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Das Tabu der „Verstaatlichten“

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Die verstaatlichte Wirtschaft so wie sie sicih; nun in Ostetbeich darbietet, ist ein Index fiir die Erreichung von Grundzielen des osterreichischen So- zialismus, der sich freilich anderseits in einer gemischten Wirtschaftsver- fassung einzurichten beginnt und den Bestand gewisser Formen privater Wirtschaftsweise als gerechtfertigt ansieht. Je mehr sich nun der Sozialis- mus auf seinen Ursprung besinnt und weltanschauliche Auseinandersetzungen an den Rand verweist, um so nach- driicklicher intensiviert er sein Inter- esse an okonomischen Problemen und um so heikler ist er gegeniiber alien Versuchen, den Komplex der verstaat- lichten Wirtschaft zu reduzieren. Da- bei ist die Verstaatlichung nach Ansieht des Sozialismus nicht so sehr durch den Eigentumsinstinkt von unten bedroht, durch die „Klein- bfirger", sondern durch als „privat“ etikettierte Kombinate auslandischer Provenienz. Fur die SPO ist die Republik Osterreich — das „Vaterland“ — nicht allein als Idee oder als Apparat vergegenstandlicht, sondern auch in der konkreten Erscheinungsform der Unternehmungen des Konzerns der verstaatlichten Wirtschaft, der das „Na- tionalvermogen" reprasentiert, einen Fonds, mit dessen Zuhilfenahme die Sozialreform — das zentrale Anliegen jedes Sozialismus — realisiert werden kann.

In der Sache Verstaatlichung ist man im Bereich der SPO aufierordent- lich empfindlich, auch dann, wenn sich

Erscheinungen zeigen, die man sonst mit Korruption bezeichnet. Verstaatlichte Unternehmungen sollen „mo- ralischer" gefuhrt werden als private, hiefi es auf dem Parteitag.

Angesichts der Ohnmacht beacht- licher Teile der privaten Wirtschaft, sieht der Sozialismus sein Werk der Gemeinwirtschaft nicht mehr durch die Privatwirtschaft an sich, sondern durch ihre Entartung, durch die lediglich dem Namen nach „privaten“ Kombinate gefahrdet, die allein Macht haben, um kostengiinstiger zu arbeiten als Unternehmungen, die im Eigentum von Gebietskorperschaften sind. Zu- dem sind es nun diese Konzentrations- formen privaten Rechtes, die in der Lage sind, eine neue Form der Aus- beutung zu schaffen, jene der Konsu- menten, die an die Stelle der Dienst- nehmer tritt, die nun allmahlich Ge- schichte geworden ist.

Der ..biirgerlichen" Idee der Eigen- tumsstreuung wird gleichzeitig ein Postulat entgegengesetzt, das ahnliche Wirkung haben soli wie anfanglich die Idee der sogenannten ..Volksaktie", namlich die Forderung nach Einffih- rung einer Sozialdividende fiir die Dienstnehmer in den verstaatlichten Unternehmungen. Freilich wurde die Forderung einer Sozialdividende nicht unbestritten hingenom- men. Zwei Delegierte (Cidlik und Gutenbrunner) widersprachen freimiitig und wiesen darauf hin, daB es besser sei, sich zuerst um eine Sanierung der Staatsfinanzen zu kiimmern, und dann erst um die Provokation neuer Lohn- forderungen, denn um nichts anderes handelt es sich schliefilich bei der So- zialdividende. Diesem Widerspruch aus der Mitte des Plenums entsprach auch die Entschliefiung des Arbeits- kreises „Arbeitsmarkt und Lebens- haltung" (Berichterstatter Professor Klenner), der feststellte, dab sich eine Lohnpolitik nur an den Produktivi- tatssteigerungen orientieren konne.

Die grofien Drei

Die Erste Republik war fast alien damals in der Politik Engagierten — nicht nur den Sozialdemokraten — ein Gebilde auf Abruf, dem einen ein ..Fastnachtsscherz", dem anderen eine Episode auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft, eine Zwangsinstitution der , herrschenden" Klasse, und den Biirgerlichen wie den Konservativen unter ihnen ein Bastard, den man erst liebenswert fand, als man ihn bedroht wahnte. Das unbedingte Bekenntnis aller politischen Gruppen in Oster- reich, die nicht auslandgesteuert sind, zur Republik als verfassungsmaBiger Hulle des Vaterlandes, entstammt der Zeit um 1945. Beim Sozialismus findet dieses Bekenntnis etwa in der Frage „Bundesheer“ auf dem letzten Partei- tag folgende Formulierung: „Der Pra- senzdienst beim osterreichischen Bun- desheer ist die merkbarste Form der Ausiibung der staatsburgerlichen Pflichten" und Allgemeine Wehr-

pflicht bedeutet Wehrpflicht fur alle Staatsbiirger"! Waren solche Formu- lierungen aus dem Munde sozialdemo- kratischer Fiihrer vor 1933 denkbar gewesen?

Das „Nein“ gegeniiber dem Be- rniihen Otto von Habsburgs, nach Osterreich zuriickzukehren, ist keines- wegs gegen eine Person gerichtet, wohl aber gegen ein System, mit dem der Sozialismus in Osterreich, der eben bestimmte geschichtliche Erfah- rungen reflektiert, glaubt, nicht und in keiner Form zusammenarbeiten zu konnen. Eine Zustimmung zur Ande- rung der Habsburgergesetze kame, das muB man vermuten, den Sozialisten (noch) als eine Selbstaufgabe vor.

Damit aber sind wir schon beim dritten Problem, mit dem sich weniger der Parteitag selbst, wohl aber der Vorsitzende der SPO beschaftigte: bei der „R e a k t i o n“. Dabei wurde nicht versucht, eine Definition dessen zu geben, was man unter Reaktion verstanden wissen wollte. Wahrschein- lich soli gesagt sein, daB Versuche merkbar sind, Ideen, welche in Osterreich als uberholt anzusehen sind, ge- waltsam zu aktivieren, obwohl diese Ideen in keiner Weise dem sozialoko- nomischen Unterbau und den Auffas- sungen von einer richtigen gesell- schaftlichen Ordnung entsprechen. Nun ist aber „reaktionar“ ein ebenso relativer Begriff wie der Terminus ,,konservativ“. Der Stalinismus und der sozialistische Antiklerikalismus sind konservativ und eine innersozia- listische Form der ,,Reaktion"

Der Vizekanzler hatte aber offen-

kundig eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen als ..Reaktionare" disqualifiziert, nicht sosehr Trager von Ideen als einen politischen Clan. Weit uber die SPO hinaus regt sich nun die berechtigte Neugier, ja die Sorge, und die Anfrage: Wer sind diese Manner der ,,Reaktion", die da der Vizekanzler beschuldigt, die OVP zu unterwandern, sie immer weiter nach rechts, in die Nahe des Faschis- mus, abzudrangen? Nicht zuletzt im Ausland hat dieser Angriff starke Aufmerksamkeit erweckt.

Schwere Beschuldigungen — und Beweise?

Was versteht nun der Herr Vizekanzler unter „Reaktion“? Was und wen hat er mit seinen Angriffen ge- meint, die keineswegs in konventio- nellen Formulierungen vorgetragen wurden?

Wir zitieren:

„ . . . dann konnen die Biirger- blockregierung und ihre Mehrheit im Hauptausschufl ohne formelle Verletzung der im Staatsvertrag iibernommenen Verpflichtung, die Zustimmung zur Riickkehr geben, dann stehen Bundesheer und Polizei unter der Befehlsgewalt von Ver- trauensleuten der Reaktion, um Aktionen zum Schutz der Republik und der Demokratie mit Brachial- gewalt niederwerfen zu konnen. Die Plane sind bekannt, wie die Menschen, die sie ersonnen haben und ausfuhren sollen. Erfreulicherweise ist auch in Osterreich im konser- vativen Lager die grofie Mehrzahl der Anhanger durckaus demokra- tisch und republikanisch gesinnt. Wir wissen aber, dafl sie — wie schon einmal in der Vergangenheit — der Unterwanderung durch die Reaktion in den eigenen Reihen sowie der standigen Bearbeitung durch die antidemokratische Presse nicht ge- wachsen sind.“

,,lm Faile einer Einparteienherr- schaft- in Osterreich oder gatu ini Faile eines Scklages gegen Demo- kratfe und Republik’ufiirde'ii-dievoil uns sorgfaltig ersparten Gelder ge- nommen werden, um Schulden zu bezahlen, die aitdere gemacht haben. Es ist uns bekannt, dafl die Reaktion in Osterreich ahnliche Aktionen plant, wie Abenteurer in anderen Landern sie bereits — zumindest er- folglos — durchgefiihrt haben. Zuerst durch Entfernung der demokra- tischen Funktionare in den konservativen Organisationen, dann durch e’nen Uberraschungsschlag gegen die Zusammenarbeit in Osterreich." Man muB nicht jedes Wort, das in einer Versammlungsrede gesprochen wird, auf die Goldwaage legen. Wie sehr wird oft in den Formulierungen einer Rede die herrschende Stimmung reflektiert! Anders bei einem Grund- satzreferat. das erstens wohlvorberei- tet und im Wortlaut der Presse uber-

geben, und das dazu noch von einem Mann gehalten wurde, der einen Rang bekleidet wie der Vizekanzler. Aus dem Plenum war kaum eine Resonanz auf die Anschuldigungen des Redners, die er zweimal vorbrachte, zu spiiren, es Sei denn ein dosierter BeifalL Trotz- dem kann uber die Anschuldigungen nicht hinweggegangen werden.

Wenn politische Gruppen koope- rieren, die von sich behaupten, grund- satzlich zueinander in Widerspruch zu stehen, ist doch ein MindestmaB an Ubereinstimmung in wesentlichen staatspolitischen Fragen notwendig. Wenn nun der Fiihrer der einen Gruppe behauptet, daB Teile des Re- gierungspartners Plane auszufuhren be- absichtigen, die den Charakter des Hochverrats und des versuchten Auf- ruhrs haben, 'handelt es sich um schwere Anschuldigungen, ebenso wenn man andeutet, es sei beabsich- tigt, neuerlich so etwas wie ein ..kriegswjrtschaftliches Ermachtigungs- gtsttzil a«Michaffeift Wfi

Hilfe gegen die Verfassung, besser ge- gefi®iKfefilFIIGeist, diktStdri-Sdh rregidt'en zu konnen. Man kann das, was auf dem Parteitag gesagt wurde, nicht bagatellisiereri und beim Heurigen be- reinigen. Was nun geboten erscheint, ist, daB der Herr Vizekanzler Namen nenne und Dokumente vorlege, aus denen hervorgeht. daB die erhobenen Beschuldigungen zu Recht bestehen. Es kann sich schliefilich nicht um eine ,,Clique" gehandelt haben, um eine Gruppe von machtlosen Verschworern, die allein es nicht vermdehte, eine Partei zu liquidieren, die derzeit 727.000 Mitglieder zahlt. Bis jetzt ist aber kein Beleg auf den Tisch gelegt worden. Wenn . dieser nicht erbracht wird. so erfahren die Beschuldigungen, die kaum noch steigerungsfahig sind, in den Augen der breitesten dffent- lichkeit eine Abwertung zur partei- politischen Zweckpropaganda.

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