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Ein Volk von lauter „Zerrissenen“?

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DIE ZUKUNFT ÖSTERREICHS. Von Otto Schulmeister. Verlar Frlt Holden. Wien. 392 Selten. S 168.—.

So kennen wir Otto Schulmeister: Stets eloquent, immer brillant, oft blendend! Wenn es gilt, sich in das Getümmel des Geisteskampfes zu stürzen, braucht er nie verlegen zu sein, daß in seinem Köcher die Pfeile ausgehen, daß es ihm an Worten mangeln werde. Und sollte einmal ein Argument verlorengehen, so stellt sich gewiß ein Sarkasmus zur richtigen Zeit ein. Dazu kommen ein hochentwickelter Intellekt, ein erfreulich starkes Geschichtsbewußtsein und, last, not least, ein lebhaftes Engagement an der Gestaltung der österreichischen Zukunft.

Damit wären die Voraussetzungen gegeben, denen das vorliegende Buch sein Erscheinen verdankt. Der Chefredakteur der „Presse“ hat es sich neben der Erfüllung der Pflichten des Tages abgerungen. Kein leichtes Beginnen; auch kann man bestimmt nicht sagen, daß der Verfasser sich die Arbeit einfach gemacht hätte. Die zahlreichen in den Text eingestreuten Zitate allein geben Zeugnis von der Lektüre einer kleinen Bibliothek von Austriaca.

Das Thema heißt Österreich: Seine Vergangenheit, seine Gegenwart und was bestimmt für uns alle das Wichtigste ist — hier können wir Schulmeister nur zustimmen —: seine Zukunft. Was immer der Journalist Schulmeister Tag für Tag in Leitartikeln und In letzter Zeit immer stärker als des Fernsehens liebster journalistischer Gast zu diesem Thema zu sagen hatte: In dem vorliegenden Buch wird es in ein System gebracht, historisch vertieft und breit ausgeführt.

Um was es Schulmeister geht: Wir wissen es alle schon lange. Österreich soll kein Museum sein, in dem Kellertheater unserer Politik dürfen keine Gespensterstücke in Szene gehen, unser Land braucht ein „Challenge“, eine große Herausforderung, seine Bevölkerung wird gewarnt, sich auf dem Ruhekissen einer Wohlstandsgesellschaft allzu gemütlich auszustrecken. In die nahe oder weitere Zukunft, zu einem großen Formateur geht der Blick: „Erst wer das Land zu neuen Taten bringt, gibt ihm seine Geschichte wieder zurück“ (S. 360).

„Bravo“ möchte man nach der Lektüre mancher Passagen des vorliegenden Buches rufen, und man ruft es auch. Doch dann wieder erstirbt der Ruf auf den Lippen. Diese „Doppelnatur dieses widersprüchliche Wesen, ja diese Schizophrenie“ (S. 362), an der der Autor bei der politisch-geistigen Präsentation

Österreichs so Anstoß nimmt, liegt sie nicht auch (oder: vor allem) in Schulmeisters eigener Brust? Wenn andere von Österreich sprechen, flugs eilt Schulmeister herbei, um diese „patriotisch-historische Phraseologie“ zu zerpflücken. Wenn andere über Österreichs Stellung zwischen West und Ost sich Gedanken machen, dann lächelt unser Kollege hämisch über solche „falsche Romantik“. Wenn andere über den Tag hinaus denken, dann ist dies selbstverständlich — frei nach Schulmeister — „Österreich-Ideologie“, wenn dieselben der Verwurzelung Österreichs in seiner Vergangenheit das Wort reden und eine Politik fordern, die dieser Vergangenheit Rechnung trägt, dann sind sie selbstverständlich — immer noch nach Schulmeister — „Austriaken“, über die man am besten zum Tag und seinen Geschäften übergehen soll. Wenn aber Otto Schulmeister die Stimme erhebt und allen, die in diesem Land Verantwortung tragen, die Leviten liest, wenn er sein Bild von Österreich groß an die Wand projiziert und die nachrückende Generation darauf vereidigen will: Dann Bauer, ist das selbstverständlich ganz etwas anderes...

oumimeisier giDi sicn una versagt sich oft in einem Atemzug. Schon glaubt man eine klare Antwort auf diese oder jene Frage erhalten zu haben, so folgt oft unvermittelt ein „Ja, aber“, das manches, wenn nicht alles von dem aufhebt, was zuvor wortreich ausgeführt wurde. Dieses „dialektische“ Verhältnis hat der Autor auch zum Hauptgegenstand seiner Untersuchung: zu Österreich und seiner Zukunft. Was nützt das schrillste Läuten der Alarmglocke, was düstere Zukunftsbeschwörung, wenn er auch das bescheidenste staatsbürgerliche Bekenntnis im Alltag negligiert, ja abzuwerten pflegt. Der Buchautor Schulmeister bemängelt zum Beispiel mit Recht die „Mühsal unter der etwa der neue Staafcsfeiertag zustande kam“ (S. 18), er vergißt dabei, daß nicht zuletzt der Journalist Schulmeister diese „Mühsal“ hätte abkürzen können, wäre er nicht unter jenen gewesen, die sich buchstäblich bis zur letzten Minute diesem Tag versagten. Daß er auch heute noch lieber sich die Zunge abbeißt, als mit dem Gesetzgeber vom Nationalfeiertag zu sprechen, steht auf einem anderen Blatt. Nur wer die festgefahrene Meinung des Verfassers in dieser Frage, mit der er sich immer stärker in Gegensatz zu der Auflassung der Mehrheit unseres Volkes und nicht zuletzt zu der von ihm so oft apostrophierten nachrückenden Generation stellt, nicht kennt, wird sich verwundern, daß er der von ihm an seinen Landsleuten hart getadelten „Agressions-lust“ und „Neigung, den Gegner zu verteufeln“ (S. 76) selbst mit Haut und Haaren verfällt, sobald das Thema der Nationswerdung Österreichs auf die Tagesordnung kommt. Dann kennt der Verfasser keine Hemmungen. Er scheut weder die Anführungszeichen, die sonst heute nur noch die Sprecher eines neuen deutschen Nationalismus im Zusammenhang mit der österreichischen Nation gebrauchen, noch versagt er sich, über das „seltsame Bild einer publizistischen Front für diese österreichische Nation, die von der ,Furche' über die .Arbeiter-Zeitung' bis zur ,VOlksstimme' reichte“ (S. 136), die Nase zu rümpfen. Was ist da Seltsames, wenn sich die Bürger eines Landes, gleichgültig, ob sie Katholiken, Sozialisten oder selbst Kommunisten sind, zu ihrer Nation bekennen? Seltsam ist es höchstens, wenn ein Publizist, der sich um Österreich engagiert zeigt, sich hier nicht nur ein persönliches Bekenntnis versagt, sondern auch jene, die es nicht so halten (ganz unterschwellig natürlich!) in falscher Gesellschaft anzusiedein versucht. Ganz zu schweigen davon, daß er vergessen hat, daß in das — um mit Schulmeister zu reden — „seltsame Bild“ auch noch Männer wie Figl und Raab, der heutige Bundespräsident und der Wiener Kardinal und andere mehr zu placieren wären, die als Österreicher des Jahres 1967 vor dem Wort Nation keine Angst verspüren wie der Teufel vor dem Weihwasser. Von dem deutschen Bundespräsidenten Lübke und dem ehemaligen Bundeskanzler Erhard ganz zu schweigen. Wer ist es also, der hier aus dem Rahmen fällt?

Was hat Schulmeister an Stelle des Bekenntnisses zur österreichischen Nation zu bieten? Die Hypothese von der „Spannung zwischen dem ideellen und dem territorialen Österreich“. Selbstverständlich gibt es diese Spannung, und sie ist gut. Aber in welchem anderen Land, in welcher anderen Nation finden wir sie nicht ebenso? In Frankreich klafft eine Welt zwischen den Leitbildern eines General de Gaulle und dem f rancais tnoyen, und selbst in der von Schulmeister zu Unrecht in ihren Analogien zu Österreich albsewerte-

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Dunant begreifen. Spannung, zwischen der Idee, für die ein Gemeinwesen steht, und dem Alltag, gibt es also überall. Und dennoch haben alle diese Nationen ihren festbegründeten Platz in der europäischen Ordnung. Warum soll es ausgerechnet mit Österreich anders sein? Warum soll der Österreicher wieder ein „Zerrissener“ werden — nur weil Otto Schulmeister es noch immer ist? Das Ende könnte nur ein Verlust des mühsam nach vielen Irrfahrten gewonnenen Standortes und Status in Europa sein, eine Verwicklung in neue Abenteuer, ein Verspielen dessen, wofür die von Schulmeister als „Väter“ apostrophierte Generation so bitteres Lehrgeld bezahlt hat.

Das Geschichtsbewußtsein des Verfassers, das in dem Rezensenten bei manchen Gegenpositionen in Einzelheiten verwandte Seiten anklingen läßt, endet merkwürdigerweise, je näher wir der Gegenwart kommen. Während er mit Recht die Sozialisten tadelt, daß sie ihre Zeitrechnung mit 1918 beginnen, verfällt der Autor einer ähnlichen Simplifizierung: „Jetzt erst kann man mit der Demokratie ernstlich beginnen“ (S. 17). So ruft Schulmeister angesichts des 6. März 1966, was in über

20 Jahren vorher getan wurde, um der österreichischen Demokratie Bestand zu geben, das wird als „Proporzregime“ (S. 127), als „Demoralisierung durch die Dauerkoalition“ (S. 187) vom Tisch gefegt. Vorsicht, Vorsicht: Das Rad der Geschichte dreht sich sehr schnell, und wir werden sehen, welche Regierung wir haben, wenn Schulmeisters Buch die fünfte Auflage, die wir ihm, wie jedem Zeugnis des geistigen Ringens um Österreich wünschen, haben wird. Das Kapitel über das „Challenge“ (warum wird das gute deutsche Wort Herausforderung eigentlich verschmäht?) durch die EWG-Assoziation wäre schon heute durch die Entwicklung des letzten Jahres für eine Überarbeitung reif.

In seinen Ausführungen über den österreichischen Katholizismus der Gegenwart — übrigens eines der ausgewogensten des vorliegenden Buches — plädiert der Verfasser für eine katholische Geisteshaltung „in sich selbst reich nuanciert, an politischen, sozialen, kulturellen Richtungen“ (S. 178). Das Wort gilt. Wir werden Schulmeister daran erinnern, wenn er in Zukunft wieder einmal, wie es ja in der Vergangenheit schon geschehen sein soll, gegenüber jenen Meinungen und Auffassungen auch über Österreich, seine Gegenwart und seine Zukunft, die nicht die seinen sind, na, sagen wir, wenig Verständnis an den Tag legt.

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