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„Zweiviertelschwenkung“

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„Die Zukunft“ — Sozialistische Monatsschrift für Politik und Kultur — veröffentlichte in ihrer letzten Nummer einen Aufsatz von Fritz Kurz „Erziehung zur idealen oder zur realen Demokratie?“, der sich bemerkenswert von den allzu vielen gemein-plätzlichen Abhandlungen über dieses Thema abhebt. Eine aus der Praxis der Lehrerbildung gewonnene nüditerne Kritik der tatsächlichen Verhältnisse verbindet sich hier mit einem sittlichen Verantwortungsgefühl, das als oberstes Ziel nicht die Durchsetzung einer Parteidoktrin, sondern die „Verwirklichung eines edleren und glücklicheren Menschentums“ anerkennt. Auch wer politisch und weltanschaulich auf anderer Ebene steht, wird mit so manchen Ansichten und Forderungen übereinstimmen, so etwa mit der, daß in den parteipolitischen und weltanschaulichen Jugendbewegungen die Jugend nicht fanatisiert werden sollte, denn „d e r Fanatismus ist ein Erzfeind der Demokratie, weit gefährlicher als die politische Gleichgültigkeit.“ Ein offenes Wort wie dieses:

„Wenn es erst einmal regelmäßig klaglos verlaufende Wettkämpfe zwischen Kinderfreunde-Ortsgruppen und, sagen wir, katholischen Pfadfindern geben wird, dann braucht uns um die Zukunft der österreichischen Demokratie nicht bange zu sein“, zeigt mit dem Willen zum „fair play“ den Ansatz zu einer echten Demokratisierung unseres Parteilebens.

Aufgeschlossenheit zeigt sich auch in einer veränderten Einstellung zur Vergangenheit, wenn der Verfasser fragt:

„Ist es klug, die Demokratie als eine ausschließliche Errungensdiaft des Zusammenbruches von 1918 oder 1945 hinzustellen, wenn man haben will, daß auch die konservativen Kreise des Landes allmählich gute Demokraten werden? Es ist töricht und falsch obendrein. Die österreichische Demokratie hat eine ältere Tradition, sie beginnt spätestens 1867, Rathaus und Parlament sind steinerne Zeugen der a 11österreichischen Demokrati e.“

Und in einer Anmerkung, deren rhetorische Einschränkung man verstehen kann, ohne ihr zuzustimmen, folgt die beachtliche Feststellung:

„Ganz stillsdiweigend hat sich in unserer Partei während der Nazizeit in der Einstellung zur alten österreichisch-ungarischen Monarchie eine Zweiviertelschwenkung vollzogen, die man nur als gesundes Abklingen einer historisch bedingten Ab1ehnungsneurose betrachten kann. Wenn wir daher heute auf Parteiveranstaltungen bei Fruchtwasserersatz mit Seelenruhe oder leisem Genuß das geschmetterte Bekenntnis ,Mir san vom k. und k. ...' anhören können, das uns vor zwanzig Jahren bei,Stelzen und Heurigen zur Raserei gebracht hätte, so wäre es an der Zeit, auch in unseren Publikationen das alte Österreich in seinen leider nicht allzu zahlreichen positiven Leistungen gelten zu lassen.“

Daß man sich tatsächlich da und dort im sozialistischen Lager bemüht, diese Forderung zu erfüllen, zeigt etwa das im Danubia-Verlag erschienene Buch „Revolution in Österreich 1848“ von Dr. Robert Endres, dessen Vorwort bekennt, daß nicht nur für jeden Österreicher, sondern auch für jeden Europäer „die Geschichte des alten Kaiserstaates mit seinen wenigen Vorzügen und vielen Fehlern“ ein Lehrbuch für das Verständnis der Gegenwart sei. Schon in dieser Formulierung ist Fortschritt zu verspüren. Vielleicht wird nun doch der Boden aufgelockert für eine offene Aussprache, die ohne falsdne Idealisierung einerseits und ohne verstockte Schmähsucht andererseits zu einer gerechten Würdigung unserer Vergangenheit führen kann. Aus dieser Verständigung über die Vergangenheit mag dann vielleicht doch auch eine weitere Annäherung der Ansichten über Gegenwart und Zukunft erwachsen. Zwei Viertel sind ja immerhin schon die Flälfte.

Metaphysischer Schwarzhandel

Kriegs- und Nachkriegszeiten sind immer die hohen Zeiten der Schwarzhändler und Schwarzkünstler. Denn beide leben von Unordnung und Unsicherheit, die einen von der Krankheit der wirtschaftlichen, die anderen von der Krankheit der sittlich-geistigen Welt. Schon im Gefolge des ersten Weltkrieges sdiossen Okkultismus und Spiritismus mächtig ins Kraut, und so erleben wir auch heute wieder ein maßloses Aufblühen des okkulten Aberglaubens. Es ist das ewige „Persisch-Ägyptische Traumbüchl“ unserer Urgroßmütter, das nun wieder einmal seine Auferstehung in mancherlei moderner Gestalt feiert. In sicherer Erkenntnis der Zeitkonjunktur hat ja auch die Filmindustrie schon seit einiger Zeit der Gespenstergesdiidite und den „okkulten Phänomenen*' besondere Pflege angedeihen lassen. Unter den verschiedensten Formen wird der metaphysisdie Schwarzhandel betrieben und den Seelen, die nach einer Tröstung aus der Übernatur verlangen, der schreiend-bunte Flitter einer geschäftstüchtigen und nervenkitzelnden „Jenseitssensation“ gelten. Von einer meist sehr unwissenschaftlichen „Graphologie“, die mit der ernsten Handschriften- und Charakterkunde meist nur den Namen gemeinsam hat, über Astrologen- und Horoskopunwesen, das sich in breitesten Kreisen zu einem geradezu epidemischen Umfang aufgebläht hat, bis zu den so zahlreichen Magiern der Hypnose, Illusion und Massensuggestion, die mit ihrem Mißbrauch dj;s Geistes in der Großstadt wie in der entlegensten Provinz ihr Unwesen treiben. Ja, sogar in die Bereiche der Wissenschaft und Philosophie schäumt die trübe Flut und läßt auch hier hinter den wolkigen Ballungen einer mystizistischen Wortmagie und nebulosen Modephilosophie das alte „Traumbüdil“ erkennen.

Ein Wiener Str„8enbild: von einer Plakatwand lädt uns der gespenstische Kopf eines Magiers zur Vorführung in einem repräsentativen Wiener Konzertgebäude ein. Man sieht fast nur mehr die geheimnisvoll glühenden Augen, alles andere ist kreuz und quer mit Zetteln überklebt, die von ständig neuen Wiederholungen und Verlängerungen wegen des großen Erfolges berichten. Daneben eine Obst- und Gemüsehandlung, in deren sonst leeren Auslagekörben ein Spazierstock mit Elfenbeingriff liegt, mit einem Zettel „Zu verkaufen“ und . eine Tafel „Heute kein Obst, Gemüse und Kartoffel“. Steine statt Brot, Plunder statt Nahrung, hier wie doh, beides Symptome einer närrischen Zeit.

Schutz der Großen vor den Kleinen

Es war erst vor kurzem die Rede von der „romanhaften Ausdeutung“ des Lebens und Schaffens großer Musikerpersönlidikeiten in der Buchproduktion. Was#lier vielleicht nur ein vorübergehend aufflackerndes Fieber ist, ist in der Filmzone längst eine Epidemie geworden. Im Wiener Kinoprogramm drängen sich augenblicklieh ein neuer Schubert-. und ein Feuerbachfilm sowie ein älterer Mozartfilm. In Atelierarbeit ist ein Beethovenfilm, vor Drehbeginn steht ein Brucknerfilm, greifbar sind die Vorhaben eines Liszt- und Roseggerfilms, von anderen, weniger ernst zu nehmenden geistigen Eintagsfliegen der sage und schreibe 33 Wiener Produktion ^firmen ganz zu schweigen.

Das Ergebnis solcher fabrikmäßiger Serien-Produktion biographischer Ausschußware, ist bisher bescheiden genug. So begrüßenswert an sich die Abkehr von der leichten und pikanten Ware des Pöbelamüsements ist — schlimmer noch als die Substanzleere der gängigen Unterhaltungsfilme können solche anmaßenden Griffe auf das kostbare Erbe unseres geistigen Gutes werden, wenn sie mit so kalter Berechnung und mit so unzulänglichen Mitteln geschehen, wie es neuerdings im Lande Brauch ist. So ist es nur zu gut verständlich, wenn das Fachorgan der österreichischen Lichtspieltheaterbesitzer in seiner letzten Ausgabe die Praktiken solcher geistigen Bequemlichkeit scharf unter die Lupe nimmt und in den verzweifelten Schrei ausbricht: „Wir verlangen den Schutz der großen historischen Persönlichkeiten!“ Das Blatt zeigt nicht nur die schweren Folgen dieser Sintflut auf, es gibt darüber hinaus auch klare Richtlinien zu seiner Eindämmung:

„Was bedeutet es für österreid), wenn ein solcher Film mißlingt? Abgesehen von dem schweren wirtschaftlichen Schaden, der durch die Verwendung kostbaren Materials und die Vergeudung großer Summen entsteht, ist der unausbleibliche Prestigeverlust auf kulturellem Gebiet gar nicht abzuschätzen ... Was wünschen wir nun? Natürlich nicht, daß solche Filme nicht gemacht werden, sondern nur, daß die vorhandenen Projekte einer besonders strengen und gewissenhaften Kritik und auch Selbstkritik unterzogen werden, bevor man sie in die Tat umsetzt. Hier muß die Arbeit der österreichischen Filmkommission beginnen, die selbstredend nicht als hemmender, sondern als fördernder und beratender Faktor wirken soll. Erst wenn wirklich alles geschehen ist, was als hundertprozentige Garantie für das Erreichen des höchsten künstlerischen Niveaus gelten kann, dann soll an die Herstellung eines solchen Werkes geschritten werden.“ Diesem, offenen Wort kommt im Hinblick auf die wichtige Vermittlerposition, die der Kinobesitzer zwischen Produzent und Konsument einnimmt, keine geringe Bedeutung zu. Doch hat das letzte Wort ein anderer. Hier freilich ist die ernste Besorgnis nicht zu unterdrücken, daß er -— das Publikum — bei diesem geistigen Examen vorläufig noch „durcher fällt“ als die Premieren selber.

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