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Dort, wo wir lieben, ist Vaterland

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Zwei Schlagzeilen in einer deutsdien Zeitung sind charakteristisch und weisen auf die Initiatoren und Trager der .Wodie der Briiderlichkeit", zu der die Deutschen aufgerufen wurden: .Die fiinf Miinchner Hodischulen leiten Woche der Briiderlidi- keit ein und .Ein Gesprach der Konfes- sionen als AbsdiluBberidit .

Eine Woche der Briiderlichkeit? Kann man fur Liebe Propaganda machen? Diese Frage stellte der deutsche Bundesprasi- dent in einer Eroffnungsansprache und erinnerte daran, daB jenes Wort, gegen das Wir so miBtrauisch geworden sind, einer kirchlidien Einriditung, der Congre- gatio de propaganda fidei, seine Sinn- gebung verdankt. .DaB es eine Propaganda des Hasses geben kann, das haben wir reidilich erlebt, innerhalb des eigenen Volkskorpers, von uns zu den anderen Volkern, von den anderen Volkem zu uns. Keiner glaubte dem anderen etwas schuldig bleiben zu diirfen. Manche haben sich des Verfahrens innerlich gesdiamt. Die meisten begniigten sich damit.. .

Den Skeptikern miisse gesagt werden: Es gaht nidit um .fratemite , in deren Namen dem „Bruder — erst dem Ade- ligen und dem Priester, dann dem Geg- ner im revolutionaren Lager — der Kopf abgesdilagen wurde. Es geht auch nicht im .Toleranz", jenes laBlidie Gewahren- lassen, jene duldende Unverbindlichkeit. .Denn es gibt Situationen, es gibt auch Menschen, die die Intoleranz geradezu herausfordern: wer wollte, wer diirfte ge- geniiber dem zynischen Rechtsbredier, audi gegeniiber dem Spieler und dem Verspieler von Volkssdiicksalen tolerant sein? Nicht das weichlidie Gefuhl und ein vager Mensdiheitsglaube moge durch das Wort .Briiderlichkeit angesprochen werden, sondem die Verantwortung, die Tapferkeit gegen sich selbst, gegeniiber uberkommenen Denkgewohnheiten, ge- geniiber einer eingangigen Formelwelt von gefrorenen Begriffen, vor allem die Tapferkeit gegen die eigene Tragheit des Herzens.

MuB der nicht als ein Traumer er- scheinen — so fragte der deutsche Bundes- prasident —, der in dieser Zeit der Un- ruhe und der Spannungen zwischen den Staatengruppen, der noch ungelosten in- neren Probleme, angesichts des Schidc- sals der Vertriebenen und der Rentnemot es wagt, von Briiderlichkeit zu sprechen? .Wenn dieser Versuch einen Sinn haben und einen Erfolg gewinnen kann, dann doch nur, wenn er da und dort eine Men- sdienseele anruhrt, das Leid des anderen, auch die Freude des anderen als eigenes Leid, als eigene Freude zu empfinden, zu tragen oder zu genieBen. Dann werden die Dinge, die mit einem gewissen pathe- tischen und programmatischen Anspruch gemeldet werden, ganz einfach. Alles Ge- schraubte und alles Verdedcte sinkt hin- weg. Am SchluB aber bleibt das Wort: Liebe deinen Nachsten wie dich selbst! Unter dem Titel „Dort, wo wir lieben, ist Vaterland hat der bekannte deutsche Dichter und Publizist Rudolf Hagel- s t a n g e (..Frankfurter Hefte , Marz 1952) grundlegende Gedanken ausgesprochen:

.Was uns einzelnen Deutschen nun ob- liegen sollte, scheint mir ..., wenn es nicht zu groBmachtig klingt, die Wiederherstel-

lung unserer Ehre zu sein. Und ich wahle dieses Wort, obwohl es, wenn ich mich nidit tausche, eine bevorzugte Redensart jenes Menschen war, der wie kein anderer in unserer Geschidite deutsche Ehre mit FiiBen trat, der — in jeder Hinsidit und nadi alien Seiten — ein Ehrabschneider war. Denn ich glaube, wir sollten uns durdi keine Falscher und Propagandisten den Mut abkaufen lassen, Frieden Frieden. Freiheit Freiheit und Ehre Ehre zu nennen, solange es noch Mensdien unter uns gibt, die von diesen Dingen gekostet haben oder nadi ihnen hungern. Es kommt darauf an, in weldier Umgebung sie stehen und wohin sie weisen.

Unsere Ehre, so meine ich, auBert sich daB. in, daB wir haften, nidit weil wir miissen und weil es uns auferlegt ist, sondern weil wir Ehre haben. Wir haften — wie der ehr- same Vater fur seinen ehrlosen Sohn — fOt das, was geschah, und indem wir — wie der ehrsame Vater — dafiir haften, versuchen wir, den Sdiimpf zu tilgen, den Ehrlose unserem guten Namen angetan haben. Kein Fremder, keine weltpolitisdie Konstellation kann uns als Einzelnen und uns als Ge- samtheit Ehre ab- oder wieder zusprechen. Audi kein deutscher Soldat neuer Art kann da ein Jota zufiigen oder wegnehmen. Dies ist unser eigenstes und friedfertigstes Ge- sdiaft...

Es geht um Zukunftiges, auch m der Gegenwart. Und wie damals unser aller Zukunft, ohne daB wir es wuBten oder wis- sen wollten, ausgehandelt wurde, so ist uns Heutigen aufgetragen, aus den Trummer- blocken des Vertrauens, der Aditung und der editen Selbstaditung wieder ein Fundament zu setzen, dessen MaB riditig und auf die Dauer gewahlt ist, damit sidi nach und nadi fiber ihnen ein Haus erheben kann, in dem wir — als Einzelne und als Volk —, geaditet und uns selbst achtend, leben konnen.

Die Welt zu verandern, sie gerediter und friedfertiger zu gestalten, werden wir uns immer miihen — nadi denj moralischen Gesetz, das in uns gelegt ist. Nur sollten wir besdieidener und niiditerner von unseren Moglichkeiten denken und diese vor allem bei uns selbst, aber nidit in KollektivmaB- nahmen, groBen politischen Bewegungen, weltpolitisdien Konjunkturen sehen. Die unermiidlidie taglidie Arbeit der zahllosen Namenlosen und die Elite schopferisdier Geister auf jedem Gebiet — diese beiden Faktoren bestimmen das Gewicht ernes Volkes auf die Dauer, und dieses Gewicht ist maditiger und mafigebender' sis die ewig hin und her schwankende Waage des politischen Kraftespiels.

Und mogen audi mandie unter den Alte- ren zu herzenstrage oder zu feige sein, fur diese wahrhafte Ehrensache der Nation einzustehen, — um so beschworender wen- den wir uns an diejenigen, deren Jugend sie auf jeden Fall freispricht von Verantwortung fur Vorgangenes: sie mochten ihr Herz freihallen von dem giftigen Unkraut des Hasses und den fadenscheinigen Hafl- lehren, von dem wurdelosen und geist- losen Ressentiment des Antisemitismus einer politischen Unterwelt, das nicht zu- letat beigetragen hat zu unserem Zusam- menbruch und der todlidien Gefahrdung, in der Europa heute jeden Tag leben muB. Sie mochten mit Hand anlegen, zuerst im Geistigen und der Gesinnung, die Grenz- pfahle nationalistisdier Engstirnigkeit niederzulegen, das Eigene priifen und das Fremde verstehen und, ungeaditet zuneh- mender Riistungen, das Gliick und die Ehre ihres Volkes nicht in der Spekulation auf das Veranderliche, sondern in dem guten Willen zum Recht, im Glauben an das Be- standige zu sehen ... Was aber uns Deutschen zu all den Fragen, die uns in diesem Zusammenhang bedrangen und bewegen, zu sagen ist, beruhigend, belehrend und aufrufend, hat Goethe einmal ausgespro- chen, als er die Zeilsn schrieb: Dort, wo wir lieben, ist Vaterland!"

Der Appell der angesehenen deutschen Monatsschrift ist nicht der erste dieser Art. Schon vor etwa einem halben Jahr hatte der Hamburger Senatsdirektor Dok- tor Erich L u e t h zum Frieden mit Israel aufgerufen. Aber schon 1948 wurde der „ Deutsche Evangelische AusschuB fur den Dienjst an Israel" gegriindet, der durch verschiedene Gesellschaften fur Juden- mission getragen wird und auch eine bessere Kenntnis des Judentums unter den Christen verbreiten will. Diese Kreise vor allem standen hinter der vor etwa einem Jahr gefaBten EntschlieBung der Synode der Bvangelischen Kirche gegen den Anti- semitismus. Auf katholischer Seite besteht in Freiburg ein christlich-judischer Ar- beitsausschuB, der hauptsachlich aus Mit-

arbeitern des wahrend der NS-Zeit or- ganisierten Hilfswerks fiir verfolgte Juden gebildet ist. Sein Organ sind die „Rundfunkbriefe zur Forderung der Freundschaft zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk im Geist der beiden Testaments" — ein Titel, der zugleich ein Programm beinhaltet. Die Ausstrah- lungen dieses Kreises waren auf dem Katholikentag in Mainz spiirbar, wo eine Wiedergutmachung im Rahmen des Mog- lichen gefordert und ein Appell an die einzelnen Christen gerichtet wurde, „sich von einem wiederaufflammenden Anti- semitismus freizuhalten". — AuBerdem existieren in zehn deutschen Stadten Ge- sellschaften fiir christlich-jiidische Zusam- menarbeit, deren erste bereits 1947 in Miinchen gegriindet wurde. — Die Mit- glieder aller dieser Gesellschaften sehen in der Aufrechterhaltung der unterschied- l;chen religiosen Dberzeugungen die Grundlage ihrer Begegnungen. Daher sind diese Gesellschaften so aufgebaut, daB in alien Organen das katholische, evangelische und judische Element an der Spitze vertreten ist. Ihr Kampf richtet sich gegen Gruppenfeindschaften jeder Art. Ihr Fernziel ist, nicht nur dem RassenhaB, sondern audi dem Parteihader, dem Klas-

senkampf and jeder Art Chauvinismus entgegenzuarbeiten.

Diese Kreise und Gesellschaften sind wichtig, weil sie die Kontinuitat jener Bestrebungen verbiirgen, die in der „Woche der Briiderlichkeit" in Einzel- veranstaltungen zum Ausdruck kamen. Nennen wir von diesen nur die wichtig- sten: ein religioses Dreigesprach in Miin- chen zwischen dem katholischen Hoch- schulprofessor Dr. Richard Egenter, dem evangelischen Hochschullehrer Dr. Ernst Lichtenstein und dem israelischen Theo- logen und Kulturphilosaphen Dr. H. J. Schoeps; ein Appell der Berliner Senato- rin Louise S-chroeder an die Frauen Niirn- bergs; ein Heimabend in Miinchen fiir Alt- und Neubiirger, welcher die Bezie- hungen zwischen Heimatvertriebenen und Einheimischen vertiefen sollte und bei ' dem der Dichter R. A. Schroder und Pater Paulus Sladek S. J. das „Gesprach um die Heimat" fiihrten. — Die auffallend starke Beteiligung der akademischen Jugend an diesen Veranstaltungen und ihr Bekennt- nis zum Gedanken der „Woche der Brii- derlichkeit" berechtigt zu der Hoffnung, daB die ernsten Worte auf fruchtbaren Boden gefallen sind.

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