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Sdiachspiel mit dem Frieden

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In der groBen Reihe von Uberraschun- gen, die Moskaus diplomatisches Schadi- spiel der Welt seit sieben Jahren be- reitet hat, war keine so ganzlich uner- wartet und in ihrem Zweck so undurch- sichtig wie die jiingste sowjetische Initiative in Angelegenheit eines Friedensver- trags mit Deutschland. Wenn etwas un- wandelbar schien, so war es die Haltung, die Moskau dem deutschen Problem gegeniiber alsbald nach Kriegsende ein- genommen hatte — ihr Widerspruch zu den Abmadiungen der Alliierten des Weltkriegs lieB die neue Kluft zwischen Ost und West zuerst in Erscheinung treten. An dieser Haltung, deren Intran- iigenz in der Berliner Blockade von J&48/49 ihren sinnfalligsten Ausdruck fand, war die in Potsdam vereinbarte ge- meinsame Kontrolle der deutsdien An- gelegenheiten durch eine ViermSdite- kommission gescheitert; sie hatte, alien Bemyhungen der Weltmachte zum Trotz, die einheitliche Verwaltung Deutsdilands und die Bestellung einer gesamtdeutschen Regierung unmoglich gemacht; und sie hatte, ebenfalls entgegen den ausdriick- lidien Bestimmungen des Potsdamer Pro- tokolls, dazu gefiihrt, daB Deutschland, politisch und wirtschaftlich in zwei Teile zerrissen, zusehen’ muBte, wie seine sowjetisch besetzten Gebiete praktisdi in eine Kolonie der UdSSR verwandelt wurden.

Und jetzt plotzlidi, ohne ein Aviso iTgendwelcher Art, tritt die Regierung der UdSSR an die Westmachte heran und fordert genau das, wogegen sie sich so lange und so hartnackig gestraubt hatte: die unverziigliche Einberufung einer Konferenz, an der, neben den vier GroB- machten, auch eine gesamtdeutsche Regierung tedlzunehmen hatte, um einen Friedensvertrag zwisdien den Siegern von 1945 und Gesamtdeutschland fertig- zustellen. Und nidit nur das: in dem Ent- wurf der Bedingungen, die dieser Ver- trag, ihrer Auffassung nach, beinhalten muBte, verleugnet die Sowjetunion eines ihrer, wie es immer schien, absolut un- verriickbaren Kriegsziele und ste-llt sich mit ihrem Verlangen nach einem Wieder- erstehen der deutschen Militarmacht unter allfalliger Mitwirkung auch von Generalen und anderen Gefolgsleuten Hitlers auf einen Standpunkt, der den Aspirationen selbst der extremsten deutschen Nationalisten weitgehend Rech- nung tragt.

Es, ist begreiflich, daB dieser sensa- tionelle Schritt Moskaus ein weltweites Echo ausloste, eines allerdings, das iiber- wiegend von Skepsis getragen war; fast durchwegs kam die Meinung zum Ausdruck, daB es sich auch jetzt wieder um ein bloBes Manover der sowjetischen Propaganda handle, und nur vereinzelte Stimmen, allerdings auch aus den Krei- sen verantwortlicher StaatsmanneT, spra- chen von der Moglichkeit eines echten Umsdiwungs in der sowjeti&chen AuBen-

politik und ihrer Neuorientierung im Sinne einer friedlichen Zusammenarbeit mit dam Westen. Aber alle diese weni- gen durcfa nichts zu entmutigenden Opti- misten, wie die vielen, an denen die Er- fahrungen der letzten sieben Jahre nicht spurlos voriibergegangen sind, .wollten in einem Kardinalpunkt des sowjetischen Vorschlags selbst eiin untriigliches Mittel zur Uberpriifung seines Aufrichtigkeits- gehalts erblicken: aus dem weiteren Ver- halten der Sowjets zur Frage gesamt- deutscher, demokratisch-freier W a h 1 e n, die ja die unerlaBliche Voraussetzung fiir die Bestellung einer reprasentativen gesamtdeutschen Regierung waren, miisse sich unzweideutig und klar ergeben, welche Absicht die Sowjetunion inTt ihrer Deutschlandnote in Wirklichkeit ver- folgte.

Nun kann es gewiB keinem Zweifel unterliegen, daB, wie bei alien diploma- tischen Unternehmungen Moskaus, so auch in diesem Falle, Erwagungen propa- gandistischer Natur ihre Rolle gespielt haben, abgesehen natiirlich von dem Be- streben, den sich immer deutlicher ab- zeichnenden Einbau der Bonner Bundes- republik in die Gemeinschaft des We- stens nach Moglichkeit hintanzuhalten. Aber ebenso sicher ist es, daB die Be- weggrtinde und Ziele des jetzigen Vor- stoBes weit mehr umfassen als die ge- nannten Momente, und es ware ein ver- hangnisvoller Fehler, wollte man seine Beurteilung davon abhangig machen, ob die Sowjetunion der von den Westmach- ten wie von der iiberwaltigenden Mehr- heit des deutschen Volkes geforderten Losung der Wahlfrage schlieBlich zu- stimmen wird oder nicht. So oder so, die sowjetische „Friedensoffensive“ Richtung Deutschland ist durchaus ernst gemeint, und dariiber sollte sich niemand einer Tauschung hingeben.

Allerdings, ihr Ziel ist ein Friede sowjetischer Pragung. Es ist zweckmaBig, sich heute der Worte zu erinnem, die ein sowjetischer AuBenminister iiber die sowjetisch-deutschen Beziehungen ge- sprochen hat. ,Wir waren immer der Meinung , so sagte er, .daB ein starkes Deutschland die eine iiberragend wich- tige Vorbedingung eines dauernden Friedens in Europa ist. Heute beruht unser Verhaltnis zur deutschen Regie- rung auf unseren freundschaftlichen Bin- dungen, auf unserer Entschlossenheit, Deutschlands friedliche Aspirationen zu unterstiitzen, und auf unserem festen Willen, die Entwicklung der sowjetisch- deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit alien Mitteln zu fordem. Der Minister, der solches sprach, hieB nicht Wy- schinski, sondem Molotow, und der Zeit- punkt seiner Rede liegt schon eine Weile zuruckj sie wurde am 30. Oktober 1939 gehalten, zwei Monate nach AbschluB des Freundschaftspakts zwischen Hitler und Stalin. Aber man kann sich gut vor- Siellen, daB Herr Wyschinski oder ein anderer hoher Vertreter der Sowjet- regierung diese Rede wortwortlich und mit derselben herzlichen Betonung wie damals wiederholen wiirde, voraus- gesetzt, daB und sobald es der UdSSR gelange, Deutschland nach ihrem Plan und unter einem ihr genehmen Regime zu vereinen.

Freilich, noch sind die Dinge nicht so weit. Mit ihrer Antwort auf die sowjetische Demarche haben die Westmachte gezeigt, dafi sie, ihrer Verpflichtungen bewuBt, nicht gesonnen sind, um einer eventuellen augenblicklidien Entspan- nung willen auf die Kautel&n zu verzich-

ten, die unerlaBlich sind, um Deutschland, und mit Deutschland den gesamten Westen, vor einer Gefahr zu schiitzen, die in der Geschichte nicht ihresgleichen fande. Andererseits wtirde die Sowjet- regierung kaum zogem, ihrer verbliiffen- den Frontverkehrung in Angelegenheit einer emeuerten deutschen Wehrmacht noch andere Saltos dieser Art folgen zu lassen — etwa in der Frage der Bestellung einer gesamtdeutschen Regierung oder der Festlegung der deutschen Ost- grenze —, wenn ihr das zur Forderung ihres Deutschlandplans dienlich erschiene. Auf eine Teilung Polens mehr kame. esBir bestimmt nicht an, wenn damit die ostliche Orientierung nicht nur gewisser Ex-Wehrmachtskreise, sondem der deiit- schen Nationalisten, vom linken soziali- stischen Fliigel bis hiniiber zur auBersten Rechten, zu erkaufen ware; und auch die sichere Niederlage der deutschen KP, als Resultat tatsachlich freier Wahlen auch in der deutsdien Ostzone, wiirde sie kaum beunruhigen, vorausgesetzt, daB sie das deutsche Terrain fur genugend vorbereitet hielte, um, nadi vollzogener Raumung Deutschlands von alien frem- den Truppen, einen Coup etwa nadi dem

Muster dessen zu wagen, dem vor vier Jahren die Demokratie in der Tschedio- slowakei zum Opfer fiel.

Somit 1st eine Situation entstanden, die vor allem auch vom deutsdien Volk selbst ein auBerordentlich hohes MaB von patriotischer Einsicht, Klugheit und Selbstdisziplin verlangt. Sie erfordert die entschlossene Abwehr der Versuchungen aus dem Osten, so lockend sie sich auch gestalten mogen, und- den Verzicht auf parteipolitische Bestrebungen, die geeig- net sind, das so erfolgredch forts dir ei-

tende Werk der VerstSndigung zwischen der Bundesrepublik und den Staaten des Westens zu gefahrden. Die Lage ist zu ernst, als daB nicht auch berechtigte Son- derinteressen oder Rekriminationen zu- riickstehen miiBten gegeniiber dem Ge- bot der Bildung edner wahrhaft nationa- len Front; der Sammlung aller, die sich zu ein.em vereinten, freien und im voll- sten Sinne europaischen Deutschland be- kennen. Und dieses Ziel ist nur im eng- sten ZusammensdiluB mit den freien Vol- kem des Westens zu verwirklidien.

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