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Die Maier und die Haifische von Paris

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A madeo Modigliani, Freund Apollinaires, Soutines’, Cocteaus, war froll, wenn er fiir ein Bild eine Flasche Schnaps und einen 100-Francs-Schein bekam. Heute gibt es eine Reilie von Biichern und Monographien uber ihn, von denen ein einziges Exemplar mehr kostet, als er damals fiir seine Bilder erhielt — diese aber werden zu Preisen zwischen 50.000 und 70.000 Dollar gehandelt.

Gauguin verkaufte einmal ein Stilleben mit Apfeln um 200 Francs. Fiir dieses Bild bezahlte der griechische Reeder Basil Goulandris etliche Jahrzehnte spater genau 346.170 Dollar, einen Betrag, um den etwa 45 Einfamilienhauser gebaut werden konnen. Das war iibrigens der hochste Preis, der bisher fiir ein im 20. Jahrhundert entstandenes Gemalde bezahlt wurde.

In der amerikanischen National Gallery hangt ein welt- beruhmtes Bild, dessen Preisschicksal bezeichnend ist. Ein deut- scher Landrat erstand um die Jahrhundertwende eine von einem

„unbekannten Meister” stammende Kreuzigung. Zu seiner Uber- raschung und Freude stellte sich heraus, daB das Gemalde, fur das er 750 Mark gezahlt hatte, ein echter Grunewald war. Der hollandische Sammler Koenigs gab 700.000 Mark dafiir und iiberlieB es schlieBlich der National Gallery, zu deren Prunk- stiicken es heute gehbrt, um eine Million.

Zur Zeit von Vermeers Tod, 1675, hatte niemand daran gedacht, eines seiner Bilder zu falschen. Von ihm sind nicht viel mehr als 40 Bilder bekannt. Dem geringen Erlbs, den er erzielte, war seine lebenslange Armut angepaBt, er starb als Vierziger, acht unversorgte Kinder hinterlassend. Zwanzig Jahre nach seinem Tod erzielte sein „Milchmadchen” 175 Florins. Der Wert steigt langsam aufs Dreifache (im Jahre 1765), und drei Jahrzehnte darnach auf 1550 Florins, bis 1813 mit 2125 Florins eine vorlaufige Hbchstsumme erreicht wird. Darnach wird sein Name vergessen und auch in den Lexika nicht mehr erwahnt. Erst als 1842 ein bekannter Kunstkritiker auf das GroBartige seiner Malerei aufmerksam wird, geraten seine Bilder wieder in den Sog nach oben. Heute wurde das „Milch- madchen” zwischen l und 2 Millionen Dollar kosten.

Diese Preisspriinge sind ein erregendes Schauspiel fiir jeder- mann, der sich die Milhe nimmt, in alten Katalogen und neuen Versteigerungsverzeichnissen zu blattern. Der Philosoph mag daruber meditieren, wie launisch Fortuna und der Mensch, der sie macht, mit Kunstgutern umgehen, die ihren Wert in sich tragen. Der Soziologe wird von der ErschlieBung neuer Kaufer- schichten sprechen und die Tatsache vermerken, daB in den USA zum Beispiel seit den dreifiiger Jahren nicht weniger als 300 neue Museen entstanden sind, die alljahrlich von 60 bis 70 Millionen Menschen besucht werden. Der Kunstler selbst wird bitter bemerken, daB es jenen GroBen der Malerei, die, wahrend sie ihre besten Werke schufen, am Hungertuch nagten, verzweifelt wenig niitzt, wenn ihre Bilder heute astronomische Preise erzielen.

Faszinierend ist die Preisartistik jedoch auch fur eine andere Kategorie Menschen, die aus dem modernen Kunstbetrieb nicht mehr wegzudenken ist: fiir die Kunsthandler. Fiir sie ist ein Gemalde, gleichgultig, was es darstellt und von wem es gemalt ist, zunachst einmal nichts anderes als eine Ware. Eine Ware voller Tiicken, ja, eine Ware, mit der umzugehen hellen Verstand, kaufmannisches Genie, unverdrossenen Mut und eine gehbrige Portion Skrupellosigkeit verlangt.

Die Nachfrage bestimmt den Preis”, ist ein alter Lehrsatz.

Doch wer bestimmt die Nachfrage? Tausend vage Im- ponderabilien sind mit im Spiel, wenn Preise fur Luxusguter plbtzlich zu klettern beginnen. Neben Geschmacks- und Mode- einfliissen, die immer eine Rolle spielen, ist in jungerer Zeit ein doppeltes Geschehen fiir den Handel mit Kunstgegenstanden beherrschend mafigeblich geworden. Einmal ist es die „Bekeh- rung Amerikas zur Kunst” (wie es Meunier in seiner Einfuhrung zum Rowohlt-Band „Duveen und die Millionare” von S. N. Behr- man formuliert), zum andern die immer mehr zunehmende Fixierung von Kunstweiken im Musealbesitz.

DaB geschichtslose Volker wie das amerikanische kein gewachsenes Kunstverstandnis und -bediirfnis haben, ist eine Tatsache, die nicht diskutiert zu werden braucht. DemgemaB bot die Kunst in den USA noch vor zwei, drei Menschenaltern keine Business-Chancen. Dann ging Amerika radikal den umge- kehrten Weg. Reiche Manner hatten plotzlich das Bediirfnis, sich mit einer Aura von Kultur und Historismus zu umgeben. Diese Stimmung wurde von geschickten Handlern geschiirt. Allen voran lag der groBartige Duveen, der in einer Reihe von Millionaren das Streben nach Kunstbesitz zu wahrer Leiden- schaft anzufachen wuBte. Durch die amerikanische Steuergesetz- gebung gesteuert, zog ein GroBteil der privat erworbenen Schatze in die in den letzten Jahrzehnten wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden schieBenden Museen. Und die Publicity, die sich die Kunst errang, begann das Volk langsam aber sicher zum steigenden Verstandnis fiir echte Werte sowohl der Kunst wie der Geschichte zu erziehen. Das Gesamtphanomen dieser „Bekehrung” wurde fur den Kunsthandel zum gigantischesten Geschaft aller Zeiten. Zu einem Geschaft, das langst noch nicht abgeschlossen ist, da in Amerika immer neue Kauferschichten zu erschlieBen sind.

Das andere groBe Geschehen, die Abwanderung der Kunst- schatze aus den privaten Sammlungen in den Museumsbesitz, macht den Handlern Kummer. Jedes Bild, das von einem Museum verschlungen wird, ist fiir immer vom Markt verschwunden, kann nie wieder Gelegenheit zu einem lukrativen Geschaft bieten. Der Trost, daB Museen Ausbildungsstatten fiir kiinftige Kaufer sind, ist recht mager, denn bis solche Wirkung ihre Friichte tragt, muB die lebende Handlergeneration ins Gras beiBen, und erst die Sohne oder Enkel haben den Vorteil davon.

roch dem neuerschlossenen amerikanischen Kunstmarkt und der sich langsam vermehrenden Kauferschaft zeitgenossi- scher Kunst stehen Legionen von Malern gegenuber, allein in Paris, wie die Journalistin Danielle Hunsbelle in „Le Monde” schatzte, rund 75.000! Und alle diese Maier wollen und sollen leben. Je breiter die Schicht derjemgen ist. die Kunst ausiibt, um so groBer die Chance, dab groBe Manner darunter sind.

"Sie sollen leben”, sagt auch der Kunsthandel, „und wir mit jn”zn.On ihnen- Allerdings ist fiir einen franzdsischen Handler die Chance, unter den 75.000 Pinseljungern der Seinestadt durch einen Glucksfall den richtigen zu erwischen, der sein Geld als- bald mit Zins und Zinseszins wieder einspielt, noch geringer als jene, in der Staatslotterie einen fetten Treffer zu gewinnen. ,>Die Nachfrage bestimmt den Preis”, und wer bestimmt die Nachfrage? fragten wir vorhin. Die Konigsidee gerissenen Hand- lertums lautet: Wir selbst bestimmen die Nachfrage,! Dann kann nicht mehr viel schiefgehen, sollte man meinen, IIO-

Es ware ein Unrecht, den Pariser Kunsthandlern und ihren alliierten und assoziierten Kollegen vorzuwerfen, daB die Besten unter ihnen diese Idee nicht vollkommen erfafit hatten. Der Pariser Auktionator Rheims fragt in seinem Buch „La Vie etrange des Objets” unverblumt: „Welcher Bbrsenwert kann mit jenem ,BlumenstrauB’ von Vlaminck verglichen werden, der im Jahre 1920 600 Francs, dreiBig Jahre spater 500.000 Francs und 1959 fiinf Millionen Francs kostet?” Das ist eine ernste Frage. Sie erklart uns die unbeschreibliche Gier, mit der viele Un- berufene und nur wenige Berufene sich auf den Kunsthandel ge- stiirzt haben.

5X7ie nun bestimmt man die Nachfrage heute? Man nimmt “ einen oder mehrere Maier unter Kontrakt (26 sind es zum Beispiel bei der Galerie de France) und zahlt ihnen einen Monatslohn. Manche dieser Galeriesklaven mussen aber Hunderte von Bildern herunterpinseln, bis der Vorrat groB genug ist, einen Start riskieren zu konnen. Dann beginnen die VorstoBe, wird die Publicitymaschine angekurbelt, werden Ausstellungen veranstaltet. Alles mit dem Ziel, moglichst fiber Nacht einen anstandigen Preis fiir den Schiitzling durchzudriicken. Gelingt das, so hat die Galerie ihren Profit. Und der Maier kann immerhin leben. Und weitermalen.

Aus einer Handvoll Handler im Paris der Vorkriegszeit wurden deren 320 in der Gegenwart. Ihr Daseinskampf ist grausam und unerbittlich. Er wird auf dem Riicken der Maier ausgetragen. Die Kommerzialisierung des Objekres „Bild” ist nahezu ab- solut. Die Werte sind auf den Kopf gestellt. Nicht die Kunst dominiert, sondern der Handel. Dem Kiinstler wird die Handlermoral beziehungsweise -unmoral aufgepragt. Hunderttausende von der halben Million Maier, die es auf der Welt gibt, starren gebannt auf das Geschaft. Die alte Welthierarchie der Selbst- entauBerung, des dienenden Zuriicktretens hinter das Werk, der geistig und seelisch im Gottlichen verankerte Auftrag, gelten nicht mehr. In der neuen Hierarchie jener Gosse, die quer durch Salons und Palaste geht, ist der Mammon oberster Befehlshaber.

Wer mit etwas Gliick ins Karussell Kunstbbrse einsteigt, kann iiber Nacht als Stern der Haute Peinture erstrahlen — eine Wortbildung, die fiir deutsche Ohren vornehm klingt, dabei aber nicht anderes ist als eine schamlos-ehrliche Parallele zur Haute Couture oder Haute Coiffure. Ein Mindestniveau der Maier ist Voraussetzung (das hat sein Gutes), doch zuletzt entscheidet nicht der Kunstwert, sondern die besseren Nerven der Mitspieler iiber den augenblicklichen Erfolg (und das ist furchtbar).

Neben den Galerien und Handlern gibt es Spekulantenteams, die rudelweise auf Beutejagd gehen. So schliefien sich zum Beispiel zehn Mann zusammen. Jeder kauft etwa dreiBig Bilder eines talentierten jungen Maiers, und zwar unauffallig und zum moglichst billigen Tagespreis. Dann wird eine Versteigerung abgewartet, bei der ein x-beliebiges Bild des Gliicklichen kiinst- lich hochlizitiert wird — und in den Morgenzeitungen steht als Sensation, ein Gemalde des Monsieur Sowieso hat 10.000 (neuer) Francs „gemacht”. Der Run auf die Werke des neuen Mannes beginnt. Das Spekulantenrudel bringt die dreihundert gehorteten Bilder wie warme Semmeln weg — wenn alles klappt. Ein Pinsel- jiinger mehr, der sich ein Auto und eine teure Freundin leisten kann. Was tut’s, wenn in einigen Jahren keiner mehr von ihm spricht — das Rudel hat seine Beute erjagt und wittert bereits nach dem nachsten Opfer.

Die Haute Peinture steht im Dschungelkampf. Dennoch gibt es kluge Leute. die diese Superkommerzialisierung mit Ruhe be- trachten. Sie weisen darauf hin, daB ein Konig Attales von Pergamon sich von Aristides um 600.000 Sesterzen einen Bacchus malen lieB, also, wenn die Fabel stimmt, um den enormen Betrag von l Milliarde (neuer) Francs, und daB daran die Welt nicht zugrundegegangen sei. Aristides war damals eben Modemaler, der Schauspielerportrats und pathetische Schlachten- bilder schuf. Und das Spekulationskarussell ermoglichte tausen- den Malern, die sonst verhungern miifiten, die Weiterarbeit. Der ganze Rummelbetrieb aber habe bewirkt, daB heute Millionen Menschen am Ankauf von Originalen halbwegs guter Kiinstler interessiert seien.

Auch, so wird weiter eingewendet, habe die Willkiir der Be- wertung immer schon eine groBe Rolle gespielt. So konnte einst die Favorisierung eines Maiers durch Madame Pompadour (die •innerhalb von zehn Jahren zum Beispiel fur 70 Millionen Francs Bilder vom Kunsthandler Lazare-Duvaux kaufte) den Preis seiner Gemalde iiber Nacht vervielfachen, wahrend anderseits etwa gute Bilder von Rubens bis vor kurzem infolge der in den USA dominierenden puritanischen Gesinnung zum Jammer der Handler keine rechten Preise erzielen konnten.

Wir jedoch mochten es mit Paul Valery halten, der die Kommerzialisierung der Kunst als Skandal empfand. Er schrieb:

„Alle Werte sind verdorben durch die Reklame, die sie fast ebenso heftigen Schwankungen unterwirft wie die taglichen Bdrsenkurse... Friiher hing die Einschatzung des Wer- tes der Kunstwerke von einigen hundert fachkundigen und passionierten Lenten ab, die in der Untgebung grafter Zentren wie Athen, Florenz oder Amsterdam lebten. Diese in sich ab- geschlossenen und kritischen Kreise gaben der Kunst, was die Kunst kaum entbehren kann: lebhafteste Anteilnahme, heftige Zuneigung, ernsthafte Diskussion und das unmittelbare Gefilhl ihrer Bedeutung...”

Haute Peinture im Dschungelkampf. Bei der Haute Litterature liegen die Verhaltnisse im Strudel des Bestsellerunwesens nicht anders. Die Generaliiberschrift, wo Geld im Spiel ist, muB eben lauten: Mensch gegen Mensch im Dschungelkampf oder die Kommerzialisierung der Massenseele.

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