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Digital In Arbeit

Ist Arzt sein ein, Job” ?

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Liebe Maturanten!

Darf ich gestehen, daB ich heute mit wesentlich mehr Lampenfieber als sonst in diesem Hbrsaal der medizini- schen Klinik stehe, in den Sie wohl alle zum erstenmal gekommen sind? Meine Aufgabe, Sie zwischen Reife- priifung und Berufswahl zu beraten und Ihnen von Glanz und Elend meines Berufes richtig zu erzahlen, ist aber wirklich bedriickend und heikel ge- nug. Bin ich nicht in einer ahnlichen Lage wie einer, der als AuBenstehender bei einer Verlobung abraten oder zu- reden soil — und dabei kenne ich ja nur die Braut, in diesem Fall: die Medizin, die einige von Ihnen viel- leicht furs Leben wahlen mochten?

Linser gemeinsames Nachdenken uber den Arztberuf heute soil grund- satzlich sein und unabhangig von Konjunkturiiberlegungen, die letztlich nicht fur die Berufswahl entscheidend sein durfen. Auch wenn voriibergehend viele Arzte in der Praxis stehen (vor allem in den Stadten): es gibt nie genug wirklich gute Arzte, und man darf wohl die Behauptung wagen, daB heute — anders als etwa vor zehn Jah- ren — keiner, der charakterlich und wissenschaftlich das Zeug zum Medi- ziner in sich hat, untergehen oder den Beruf wechseln mufi.

Aber wie soli nun der junge Mensch wissen und beurteilen, ob er die charakterlichen und begabungsmafiigen Voraussetzungen mitbringt, um als Arzt glucklich zu werden?

Zuerst mussen wir da die Frage be- riihren, wie wohl das Bild vom Arzt aussieht, das Sie selbst mitbringen und mit dem Sie sich selber in Ihren ver- meintlichen und wirklichen Begabungs- moglichkeiten konfrontieren — und ob wir dieses Bild etwa korrigieren mussen. Ich mochte also im folgenden vom Negativen ausgehen, von einigen landlaufigen Vorurteilen iiber den und von. haltspunkte zur Beeprechung von Eigj nungsfragen gewinnen und auch posi” tiv Wesensziige unseres Berufes zu skizzieren suchen.

Unbegriindete Vorurteile

Bezuglichder Vorurteile zitiere ich ein Buch, desJen Lektiire ich Ihnen empfehlen mochte, namlich: „Die Heil- kunde und der arztliche Beruf”, eine Einfiihrung von Paul Diepgen, 4. Auf- lage, Miinchen 1951.

Fangen wir mit etwas ganz Simplem an: Ist jemand zum Arztberuf nicht geeignet, der kein Blut sehen kann und dem schlecht wird, wenn er in einen Seziersaal oder in den Opera- tionssaal kommt? Der groBe Chirurg Bardeleben hat einmal anlaBlich eines solchen Ohnmachtsanfalles eines Kol- legen, uber den sich die anderen Mediziner lustig gemacht haben, er- zahlt, wie oft er zuerst ohnmachtig geworden sei. Ahnliches wird von Eiselsberg, dem bekannten Wiener Chirurgen, berichtet. Die Uberwindung solcher Ohnmachtsreaktionen ist nur eine Frage der Gewohnung, und es scheint fast, daB die Neigung dazu eher als gutes denn als negatives Zeichen zu werten ist — sie spricht dafiir, daB jemand besondere seelische Antennen hat und empfanglicher, mit alien seinen Sinnen empfindsamer ist fiir das, was sich um ihn tut. Ein anderes primitives Vorurteil ist die Uberschatzurig des materiellen Wohl- standes und der sozialen Stellung, die ein Arzt genieBt. Manche Leute glau- ben, weil man einen Arzt im Auto sieht, daB es sich bei unserem Beruf um ein „Geschaft” handle, das sich eben auch als Geschaft lohne. Es gibt sicher auch einige reiche Arzte, meist Modearzte. Im ganzen aber muB ich Sie warnen: als Arzt, vor allem als ordentlicher Arzt, wird man nicht reich. Sie sollten sich da ganz ehrlich fragen: Wenn Ihnen der Lebens- standard in Ihren Berufsiiberlegungen wirklich viel bedeutet, dann werden Sie in unserem Beruf Arger und Ent- tauschungen erleben. Sie wurden dann darauf kommen, Ihre Arbeit mit der- jenigen anderer Berufe zu vergleichen, und dabei merken, wieviel einfacher andere zu Geld gelangen.

Dazu kommt noch, daB in der heutigen Entwicklung der sozialen Struktur beim arztlichen Beruf, mehr noch als bei manchen anderen freien

Berufen, diese „Freiheit” unter An- fiihrungszeichen gesetzt werden muB. Sie wissen alle, daB fast jeder prak- tische Arzt heute ein Kassenarzt ist, daB die notwendige und aufierordent- lich wichtige Einrichtung des Kassen- wesens nach Ansicht mancher zu einem Kassenunwesen geworden sei, und daB ernste Existenzpjobleme wirt- schaftlicher Art fiir die Kassenarzte bestehen, die ja von Patienten meist nicht direkt bezahlt oder unterbezahlt werden, sondern einen Schein bekom- men. Und gerade am Staub, der durch Gebrauch und MiBbrauch dieser Kas- senscheine aufgewirbelt wurde, kann man auch erkennen, daB das soziale Ansehen des Arztestandes, das nur zum Teil mit dem Geld zusammen- hangt, keineswegs so positiv und hoch ist, wie man es nach manchen Filmen und Darstellungen in billigen Ro- manen erwarten wurde. Es halten sich Dank und Undank nicht die Waage. Der. Undank uberwiegt. DaB dies aber schon immer so gewesen ist, geht aus AuBerungen von Arzten aus alter Zeit hervor, zum Beispiel aus den wunder- schbnen Briefen von Billroth zur Berufswahl des Sohnes eines seiner Freunde. Auch heute kann man noch in manchen sensationellen Zeitungs- meldungen eine versteckte Aversion in der Bevblkerung, eine Art HaBliebe der Patienten zum Arzt, erkennen. Es ist ja auch erschiitternd, wie wir alle als Patienten einem einzelnen, oft vbl- lig fremden Menschen, der als behan- delnder Arzt mit uns zu tun hat, aus- geliefert sind. Dieses Abhangigkeits- verhaltnis hat keiner gern. Man richtet sich zwar innerlich darauf ein, um es moglichst positiv zu erleben, aber es bleibt immer ein Rest, der mehr als verstecktes Unbehagen ist. Beachten Sie einmal, mit welcher Wonne sich viele Zeitungen auf jeden MiBerfolg, auf jede Tragik durch Menschliches, gfej Jpnsqyjches an Krankenhausern bei jrgtqn stiirzen, Und es ist ja wirklich so,- daB wir Arzte, wie es ein alter Spruch sagt, mit einem FuB im Gefangnis stehen. Wer in dieser Hinsicht besonders empfindsam ist, wer innerlich gestutzt werden mufi durch die personliche Anerkennung und Dankbarkeit seiner Umwelt, der leidet als Arzt heute unter vielen Ent- tauschungen. Er leidet vor allem auch an der Entwicklung zur sozialisierten Medizin, an der unvermeidlichen Span- nung zwischen dem „Gruppenarzt” und Individualarzt in uns. Ich kenne einige, die daran zugrunde gegangen sind. Freilich erlebten wir auch viele Stunden der Begliickung im Kampf gegen Schmerz und Tod und auch Dankbarkeit von Menschen, denen wir helfen konnten. Diese Stunden erfullen unser Leben innerlich so tief, daB wir mit niemandem tauschen mochten.

Schwer erkauft

Aber dieses Berufsgliick ist viel schwerer erkauft. als der Laie meint,

und deshalb mufi gerade von dieser Seite unserer Arbeit vor jungen Menschen in der Berufswahl gesprochen werden. Fassen Sie es nicht als Roman- tik oder Angeberei auf, die den Arzt als Martyrer glorifizieren will. Aber ganz nuchtern gesehen: Der Arzt muB schon den durchschnittlichen Erfolg seiner Arbeit bezahlen mit fehlender Freizeit, mit Verzicht auf Familien- leben, mit Schlafmangel und mit der geringsten Lebenserwartung von alien Berufen, das heifit er stirbt im Durch- schnitt friiher als alle anderen. Und wenn einer dank seiner guten Konsti- tution auch lange lebt, dann war dieses Leben fast nie ein Privatleben. Auch in den Feierabend, der ja so oft durch Telephonanrufe unterbrochen wird, und selbst in den Urlaub hinein verfolgt uns der Gedanke an die Patienten, die’ uns Sorge gemacht haben und noch Sorge machen.. („ ... was konnte ich noch tun? Was hatte ich noch tun konnen ...”) Wer in diesem Punkt besonders fein- fiihlig, ja fast skrupulbs veranlagt ist — was charakterlich an sich ja gar kein schlechtes Zeichen sein mufi —, der leidet gerade an dieser Seite des Arzttums, und in leeren Stunden der Miidigkeit meint er, fiir immer wie gelahmt zu sein und davonlaufen zu mussen. Und doch glaube ich, daB er auf die Dauer nicht daran zerbrechen wird, und daB man diesem besonders PflichtbewuBten weniger vom Medizin- studium abraten darf, als seinem Gegentyp, dem robusten dickhautigen Zyniker.

Oft hbrt man, daB die m a n u e 11 e Geschicklichkeit fiir den Arzt entscheidend sei. Sie ist sicher wich- tig und kann die Selbstsicherheit im Handeln des Arztes heben und unter- stutzen. Aber die manuelle Geschick- lichkeit ist nicht alles. Es ware ein Mifiverstandnis,- wenn map glauben wSllte, daB sich ‘das ArftliSie im Handwerklichen erschopft. Und es ist schon fast ein Gemeinplatz, festzustel- len: Wer nur ein guter Techniker ist, hat zu wenig, um ein guter Chirurg zu sein. Alle diejenigen, die sich nur als durchschnittlich manuell geschickt beurteilen (wobei hier die Pflege und Erziehung einiges ausmacht), mochte ich damit trosten, daB diese manuelle Geschicklichkeit in den verschiedenen Sparten der Medizin ungleich bedeu- tungsvoll ist. Sie ist zum Beispiel in der Chirurgie oder Ophthalmologic sicher mitentscheidend, wahrend sie fur den Rontgenfacharzt nicht mehr so wichtig ist. Hier ist zum Beispiel eine besondere visuelle Begabung von grb- Berer Bedeutung, wie ja iiberhaupt das Beobachtenkonnen und -wollen und die Freude an der Nattirbeobachtung fur den Mediziner eine besonders groBe Rolle spielt, weil aus ihr dann jene Fahigkeit erwachst, fiir welche gerade die osterreichische Medizin einmal beriihmt war: der sogenannte „klinische Blick”.

Man hbrt oft, daB die Medizin angewandte Naturwissen- s c h a f t sei, das heifit also Natur- wissenschaft mit einem praktischen Ziel und Zweck. Es ist sicherlich so, daB nur derjenige im arztlichen Beruf rglticklich “ ‘ist, ddr’ Natiirftetihif/’ Shi- geborencr l Naturbeobachter, latur- wissenschaftier sein will. Und er sollte heute mehr denn je auch Sinn fiir mathematische Probleme mitbringen: Die Physik, die Chemie, die Statistik spielen ja in der Forschung eine groBe Rolle. Aber auch innerhalb der Medizin gibt es Facher. wie zum Beispiel die Psychiatric, die wohl einerseits Naturwissenschaft, anderseits aber auch Grenzgebiet zu gei- steswissenschaftlichen D i s z i p l i n e n, zur Psychologic, Soziologie, Geschichtswissenschaft ist. Es ist deshalb fur denjenigen, der in der Beurteilung seiner Begabungen und Moglichkeiten noch unentschieden ist, und sich sowohl hier wie dort hinge- zogen fiihlt, durchaus mbglich, noch spater Ausweichpositionen zu bezie- hen, wie ja iiberhaupt manche Ent- scheidung fiir den arztlichen Weg nicht vor Beginn des Studiums, sondern erst viel spater fallen wird und fallen muB.

Natur- und Geisteswissenschaft

Die Medizin als Naturwissenschaft ist eine Seite des arztlichen Berufes. Es ware ein Mifiverstandnis, diese Seite, wie es manche schwarmerische Naturen und „Naturheiler” tun, nicht zu sehen. Es ware aber auch ein Mifi- verstandnis, die andere Seite zu iiber- sehen, und die Medizin nur als Naturwissenschaft zu betrachten und die auBerordentlich groBe

Bedeutung des Human i- taren und Sozialen im arztlichen Beruf zu iiber- sehen.

Der uralte Wunschtraum, den Priester- abzulbaen und.-.die Gr-undregeln der Hygiene an die Stelle eines Gl.au- bensbekenntnisses zti ‘ Setzth, ist in unserer Zeit fur den Laien und fiir manchen Mediziner noch nicht ausge- traumt. Aber hier scheiden sich die Geister. Wahrscheinlich erwartet der Mensch, der kranke Mensch, in jedem Zeitalter mehr vom Arzt, als er zu leisten vennag. Aber dieser „Heilands- ersatz” scheint mir doch ein sehr modernes MiBverstandnis des Arzttums zu sein. Wir konnen aber den Seelsorger nicht ersetzen. Wir konnen bestenfalls den Menschen ermbglichen, nicht einmal ihn bilden, wie etwa der Lehrer und die Familie.

Fast jedesmal, wenn die Tur des arztlichen Sprechzimmers gebffnet wird, dann ist es, als wurde jetzt ein Schicksal auf den wartenden Arzt fallen. Der Patient hat sich ja seit Tagen, zumindest seit Stunden auf den Augen- blick konzentriert, in dem ihm der Arzt sagen wird, was er gefunden hat, welches Urteil, vielleicht Todesurteil nun gefallt werden mufi. Fur den Arzt ist es nur einer unter vielen, mit denen er an diesem Tag zu tun hat, fur die er an diesem Tag, wenigstens fiir Minuten, wirklich gegenwartig sein muB, gleichgiiltig, ob er in der voran- gegangenen Nacht schlafen konnte oder nicht. Der Patient darf dies nicht spiiren, und der Arzt sollte weder in seinem Erkennen und Diagnostizieren noch in seinem Behandeln, in seinen therapeutischen Entscheidungen, miide sein.

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