Österreich / ist sehr schön, das lernen wir, hundertmal, dass / Österreich richtig schön ist, und das ist / das Schöne an Österreich, dass hundertmal / schon die österreichischen Schulkinder lernen, / wie schön und überall dieses Österreich nun ist, / damit sie es nur ja nie mehr vergessen. Ist / das schön. Und überhaupt. Die Sonne. Und / damit sie es nur ja nie mehr vergessen, wie schön, / schön Österreich ist, müssen schon die / österreichischen Schulkinder hundertmal, / hundertmal schreiben, Österreich ist schön. / Ist das schön. So schön ist Österreich, daß / schon die Schulkinder es aufschreiben müssen. / Müssen schreiben: Österreich fängt schön an, und / schön hört Österreich auch auf. Ja. So ist das / mit Österreich. Durch und durch schön. Hundertmal.

Während es nun polnischen, slowakischen, schottischen oder italienischen Studenten völlig normal erschienen ist, dass jemand sein Land lobt und besingt, ist die Reaktion in Österreich auf dieses Gedicht immer dieselbe: Gelächter. Gelächter schon beim Titel, ich sage "Österreich ist schön" und alle lachen, Österreich ist schön kann von niemandem ernst genommen werden, alle halten das für einen Witz. Ist das schön. Österreich ist schön und alle lachen.

In Österreich ist das Nichternstnehmen explizit. Immer hat man das Gefühl, das Gesagte wäre gar nicht so gemeint. Alles ist durchdrungen von einem ironischen Grundton, das Gemeinte und das Gesagte sind meist weit entfernt. Die Muttersprache des Österreichers ist der Double-bind. Diese Einstellung scheint das ganze Land zu durchziehen. Tun wir so als ob, aber dabei meinen wir es gar nicht so. Das ermöglicht den Aufbau von Kulissen und Attrappen, und die sind wichtig in Österreich. Österreich ist schön. Vielleicht als Konsequenz davon die Sehnsucht nach der Tiefe, die ganze Seelenwühlerei, die Sehnsucht nach dem Schmerz, dem Tod? Die Begeisterung für Sport, die tagtägliche Einübung ins Verlieren.

Der Österreicher glaubt nicht an die Aufklärung, nicht an die Vernunft. Er misstraut der Logik und der Sprache, selbstverständlich auch der Politik, den Medien, ja eigentlich misstraut er allem, auch sich selbst, weil er vermutet, dass hinter jeder Pose, hinter jeder Behauptung, eine Sagen-wir-nur-so-Einstellung steckt.

Weil sein Misstrauen gegen die Vernunft so stark ist, legt der Österreicher großen Wert auf das Gefühl.

Das drückt sich in der Kochkunst aus, in der Liebe zum Theater, zur Musik, zur Kunst und in der Leidensfähigkeit. Theaterleute, Bischöfe, Köche und Pathologen bilden hier die eigentliche Prominenz. Aktive Sterbehilfe aber wird

nicht einmal thematisiert, weil die Österreicher an den Tod nur glauben können durch den Schmerz. Kann sein, dass dieses Durchtauchen-Müssen auch etwas mit den Bergen und den Tunnels zu tun hat, die das Land wie Krampfadern durchziehen, wahrscheinlicher aber ist, dass es am Unaufgeklärten liegt, am Vorzug des Gefühls gegenüber der Vernunft. Vielleicht daher auch die Liebe zur Häßlichkeit, zur Perversion, zum Tod?

Die junge Berlinerin im Flugzeug nach Wien, Sie erinnern sich, hat übrigens auch gesagt: In Wien liegt man immer im Sterben. Und das stimmt. So schön Österreich auch ist, manchmal hat man schon den Eindruck, es siecht dahin, langsam, träge, und es fehlt die Spannung. Meine Frau etwa, die aus Argentinien kommt, hat anfangs beim Anblick der Schrebergartensiedlungen gemeint, Zitat: Mein Gott, sogar die Elendsviertel sind hier so gepflegt. Österreich ist schön.

Aber das Schöne wird in Österreich immer über etwas Negatives definiert. Würde der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass die großen Toten wiederkämen, man würde sie genauso behandeln, wie sie zu Lebzeiten behandelt worden sind. Schiele würde man einsperren, Schubert und Mozart ignorieren. Andere würde man vertreiben, zumindest zensurieren. Eine Weile lang würde man sie anfangs herzeigen, dann würde man ihrer überdrüssig, sie diffamieren. Weil der Österreicher nichts gelten lassen kann. Nicht die Lebenden und nicht die Toten. Österreich ist schön.

Nun stellen Sie sich also ein Land vor, in dem keiner etwas ernst nimmt. Was aber keineswegs bedeutet, dass sich der einzelne nicht selber sehr danach sehnt, ernstgenommen zu werden. Alle strengen sich an, rackern wie verrückt, ringen um Anerkennung und Respekt. Man legt sich sonderbare, an Kakanien gemahnende Titel zu, was genau das Gegenteil erzeugt, nämlich Lächerlichkeit. Und alle neigen zu Extremen, zu Superlativen. Die Schriftsteller überbieten sich in ihren Östereichbeschimpfungen, die man sowieso nicht mehr ernst nimmt, die Zukunftsforscher malen den Teufel an die Wand, die Maler beschäftigen sich mit Kot und Blut, und die Politiker radikalisieren - alle in der Hoffnung, endlich, endlich ernst genommen zu werden. Doch es ist aussichtslos. Niemand nimmt hier jemand ernst. Nie. Aber es stirbt auch nicht aus. Niemals.

Ein Fremdwort gäbe es für diesen Zustand, wenn man will, dass sich nichts ändern soll, es fällt mir jetzt nicht ein, doch das ist Österreich. Österreich ist so schön, dass sich nichts ändern soll. Der Österreich will ja beim Jausnen und in seinem Österreichersein nicht gestört werden. Darum ist die Erfahrung Ausland immer wieder wichtig.

Das ist jetzt zwar gar kein richtiger Schluss, aber dieses Thema kann und soll man ohnehin nicht abschließen.

Dankeschön.

Der Text war das Hauptreferat der diesjährigen Auslandskulturtagung zum Thema "Sprache und Kultur", veranstaltet vom Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten.

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