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DILETTANTEN, VEREINIGT EUCH!

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Mit dem Wort Laientheater assoziiert der „anspruchsvolle“ Theaterbesucher ein Konglomerat von enthusiastischen Dilettanten, die mit viel gutem Willen Erbarmungswiirdiges produzieren, von primitiven Stegreifbiihnen und geplagten Schiilem, die der Ehrgeiz eines kunstbegeisterten Lehrers Klassiker spielen laBt. Diiese Vorstellung besteht nicht ganz zu Unrecht. DaB es aber noch andere Aspekte gibt, be- wies das von der Direktion der Wiener Festwochen in Zu- sammenarbeit mit der Redaktion „Der Spielvogel" veran- staltete erste Osterreichische Amateurtheatertreffen. Zehn Gruppen — hauptsachlich aus den Bundeslandem — ver- suchten in zwanzig Vorstellungen, beharrlich tradierte Vor- urteile verschwinden zu lassen und positivere Urteile zu rechtfertigen. An sich stellt das Laientheater methodisch eine wertvoile Briicke zum Berufstheater dar und den einzigen Ort, wo begabte Leute in Kontakt mit dem Theater kom- men kbnnen, ohne es als ihren Beruf anzusehen. Doch das allein geniigt nicht. Das Motiv miuB noch tiefer liegen und die Form pragen, soil dem Ganzen kiinstlerische Daseinsberech- tigung zugesprochen werden. Der dann eingeschlagene Weg ist zugleich notwendig und gangbar. Bei dem einigermaBen reprasentativen Querschnitt des Treffens uberzeugten drei Formen in diesem Sinne:

• Experimentiertheater,

• Kabarett,

• Schultheater.

Die spezifische Aufgabe des Amateuntheaters, seine Gren- zen, aber auch seine Chancen zeichneten sich dabei immer deutlicher ab.

Die „Spielvdgel“ machten in der Reihe der Auffiihrungen den Anfang. Diese Gruppe aus Graz, der momentan 35 Leute angehbren und die seit fiber 15 Jahren besteht (seit dreieinhalb Jahren hat sie ein eigenes Theater), ist in ihrer Art die riihrigste Osterreichs. Rund 200 Werke stellte sie seit ihrem Bestehen auf die Buhne, davon 90 osterreichische Erst- und 30 Unauffiihrungen. Neben der Betreuung von Jugend- gruppen und Schulen bringt sie jahrlich zwei Kabarettpro- graimme der „Tellerwascher“ heraus. Was nun den in Wien gezeigten „Scherenschnitt“ von Paul Portner betrifft, so er- wies er sich als sehr dankbar. Dabei war die Aufgabe gar nicht so leicht. Der in Zurich lebende Deutsche Portner („Mensch Meier", „Variationen fur. zwei Schauspieler") fuhrt mit diesem Kriminalstiick zum Mitspielen die franzdsische Tradition des experimentellen Theaters weiter — und gerade das Experiment vertangt Routine und Kbnnen: Bei einem seltsatmen Mordfall kommen vier Ta ter in Frage; wenn das Publikum sich fur einen Tater entscheidet, wozu es aufge- fordert wird, dann — vox populi, vox dei — ist er es auch, und die Schauspieler haben dem Rechnung zu tragen. Das Stuck erschlieBt an sich keine neuen Dimensionen, laBt aber Raum fur Improvisation und aktiviert den Zuschauer als sonst unbekannte Kraft, macht ihn zum Mitspieler. Die „Spielvogel“ machten ihre Sache unter der Leitung von Ingo Wampera ausgezeichnet und zeigten eine legitime Moglich- keit fur „fortgeschrittene Amateure": das Experimentiertheater.

Die Laienspielgruppe aus Wiener Neustadt hatte es nach den „Spielvogeln“ natiirlich schwer. Die Niederoster- reicher brachten auch kein besonders gutes Stuck mit: „Unterwegs nach Brest" von Wim Groffen. Es handelt sich um die Geschichte eines Deutschen, der auf der Urlaubsreise nach Frankreich zufallig das Kloster wieder besucht, in dem er als Besatzungssoldat die Tragddie einiger Widerstands- kampfer und einer Nonne erlebte. — Der Stoff hatte eine bessere Gestaltung verdient. Denn obwohl man dem Ganzen einige Spanniung zubilligen kann, verliert sich die Handlung auf zu vielen Ebenen, die vom Aufbau her nicht immer ein- leuchten wollen. Die Gruppe auis Wiener Neustadt versuchte, diese Ebenen szenisch mbglichst einfach umzusetzen — viel- leicht zu einfach. Darstellerisch war der keineswegs lang- weilige Abend durchschnittlich.

Eine zweite iiberzeugende Moglichkeit fiir das Amateurtheater demonstrierte die Spielgruppe aus Rankweil. Die Vorarlbergen „Wuhlmause“ brachten in Wien ihr Kabarett „Gift und Fallen". Inhaltlich hatte man sich zwar weniger zaghaft gestellte Fallen gewiinscht und groBere Dosen Gittes, aber einige Nummem erreichten betrachtliches Niveau. Beispielsweise die brillante Solonummer „Reklame“. Da konnte man es verzeihen, wenn zuweilen falsche Knaben gepriigelt wurden („Jazzgottesdienst“ Oder „Bettlertrommel“) und manchmal bloB Wiihlmause in einer Lowenfalle saBen. Vor allem ist interessant, daB ausgerechnet bei den Kabaret- tisten, wo technische Mangel nicht so ins Gewicht fallen wurden, die formalen Qualitaten und darstellerischen Leistungen unter dem „Drogisten“ Heinrich Linder so beachtlich waren. Nicht zuletzt verdankt man den Vorarlbergem den Wink, daB Kabarett eine der legitimsten, nachstliegenden Aufgaben des Amateurtheaters sein kann. Der Kabarettist ist quasi der hbhere „Daie“ par excellence. So gesehen war dieser Beitrag einer der wichtigsten.

Zwei von drei Wiener Biihnen waren die nachsten. Das „theater am samstag" mit Ben Jonsons „Volpone“, einer „lieblosen Kombdie" von Stefan Zweig und das „Dramatische Studio". Letzteres brachte drei Urauffuhrungen: Laienstucke von Laiendarstellern in laienhafter Aufmachung laienhaft serviert, wahrscheinlich in der Hoffnung, auch im Publikum nur auf Laien zu stoBen. Vorurteile regten sich und lechzten formlich nach Bestatigung. Das erste Stuck der 21jahrigen •Rilke Schwinger „Weg im Schatten" war nodi das beste, wenn auch lange nicht gut. Man macht nidit die Angst des heutigen Menschen sinnfallig, indem man sich auch eine Scheibe vom modischen Agentenschinken heruntersabelt. Liebe, Phrasen und Verzweiflung wie’s im Drehbuchl steht. Vielleicht geht das Madchen zuviel ins Kino... Gunther Winklbauer wurde als Lokalredakteur einer Tageszeitung der Morde wahrscheinlich uberdriissig und stiirzte sich Hals iiber Kopf in die Poesie. „Tranen aus zweiter Hand", wo wwei Liebende yoneinander Abschied nehmen, ist das Pro-

dukt: undramatisch, pseudopoetisch, angestopft mit abge- griffenen, unpassenden Metaphem, ein langweiliges Sammel- surium von Klischees — grausam, obwohl sich die beiden Darsteller gar nicht so schlecht schlugen... Zum letzten sah man „Venezianischer Zwisehenfall" von der 17jahrigen Elga Weinberger. Sie spielte selbst die Hauptrolle in ihrer Illu- striertengeschichte und zeigte schauspielerisches Talent, war aber schlecht beraten, als sie der Ehrgeiz zur Auffuhrung ihres altklugen Erstlings packte. Ein pubertares, unausgego- renes Stuck. Die hilflose Regie von Hilde Weinberger ver- scharfte den Eindruck noch.

Dabei dranigt sich einem die prinzipielle Frage nach dem Wozu und Weshalb des Laientheaters auf. Will es namlich ernstgenommen werden, dann kann es einfach nicht seine Aufgabe sein, als Taschenausgabe fiir theatralisch Minder- bemittelte (Publikum und Akteure) im Schatten des „Uber- Theaters" von Berufsschauspielern dahinzuvegetieren, son- dem muB sich auf eine eigene Form besinnen, um seine Chance zu wa-hren. Vorausgesetzt, man betrachtet es von kunstlerischen Gesichtspunkten aus — nur darum geht es hier — und nicht von der Warte irgendeiner padagogischen Position, so zweifellos wertvoll sie auch sein mag.

Ahniiche Probleme hat auch die Laienspielgruppe der Werkskulturgemeinschaft Radenthein. Nur mit dem sympathischen Unterschied, daB die Karntner ihr Ziel nicht so hoch steckten und in ihrer Distanz vom Berufstheater etwas unbekiimmerter spielten. Das Lustspiel „Messer Pom- poso de Frascati Oder Die Launen des eifersiichtigen Har- lekin" von Alois Johannes Lippi war samt der Auffuhrung bescheiden. Einen halbwegs akzeptablen Harlekindarsteller hatte der Regisseur Viktor Pretterebner allerdings finiden miissen, noch dazu, wo er selbst in der Hauptrolle Empfinden fiir komische Wirkungen zu haben scheint. Positiv auffallen konnte die talentierte Waltraud Lauer als Colombine. Fiir das nachste Mai mochte man ein wenig mehr Sorgfalt auf Kosttime und Buhnenbild empfehlen.

N ach zwei nicht recht befriedigenden Vorstellungen iiber- raschte die 1955 gegriindete und dem Salzburger Bil- dungswerk angeschlossene „Salzburger Jugendbiihne“ mit einer erstaunlich sicheren, eindrucksvollen Auffuhrung des „Siebenten Siegels", eigentlich „Tramalnig“ (Tafelbild) von Ingmar Bergman. Der bekannte schwedische Filmregisseur war bis vor kurzem Intendant am Kdniglichen Schauspiel- haus in Stockholm und schrieb eine Anzahl von Stucken, von denen das 1954 entstandene „Tafelbild" zur Vorlage fiir den spateren Film „Das siebente Siegel" diente. Diese holzschnittartige Parafoel von Gott und dem Tod vermochte der Spielleiter Richard Wild mit viel Geschick auf der kleinen Buhne dramatisch umzusetzen. Die schauspielerischen Leistungen uberzeugten ebenso wie die vortrefflichen Kostiime und Beleuchtungstechnik. Vorher gab es das eher unbedeutende Stuck „Kdnige unter sich" von Werner Thuswaldner, einem Mitglied der „Salzburger Jugendbuhne", die in den elf Jahren ihres Bestehens in mehr als 300 Auffiihrungen rund 50 Stiicke uber ihre Miniaturbretter gehen lieB.

Eine ganz andere Art der Laienbiihne lernt man mit dem Linzer Collegium Aloisianum kennen: die Schulbiihne Jesuitischer Tradition. Die Barockkomodie „Rusticus impe- rans" Oder „Der Schmied als Konig", von Jakob Masen SJ. Die Geschichte vom standig betrunkenen Schmied, der fiir einen Tag den Konig spielen dart, um am nachsten durch seinen Ubermut als der doppelt Geprellte aufzuwachen, ist in alien seinen moralischen Modifikationen altes drama- tiscbes Gut von Shakespeare bis Gerhart Hauptmann. Unter der Regie von Otto Leisner SJ. wurde hauptsachlich von Schiilem der siebenten und achten Klasse gespielt. Brav ge- spielt, aber ohne sonderliches Talent, ohne besondere Hohe- punkte, wenn auch ohne gravierende Schnitzer. Es steckte nicht viel Feuer, aber viel Arbeit hinter dem ganzen Be- miihen, das sich vor den recht brauchbaren Biihnenbildern von Leo Kliegel und P. Friedrich Fritz SJ. abspielte. Das gilt auch fiir die Stiickwahl, sieht man von der blutlosen Ubersetzung ab. Die Echtheit der Aufgabe, eine Theatertradition am Linzer Jesuitengymnasium, die seit dem 17. Jahrhundert besteht, weiterzufiihren (in der letzten Zeit durch mindestens eine Auffuhrung im Jahr), ist dabei un- bestritten und mag iiber manche Schwachen hinwegsehen helfen.

Aller padagogischen Erwagung zum Trotz gehen die Lehrer den Schiilem nicht immer mit gutem Beispiel voran, wenigstens nicht im Laientheater. Die Burgenldndische Lehrerspielgruppe aus Eisenstadt, unter der Leitung von Karl Wutzelhofer, konnte die allzu harmlose Komodie „Zirkus“ von Ewald Autengruber (Graz, Jahrgang 1924) nicht ganz iiberzeugend iiber die Akte bringen. GroBe Schauspieler hatten das nur mit Miihe vermocht; groBe Schauspieler standen aber fiir diesen Leidensweg des Kasehand- lers Penozzo, dessen Frau seine Liebe zum Zirkus bbswillig unterdriickt (am Ende wird natiirlich alles wieder gut und der Richtige hat — wie bei den Lbwingern — die Hose an), nicht zur Verfiigung. So biieb es bei der freundlichen Geste.

Durch ein kraftiges Lebenszeichen des osterreichischen Amateurtheaters in Gestalt der Grazer „Spielvbgel“ wurde dieses Treffen eingeleitet, durch ein- ebenso deut- liches zum AbschluB gebracht. Gleichzeitig fand die dritte groBe Mbglichkeit des Laientheatens ein glanzendes Demonstr ationsobjekt: das durch eine sachverstandige Leitung, durch Opferbereitschaft und kulturbetonten Enthusiasmus dem Dilettahtiscben weit entriickte Schultheater. Die Spiel- gruppe des Akademischen Gymnasiums Wien I, erarbeitete sich seit ihrem Bestehen 1959/60 sechs Auffiihrungen klas- sisch-griechischer Stiicke. „Alkiestis“ und die „Troerinnetn“ von Euripides, Menanders „Dyscolos“, „Philoktetes“ von Sophokles die „Orestie“ von Aischylos und heuer den „Hippolytos“ des Euripides. Hippolytos, der Sohn Kbnig Theseus’, hat sich fiir die Reinheit der Natur entschieden, flieht die Leidenschaft und wendet sich von Aphrodite ab. Er zieht sich damit den unvensbhniichen HaB der verletzten Gbttin zu, die das Geschick iiber ihn und seine Familie her- einbrechen laBt. Die Bilanz des Blutbades legt Euripides vor, den Zusammenprall edler Menschen, welchen die Un- vereinbarkeit gbttlicher Prinzipien zum Verhangnis wird — die antike Gbtterdammerung bricht an und die Schizophrenic des „entlasteten“ Menschen... Auf der relativ groBen Biihne des Festsaales gestaltete Prof. Wolfgang Wolfring das be- deutende Stuck auf eine auBerst eindrucksvolle Weise. Es stimmte nahezu alles. Vom hervorragenden Buhnenbild (Professor Dip.-Arch. Franz Hrdy und Paul Drobec) iiber die sorgfaltigen Kostiime (Prof. Ema Kunschak), Musik, Choreographic bis zur „Spezialiltat“, den vom Regisseur exakt ein- studierten Chbren in Originalsprache. Die Darsteller (meist altere Maturajahrgange) erreichten ebenfalls iiberdurch- schnittliches Niveau.

Es ist gar nicht einfach, aus der gesamten Veranstaltung ein Resiimee zu ziehen. Versucht man es, dann kann es in erster Linie nur die Feststelilung sein, daB es eigene Wege fiir das Laientheater gibt. Manche Gruppen gehen sie, bei manchen tut eine Selbstbesinnung not, denn Struktur und Methode mbgen sehr verschieden sein, die Qualitat der Auf- fiihrungen sollten einen gewissen, an den besseren Buhnen orientierten Standard nicht unterbieten. Bei einem besseren Kontakt der Gruppen, der gegenseitigen Erfahrungsaustausch ermbglicht, lieBe sich sicherlich vieles machen. Denn was auch immer bei diesem ersten Osterreichischen Amateurtheatertreffen herausgekommen sein mag: der Gedanke, eine Verstandigunigsmoglichkeit auf der Ebene einer gemeinsamen Veranstaltung zu probieren, war ein vortrefflicher. Es ware zu begriiBen, wenn sich der entwicklungsbediirftigen, mit alien Gebrechen einer Neugeburt behafteten Idee jemand liiebevoll annahme. Das erste Treffen sollte zum Vorteil von Spielem und Publikum nicht das letzte bleiben.

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