6589131-1952_14_09.jpg
Digital In Arbeit

R.andbemerkungen zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

VORWVFE, SEHR BITTERE VORWVRFE wurden vor gar nicht so longer Zeit an die osterreichische Adresse aus jener Stadt ge- richtet, um die wieder einmal in den letzten Wochen der Internationale Streit entbrannt ist: aus Triest. Nicht Schmdhrufe und Reminiszenzen im Geiste des alten „Irreden- tismus“ waren zu horen, wie es die Demon- strationen spater Erben des Nationalismus vielleicht vermuten hatten lassen. Nein, ganz im Gegenteil. Der „Corriere di Trieste“ warf nadi einer begeisterten Wiirdigung des alten Osterreidi und der Stellung, welche der Hafen von Triest darin hatte, dem Osterreidi von heute nichts an- deres vor, als dafi es sich zu wenig um Triest kiimm e r e. „ln abulischer Taten- losigkeit hingestreckt, kennt Osterreidi heute immer noch nicht seine wichtigsten unrt- schaftlichen Probleme, die mit seiner Geschichte so eng zusammenhangen. Es hat Triest vergessen, das einst seine Pforte zur Welt war und wo es heute noch vitale Interessen besitzt, mehr als jeder andere Staat. Es hat nicht Atem fiir ein einziges Wort zugunsten jener Unabhangigkeit, die doch fiir Osterreich die gleiche Bedeutung haben muftte, die der geographischen Lage der Stadt in bezug auf Osterreich zuk'ommt." So die Sprache der Anschuldigung, so und noch heftiger ihre Fortsetzung. Stets ist es eine sich enttausdit wahnende Zuneigung, die sich leicht zu majilosem Wiiten und zur Ungerechtigkeit hinreifien la jit. Denn gerade in der schonen Stadt an der Adria, die heute unter alliierter Kontrolle steht, diirfte man mehr Verstdndnis fiir die nicht so verschie- dene Situation Osterreichs erwarten. Aujier- dem: Eine rasche Durchsicht der vergange- nen Nummern aller Jahrgange allein dieses Blattes erbringt unschwer den Beweis, daji man hier sehr, sehr aufmerksam die Entwicklung in jener Stadt verfolgt, mit der den Osterreicher eine lange gemeinsame Vergangenheit verbindet.

VON DEM ERGEBNIS DER NEVWAH- LEN IN DIE WIENER KULTUSGEMEINDE nahmen wir kiirzlich kommentierend Notiz. In ihrem letzterschienenen Marzheft nimmt die isrealitische WOchenschrift „Neue Welt und Judenstaat" Anlafl, ihre Mitteilungen zu ergdnzen. Danach befinden sich von den rund

10.000 derzeit in Osterreich lebenden Juden „bis auf wenige Hundert samtliche in Wien“. Die Zahl der Kinder sei gering, die Ge- samtzdhl von lO.QOO sink e st eti g ab. E rinnert man sich dar an, dafi vor den Weltkriegen die Zahl der zum Judentum sich Bekennenden 9 bis 10 Prozent der Be- volkerung darstellten, so ist die Katastrophe zu ermessen, die sich da vollzogen hat. Was die politische Einstellung dieses Restes an- langt, erkldrt das zitierte Blatt, die in den Kultusgemeindewahlen aufgeschienene Ziffer kommunistischer Stimmen sei tauschend, da es die Kommunisten verstanden, als „uber- parteiliche demokratische Gruppe sich zu tarnen“ und wie keine andere Grwppe „eine blutriinstige Sprache gegen Nazismus und Neonazismus zu fiihren ... Wenn die Juden ihren eigenen Restitutionsfonds aus der ju dischen erblosen Masse erhalten, kann dem kaum vorstellbaren Elend der Mehrzahl jener Zehntausend ge- steuert werden, und die Kommunisten werden auch mit der schonsten Tamung keine Wahlerstimmen in der Kultusgemeinde er- obem konnen". — Wo es sich um redliche Wiedergutmachtungsanspriiche handelt, ist allerdings das „unvorstellbare Elend" ein Rechtstitel, der an jedes Gewissen appelliert.

EIN RENDEZVOUS GROSSER WORTE fand unldngst im Rahmen einer Versamm- lung der Wiener VdU-Jugend statt. Von „Heimat und deutschem Volkstum" war wiederholt die Rede, von einem „neuen Ethos" und „Treue zum Volk". Als Femziel wurde die „Griindung des europaischen Reiches, belebt und verteidigt von uns Deutsdien hiiben und druben", proklamiert. Dann stand einer auf und erklarte — alles nach dem Bericht des Salzburger Zentralorgans: „Fundiert auf dem Fels en unseres Glau- bens, wollen wir unseren T urm auf den machtigen Pf eilern der Kameradsdiaft aufbauen." Weniger vom Deutschtum, dafUr aber schoner deutsch reden: dies ware auch eine Aufgabe fur die junge Vereinigung.

DER PROPAGANDAKRIEG UM DIE KOREANISCHEN FLOHE nimmt immer grofieren Umfang an. Man mag es als eine Burleske abtun, wenn die Aussage eines koreanischen Bauem durch die chinesisdi- kommunistisdie Presse verbreitet wird: „Ich habe hier dreiundsechzig Jahre gelebt und niemals solche Flohe gesehen." — Keinesfalls als Burleske angesehen werden kann es, wenn der bisher als zuruckhaltend geltende

Premierminister Rot chinas die Anklage gegen die UNO im allgemeinen und gegen die USA im besonderen erhebt, durch bak- teriologische Kriegfiihrung Korea und China mit Pest, Cholera und anderen Seuchen zu verheeren. Wissenschafter, Politiker, Bauern, .Soldaten aller Rangsklassen und Volker in der ostlichen Hemisphare sind heute einge- spannt in diesen Feldzug, der als eines der gefahrlichsten Phanomene von der Welt- offentlichkeit vermerkt werden muJ3: geht es hier doch darum, dem Gegner jede Mensch- lichkeit ab- und jede Grausamkeit zuzuspre- chen; welche Mentalitdt. wird hier heute in den Millionen Schulkindern, Zivilisten und Soldaten jener einen Sphdre geziichtet. einfach durch die tagliche Einimpfung, einfach durch diese eine Nachricht", die bisher durch keinerlei Beweise als Tatsache erwiesen ist.

In Brkenntnis des Gewichts dieser Gift- kampagne haben die Vereinten Nationen, ihre Weltgesundheitsorganisation und der Staatssekretdr der USA sich bereit erkldrt, an einer unparteiischen Untersuchung der Seuchen in Korea und Nordchina mitzuarbei- ten, haben sich zudem sofort bereit erkldrt, Medikamente und Arzte zur Verfiigung zu stellen. Die Anwort war: eine Flut von neuen Verdachtigungen und Verleumdungen gegen alle jene, die die Heils- und Unheilsbotschaf- ten der Ostwelt nicht bedingungslos akzep- tieren wollen. Dennoch hofft die ganze Welt, dafi es den Chinesen gelingen moge, ihrer durch das Absinken des chinesischen Sani- tdtswesens bedingten Seuchen Herr zu werden; dafi mit diesem Gelingen der publizi- stische Kriegszug zur Vergiftung der Mensch- heit ein Ende nehme. Und dafi drittens und letztens diese Kampagne nicht einen bisher noch verborgenen Sinn aus sich entlassen moge: dafi es diesen Lenkem der Geschicke von Millionen Menschenmassen am gu en Willen fehle, nach vielen bosen Dingen, nach vielen. Kampfen mit vielen Feinden, es zu einem guten Ende kommen zu lassen. Ohne das Gift der Rede, der Waffen oder gar der Flohe.

DIE FLUCHT DER TUNESISCHEN MINISTER aus Paris, die Verhaftung des tune- sischen Ministerprasidenten und seiner Kabinettskollegen sind dramatische Akzente einer Entwicklung, deren Ende kaum in einer stabilen Wiederaufrichtung des fran- zosischen Protektorats iiber diesen wich- tigen nordafrikanischen Schlilsselpunkt wird liegen konnen. Nationale Bewegungen eines Ausmajies, wie es die Panarabische ange- nommen hat, lassen sich durdi militarische Mafinahmen wohl zeitweilig eindammen, aber schwerlich aus der Welt schaffen. Die arabische Welt in Gesamtheit ist in Be- wegung, und dies zu erkennen, miifite gleich- bedeutend sein mit dem Entschlufi, mit ihr gemeinsam die weitere Entwicklung in die Hand zu nehmen. Dies erfordert zeitgerechte Konzessionen, denen der Charakter einer gewissen Freiwilligkeit anhaften miifite. Es stehen sich hier zwei Auffassungen und aus diesen entspringend zwei Methoden gegen- iiber. Die anpassungsfahige britische, aus dem Handels- und Verkehrsbediirfnis der Nation geboren. Sie hat es verstanden, Pakistan, Indien und Ceylon in einer losen Form dem britischen Einflufibereich, dem Commonwealth zu erhalten. Wo sie nicht angewendet wird, stellen sich auch fiir Grofibritannien beunruhigende Mifierfolge ein wie in Malaya. Die zweite ist die konservative, militarisch und administrativ beharrende Frankreichs, deren kulturelle und soziale Leistungen in den franzosisdien Aufiengebieten iibrigens unbestritten sind. Aber das Rad der Zeit la fit sich nicht zuriickdrehen — war das 19. Jahr- hundert das Kolonialzeitalter, so ist das 20. jenes der nationalen Selbstandigwerdung der asiatisdien und afrikanischen Volker. Es gilt, diesen Prozefi nicht zu erleiden, sondem mitzugestalten, und von dem Ausmafi, in dem diese hohe, staatsmannische Gaben er- fordernde Umstellung gelingt, wird es abhdngen, inwieweit Europa seine letzten uberseeischen Ressourcen erhalten bleiben werden. In diesem Sinne wird die Sadie uropas in Nordafrika mitentschieden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung