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Erkenne dich: Österreicher!

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Als unlängst die österreichischen Fernseher Mr. David Brinkleys Wienbetrachtungen präsentiert bekamen, waren die Meinungen darüber so ziemlich einhellig: Karikatur und kabarettistische Persiflage in unseriöser Verpackung von sachlich sein sollender Reportage, die Mr. und Mrs. Jedermann jenseits des großen Wassers Halb- und Viertelwahrheiten über Österreich bescherte.

An dieser Stelle soll über das etwas mißglückte Dokumentarwerk an sich kein weiteres Wort mehr verloren werden. Denn das Interesse hat sich schon längst wieder anderen, aktuelleren Themen zugewendet. Einiger Überlegung wert erscheinen uns im nachhinein bloß einige kritische Stimmen gewisser Art, die darüber Aufschlüsse zu vermitteln vermögen, wie sich so mancher Österreicher selbst im Spiegel sieht. Denn dabei scheint es nämlich gar nicht so selten zu geschehen, daß ein anderes Gesicht herausblickt als hineinschaut. Das muß man feststellen, wenn man sich diverse Kommentare und Äußerungen — manchmal bloß zwischen den Zeilen angedeutet — wieder ins Gedächtnis ruft. Jener Österreicher, bei dem Ansätze zu gesunder Selbstkritik vorhanden sind, fühlt sich dabei nicht ganz wohl, wenn er gewahrt, wie selten diese Tugend im eigenen Lande anzutreffen ist. Gewiß, es ist schwierig, in eigener Sache die Maßstäbe der Objektivität nicht zu verlieren. Doch in der vehementen Verteidigung der „Tugenden“ des Österreichers und der Vorzüge seines Landes sollte man nicht in Extreme verfallen und vom Podest anmaßender Selbstzufriedenheit herab sich selbst Vorzugszensuren ausstellen.

Wir raunzen und schimpfen so gern in echt österreichischer Manier. Doch stimmt plötzlich jemand in unsere Kritik mit ein - ein „Zuagroaster“ etwa, wie es so schön in unserer Sprache heißt —, dann kann es geschehen, daß wir uns jäh um hundertachtzig Grad drehen und uns trotz unserer sprichwörtlichen „Gmüatlich-keit“ die Zornesader zu schwellen beginnt. Doch gleich sind wir wieder besänftigt und getröstet, wenn zur Ehrenrettung des als „Phäaken“ Verschrienen jemand ins alte Horn von dem „in der Welt so beliebten Österreicher“ stößt.

Wie wohl wird da dem in seine „Tugenden“ verliebten Zeitgenossen zumute! Doch für denjenigen, der ein Ohr dafür hat, klingen diese Töne etwas dissonant. Denn gerade jenseits der eigenen Grenzpfähle löst das „Zauberwort Österreich“ nicht immer jenes harmonische Echo aus, wie sich dies der gute Zipfelmützenbürger daheim in seiner Phantasie ausmalt.

Wenn man sich mit Berechtigung dagegen verwahrt, daß man im Ausland den Österreicher in den alten Klischees des „Heurigensängers“ und überzüchteten Gourmands sieht, so sollten wir uns eigentlich dessen mehr bewußt sein, daß wir uns selbst auch immer in einem Klischee zu sehen pflegen. Wir meinen damit das stark der Korrektur bedürftige Selbstbildnis des in aller Welt „bewunderten“ Österreichers. Wie oft will uns jemand glaubhaft machen, welch laut vernehmlichen Ton wir im Konzert der Völker und Staaten spielen, wie sehr man unsere Kultur schätzt, wie bekannt dieses Land, die „Brücke zwischen Ost und West“, das „Herz Europas“ in der Welt ist.

Dabei müssen wir schon froh sein, wenn man unser Land m Ländern — gar nicht so weit entfernt vom „Herzen des Kontinents“ — überhaupt nur dem Namen nach kennt. Man braucht da nicht unbedingt nach Übersee zu gehen, wenn man Leuten begegnen will — sie müssen nicht samt und sonders Analphabeten sein! —, die kaum jemals in ihrem Leben etwas von Österreich gehört und sich in diesem Zustand durchaus wohlauf fühlen. Daß man jenseits des Ozeans „Austria“ mit „Äustralia“ gern zu verwechsln pflegt, hat sich mittlerweile herumgesprochen, doch „glauben“ läßt es sich fast nicht! Dabei sollten wir ins Kalkül ziehen: Was im Bewußtsein der Welt von der Existenz Österreichs lebendig ist, stammt vor allem aus seiner Vergangenheit. Wir zehren von deren Substanz. Doch wie lange noch wird es währen, bis sich der letzte Schimmer jener Gloriole endgültig verflüchtigt hat, die wir geistig und kulturell dem alten, vielsprachigen Reich zwischen Riva und Krakau, zwischen Adria und Moldau verdanken?

Als ein österreichischer Fernsehreporter vor einiger Zeit in den Straßen Londons Leute aus verschiedenstem Milieu vor die Kamera brachte und ihnen einige einfache Fragen über Österreich stellte, da waren die Antworten beziehungsweise Nichtantworten für jenen österreichischen Bürger vom Schlage „Wir sind wir!“ eine arge Enttäuschung. Die meisten hatten zwar den Namen Wien schon einmal gehört. Doch Fragen aus Politik und Kultur etwa wurden von der Verkäuferin bis zum Ingenieur in der Regel bloß mit „I am sorry! Leider keine Ahnung!“ beantwortet. Die „Entrüstung“, darüber war hierzulande in manchen Kreisen groß: „Unglaublich, was alles man in London über uns nicht weiß!“ — Doch Hand aufs Herz: Was weiß man schon in unseren Breiten etwa von Dänemark, Finnland, Norwegen oder Holland? Die Erfahrung zeigt immer wieder, daß selbst Mitbürger mit „Abitur“ zuweilen ihre Schwierigkeiten haben, wenn sie nur die Hauptstadt eines dieser Länder nennen sollen. Freilich wird sich mancher dagegen verwahren, Österreich in einem Atemzug mit den obengenannten Staaten zu nennen, vor allem soche, denen bis heute noch nicht klar bewußt geworden ist, daß sie seit 1918 in einem Kleinstaat leben — nicht nur politisch!

Die Zeitung einer politischen Partei entrüstete sich, weil David Brinkley den „österreichischen Proporz“ kritisch unter die Lupe genommen hatte, und meinte: „Wer kann einem Ausländer verargen, wenn er wiederholt, was ihm viele Österreicher vorbeten?“ Denn was Brinkley sagte, könne man in noch viel massiverer Form in österreichischen Zeitungen lesen. Dies im Tone sichtlicher Empörung über solche „Entstellungen“ — wie es wörtlich hieß. In gleichem Atemzuge wurde ein sehr bekannter österreichischer Schriftsteller gerügt, weil er in einer Rundfunksendung gesagt hatte, „in Österreich werde an einem Montag schlecht gearbeitet, weil die Arbeiter am Samstag und So-ntag feiern“. Auch hatte er den Österreicher als einen passiven Menschentyp bezeichnet.

Stimmen solcher Art beweisen, wie leicht und gern man, wenn es ins Konzept paßt, den Wunsch zum Vater des Gedankens macht und man sich selbst Sand in die Augen streut. Auf diese Weise ergeben sich nicht selten Fehlperspektiven im Selbstporträt des Österreichers, die uns selbst keineswegs unbedingt nützen.

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