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Völkerfriede und Christentum

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Über Friedensbrecher wurde und wird letzt zu Gericht gesessen. Ihre Absichten und Verhaltungsweisen stehen unter dem Schwert, und die menschliche Gerechtigkeit verurteilt und brandmarkt ihre Verbrechen. Es wird versucht, Sühne zu schaffen und einen neuen Weg zu beschreiten, um in der künftigen Zeit derartige Gefährdungen hintanzuhalten. Was aber noch notwendiger wird, ist, den Ungeist zu zerstören und dem wahren Friedensgeist Raum zu schaffen. Hier liegt die noch größere Aufgabe. Um diese zu bewältigen, bedarf es jedoch noch eines anderen Weges. Dr. Ignaz Seipel hat in seinen Universitätsvorlesungen im Winter 1929/30 darauf hingewiesen, als er den Frieden als ein sittliches Problem bezeichnete. In seinen akademischen Vorlesungen betonte er die Bedeutung der „pontifices“, wörtlich übersetzt: der „Brückenbauer“, für die Bereitung des Friedens.

An dieses Symbol muß man denken, wenn man von den Bemühungen erfährt, die schon in jenen Tagen des endgültigen Zusammenbruches Deutschlands von richtigen „pontifices“ aufgenommen wurden, als noch eine Welle des Hasses und der Rachegedanken die Welt zu überschwemmen schien. Es war gerade der französische Bischof Msg. Theas von Montauban, der selbst Jahre in einem deutschen Konzentrationslager verbracht hatte und die Stimme für christliche Versöhnlichkeit erhob. Nach seiner Rückkehr zu Ostern 1945 erließ er an seine Diözese, in der sich das Zentrum der französischen Widerstandsbewegung befand, einen Hirtenbrief, in dem er den Gedanken der christlichen Einheit herausstellte, in die auch die Deutschen in christlicher Nächstenliebe eingeschlossen seien.

Aus diesem Gedankenkreis ist in Frankreich ein Gebetskreuzzug für Deutschland entstanden, der schon 80.000 Katholiken unter dem Protektorat des Erzbischofs von Toulouse, Kardinal S a 1 i e g e, umfaßt und in dem Verhältnis zum deutschen Nachbarvolke in christlichem Geiste eine Neuorientierung erringen und erbitten will. Bezeichnend ist, daß gerade solche Priester, Ordensleute und Laien sich angeschlossen haben, die in Deutschland und Österreich als Gefangene und Arbeiter waren und Gastfreundschaft und Unterstützung erfahren haben. Immer wieder melden sich solche Männer, die voll Bewunderung von dem unerschrockenen Mut zu berichten wissen und zugleich von dem vorbildlichen Glaubensleben, das sich in Deutschland trotz der Verfolgung des Nationalsozialismus entfaltete. Hier wird richtige Brückenbauerarbeit geleistet, die sich nicht auf Worte beschränkt, sondern auf die praktische Tätigkeit. Die Zuschriften an die Leitung des G e b e t s k r e u z z u g e s bezeugen, wie vielfach die Hilfeleistungen durch die Kirche in Deutschland waren, sie verlangen, daß dieser einmal gefundene Kontakt noch religiös vertieft wercje. In einer uns übermittelten Aussendung des Werkes ist unter anderem folgender Brief wiedergegeben:

„In der Dreifaltigkeitskirdie in Leipzig bin ich am Palmsonntag 1943 zum ersten Mal mit dem deutschen Klerus in Fühlung getreten.

Der Priester, der midi empfing, sprach fließend französisch. Er stellte sich mir sofort zur Verfügung. Das heißt, daß er sowie der Klerus von Leipzig fast ohne Ausnahme geradezu erfinderisch waren, uns Dienste zu erweisen. Sie öffneten uns ihre Pfarrhäuser, stellten uns ihre Arbeitssäle zur Verfügung. Dies alles angesichts der drohenden Gestapo. Sie wußten, daß sie schwere Strafen zu gewärtigen hätten, weil sie sich mit Ausländern befaßten. Sie haben sich nicht schrecken lassen. Ihr, die Ihr diese Zeilen behaglich in einem Lehnstuhl lest und im Dienst der Kirche Christi keine andere Gefahr kennengelernt habt als einen argen Schnupfen in einer schlecht geheizten Kirche, stellt Ihr euch wohl die Belastung vor, die schwere Sorge, die immerwährende Geistesspannung vor dieser Drohung der Gestapo!? Mehrere wurden unsertwegen belästigt, andere wurden in andere Städte verschleppt; man hat sie nie wieder gesehen!

Sie haben uns Geld für die Spitäler gegeben, für unsere Kranken Butter- und Brotkarten. Sie waren für uns heimliche Priester wie Brüder, Brüder im Dienste Gottes, die uns unterstützten, uns mit einem Lächeln stärkten, mit einem Händedruck, mit einem vom Herzen kommendem Wort.

Darum ist :s eine Dankesschuld für uns Gläubige Frankreichs, für Deutschland zu beten. Deutsdiland hat vor uns den Vorteil eines Kults, der sich den Erfordernissen des modernen Lebens anzupassen gewußt hat, den Vorteil eines Lebens in der Pfarrgemeinschaft, wo Innigkeit und Geist herrschen, mit einem Wort eine Kirche, die sich täglich dem evangelischen Ideal nähert.

Mich hat der Kontakt mit der Kirche Deutschlands persönlich bereichert; die zahlreichen Äußerungen christlicher Nächstenliebe seitens deutscher Priester und Gläubigen gegen unsere Arbeiter und Deportierten haben mir eine Dankespflicht auferlegt, deren ich mich gerne durch Gebet en ledige. Ich denke soeben an jene gute alte Deutsche, die, nachdem sie Seite an Seite mit einem meiner französischen Kameraden der hl. Messe beigewohnt hatte, ihm Brotkarten zuschob ... Ganz einfach aus Nächstenliebe ... aus Liebe zu Gott, weil dieser Unbekannte, dieser Fremde ... dieser Feind von gestern ... ein Bruder in Christo war. Abbe Louis Roland

Eine Reihe ähnlicher Kundgebungen führt der französische Gebetskreuzzug ins Treffen. Wo es um ein so hohes Ziel und ein so großes Gut geht, wie es der wirkliche Friede darstellt, muß er nicht die höchsten Kräfte für ihn zu Hilfe rufen? Friede ist wirklich nicht nur eine Angelegenheit diplomatischer Technik, sondern noch viel mehr ein sittliches und religiöses Problem.

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