Mehr Mut, intelligent zu sein

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Provinzialisierung kennzeichnet Österreich. Man lebt gut und ist zufrieden. Mehr Freude an Intelligenz ist aber dem Land zu wünschen.

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Provinzialisierung kennzeichnet Österreich. Man lebt gut und ist zufrieden. Mehr Freude an Intelligenz ist aber dem Land zu wünschen.

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Man hat Wien um 1900 als eine Art "Welthauptstadt des Geistes" bezeichnet, weil hier für Sekunden der Weltgeschichte eine ungeheure Konzentration wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffens stattgefunden hat. Mach und Boltzmann, Freud und Wittgenstein, Loos und Hofmannsthal, Mahler, Klimt, Schiele - beliebig ließe sich diese Aufzählung österreichischer Intelligenz fortsetzen.

Ein erstes Merkmal ist bereits festzuhalten: Wenige von ihnen sind auf dem Boden der heutigen Republik geboren, die meisten in irgendeiner Weise ein Ergebnis der Durchmischung der alten Donaumonarchie, nicht zuletzt auch ein Produkt jener jüdischen Intelligenz, die durch Assimilation in so hohem Ausmaß zu den geistigen, wissenschaftlichen und kulturellen Ergebnissen dieser Zeit beigetragen hat. Die österreichische Intelligenz nach dem Ersten Weltkrieg ist zu einem hohen Prozentsatz entweder resignierend ausgewandert oder durch die politischen Ereignisse vertrieben worden. Wenn sie nicht sogar das bittere Schicksal des Holocaust erleiden mußte. Wir nehmen heute immer noch daran Maß, was alles in Österreich möglich war und vergessen manchmal, daß wir heute ein kleines Land sind, dessen Ressourcen nicht nur durch die Zahl der Bewohner, sondern auch die ökonomischen Möglichkeiten und schließlich durch die lange Randlage in der westlichen Welt gekennzeichnet ist.

Vorzeigeösterreicher Wenn man diese Faktoren berücksichtigt, ist es immer noch beachtlich, was da in der Zweiten Republik gelungen ist. Die deutschsprachige Literatur wurde streckenweise bis zu 50 Prozent der Buchproduktion von österreichischen Autoren bestritten. Das Musikgeschehen ist nicht nur in der Reproduktion, sondern auch in der Komposition nach wie vor sehr von Österreichern beeinflußt. Die Zahl der Österreicher an Universitäten und Forschungsstätten in Europa, aber auch in den USA ist nach wie vor beträchtlich, wenngleich die chaotische Gerierung dieser Bereiche in unserem Land selbst nur herausragende Nischenproduktionen möglich gemacht hat. Diese Nischen aber gibt es, und sie sind ausgezeichnet international vernetzt. Gerade durch diese Verbindung wird ihre Existenz meistens ja erst sichergestellt.

Ähnliches gilt für die Vorstandsetagen europäischer Unternehmen, die meistens einen Vorzeigeösterreicher haben, dessen Talent der Kommunikation und Phantasie oft wesentlich zu den Unternehmenserfolgen beigetragen hat. Das kompensiert die oft schwächere Rolle der österreichischen Industrie, die vor allem durch ihre politische Abhängigkeit in der Verstaatlichten Industrie lange gelitten hat. Alles das gibt einen gewissen Rückkoppelungseffekt vor allem im Bereich der Wirtschaft, weil es dazu führt, daß diese Österreicher dann immer wieder versuchen, ihre Heimat ins Spiel zu bringen. Die Ostöffnung hat das ihre dazugetan, so manchen Unternehmenssitz, viele Forschungsprojekte und neue europäische Vernetzungen in Österreich zu plazieren. Kurzum: die Bilanz ist nicht so schlecht und wir können uns mit vergleichbaren Staaten durchaus messen. Um es rund heraus zu sagen: wir brauchen den Vergleich mit der Schweiz, Belgien und den Niederlanden, mit Irland, Norwegen, Schweden und Finnland sowie Portugal nicht zu scheuen.

Die ostmitteleuropäischen und osteuropäischen Staaten möchte ich dabei nicht heranziehen, weil sie unter anderen Bedingungen existieren und sich noch nicht abschätzten läßt, inwieweit der durch den Kommunismus und die Ost-West-Teilung bedingte Rückstand einen Verlust an schöpferischer Kraft oder aber auch vielleicht nur einen Rückstau zur Folge hat. Die nächsten Jahrzehnte werden es weisen.

Warum aber beschleicht uns bei der Diskussion über die geistige Kraft unseres Landes immer ein Gefühl des Skeptizismus, ja manchmal der Depression? Ist es der insbesondere in Wien angesiedelte Pessimismus, der aus der überkommenen Rolle jener "Versuchsstation für Weltuntergänge" resultiert, als die uns Karl Kraus vor fast einem Jahrhundert etikettiert hat? Finden hier die Wechselfälle der Geschichte ihren Niederschlag, die ja nicht zuletzt aus dem Herzstück der Donaumonarchie ein von Krisen und Kriegen geschütteltes Land gemacht haben. Ein Land, das zeitweise von der Landkarte verschwand und einige Zeit brauchte, um sich selbst zu finden, in sich geeint, aber weltpolitisch marginalisiert? Ist es der mühselige Weg, in einem neuen Europa einen Platz zu finden, und eine durch die Neutralität verstärkte Schicksalslosigkeit abzuschütteln, die lange Zeit ein selbstgewähltes Schicksal war?

Jüdische Intelligenz Von all dem mag ein bißchen stimmen, wobei sicher das Fehlen einer jüdischen Intelligenz beziehungsweise ihr langsames Nachwachsen noch hinzu kommt. Wenn ich mir manchmal die Forschungsarbeiten in den USA, die kulturellen Produktionen und die innovativen Prozesse dort ansehe und ein bißchen über Herkunft der Akteure bescheid weiß, sehe ich, was uns der Wahnsinn des Antisemitismus gekostet hat. Der Verlust der Fermentierung, den Österreich und schließlich Europa dadurch erlitten haben, ist durch nichts zu ersetzen.

Mag der kritische, der scheidende und abwägende Geist, der aus der Tradition des Judentums kommt, viel dazu beigetragen haben, Intelligenz zu fördern, so fehlt gerade dieses Element in unserem Land und wird auch nicht gern gesehen. Damit meine ich nicht, den Antisemitismus ohne Juden, der streckenweise bemerkbar ist, sondern die Intelligenzfeindlichkeit, die nicht in Aggressivität, vielmehr in Desinteresse und Borniertheit ihren Ausdruck findet.

Wenn ich ein wenig persönlich werden darf: Mir wurde zu meinem Abgang aus der Politik nachgesagt, daß ich für diese eben zu intelligent gewesen sei. Ein Urteil, das eigentlich niemand seitens der Medien einer Prüfung unterzogen hat. Der Politik sagt man meistens nach, daß sie primitiv und dumm sei. Wird von jemandem aber das genaue Gegenteil versucht, so nimmt man dessen Aburteilung auch kritiklos hin. Intelligente Menschen, Menschen mit der Gabe der Unterscheidung der Geister, sind eben keine angenehmen Zeitgenossen. Sie wirken provokativ, manchmal polarisierend.

Wobei gerade aus den Spannungszuständen die innovativen Vorgänge in der Welt entstehen. Damit gehen wir in diesem Land schlecht um. Die Sehnsucht, alle Fragen zu personalisieren und zu skandalisieren, deckt die sachliche Auseinandersetzung zu. Es ließe sich eine intelligente Diskussion über die Salzburger Festspiele führen. Die Beschimpfung der Präsidentin fasziniert aber mehr, wobei die dabei verwendete Wortwahl nicht nur das Gegenteil von Intelligenz, sondern schließlich auch guten Benehmens ist. Die Primitivität, mit der auf die literarische Qualität Hugo von Hofmannsthals eingegangen wird - und das auch von Universitätsangehörigen - ist erschreckend. Der Mangel an Wissen, etwa was man zur Zeit Hofmannsthals unter dem Eigenschaftswort "deutsch" verstanden hat, ist beklemmend. Wenn man diesen Universitätslehrern zuhört, bekommt man sicher kein Bild vom geschichtlichen Umfeld der Literatur im damaligen Österreich.

In der eigenen Suppe In die gleiche Kategorie gehört die Feindlichkeit der Auseinandersetzung mit intelligenten Menschen und Produkten, die von außen kommen. Die Hausberufung an den Universitäten - die Verweigerung einen fremden Wissenschaftler hereinzuholen - als Symbol, in der eigenen Suppe bleiben zu wollen; das eigentümlich ambivalente Verhältnis zum Ausländer, der versucht, in Österreich eine Heimat zu gewinnen; bis hin zur relativen Geschlossenheit unserer Gesellschaft gegenüber der Aufnahme anderer, sind als Zeichen mangelnder Intelligenz - hier ist Offenheit gemeint - zu sehen. Der eigentliche Zustand unseres Landes ist von Provinzialisierung gekennzeichnet. Wohlgemerkt: Damit kann man gut leben, sehr zufrieden und womöglich auch reich sein, sich eines Wohlstandes erfreuen und einer großen Zahl von Bürgern ermöglichen, auf ihre Weise an europäischer und globaler Intelligenz teilzunehmen. Die Mobilität unserer Zeit, die Kommunikationsmittel und die Vernetzung tun das ihre dazu. Aber irgendwo bleibt man doch ein begeisterter Österreicher und würde sich wünschen, daß dieses, mein Land, mehr Freude an Intelligenz hat, sich des Geistigen mehr bewußt ist und nach seinem Beitrag zum Geisteskontinent Europas sucht.

Politik behübschen Daß die Situation als Mangel empfunden wird, ist schon daran zu sehen, daß etwa auch die Politik eine Art Behübschung mit Intellektuellen immer wieder anstrebt. Das Parlament wird verziert durch Auftritte von Intellektuellen. In der Art und Weise wie es selbst debattiert, ist es aber eher dabei, ein Hort der Primitivität zu werden. Die Politik schmückt sich bei entsprechenden Gelegenheiten mit Geistesriesen, um gleichzeitig in der Art der Auseinandersetzung Tiefpunkte des geistigen Lebens zu dokumentieren.

Die Tatsache, daß die Landschaft der österreichischen Printmedien kein europäisch-relevantes Produkt zustande gebracht hat, ist nicht allein auf wirtschaftliche Schwächen zurückzuführen. Wer etwa die Wochenendbeilagen geistig führender Tageszeitungen in Europa vergleicht, merkt, was bei uns fehlt. Hier wird nicht nur quantitativ Dünnes geboten, sondern oft mehr das Reskript von Dingen, die schon woanders erschienen sind. Und letztlich ist man mit sich zufrieden und läßt es trotz aller Klagen gerne dabei bewenden. Den eigentlichen Grund dafür sehe ich in dem beachtlich entwickelten System der Lebenssicherheit, das uns zu eigen ist. Es geht nämlich auch so, könnte man sagen. Und in Wirklichkeit geht uns doch nichts ab, höre ich als so manches Argument. Und es beunruhigt uns auch gar nicht, daß so mancher intelligente junge Mensch das Land verläßt und woanders jene Spannungsfelder sucht, die bei uns oft zur Unkenntlichkeit eingeebnet sind. Robert Menasse hat recht, wenn er Österreich als das Land des "Entweder/Und/Oder" bezeichnet. Ist es doch zweifellos richtig, daß wir oft den Kompromiß früher wissen, als wir den Konflikt erkannt haben.

Dabei ist nicht zu bestreiten, daß das auch seine angenehmen Seiten hat, denn schließlich lebt es sich nicht so schlecht in diesem Österreich. Das aber betrachte ich als eine Chance, auch für die Intelligenz. Wenn wir alle miteinander nur ein wenig neugieriger wären, dann gäbe es auch mehr Mut, intelligent sein zu wollen. Denn immer gibt es noch eine Menge Österreicher, die intelligente Lösungen zum Leben in der Welt beisteuern. Hoffentlich bleibt es dabei, trotz allem was sich der Intelligenz in diesem Land entgegenstellt.

Der Autor leitet das "Institut. für den Donauraum und Mitteleuropa" in Wien Nächste Woche lesen Sie im Dossier: Was macht Kunstwerke Wertvoll?

* Interview mit dem Philosophen Konrad P. Liessmann * Recherche in Auktionshäusern und Museen * Gedanken einer Galeristin * Porträt eines Sammlers

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