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Die Verzichtserklarung

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Der alteste Sohn des letzten Kaisers von Osterreich hat durch seifien Rechtsvertreter der osterreichischen Bundesregierung eirie Erklarung iiber- mitteln lassen, die ihm und seiner Fa- milie gemaB den ,,Habsburgergesetzen“' des Jahres 1919 den Weg in die Hei- mat ebnen soli. In dem am letzten Dienstag abgehaltenen Ministerrat, der gemaB der Bundesverfassung irn Ein- vernehmen mit dem HauptausschuB des Nationalrates zu befinden hat, ob eine solche Erklarung ausreichend ist, kam — wie zu erwarten — keine Einigung zustande. Damit ist der Antrag furs erste gefallen.

Was nun? Wird der Chef des Hauses Habsburg — oder miissen wir nach der abgegebenen Erklarung korrekter- weise auch die uns als historisch den- kende Osterreicher etwas ungewohn- lich anmutende Schreibweise Dr. Otto Habsburg iibernehmen? — jenen Rat- schlagen folgen, die ihm den Klage- weg nahelegen? Wird er zuerst beirn Verwaltungsgerichtshof und dann beim Verfassungsgerichtshof vorstellig wer- den oder gleich bei letzterem? Und dann eines Tages womoglich beim europaischen Gerichtshof in Strafiburg? Habsburg kontra Republik Osterreich! Welche Perspektiven tun sich da auf? Hhre, in denen in bestinimten Zeit- abstanden immer wieder die Waffen- kammern historischer AuSeiflander- setzungen geoffnet werden, in denen nachgeborene Generationen Kampfe austragen, die schon lange ins Schat- tenreich gehoren.

Auch bemerkt man bereits die Vor- huten eines seltsamen Aufzugs in die politische Arena. Der ablehnende Standpunkt der sozialistischen Partei zu einer Riickkehr des altesten Kai- sersohnes nach Osterreich war seit langerem bekannt. In letzter Zeit nahm diese politische Stellungnahme, selbst wenn wir von den mehr als riiden Zwischentonen aus hinteren Rangen absehen, hektische Ziige an. Von seiten der Kommunisten wird die Gelegenheit erkannt, und wir kbnnen sicher sein, auch genutzt, immer wieder, wenn das Stichwort ..Habsburg" fallt, Klammern hinuber in die Reihen des sozialistischen Par- teivolkes zu schlagen. Fur die Oster- reichische Volkspartei war es von Anfang an gar nicht leicht, eine all- gemein verbindliche Stellungnahme zu c.rarbeiten. Ein entschiedenes „Ja“ hatte genauso wie ein hbfliches „Nein" unweigerlich manche ihrer Anhanger verletzen kbnnen. So zog man sich hier vor allem, seitdem der sozialistische Standpunkt so vehement akzentuiert, ja mitunter uber-schrien wurde, auf die Formel zuriick, „daB fur die weitere Behandlung dieser Erklarung ausschlieBlich rechtliche Uber- legungen mafigebend sein durfen". Die Freiheitliche Partei erging sich in va- gen Andeutungen. Sie sollten den in deutschnationalen Kreisen noch immer weitverbreiteten anti-habsburgischen Ressentiments — denken wir nur an die Verleumdungskampagne, die gerade von dieser Seite gegen die letzte Kaiserin und Mutter Otto von Habsburgs gefiihrt wurde — in gleicher Weise Rechnung tragen wie den Spekulatio- nen bestimmter Fuhrungskreise, uber den Umweg einer eventuell politisch hochgespielten „Habsburg-Frage“ ins politische Geschaft zu kommen.

Liegt hiermit in den Niederungen der Tagespolitik bereits geniigend dur- res Reisig verstreut, das Unachtsamkeit gar leicht zu einem Brand entflammen kann, so beriihrt der ganze Fragen- kreis, der mit der abgegebenen Verzichtserklarung des letzten Kaiser-

sohnes und mit ihrer Abweisung im Ministerrat aufgeworfen ist, doch tiefere Zonen des staatsburgerlichen BewuBtseins.

Der Osterreicher ist jeder Pathetik abhold. Er kennt in der Geschichte seines Staatswesens keinen Riitli- schwur. Deimoch ist in der Erinnerung das stille, unpathetische Gelobnis festzuhalten, das sich die aus den La- gern der Gewalt und dem grofien Krieg kommenden Manner 1945 gaben, be- vor sie ans schwere Werk schritten: Gleichgultig, ob wir einmal einen Hahnenschwanz auf dem Hut trugen oder ob wir im blauen Hemd demon- strierten, ob wir einmal von der Wie- derherstellung des alten Reiches traum- ten oder die Internationale unser letz- tes Ziel war: Heute und fur alle Tage stellen wir uns auf den Boden dieses Osterreichs. Die Zweite Republik ist unser aller Vaterland. Und daneben reifte in langen Jahren in immer wei- teren Kreisen das Verstandnis dafur, daB bsterreichische Gegenwart nur aus osterreichischer Vergangenheit zu er- kennen — und auch zu leben sei. All- mahlich verblafite der Schatten des Jahres 1918, jener Wegmarke, die fur die einen das Ende alles sinnerfullten Geschehens und fur die anderen iiber- haupt erst der Beginn der lernenswer- ten Geschichte war. Selbst in einer immer mehr in Pragmatismus und reiner Routine versandenden Tagespolitik wa- ren mitunter Spuren zu entdecken, daB die grofie Versbhnung der republika- nischen Gegenwart mit der Vergangenheit als Kaiserstaat Fortschritte machte. Als das junge Bundesheer 1955 bei seiner ersten Parade die Fah- nen der alten Regimenter aufnahm, war ein solcher historischer Augen- blick. Es hieBe schonfarben, wollte man behaupten, daB der Alltag immer die Versprechen dieser und anderer festlicher Stunden hielt. Aber immer- hin.

Soli dieser ProzeB der bsterreichischen Selbstbesinnung, der, wie einmal trefflich und pragnant formuliert wurde, Schbnbrunn und Kaprun in einer hbheren Gesamtschau als Einheit zu begreifen versteht und den — wir verraten unseren Lesern nichts Neues — mit alien Kraften zu fbrdern und vorwartszutreiben ein Herzanlie- gen dieses Blattes von der Stunde seiner Griindung an war und heute genau so ist — soli dieser innere WachstumsprozeB eines, wie es Ignaz Zangerle einmal formulierte, „aufgeklarten Patriotismus" nun ge- stoppt, soli er gar abgebrochen werden? Soli Kaprun nun gegen Schbnbrunn mobilisiert werden? Werden sich die Osterreicher eines Tages vor die Alternative gestellt sehen, fur die Republik oder fiir die Tradition ein- zutreten? Welches Verhangnis wurde da seinen Lauf nehmen!

„So gebt doch euren Herzen einen StoB.'“ rufen die einen. Und es sind jene, die in der Heimkehr des Kaiser- sohnes wirklich nur den SchluBstein einer historischen Entwicklung sehen. „Man kbnnte ja dariiber reden", so sagen die anderen im stillen Kammer- lein vertraulicher Beratungen — oder sagten es zumindest vor einigen Jahren —, aber wer gibt uns die Garan- tien, daB sich der Heimkehrer mit dem klingenden Namen schlicht in die Schar der Burger dieses Landes ein-

ordnet, daB er nicht mit sehr kon- kreten politischen Planen, die bis zu einer Anderung der Verfassung gehen, den Boden dieses Landes betreten wlirde? Und zur Bekraftigung dieser Worte reichen sie Manuskripte von Reden und Aufsatzen herum, in denen tatsachlich so manches zu lesen ist, was in diese Richtung weist. Von der Rednertribune herab aber wird das Ge- sprach nicht in solch akademischem Ton gefiihrt. Unkontrollierter HaB flammt auf, dunkle Ressentiments steigen empor, Schreckbilder werden an die Wand gemalt. Ein Teufelskreis wird beschritten. Wie ihn durch- brechen, ehe es zu spat ist?

Wir waren uns von Anfang an im klaren, daB wir mit diesem Aufsatz keine leichte Aufgabe iibernommen haben. Der Tretminen liegen genug verstreut, zahlreiche Empfindlich- keiten wollen geachtet und beachtet werden. Und sie sollen es auch. Aber mufi nicht doch einmal wenigstens der Versuch unternommen werden, recht- zeitig zu einer sauberen Bereinigung des ganzen Fragenkomplexes aufzu- rufen, die der bsterreichischen Geschichte, ihren einstigen Tiagern in ihrem Nachkommen die Ehre gibt und der bsterreichischen Gegenwart ge- recht wird?

Zwei Wege zeichnen sich da fiir den altesten Sohn des letzten Kaisers von Osterreich ab. Der eine Weg ist jener der Riickkehr auf den Standpunkt des klassischen Monarchismus. Das heifit, wenn es auch persbnlich schmerzt: dem Lande der Vater fernbleiben und den AnsprUch auf did Krone wahren. Zu erklaren: Ich warte, bis das Volk mich auf den Thron meiner Vater ruft. Man kann vielleicht einwenden, daB ein solcher Standpunkt wenig reale Chancen in Gegenwart und Zukunft hat, aber er zeugte ohne Zweifel von geschichtlicher Grofie. Und niemand — auch der uberzeugteste Republikaner — kbnnte ihm die Hochachtung ver- sagen.

Die zweite Mbglichkeit liegt genau im Gegenteil: in der Feststellung, das Rad der Geschichte hat sich seit 1918 gedreht. Nicht einmal, sondern zwei- und dreimal, Der alteste Sohn des Kaisers von Osterreich hat nur einen Wunsch fur sich und seine Familie: in Zuruckgezogenheit auf seinen privaten Besitzungen im Lande der Vater zu leben und seinen Neigungen als Pri- vatgelehrter nachzugehen. Als Modell schwebt ihm das Leben und Wirken eines echten Edelmannes in Osterreich vor: des Herzogs von Hohenberg. Niemand, angefangen die Offiziere der russischen Besatzungsmacht, hat dem SchloBherrn von Artstetten bisher die Reverenz Versagt. Mit der Annahme dieses Vorbilds ware auch eine Absage an alle jene gegeben, die dem Sohn des letzten Kaisers von Osterreich auf Wege drangen und in Abenteuer ver- stricken wollen, die im 19. Jahrhun- dert der Parvenu Louis Napoleon ging, die aber ein SproB der altesten Dynastie Europas nicht weit genug von sich weisen kann. Allen Einwanden, die. gerade in diesen Tagen gegen die Heimkehr Otto von Habsburgs von so- zialistischer Seite vor allem geltend ge- macht werden, ware mit der Annahme eines solchen Modells der Boden ent- zogen.

Das sind die beiden Wege in der zweiten Halfte des 20. Jahrhutiderts, die geeignet erscheinen, dem Hause Habsburg in einem seiner Vertreter Ehre zu geben und den Lebensinter- essen der Republik Osterreich an der Scheide von Demokratie und Volks- demokratie gerecht zu werden.

Wir sehen keinen dritten.

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