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Stille Koalition des geistigen Österreich

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Von Österreich wurde in den letzten Jahren wenig geschrieben und gesprochen. Über unsere Republik - über ihr Woher und Wohin - sich Gedanken zu machen, vielleicht sogar so etwas wie eine Staatsphilosophie zu entwickeln und dieses Gedankengut in den Herzen der nachrückenden Generationen fest zu verankern, galt und gilt zumindest innerhalb der politischen Parteien, aber auch in vielen Redaktionen, nicht gerade im Einklang mit dem Zeitgeist.

Dieser gebietet viel über „die Gesellschaft“ oder über „Demokratisierung“ zu reden - und noch öfter zu schwätzen. Uber den Staat, über seine Zukunft in der europäischen Völkerfamilie sich gelegentlich Gedanken zu machen, überläßt man vielleicht zuständigkeitshalber dem Bundespräsidenten. Ansonsten wurde schon seit den Sechzigerjahren Patriotismus - überhaupt was für ein antiquiertes Wort! - mehr oder weniger „Privatsache“. Motto: was brauchen wir das. Wir haben doch Vollbeschäftigung und Bruno Kreisky.

Umso erfreulicher ist es, daß heute gleich auf zwei Publikationen hingewiesen werden kann, in denen eine Art Gewissenserforschüng auf unserer „Insel der Seeligen“ angestellt und eine s'taatspolitische Zwischenbilanz der Zweiten Republik Österreich angestrebt wird. Die Autoren kommen aus verschiedenen politischen Lagern. Sie sind beide keine Jünglinge mehr. Ihr persönlicher Erfahrungsschatz schließt auch noch die Erste Republik, insbesondere die bewegten Dreißigerjahre, sowie alles, was nach ihnen kam, mit ein.

Gemeinsam ist ihnen ferner noch eine offenkundige Unzufriedenheit, ja ein gewisses Unbehagen an einer Tagespolitik, welche nur den nächsten Wahltag in ihre Rechnungen einbezieht und im Auf- und Ausbau der Konsumgesellschaft der politischen Weisheit letzten Schluß sieht. Was aber dann, wenn einmal die Sonne der Konjunktur nicht mehr so strahlend über Österreich lacht, wenn gar die Decke der Vollbeschäftigung, welche viele Probleme heute überzieht, Risse bekommen sollte, oder bedrohliche Sturmtiefs der internationalen Politik die österreichische Idylle zu stören drohen?

Das sind so einige Fragen, welche sich in eigentümlichem Einklang sowohl Otto Schulmeister, wie auch Fritz Klenner, stellen. Beide fordern deshalb, die Fundamente des Hauses Österreich auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen.

Otto Schulmeister - einst „Kas-andra vom Dienst“, ■ heute schon längst in das Rollenfach eines prä-sumptiven Altmeisters der Publizistik und Präzeptors umgestiegen -liebt noch immer, gelegentlich zu schockieren. Der Titel, den er über sein jüngstes Buch, welches „Österreichs Verwandlung seit 1945“ gewidmet ist, setzte, legt Zeugnis von dieser sehr journalistischen Eigenschaft ab: „Der zweite Anschluß.“

Natürlich winkt der Verfasser sofort ab und entzieht allen naheliegenden Gedanken die Grundlage. Der Anschluß, den er meint, ist der Anschluß Österreichs an die Industriegesellschaft, welche sich in allen europäischen Staaten mit parlamentarisch-demokratischer Grundlage etabliert hat oder im Begriff ist sich zu etablieren. Schulmeister geht sogar soweit, von einer „Dialektik der Geschichte“ zu sprechen, nach welcher der „erste Anschluß“ jenen Selbstbesinnungs- und Selbstbehauptungsprozeß der Österreicher einleitete, der die Voraussetzungen für jenen „Zweiten Anschluß“ bildete. In ihm und durch ihn wurden die Verkrampfungen der Ersten Republik gelöst Und niemand ist heute mehr hierzulande von dem Trauma geplagt, Bürger des Restes eines Großstaates zu sein, dessen Lebensfähigkeit immer wieder in Frage gestellt sein kann.

Dem ist nicht zu widersprechen. Im Gegenteil. Dennoch wird der Rezensent dieses Bildes von einem „Zweiten Anschluß“ nicht ganz froh. Der Begriff ist nun eben in unserer Geschichte negativ besetzt. Aber nicht nur dies. Hält er überhaupt einer ernsten Überprüfung stand? Fand nicht ein solcher „Anschluß“ an ein Industrie- und Gesellschaftssystem, für das Amerika verschiedene Grundlagen schuf •<- in unseren Kindertagen hörten wir schon die uns als Märchen dünkende Kunde, daß dort in jenem fernen Land jenseits des Ozeans jeder ein Auto fahre und daß man vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen könne -, nicht in jedem Land westlichen Zuschnitts statt? Haben sich nicht alle diese Staaten in dem Dritteljahrhundert seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht nur der äußeren Erscheinung nach tief verändert, ohne daß man hier Bilder irgendeines Anschlusses bemüht?

Doch genug der Einwände.

Sagen wir lieber Otto Schulmeister Dank für einen „Wortbruch“. Der Rezensent erinnert sich nämlich noch Sehr gut jenes Tages, an dem der Verfasser anläßlich des Erscheinens eines seiner Werke im Freundeskreis beinahe feierlich erklärte, dieses sei sein letztes „Österreich-Buch“. Nun, Otto Schulmeister hat diesen „Schwur“ nicht gehalten- und das ist gut so. Wer hätte uns so wortgewaltig und formulierungsgewandt, wie der Autor nun einmal ist, ein weit ausholendes Panorama der Zweiten Republik entwerfen können?

Der Verfasser leuchtet die österreichische Bühne der Gegenwart bis in manch verborgenen Winkel aus. Er kennt die Akteure und er weiß auch einiges von den Spielen, welche hinter den Kulissen stattfinden. Gerade deshalb schlägt bei aller Würdigung des Erreichten doch immer wieder die Sorge durch, dieses unser Land könnte bei Fortdauer einer ungehemmten Zuwendung an die materiellen Güter - den „Konsumeris-mus“, nennt es Schulmeister - Schaden an seiner Seele leiden, ja dieser vielleicht sogar verlustig gehen. „Seit dem Anschluß an das Industriesystem hat sich für dieses Land die Frage nach seiner Identität noch mehr zugespitzt als je unter Hitler. Sickerverlust ist, weil kaum bemerkt, gefährlicher als Konfrontation.“ (S.240)

Als unmittelbare Gefahren erkennt der Verfasser einen Rationalitätsschwund im Handeln, die unter Gruppen von jungen Menschen schon heute anzutreffende neue Mystik der Gewalt, wie die Ermüdung des Glaubens an Argumente, an Vernunft und Dialog. Sein Plädoyer gilt deshalb einer Wiedergeburt der Politik aus Geist und Idee.

Wenn Schulmeister nicht müde wird, Fallgruben zu markieren, die auf eine gar zu unbedacht und gedankenlos in die Zukunft wandelnde Generation junger Österreicher warten, in welche diese und mit ihnen unser Land stürzen könnte, so ist ihm hiefür abermals Dank zu sagen. Aber Beifall ohne inneres Engagement wäre nicht im Sinne des Autors. Deshalb sei sein Appell an die noch in der Verantwortung stehende Generation, ihren Beitrag zur Entwicklung

„Schwur“ nicht gehalten: Schulmeister Foto: Gürer jenes Staatsbewußtseins zu leisten, „der aus einem Wohlfahrtsstaat wieder ein Vaterland macht“ (S 224) aufgenommen, weitergegeben - und zu beherzigen.

Der „Grand old man“ der österreichischen Gewerkschaftsbewegung, Fritz Klenner, ist physisch und psy-chischanders Strukturiertals der Herausgeber „Der Presse“. Die Fanfare ist zudem nicht das Instrument, mit dem er sich verständlich macht. Eher neigt er zu jenen ruhigen, aber vollen Tönen, welche dem Cello eigen sind. Schlichter im Ausdruck, aber hartnäckig wie seinerzeit auf Verhandlungen einer Lohnrunde der Journalistengewerkschaft, stellt er dieselben Fragen wie Schulmeister.

Was kommt? Was soll kommen, wenn die Generation, die sich mit der Wiedergeburt Österreichs identifiziert und die im Aufbau der Zweiten Republik ihre Lebensaufgabe gefunden hat, abgetreten ist? Klenner beläßt es nicht bei dieser Fragestellung. Er proklamiert als Ziel und Forderung „Die Renaissance Mitteleuropas“.

Der bekannte sozialistische Publizist, der im Laufe der letzten Jahrzehnte schon mehrmals mit Gedanken an die Öffentlichkeit getreten ist, welche nicht von der Zinne der Partei gesprochen waren, ist frei vom Verdacht nostalgischer Gefühle oder gar schwarzgelber Restaurationsgedanken. Er schlägt vielmehr den Bogen weit zurück bis dorthin, wo z. B. ein Karl Renner mit seinen Ideen an den heißen Nationalismen aller Völker der Doppelmonarchie scheiterte. Deswegen sieht der Verfasser auch die Frage einer Renaissance Mitteleuropas mit dem Wachsen und Werden eines nach allen Seiten unverdächtigen österreichischen Nationsgedanken und einer konsequenten Neutralitätspolitik verbunden.

Es bleibt aber nicht nur beim Rückgriff auf die Gedankenwelt

„Grand old man“ des ÖGB: Klenner

Foto: Klomfar

Renners und ihre Transformation in eine machtpolitisch grundlegend veränderte Gegenwart. Klenner geht in die Geschichte weit zurück. Er beginnt mit einer Auseinandersetzung mit dem mittelalterlichen Reichsgedanken und beendet seinen historischen Exkurs mit dem Untergang und Wiedererstehen der heutigen Republik.

Das alles ist für ihn aber nur die Aufbereitung der historischen Grundlage für seine These; „Geschichte ist immer ein nicht nur an die Zeit, sondern auch an den Raum gebundenes Geschehen. Das Wissen um begangene Fehler kann einerseits zukünftige vermeiden und andererseits konstruktive Ideen wieder aufgreifen helfen.“ Deshalb engagiert sich der Autor für eine weite Perspektive, die das neutrale Österreich als einen „Kristallisationspunkt“ zu einer Renaissance Mitteleuropas sieht.

Mut zu dieser weit über die Politik des Tages („pragmatische Routine gepaart mit diplomatischer Geschicklichkeit“ S 255) sich erhebende Schau gibt ihm niemand anderer als jener jugoslawische Publizist, welcher in einem Beitrag für die „Europäische Rundschau“ (3/76) in bezug auf die beiden Weltmächte und das Schicksal der Völker Zentraleuropas schrieb: „Die Giganten kommen und gehen, doch der Nachbar bleibt“. (S 253).

Otto Schulmeister und Fritz Klenner treffen sich mit ihren Sorgen und unterscheiden sich auch nicht im wesentlichen mit ihren Forderungen zur Sicherung einer guten Zukunft für Österreich. Mag das Wort „Koalition“ im politischen Raum gegenwärtig keinen großen Kurswert haben, so sage doch niemand, daß nicht eine „stille Koalition“ des geistigen Österreichs lebendig ist. Darin allein schon liegt eine Hoffnung für die Zukunft.

Noch einiges wäre zu den Überlegungen zu sagen, welche Klenner jenseits seiner Hauptthese in diesem Buch vorträgt. In ihm finden wir unter anderen auch die Aufforderung an seine Parteifreunde, sich von manch liebgewordenem Geschichtsklischee, zu welchem unter anderen die Vorstellung von einer „Revolution“ im Jahre 1918 gehört, zu trennen. Auch neulinke Denker werden mit Klenner keine Freude haben, wenn er ihnen vor Augen hält, wie sich im Österreich der Gegenwart die Klassenunterschiede „vielfach verwischt“ (S 238) haben.

Nicht untergehen sollte ferner seine Forderung an die Partei, der er sein ganzes Leben lang gedient hatte, „die Durchleuchtung ihrer Herkunft, ihrer Geschichte vorzunehmen und die Frage nach der Richtigkeit bestimmter Haltungen in bestimmten historischen Situationen“ zu stellen (S 252). Durch solchen Freimut unterscheiden sich Männer, die in den Traditionen eines unserer histori-schenLager der Republik gelebt und diese mitgeschaffen haben, vom „Funktionär“ der „funktioniert“ -wie es die anderen wollen.

DER ZWEITE ANSCHLUSS -Österreichs Verwendung seit 1945, Von Otto Schulmeister, Verlag Fritz Molden, 246 Seiten, öS 240,-.

DIE RENAISSANCE MITTELEUROPAS-Die Nationswerdung Österreichs, von Fritz Klenner, mit einem Vorwort von Fred Sinowatz, Europa Verlag, 271 Seiten, öS 198,-.

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