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Nur jeder dritte will Bekenner sein

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„Wie hältst Du's mit Religion?“ hat Adolf Holl Prominente gefragt-nur ein Drittel antwortete. Erfahrungen der Kindheit - Eltern, Religionslehrer - waren für die meisten von ihnen prägend.

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„Wie hältst Du's mit Religion?“ hat Adolf Holl Prominente gefragt-nur ein Drittel antwortete. Erfahrungen der Kindheit - Eltern, Religionslehrer - waren für die meisten von ihnen prägend.

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Die öffentlich gestellte Frage, wie es einer mit seiner Religion halte, ist so privat, daß man sich hier entweder verweigert oder sehr private Erfahrungen einbringen muß, damit ein Fremder begreift, wie man zu seiner Haltung kam. Objektiv ist somit an diesen Zeilen überhaupt nichts.“

Mit dieser Feststellung eröffnet einer von 122 Prominenten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Publizistik, Kunst und Sport, die von Adolf Holl um ein persönliches Bekenntnis gebeten worden sind, seine Antwort Sie ist in mancher Hinsicht typisch-vor allem auch im Hinweis auf den „privaten“ Charakter der Frage. Mit Recht vermerkt der Herausgeber dazu: „Der kirchliche Glaube, wie er im Katechismus steht, kann damit nicht gemeint sein. Er ist seiner Natur nach öffentlich, er will bekannt, ja verkündigt werden.“

Nur: Viele zum Bekennen Berufene wollen nicht. Rund ein Drittel aller Angeschriebenen entschuldigte seine Antwortverweigerung, nicht wenige eben mit diesem Argument: so die Politiker Hans-Jochen Vogel (SPD) und Hans Adam, Fürst zu Liechtenstein, aber auch Karlheinz Böhm oder Hans Heigert („ Süddeutsche“).

Andere, zum Teil aus anderen Gründen „Nein-danke-Sager“: Carl Amery, Rudolf Augstein, Gerd Bacher, Barbara Frischmuth, Andre Heller, Petra Kelly, Leo Kirch, Helmut Kohl, Niki Lauda, Heinrich Messner, Luise Rinser („Die katholischen Probleme sind mir nicht mehr wichtig“), Rita Süssmuth,Bernhard Vogel (der CDU-Bruder), Eberhard Wächter, Konstantin Wecker.

Ein zweites Drittel der um eine Stellungnahme zu ihrer katholischen Herkunft Gebetenen blieb gleich überhaupt jede Antwort schuldig. Herbert Achtembusch, Franz Beckenbauer, Boris Becker, Klaus Maria Brandauer und Joschka Fischer gehörten dazu, aber auch Thomas Gottschalk, Günther Grass, Peter Handke, Hans Hollein, Franz Xaver Kroetz, Arnulf Rainer, Leo-nie Rysanek, Wolfgang Sawallisch, Martin Walser und Pirmin Zurbrig-gen.

Bei manchen von ihnen mag Zeitmangel oder pure Schlamperei schuld gewesen sein. Dennoch zeigt die große Zahl der Antwortverweigerer wohl auch ein hohes Maß an Desinteresse, Verachtung oder auch nur peinliches Berührtsein an. Und letzteres kann man auch vielen Antworten anmerken. „Die Mehr-, zahl der Schreiber(innen) erweckt den Eindruck von Menschen, die ein Problem haben, mit dem sie nicht ganz fertig geworden sind,“ kommentiert Adolf Holl das Ergebnis der von ihm veranstalteten Umfrage.

Damit aber wird dieses Buch (in das sich im übrigen antiklerikale Voyeure vergeblich verbeißen würden) in gewisser Weise zu einem Seelenbefund: Was bewegt jene, die eine offenkundige Mühsal (die Beantwortung) auf sich nehmen, in einer Kirche zu bleiben, die ihnen vielfach Kummer bereitet hat? Und wie viele können problemlos glauben?

Von der zuletzt genannten Sorte sind wenige in diesem Buch vertreten - und keiner hat ein Patentrezept. Sehr viele geben zu, stark von Jugenderlebnissen geprägt worden zu sein: vom Elternhaus, von Religionslehrern, von der Beichtpraxis, von der Klosterschule.

In der Klosterschule habe sie „den Kapitalismus kennen und hassen gelernt“, beteuert Elfriede Jelinek. Daß die frommen Schwestern nur jene hebten, deren Eltern viel für die Schule spenden konnten, „hat den Grundstein für meine marxistische Lebenseinstellung gelegt“, bekennt die Dichterin, die „heute die katholische Kirche mehr als alles auf der Welt haßt“. Die ganze Erklärung dafür ist die Geldliebe der Schulnonnen sicher nicht. Aber doch vielleicht ein kleiner Nachdenkanstoß?

Dieselbe Autorin gesteht aber auch, daß ihr das tägliche Reden mit Gott, das sie bis zum Alter von vierzehn pflegte, „heute irgendwie doch abgeht.“ An die Geborgenheit der reiligösen Kindheitsrituale denken nicht wenige mit Nostalgie zurück. Erstkommunion und Maiandacht, Meßriten und „die geheimnisvolle Unverständhchkeit der Gebete“ machten auch Erika Pluhar zu einem „sehr frommen Kind“, in dem aber mit dem Erwachsenwerden allmählich die Überzeugung reifte, daß die Kirche eben „einer dieser etablierten Vereine*' sei, „die über ihrer Mächtigkeit ihr Anliegen vergessen haben.“ Konsequenz: Die Kompromißlose ist 1082 aus der katholischen Kirche ausgetreten.

Andere vermissen in der heutigen Kirche das Arcanum der Rituale, aber auf die „Kraft der Sprache“ wie Karl (Fürst) Schwarzenberg, und das Latein fehlt nicht nur dem deutschen Fernseh-Programmdirektor Dietrich Schwarzkopf. Wie wichtig eine Religion zum Anschauen, Zuhören, Riechen (Weihrauch I) und Schmecken (Kommunion!) für stark sinnenbezogene Menschen ist, beschreibt in einem sehr nachdenklich stimmenden Beitrag der Aktionist Hermann Nitsch, der vielleicht die ausführlichste und in mancher Hinsicht lesenswerteste Selbstdarstellung beigesteuert hat: Man beginnt, sein Werk besser zu verstehen (was noch lange kein Bejahen sein muß). Zuerst erweckte die Kirche „eine nahezu libidinöse erotische Beziehung“ zu Christus in ihm; dann verstand er das Christentum als „Verdrängungsrehgion“ (Verdrängung der Sexualität) und daher als „Krankheitssymptom“.

Heute bekennt Nitsch (er schreibt alles klein): „trotz meiner rückhaltlosen lebensbejahung kommt mir mit zunehmenden alter das Christentum wieder näher, das Christentum hat Symbole, hat eine symbol-sprache, die weit über seine dogmatische enge hinausgehen... die eu-charistie erkenne ich heute als eines der tiefsinnigsten mysterien, die religionen je hervorgebracht haben, die messe bringt in dramatischer form transzendierende, kosmische Weltbewältigung... mein herz gehört der sinnlichen Wahrhaftigkeit, Üppigkeit des katholizismus...“

Die sinnliche Üppigkeit, die der Aktionist Nitsch so hebt, ist vielen anderen in der Kirche nie so recht bewußt geworden. „Eine dörflerisch-dumpfe katholische Gehirnwäsche hat fast ein halbes Leben lang meine Beziehungen zu Frauen verkrampft, vieles schon im Keim zerstört, was bei einem natürlichen Verhältnis zum anderen Geschlecht und zur Sexualität glücklich hätte gedeihen können,“ rügt „Spiegel“-Autor Siegfried Kogelfranz; „in der Beichte wollten sie von uns... immer nur das eine wissen.“

Daß man „im Beichtstuhl durch recht befremdliche Fragen aufgeklärt worden ist auf eine ungustiöse Art“ siedelt auch in der Erinnerung von Jutta Schütting, der an der heutigen Kirche vieles, vor allem auch ein „kaltes Moraledikt“, mißfällt.

Auch der Erfolgsautor Josef Haslinger erinnert sich mit Unlust an die Kindheit, „angefüllt mit Arbeit, die ich nicht mochte,“ und Gottergebenheit und Elternergebenheit und Lehrerergebenheit: „Viel erduldet auf Erden, viel Lohn im Himmel.“ Seine ersten sexuellen Erfahrungen macht er mit homosexuellen Priestern im Klosterinternat. Ein Pater, der für ihn viel bedeutete und noch bedeutet, ist heute ein ehemaliger Pater. Eine Schwester, die Rehgionslehrerin ist und ein Bruder als Jugendseelsorger garantieren bei ihm noch lange für familiäre Diskussionen.

Wichtig ist, daß jemand das Gespräch mit der Kirche nicht abreißen läßt. Dafür legen Religionsleh-rer das vielleicht wichtigste Fundament. In mehreren Beiträgen kommt dies zum Ausdruck (Paul Flora: „Bornierte Katecheten... immer größere Schwierigkeiten, all diesen Unsinn zu glauben“). Hat sich da mit vielen Laienkatecheten alles zum besseren - oder nur zum anderen, oft ebenso Anfechtbaren gewandelt?

Die prägende Rolle des Elternhauses wird in vielen Antworten hervorgehoben - positiv vor allem von jenen, dieauf Fehlen von Gesinnungszwang verweisen können. Auf solche Erfahrung verweist pikanterweise Erwin Ringel genauso wie Kurt Waldheim. “Ich bin überzeugt“, schreibt der Psychiater, „daß das ganze Unglück dieser Welt in der falschen Erziehung der Kinder beginnt“

Keine Frage: Gleichgültigkeit,Ablehnung, ja Haß gegenüber der Kirche wurde bei vielen Fragebe antwortern schon in der religiösen Kindheit grundgelegt „Meine katholische Herkunft hegt im dunkeln, an dieser Dunkelheit laboriere ich bis auf den heutigen Tag,“ klagt Peter Turrini.

Was aber stört heute an der Kir-• che außer schlimmer Erinnerung? Das Bekannte (aber kein Beitrag überstrapaziert diese Punkte): die Art der Machtausübung, das Auftreten als Zwangsideologie, das zentra Iis tische Amtsverständnis, die einseitigen Bischofsernennungen, die Sexualmorallehre, das Steckenbleiben der ökumenischen Initiativen. Zu den vier letzten Themen tragen vor allem der laisierte ExDominikaner und Moraltheologe Stephan Pfürtner, aber auch sein Bruder im Widerstand, Hans Küng, Beispiele bei.

Dankbar aber erfährt man bei Küng, was auch andere kritische Autoren wie Jutta Schütting, Erwin Ringel, der Publizist Michael Albus („Notfalls werde ich meine Taufe verteidigen gegen die, die sie mir gespendet hat: die Kirche“) oderder Neurochirurg Rudolf Kautzky („Die Kirche lebt auch von ihren Ketzern“) beteuern: Ein Austritt aus der Kirche, weil uns eine bestimmte Lehramtspraxis, ein Theologe oder auch ein Papst gerade nicht gefallen, kommt nicht in Frage. Kautzky: Die Kirche ist, „trotz allen Versagens, die Menschengruppe, die, wenn auch oft nur mit Worten, die Tradition Jesu weitergibt“

Und so bekennt auch der Herausgeber des Herrenmagazins „hü“, Heinz van Nouhuys, daß seine Auseinandersetzung mit der Kirche für ihn, den Sechzigjährigen, nicht zu Ende ist „Sie fängt erst an.“

Das vorliegende Buch, als Gesamtes keine Offenbarung, mag für eine solche Auseinandersetzung im Zeitalter der universalen Personalisierung von Problemen einige wertvolle Denkimpulse liefern.

TAUFSCHEIN KATHOLISCH. Herausgegeben von Adolf Holl. Scarabäu* bei Eichborn-Verlag, Frankfurt 1969.187Seiten, kart., ÖS 171,63

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