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Neues Zeitalter oder Alternativ-Kultur?

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In London fand zu Ostern das New Humanity Symposium im Wem-bley-Stadion statt; geplant fur eine Zuhorerschaft von 3000, iiber Satel-lit-Fernsehen mit gleichnamigen Veranstaltungen in Toronto und Los Angeles verbunden, sollte es das erste Mai Wissenschaftler, religiose Fiihrer, Politiker, Umweltschutzer und Wirtschaftler im Gesprach ver-einen. Die Fernsehiibertragung klappte njcht, an Stelle der 3000 ka-men 300 Zuhorer, aber dennoch waren Vortrage und Diskussionen in-teressant, und die Intensitat des Kon-taktes zwischen Teilnehmern und Vortragenden war vielleicht noch groBer, als wenn alles planmaBig ge-gliickt ware.

Es zeigte sich eine Wende des Zeit-geistes, die in Wien noch kaum zu spuren ist. Wenn man hier von „New-Age“ Gruppen spricht, dann meint man Sekten, wie Scientology, TM, Krishnaanhanger, oder etwa die Kommune von Otto Miihl, die keine nennenswerte offentliche Rolle spie-. len. In London war das anders: Die Wandlung der Zeit ist alien so vor Augen, daB sich die Fragen darauf konzentrieren, wie die Welt in etwa 20 Jahren aussehen wird, und ob die neuen Gruppen eine dialektische Aufgabe - ein Vortragender verglich sie mit den Leukozyten im Blut -oder eine aufbauende haben miiBten.

In Wissenschaft, Okologie und Politik uberwogen die Pessimisten, ja die Propheten der Katastrophe. Die Abholzung der tropischen Walder, der ungeregelte Energieverbrauch, die Zerstorung der Naturschatze der Dritten Welt, sie scheinen unaufhalt-sam. Dagegen gibt es Lichtblicke in der biologisch orientierten Land-wirtschaft, groBangelegte Pflanzung von Baumen in der Sahara, die Be-sinnung auf kleine Wirtschaftsein-heiten wie etwa im Buch von Schuhmacher „Small is beautiful“. Dennoch war alien Beteiligten klar, daB die Wendung nicht von auBen, sondern von innen, in einer Bewufit-seinswandlung liegen miisse; so-lange die auBere Okologie nicht durch die innere erganzt wird, bleibt die Lage hoffnungslos. Ein totales

Umdenken ist notwendig, was in drei Postulaten gipfelte:

• Die Grundeinheit der Welt ist der sich entwickelnde Mensch, im Un-terschied zum Wirtschaftswachstum des Westens - meinte Prof. Peccei, der Griinder des Clubs of Rome -, und der sozialen Revolution des Ostens.

• Jede Loyalitat unterhalb der Ein-heit der Erde - des „globalen Dorfes“ nach Marshall McLuhan - ist heute zerstorend. Okologie darf sich nicht auf Abwendung von Unheil be-schranken, sondern verlangt kon-struktive Mitarbeit an der Evolution.

• Kompetition und Leistungsge-sellschaft weichen einer Welt, in wel-che jeder seinen eigenen Lebenssinn gestalten muB; der Mensch ist nicht Herr der Natur, sondern ihr Glied. Alle Leistung kommt aus der Inspiration, ist also nicht dem einzelnen zu-zuschreiben, sondern dem Ursprung der Evolution, sei dieser nun personal als Gott, oder physikalisch als die Potentialitat jenseits des Urknalls zu betrachten.

• Mit diesen Postulaten stellt sich aber heraus, daB die heutige gene-relle BewuBtseinslage, die ideologi-sche Weltauffassung, nicht die menschliche Norm darstellt, sondem nur eine Entwicklungsstufe. Alle Leistungen erweisen sich als mogli-che Kombinationen von Gegeben-heiten, es gibt keinen vorgegebenen Sinn des Lebens; und nur jener, der zu seinem eigenen Sinn - psycholo-gisch dem Akzeptieren seines Korpers und seiner Anlage - durchstoBt, ist imstande, jenes ungluckliche BewuBtsein zu uberwinden: den „homo sapiens“ in den „homo divinans“ zu verwandeln, der die Instinktgebor-genheit des Tieres auf der BewuBt-seinsebene der Intentionalitat wieder erreicht. Religion wurde also nicht so sehr als Offnung zum Geist, wie als Rtickbindung zur Erde und zur Natur verstanden.

Wahrend das Londoner Symposium in einer Sehnsucht ausklang, war der zweite KongreB konkreter: „New Themes for Education“ in Dar-tingtoft, einer herrlich gelegenen Universitat in Devonshire, die sei-nerzeit in Zusammenarbeit mit dem indischen Dichter Rabindranath Ta-gore gegriindet worden ist, hat als Ziel, die Mittelschulprofessoren und Universitatslehrer mit neuen Rich-tungen vertraut zu machen.

Das Jahresthema war, ..Intuition und Gefiihl im Verhaltnis zur Pad-agogik“. Es zeigte sich, daB Physiker und Psychologen zu gleichen Schliissen kommen, daB die geistige und materielle Welt ineinandergrei-fen. In einer Zeit, da Diplome keine Garantie mehr auf berufliche Sicherheit geben konnen und sich die wis-senschaftliche Situation dauernd wandelt, muB der Schwerpunkt der Erziehung auf Forderung der Spon-taneitat ohne Verlust der Rationalitat liegen.

So erhalt die neue, transpersonale Psychologie eine Schliisselrolle: Nur ein Riickgriff auf samtliche Traditio-nen der Menschwerdung kann dem heutigen jungen Menschen einen Ansatz bringen, mit den Problemen der Zukunft fertig zu werden. Taois-mus, BewuBtseinserweiterung im Sinne des „Rebirthing“ - also Wiedererinnerung an die vorgeburt-liche Existenz im Mutterleib, dies im Verein mit der christlichen Ethik (Frank Lake) -, die Erweckung der Imaginationsfahigkeit im Sinne von Roberto Assagioli, des Begriinders der Psychosynthese, dargestellt durch die amerikanische Psycho-therapeutin Tara Stuart; neue Lern-theorien des Spieles, wie Prof. Dienes, der diesen Winter in Frankfurt das Lehrerseminar leiten wird, all dies zeigt Ansatze, die einem fiir die Zukunft im Gegensatz zu den wirt-schaftlichen und okologischen Propheten des Untergangs Mut geben konnen. Es sieht so aus, als ob die Gegebenheiten der neuen Zeit durchaus die Moglichkeit bieten, eine sinnvolle Losung anzugehen, wobei man sich aber den Gefahren nicht verschlieBen darf. Die Konfe-renz klang aus in der Erinnerung an das Wort Holderlins: „Wachst die Gefahr, so wachst das Rettende auch.“ (Der Verfasser ist Professor fur Reli-gionsphilosophie an der Hochschule fur Angewandte Kunst in Wien)

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